Titel: | Ueber die Tragbarkeit der Union-Kettenbrüke, von J. L. Späth, K. B. Hofr. und Academiker. |
Fundstelle: | Band 17, Jahrgang 1825, Nr. XXXIII., S. 146 |
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XXXIII.
Ueber die Tragbarkeit der
Union-Kettenbrüke, von J. L.
Späth, K. B. Hofr. und Academiker.
Vorgelesen in der oͤffentlichen Sizung der
k. Akademie der Wissenschaften in
Muͤnchen, am 14. Mai. 1825.
Späth, über die Tragbarkeit der
Union-Kettenbrüke.
I. In dem 10ten Bande, IV. Heft des polytechnischen Journals
findet sich eine kurze Beschreibung der sogenannten Unionsbruͤke, wie solche im Jahre 1820 uͤber den Tweed durch den Capitain Samuel Bar. Brown wirklich erbauet worden.
Die Bruͤke bestehet nun zunaͤchst aus 12 Ketten, deren Glieder bei
einer Laͤnge von 15 Fußen eine Staͤrke von 2 Zoll und dabei hinten und
vorne runde Kolben haben, in welchen ovale Bolzen von 2 1/4, 2 1/2 Zoll feste sind. – Um
diese Bolzen schließen sich auf beiden Seiten eiserne, ein Zoll starke Schacken, Gelenke oder Maschen
an, welche die Glieder unter sich zu einer Kette verbinden, die 432 englische Fuße
lang ist; und an ihren beiden Enden durch Pfeiler uͤber Rollen gehet, hinter
welchen jede der 12 Ketten in dem Boden feste gemacht ist. Diese 12 Ketten tragen
nun durch eiserne zwischen den Maschen der Kettenglieder hindurch gehende, oben mit
Koͤpfen versehene Haͤngsaͤulen von 1
Zoll Staͤrke, den Fahrgang der Bruͤke mit seiner Bedekung und
Gelaͤnder in einer Laͤnge von 361 Fußen, und 18 Fuß Breite; Es wiegt
dabei eine Kette in die andere 5 Tonnen zu 20 Centner; mithin die 12 Ketten 60
Tonnen: die ganze Bruͤke aber im Ganzen bei 100 Tonnen; so daß mithin der
Fahrgang der Bruͤke, mit ihrer Bedekung, ihren Haͤngsaͤulen,
und sonstigen Zubehoͤr auf 40 Tonnen veranschlaget werden mag.
Auf dieser Bruͤke draͤngten sich bei ihrer Eroͤffnung bei 700
Menschen zusammen, deren Last bei 50 Tonnen ausgeschlagen werden kann; und diese ist
der Erfahrung zufolge immer die groͤßte
unbewegliche, welche sich auf einer Bruͤke verbreiten kann –
es waͤre
sonach die groͤßte Last, welche die 12 Ketten dieser Bruͤke zu tragen
haben 40 + 50 oder 90 Tonnen; waͤhrend ihre Ketten selbst noch außerdem 60
Tonnen wiegen.
Dabei strekten sich nun die Ketten dermassen, daß sie auf 1/6 ihrer Laͤnge auf
beiden Seiten an ihren Pfeilern sich unter einem Winkel von 12 Graden mit dem Niveau
der Haͤngpuncte ganz gerade verliefen – es
wurde dieser Winkel fuͤr die Glieder des folgenden Sechstels nur halb so
groß; und nimmt fuͤr die uͤbrigen Glieder nach der Mitte zu immer mehr
ab; bis endlich das mittlere Glied selbst sich ganz horizontal legt; mithin die
Ketten durch die auf ihnen liegende Last sich nach einer Curve strekten, die von der
Ketten-Linie stark abweichet, in welche sich
die Ketten sonsten als freihaͤngende ziehen.
II. Indem ich nun darauf antrage, die Tragkraft dieser Bruͤke zu berechnen,
denke ich mir, da die Ketten-Linie nicht mehr Anwendung findet, die Ketten in
der Richtung ihrer Schenkel nach der Mitte zu verlaͤngert; und bringe so das
Ganze auf ein Haͤngwerk, dessen Haͤnglatten
in 12 Graden auslaufen.
Da ferner die Last des Fahrganges und seiner Belastung sich uͤber den Ketten
auf gleiche Streken nahe zu ebenmaͤssig vertheilt,
so ist es nach statischen Gesezen eben so viel, als ob den Vereinigungs-Punct
der Haͤnglatten, der Schwerpunct des Fahrganges mit einer Kraft
niederdruͤkte, die halb so groß, als die gesammte
Last des Fahrganges und der auf ihm stehenden Menschen, oder 1/2 (40 + 50) oder 45
Tonnen gleich ist – es ziehet daher auch jede Haͤnglatte ihren eigenen
am Pfeiler fixirten Haftpunct, mit einer Kraft von 1/2. 45/Sin. 12° oder mit
einer Kraft von 22 1/2. 5 oder 112 1/2 Tonnen Kraft an sich. Addirt man noch hinzu
die Kraft, mit welcher die Ketten oder die Hanglatten den Pfeiler ziehen, mit 1/2.
60/Sin. 12° oder mit 30.5 oder 150 Tonnen, so ziehen daher die 12 Ketten ihre
Pfeiler auf jeder Seite mit 262 1/2 Tonnen; mithin eine in die andere diesen mit 22
Tonnen Kraft an.
Defiliret Infanterie uͤber die Bruͤke im Doppelschritte, so hat ihr
Fahrgang den Schlag oder Choc
auszuhalten; welchen die Mannschaft durch das gleichzeitige Aufschlagen ihrer Fuͤße auf ihr verursachet; der fuͤr jede
Reihe sich auf ein Gewicht bringen laͤßt, dessen Druk dem Momment des
Impulsus der Reihe gleich ist.
Dieß Gewicht zu finden nehme ich an, die Mannschaft hebe ihren Fuß gerade 4 Zoll hoch
oder 1/3 Fuß auf; ein armirter Mann in den andern wiege ferner 141 Pfund; und es
koͤnnen hoͤchstens 450 Mann gleichzeitig die Bruͤke
passiren.
Nun ist ferner nach den von Hrn. Ceßart uͤber die
Wirkung der Rammkloͤze angestellten Versuchen, die
Last, welche mit dieser Kraft gleichachtig ist, 10 bis 15 Mahl groͤßer oder
als das Momment der fallenden Last. Hier waͤre also das Momment des
Fußschlags fuͤr jeden Mann 1/3. 141 = 47 Pfund; mithin wirket der Mann durch
seinen Fußtritt auf den Fahrgang eben so stark, als ihn an seiner Stelle eine Last
von 470 bis 705 Pfund druͤkte; es wuͤrde, wenn ich hier
Extremitaͤten statuire, die ganze Colonne durch ihren Fußtritt auf den
Fahrgang eben so wirken, als ob uͤber der Bruͤke 450.705 oder 317250
Pfunde oder 158,62 Tonnen ebenmaͤßig vertheilt
waͤren.
Nach dieser ebenmaͤßigen Vertheilung der Last ist es daher eben so viel, als
ob die Haͤnglatten eine Last von 1/2. (40 + 158,62) oder 99,82 Tonnen zu
halten haͤtten; es ziehet daher auch jede mit einer Kraft von 1/2. 99,82/Sin.
12° oder 249,55. Tonnen ihren Pfeiler.
Addiret man hiezu noch den Zug der Ketten gegen ihre Pfeiler mit 1/2. 60/Sin.
12° oder 150 Tonnen; so wird deßwegen jeder Pfeiler der Bruͤke durch
ihre Ketten mit einer Kraft von 400 Tonnen gezogen; das auf eine in die andere 34
Tonnen hoͤchstens betraͤgt.
III. Waͤre nun die Kraft, durch welche ein Kettenglied ins andere in seiner
Mitte zerreißet, kleiner als dieser Zug der ersten Glieder der Kettenschenkel, so
wuͤrde die Kette unter dieser Belastung zunaͤchst an ihren
Aufhaͤngpuncten abreißen; sie wuͤrde eben so abreißen, wenn eine Masche jenen Zug nicht aushalten koͤnnte
– es wuͤrde uͤberhaupt jenes Glied der Kette reißen, das nach
seiner Behandlung im Feuer, oder auch wegen haͤterogener, mit ihm noch
gemischter Stoffe, eine geringere absolute Feste als die
uͤbrigen haͤtte. –
Bei unsern gewoͤhnlichen Ketten mit ovalen
Gliedern, ist ferner die Kraft, mit welcher sie im Bug
abbrechen, oder ihre respective Feste, immer um
so geringer als ihre absolute Feste, je weiter die Ringe bei
einerlei Staͤrke sind.
Da aber bei den Ketten der Unionbruͤke die Maschen sich um den Dorn oder Bolzen der Glieder
selbst dichte herumlegen, mithin die Maschen selbst sich
in ihrer Form nicht aͤndern oder deformiren
koͤnnen; so ist es eben so viel, als ob die Maschen als
gerade Stangen nach ihrer Laͤnge durch die naͤmlichen
Kraͤfte gestrekt wuͤrden, mit welchen sie sich an ihre Bolzen selbst
andruͤken; wornach also die respective Feste dieser Maschen, nahe zu ihrer
absoluten Feste selbst gleich seyn muͤßte.
Nun lehren aber mit solchen Kettengliedern von 2 Zoll Staͤrke angestellte
Versuche, daß ein solches Glied durch eine Kraft von 62 Tonnen sich in seiner Mitte
schon in so weit streket, und dadurch sich in seinen Theilen druͤket, daß
durch diesen Druk eine Hize allda entstehet, in welcher sich das Eisen schon in
etwas mit der Luft zu verkalken beginnet – es
streket sich die Stange schon mit 75 Tonnen merklich, und reißet mit 92 Tonnen auf
einmal ab; wobei die abgerissenen Enden, wie gewoͤhnlich einen Bord
aufwerfen; mithin die absolute Feste dieser Kettenglieder 92 Tonnen ist.
IV. Wenn daher die Bruͤke nur in so weit belastet ist, daß jedes ihrer ersten
Glieder seinen Aufhaͤngpunct nur mit 1/2. 92 oder 46 Tonnen spannet; so wird
die Bruͤke diese Last ganz sicher tragen –
sie wuͤrde schon die Last merklich verspuͤhren, wenn von jenen
Gliedern eins ins andere die Aufhaͤngpuncte mit 62 Tonnen spannen
wuͤrde; die Glieder wuͤrden unter einer Belastung der Bruͤke
reißen, wenn diese so groß waͤre, daß die Glieder jeder Kette ihre
Anhaͤngpuncte mit 92 Tonnen spannen muͤßten. Ist die Stange eines
Kettenglieds 2 Zoll dik; so ist ihre Flaͤche 11/14. 4 = 3 1/7 Quadratzolle;
mithin wuͤrde eine Stange dieses Eisens von ein Quadratzoll, mit 92/(3 1/7)
oder 29 3/11 Tonnen reißen.
Sind nun die Kettenschaken, oder die Maschen oder Gelenke der Ketten nur einen Zoll dik und breit, so
wuͤrde eine solche Masche, erst mit 2. 29 3/11 oder mit 58 1/3 Tonnen beinahe
reißen; und da immer 2 Maschen einander gegenuͤber
sind, so wuͤrden sie erst mit 4. 29 3/11 oder 117 Tonnen zerreißen;
folglich auf 58 1/2 Tonnen sicher tragen. Da nun bei der groͤßten Belastung
der Bruͤke die lezten Glieder derselben ihre Aufhaͤngpuncte nur mit 34
Tonnen spannen, so wird auch die Masche diese Spannung noch
sicher aushalten koͤnnen.
Indem nun jedes erste Kettenglied seinen Aufhaͤngpunct bei der extremen
beweglichen Belastung der Bruͤke nur mit 34 Tonnen spannet, waͤhrend
es eine Spannung von 46 Tonnen noch ganz sicher erleiden kann; so folgt hieraus, daß
diese Belastung der Bruͤke nur 34/46 oder nahe zu 2/3 jener Last ist, welche
sie mit aller Sicherheit tragen kann – es wuͤrden daher auch statt 12
Ketten, nur 2/3. 12 oder 8 Ketten diese Belastung sicher noch tragen koͤnnen.
Die Bruͤke wuͤrde daher auch mit 8 Ketten eben die Dienste leisten,
die sie mit 12 Ketten praͤstirt. – Sie wuͤrde nur 6 Ketten
beduͤrfen, wenn sie nur durch Menschen, die auf ihr gedraͤngt stehen,
belastet werden wuͤrde.
V. Wollte man aus den Ketten der Unionbruͤke eine ihr gleiche, aber nochmal so lange Bruͤke aufsezen, wobei also die
Laͤnge jeder Kette 864 Fuße, und der Fahrgang 722 Fuße waͤre, so
wuͤrde eine solche Kette 10 Tonnen, ihr Fahrgang mit Zubehoͤr 80
Tonnen und ihre Belastung mit Menschen 100 Tonnen wiegen. Wuͤrden also 16 Ketten
vorlaͤufig fuͤr diese Bruͤke vorgeschlagen, die in ihren
geraden Schenkeln sich eben so wie bei der Union auf 12 Grade mit dem Niveau
verlaufen; so wuͤrden die ersten Glieder dieser Kette ihre
Aufhaͤng-Puncte durch ihre Belastung mit 1/2. 90/Sin. 12° oder
225, und dabei noch durch die Last der Ketten selbst, mit 1/2. 160/Sin. 12°
oder 400, also auf jeder Seite mit 625 Tonnen spannen. Theilet man diese durch die
Zahl der Ketten selbst, so trifft auf eine in die andere eine Spannung von 39
Tonnen. Da nun ein solches Kettenglied eine Spannung von 46 Tonnen (11) ganz sicher
erleiden kann, so waͤren 16 Ketten fuͤr diese Bruͤke
uͤberfluͤßig; und eigentlich waͤren schon 625/46 oder 14 Ketten
genuͤglich.
VI. Muͤßte man wegen des Terrains die Ketten
staͤrker anziehen, so daß z. E. die Schenkel derselben sich mit dem Niveau
unter einem Winkel von 6 Graden verlaufen muͤßten, so nimmt der Zug der
ersten Kettenglieder gegen ihre Pfeiler im verkehrten
Verhaͤltniß der Sinuße ihrer Neigungswinkel zu; und die Spannung
dieser Glieder wird daher um so groͤßer, je kleiner der Winkel ist, welchen
die Kettenschenkel mit dem Niveau durch ihre Aufhaͤngpuncte machen.
Fuͤr die Winkel von 12 und 6 Graden, wuͤrden sich daher die Spannungen
wie 1/20791 : 1/10452 = 10452 : 20791, oder beinahe wie 1 : 2 sich verhalten
– man wuͤrde also fuͤr die naͤmliche Bruͤke 32
Ketten statt 16 gebrauchen; wenn jener Neigungs-Winkel statt 12 nur 6 Grade
seyn koͤnnte.
Wirklich schlaͤgt auch Hr. Buchana fuͤr eine
Bruͤke zu 800 Fußen uͤber die Suͤd-Eske, 36 Ketten von den Gliedern der Unionbruͤke
vor; vermuthlich weil die Ketten nach dem Terrain stark angezogen werden
muͤssen.
Muͤnchen den 1. Dec. 1824.