Titel: Neue Thatsachen zur Theorie der Kalkmörtel. Von Hrn. Vicat.
Fundstelle: Band 21, Jahrgang 1826, Nr. CVIII., S. 433
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CVIII. Neue Thatsachen zur Theorie der Kalkmörtel. Von Hrn. Vicat. Aus den Annales de Chimie et de Physique Juni 1826. S. 197. Vicat's, neue Thatsachen zur Theorie der Kalkmörtel. Ich habe in der Abhandlung, welche ich am 1. Hornung 1819 der Academie vorzulegen die Ehre hatte, gezeigt, daß die Kieselerde unter verschiedenen Zustaͤnden mit fettem Kalke zu einem Teige, in dem Verhaͤltnisse von 200 zu 100 dem Volumen nach, zusammengemengt, nach drei monatlicher Einsenkung einen gewissen Widerstand leistet, welcher mit den Vertiefungen im Verhaͤltnisse steht, die der Stoß einer immer von derselben Hohe herabfallenden Stange darin hervorbringt. 1) Bei Kiesel-Gallerte die leicht getroknet ist 1,34 Millim. 2) Bei detto rothgegluͤht 1,86    –. 3) Bei Kieselerde, die mittelst Saͤuren aus verschiedenenaThonarten geschieden wurde, im Mittel 2,15    –. 4) Bei Kieselerde, die aus denselben Thonarten nachleichtem Gluͤhen ausgeschieden wurde 3,11    –. 5) Bei Kieselerde im Zustande des feinsten Staubes ausQuarz und Berg-Krystall durch Reibung und Schlaͤmmung unbestimmt. Ich habe ferner gezeigt, daß Thonerde auf dieselbe Weise gemengt folgende Resultate gegeben hat, und zwar 6) im Zustande leicht getrokneter Gallerte 13,66 Millim. 7) nach leichtem Gluͤhen   9,60    –. 8) nach starkem Gluͤhen unbestimmt. Ich konnte damahls aus diesen Thatsachen nicht alle Folgen ziehen, die ich heute zu Tage aus denselben abzuleiten vermag. Die Wirkung der aus dem Thone im natuͤrlichen Zustande erhaltenen Kieselerde schien mir im Vergleiche zu denselben Thonarten, wann sie leicht calcinirt waren, um so unbegreiflicher, als diese beiden Thonarten selbst in diesen beiden staͤnden angewendet, ganz umgekehrte Resultate liefern. Die vorausgegangenen Versuche haben bereits erwiesen, daß es nicht nothwendig ist, daß die Kieselerde von Saͤuren angreifbar sey, um nach einem gewissen Verlaufe von Zeit auf nassem Wege mit dem Kalke in Verbindung zu treten; daß es, in dieser Hinsicht, zureicht, daß sie einen geringeren Grad von Cohaͤsion besize, als sie im Quarz hat, und daß, je mehr dieser Grad von Cohaͤsion sich demjenigen naͤhert, den die Kiesel-Gallerte besizt, desto mehr diese Verbindung schnell geschieht und desto bedeutender die Festigkeit des Gemenges wird. Was die Thonerde betrifft, so sieht man, daß sie, selbst als Gallerte, mit Kalk verbunden, obschon sie ein unaufloͤsbares Gemenge bildet, nur einen Koͤrper erzeugt, der, wenn nicht weich, doch nur sehr wenig fest ist. Man weiß uͤbrigens, daß das Deuteroxid, das Tritoxid und das kohlensaure Eisen keine Wirkung unter denselben Umstaͤnden aͤußern. Dieß vorausgesezt, zeigen sich nun folgende Schwierigkeiten, wenn man die Erhaͤrtung hydraulischer Moͤrtel aus fettem Kalke und Puzzolane erklaͤren will. Der Thon ist ein inniges Gemenge aus Kieselerde, Thonerde und fast immer auch aus Eisen-Oxid mit einer gewissen Menge Wassers in Verbindung. Die Wirkung eines geringen Gluͤhens des Thones scheint diese, daß sein Zusammenhang mit der Kieselerde vermehrt, und seine Kraft verhaͤltnißmaͤßig vermindert wird; daß uͤberdieß das Eisen auf das Maximum der Oxidation gebracht wird; daß alles Wasser entfernt wird, welches die Oxide in Hydrate verwandelt, und daß sie; so mild und fett als sie sich ehevor anfuͤhlten, nun scharf, hart und absorbirend werden. Wenn man nun ein Gemenge aus 100 Theilen fetten lebendigen, vorher geloͤschten, Kalkes und aus 433 Theilen nicht gebrannten Thones macht, der 76 Theile Wassers haͤlt, und dieses Gemenge einsenkt, so wird es, nach 7 Monaten, eine Festigkeit erhalten, die durch eine Vertiefung von 15 Millimeter mittelst der Pruͤfungs-Stange bemessen wird. In diesem Zustande wird der Finger, mit der gewoͤhnlichen Kraft des Armes angedruͤkt, keinen Eindruk hervorbringen, und aller angewendete Kalk wird vollkommen neutralisirt seyn. Wenn man ein aͤhnliches Gemenge aus 100 Theilen lebendigen Kalkes und 452 Theilen desselben Thones, nach einem leichten Gluͤhen gewogen, bildet, und dieses Gemenge versehen so wird es, nachdem es 7 Monate lang versenkt war, einen Grad von Festigkeit erlangen, der zwei Millimeter Vertiefung mittelst der Pruͤfungs-Stange gibt, und sich uͤbrigens wie ein wahrer Stein verhaͤlt. Wenn man nun fuͤr einen Augenblik zugibt, daß der Widerstand, den ein hydraulischer Moͤrtel einer Spize darbiethet, die auf seine Oberflaͤche faͤllt, sich im umgekehrten Verhaͤltnisse mit der Tiefe befindet, bis auf welche diese Spize eindrang, so verhalten sich diese zwei Gemenge wie 2 zu 15. Nun zeigt sich aber offenbar einiger Widerspruch zwischen diesen Haͤrten und dem hypothetischen Unterschiede, der ehevor zwischen dem calcinirten Thone und dem Thone im natuͤrlichen Zustande aufgestellt wurde; wenigstens muͤßte man zugeben, daß der Verlust an Kraft, den die Kieselerde waͤhrend der Calcination erlitten hat, um mehr als das Siebenfache durch die Cohaͤsion und die absorbirende Kraft ersezt wird, welche alle Theile des calcinirten Stoffes zugleich erhalten haben. Diesem Zustande an den Puzzolanen schreiben zwei gelehrte Physiker, die HHrn. John und Berthier, ausschließlich die Phaͤnomene des Erstarrens zu. Ich gebe gern zu, daß diese physischen Eigenschaften einen gewissen Einfluß haben moͤgen; man muß sie aber gehoͤrig zu wuͤrdigen wissen. Ich habe 600 Theile leicht gebrannten und gepuͤlverten Thones mit 600 Theilen reinen Wassers in eine Flasche gethan, so daß die Flasche bis an die Muͤndung des Halses gefuͤllt war. Das Gewicht hiervon betrug, auf der Stelle, 1521. Vier und zwanzig Stunden darauf goß ich noch einige Tropfen Wasser zu, um dasjenige zu ersezen, welches im Halse der Flasche fehlte. Bei wiederholtem Waͤgen betrug das Gewicht 1526. Acht und vierzig Stunden nach dem ersten Waͤgen fand ich auf dieselbe Weise 1531, und die folgenden Tage fand keine bedeutende Gewichts-Zunahme Statt. Also nahm der calcinirte Thon beim ersten Mahle ungefaͤhr 100 p. C. und nach zwei Tagen noch 16 Tausendtheile Wasser auf. Die Absorption geschah demnach beinahe augenbliklich, und das vollkommene Erhaͤrten der Gemenge aus fettem Kalke und aus calcinirtem Thone ist das Resultat einer mehrjaͤhrigen inneren Arbeit. Ich habe mit fettem geloͤschten Kalke mehrere harte und absorbirende Pulver aus schwach calcinirten, sehr sandigen eisenschuͤssigen Kalkstuͤken abgeknetet; dieses Gemenge gab, nach einer Versenkung von mehreren Monaten, nur eine geringe Erhaͤrtung, und der dazwischen befindliche Kalk loͤste sich immerdar auf. Ich habe ferner die absorbirende Kraft zweier hartkoͤrnigen Puzzolanen verglichen, wovon die eine von der besten Qualitaͤt, die andere hoͤchst mittelmaͤßig war; der Unterschied zu Gunsten der besten Puzzolane betrug nur Ein Zehntel. Hieraus schloß ich, daß nicht nur die Erhaͤrtung der hydraulischen Puzzolan-Moͤrtel nicht das ausschließliche Resultat einer absorbirenden Kraft verbunden mit der Haͤrte der Theilchen der Masse seyn kann, sondern daß man sehr viel zugibt, wenn man ihnen den oben erwaͤhnten Ersaz zugesteht. Diese Betrachtungen veranlaßten mich, zu glauben, daß es durchaus nicht Stich haͤlt, wenn man dasjenige, was bei inniger Mischung von Kiesel- und Thonerde und Eisenoxid nach schwacher Calcination Statt hat, mit jenem vergleicht, was geschieht, wenn dieselben Oxide einzeln calcinirt werden, und daß man vielleicht mit Unrecht allgemein behauptete, daß der Thon, im natuͤrlichen Zustande, sich leichter chemisch verbindet, als wenn er bis auf einen gewissen Grad gebrannt ist.Diesen Einwurf machte mir Hr. Berthier, Annales de Chimie, T. XXII. p. 87. 88. A. d. O. Folgende Erfahrungen haben diese Vermuthungen in Beweise umgeschaffen. Ich habe in einen Becher eine gewisse Menge filtrirten Kalkwassers gethan, und dann, anfangs nur in sehr geringer Menge, die beste aller kuͤnstlichen Puzzolanen, die ich seit 12 Jahren brauchte. Nachdem ich Alles gut durchruͤttelte, und dann ruhen ließ, zog ich einige Troͤpfchen des daruͤber stehenden Wassers ab, welches filtrirt und mit basischer kohlensaurer Pottasche-Aufloͤsung gepruͤft, Kalk niederschlug. Ich habe neuerdings Puzzolane zugesezt, und dieselbe Probe wiederholt; der Niederschlag war jezt viel geringer; endlich hoͤrte derselbe gaͤnzlich auf, wann das Verhaͤltniß des Kalk-Wassers und der Puzzolane wie 7,00 zu 1,00 war. Ich machte denselben Versuch mit demselben Thone, aber ungebrannt, und 1,84 Theile Kalkwasser konnten noch nicht durch 1,21 Thon (als Repraͤsentant von 100 wasserfreiem Thone) entzogen werden, als der Versuch aufhoͤrte; die Mengen Kalkwassers und Thones standen schon auf dem Grade, daß kein Wasser mehr in dem Pokale schwamm. Diese Thatsache scheint mir alle Schwierigkeiten zu loͤsen, und zu beweisen, wie sehr die Verwandtschaft des calcinirten Thones zum Kalke jene des Thones im natuͤrlichen Zustande uͤbertrifft. Man muß bemerken, daß der oben beschriebene Versuch nur ungefaͤhr 1 1/2 Stunden dauerte, daß die angewendete Puzzolane ziemlich grob gepulvert war, und daß die Menge des neutralisirten Kalkes nur ein hoͤchst kleiner Bruchtheil desjenigen Kalkes ist, und seyn kann, der bei 2 bis 3 Jahre alten hydraulischen Moͤrteln in Verbindung tritt. Ich suchte hierauf zu bestimmen, ob die Kraft einer Puzzolane im Verhaͤltnisse mit der Menge Kalkwassers sieht, welche sie waͤhrend einer gewissen Zeit austreiben kann. Ich habe daher den Versuch mit der schlechtesten Puzzolan-Erde, die ich fruͤher jemahls hatte, wiederholt, einer Puzzolane, die durch Roͤstung eines Thonschiefers bis zur Rothgluͤhe-Hize entstand, und ich habe wirklich gefunden, daß 100 Theile dieses Stoffes gepuͤlvert nur 66 Theile Kalkwasser auszogen, waͤhrend gute Puzzolane in derselben Zeit 700 davon austrieb. Das Verhaͤltniß ist demnach wie 700 : 66. Nun gibt aber die Tabelle N. IV. der im J. 1818. bekannt gemachten Versuche unter N°. C und S, genau zwei hydraulische Moͤrtel, die Ein Jahr alt waren, und aus fettem Kalke und den hier erwaͤhnten Puzzolanen verfertigt wurden. Der Widerstand derselben verhielt sich, wie 640 zu 97. Wer die Schwierigkeiten bei Versuchen dieser Art zu wuͤrdigen weiß, dem wird der Unterschied dieser beiden Verhaͤltnisse nicht sonderbar scheinen, und vielleicht wird man mit mir annehmen, daß das Kalkwasser, so wie ich es anzeigte, angewendet, einst ein eben so einfaches als leichtes Mittel seyn wild, die Kraft zu bemessen, mit welcher die verschiedenen bei dem Baue angewendeten Puzzolanen wirken. Es ist fuͤr jezt erwiesen, 1) daß die Thonarten, welche durch eine leichte Calcination sich in gute Puzzolanen umwandeln, auch im natuͤrlichen Zustande Puzzolanen sind, obschon in einem geringeren Grade. 2) daß die Erhaͤrtung der hydraulischen Moͤrtel aus fettem Kalke und gegluͤhtem Thone das Resultat einer wahren Verbindung ist, in welcher der Kalk durch die Kieselerde und Thonerde neutralisirt wird. Da es uͤbrigens erwiesen ist, daß alles durch eine innere Arbeit ohne Hinzukommen einer fremden Substanz geschieht; daß diese Arbeit mehrere Jahre und noch laͤnger nach dem ersten Erhaͤrten fortwaͤhrt, so muß man nothwendig auf das Daseyn einer inneren Bewegung der Grundtheilchen in einer festen Masse schließen. Hr. Arago hat mich auf diese Idee gebracht, und dieser gelehrte Physiker hat mir mehrere andere Thatsachen als Beweis fuͤr diese Ansicht angefuͤhrt, die aber hier nicht entwikelt werden duͤrfen.