Titel: Ueber die Schaafe aus Sifan (aus deren Wolle die feinen ostindischen Schahls verfertigt werden). Von Hrn. M. Rey.
Fundstelle: Band 29, Jahrgang 1828, Nr. LXXXIX., S. 298
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LXXXIX. Ueber die Schaafe aus Sifan (aus deren Wolle die feinen ostindischen Schahls verfertigt werden). Von Hrn. M. Rey. Aus dem Recueil-Industriel. (Februar S. 109. und Maͤrz S. 269.) (Im Auszuge.)Wir koͤnnen aus mehr, dann Einem Grunde diesen Aufsaz nicht ganz uͤbersezt liefern, wie der deutsche Leser bald selbst bemerken wird. Es ist aber nichts Wesentliches, was die Schaafe von Sifan betrifft, weggelassen. A. d. Ueb. Rey, uͤber die Schaafe aus Sifan. Herr Rey bemerkt sehr richtig, daß bei Wollenverarbeitung alles auf Veredelung des rohen Materiales, auf Ruͤksicht auf den Bedarf und auch auf Ruͤksicht auf die Mode ankommt, und daß in dieser lezten Hinsicht die Schahls, fuͤr welche die Laune unserer Weiber jaͤhrlich Millionen aus Europa verbannt, die Aufmerksamkeit der Fabrikanten verdienen. Die Schahlfabriken zu Paris erhalten von Jahr zu Jahr groͤßeren Umschwung, und, obschon sie Anfangs nur auf die ephemere Dauer der Mode rechnen konnten, bestehen sie noch jezt, und fangen an einen der wichtigsten Zweige der franzoͤsischen Industrie zu bilden. Man verfertigt zwei verschiedene Arten von Schahls zu Paris: die rein wollenen, die einen ungeheueren Ertrag geben, und die brochirten franzoͤsischen Kaschmir- und die indischen gebluͤmten Kaschmirs Schahls. (Cachemires espoulinés). Bei ersteren ist die Kette Seide, der Eintrag Merinowolle; bei lezteren war bisher Kette und Eintrag das Flaumenhaar der kirgisischen Ziegen in den Steppen von Astrachan und Orenburg. Dieses Flaumenhaar ist aͤußerst weich, weiß, leicht, und gibt den franzoͤsischen Schahls eine Feinheit, einen Glanz, ein gewisses Mark, das beinahe nichts mehr zu wuͤnschen uͤbrig laͤßt, als daß sie sich nicht abtragen: ein Vorzug, der bisher nur den orientalischen Schahls zukommt, die zwar aͤußerst langsam, aber auch fuͤr die Ewigkeit gewebt werden. Uebrigens haben die indischen Schahls tausend Fehler, im Vergleiche mit der franzoͤsischen Webekunst, die unsere Weiber denselben nie verzeihen wuͤrden, wenn sie ihnen nicht als indische, als orientalische Schahls aufgeschwaͤzt wuͤrden. Herr Rey untersucht nun die Ursache: warum diese vornehme Lumpenwaare sich nicht abtraͤgt?“ Er schafft sogar ein neues Wort fuͤr diese Untersuchung in der franzoͤsischen Sprache, und nennt diese illustres guenilles infrippables Fabrikanten und Spinner erschoͤpften sich in Vermuthungen uͤber diesen Gegenstand; sie suchten sie in der Art, wie diese Schahls gesponnen und gewebt werden, Herr Rey findet sie in dem rohen Stoffe, aus welchem sie verfertigt werden. In dem Kapitel seines interessanten Werkes, das er uͤber die Schahls schrieb,Historie des Cháles. A. d. Ueb. welchem er seine Untersuchungen uͤber den Stoff, aus welchem man zu Kaschmir die Schahls verfertigt,“ dem Publicum mittheilte, druͤkte er seine Zweifel hieruͤber aus. Diese Zweifel erregten die Aufmerksamkeit eines Mannes, der ehemals fuͤr franzoͤsische Handlungshaͤuser in Rußland reiste, und jezt einen ehrenvollen Posten bei der franzoͤsischen Gesandtschaft in Rußland bekleidet. Herr Cochelet (so heißt dieser Ehrenmann) suchte sich naͤmlich auf seinen Reisen das rohe Material zu verschaffen, aus welchem die orientalischen Schahls verfertigt werden, und sandte ein Muster hiervon durch den Herrn Grafen de la Ferronays an Baron de Neuflize, von welchem Herr Rey dasselbe erhielt. Herr Cochelet bemerkt hieruͤber in einem Briefe Folgendes: „Waͤhrend meines zweijaͤhrigen Aufenthaltes in Rußland machte ich die Bekanntschaft eines Mannes, der eine der hoͤheren Stellen bei der Regierung bekleidet, und zwei Mahl Sibirien bis an die Graͤnzen von China bereiste. Bei seiner gruͤndlichen Kenntniß der orientalischen Sprachen und seiner Liebe fuͤr naturhistorische und technische Wissenschaften machte er manche Bemerkungen uͤber die Schaaf- und Ziegenrassen in Asien, und sammelte sich ein kleines Cabinet von Mustern ihrer Wolle und Haare, das er mir eines Tages zeigte. Auf einem dieser Muster fand ich die Aufschrift: echte und einzige Wolle, aus welcher man zu Kaschmir die Schahls verfertigt. Diese Schaafe weiden auf den Bergen zwischen Thibet und China, unter den Staͤmmen der Tschabas und Tschantans.“ „Diese Aufschrift reizte meine Neugierde, und ich bath dieses Wollenmuster genauer besehen zu duͤrfen. Der gefaͤllige Reisende schenkte mir einen Theil davon, und begleitete sein Geschenk noch mit folgenden Bemerkungen. Er sagte, daß er auf seinen langen Reisen in unmittelbare Verhaͤltnisse mit dem Kuschu-Lama, dem Gebieter uͤber die Staͤmme der Tschubas und der Tschantans in dem Lande Sifan, gekommen ist. In diesem Lande liegen die hohen Gebirge von Thibet, auf welchen er die Schaafe, die diese Wolle liefern, weiden sah. Ihr Fließ ist das feinste und zarteste, das man nur immer sehen kann, und wird zu Kaschmir zu Schahls verarbeitet. Die Einkuͤnfte von diesen Fließen sind sehr bedeutend. Zur Schurzeit durchstreifen die Fiscalbeamten des Kuschu-Lama die Staͤmme, und nehmen die Fließe entweder zu einem von ihnen bestimmten Preise weg, oder belegen dieselben mit bedeutenden Abgaben. Kaufleute aus Kaschmir und aus den benachbarten Provinzen holen nun die Fließe ab. Auf die Ausfuhr dieser Rasse von Schaafen ist Todesstrafe gesezt. Die Fließe werden in Strike zusammengeflochten, um das Volumen derselben so klein zu machen, als moͤglich. Wenn man diese Wolle nur ein Mahl gesehen hat, so kann man nicht zweifeln, daß sie die Wolle ist, aus welcher die Kaschmirschahls verfertigt werden. Sie ist etwas gelblich, fuͤhlt sich aber so mild und sanft an, daß man glaubt einen echten Kaschmirschahl in der Hand zu haben.“ „Alles, was dieser russische Staatsbeamte mir sagen konnte, bestaͤtigt die Richtigkeit der Bemerkungen des Herrn Rey und die Genauigkeit der Berichte des Missionars Antonio d'Andrana, des Bernier, des Pater Tieffenthaler, Voyle's u. Moorcroft's. Herr Rey tauscht sich aber, wenn er den patriotischen Plan des Herrn Legoulx de Flaix, und folglich auch den meinigen, diese Schaafrasse aus Thibet nach Frankreich zu verpflanzen, einen schoͤnen Traum nennt. Ich kenne die Mittel zur Ausfuͤhrung dieses Planes; ich wuͤrde ihn selbst ausfuͤhren, wenn es darauf ankaͤme: denn diese Sache lohnte sich der Muͤhe. Es ist allerdings richtig, daß die Ausfuhr dieser Schaafe verbothen ist; allein ungeachtet aller Schwierigkeiten koͤnnte ich doch diese kostbare Rasse fuͤr mein Vaterland erobern. Eben der Mann, der mir diese Mittheilungen uͤber diese Rasse machte, kann mir durch seine Lage, durch seine Land- und Sprachkenntnisse alle Schwierigkeiten beseitigen helfen. Ich theilte ihm meinen Plan mit. Er wollte mich Anfangs davon abwendig machen, und schilderte mir die Gefahren der Todesstrafe, der ich mich aussezte; indessen gestand er am Ende doch, daß der Kuschu-Lama so gut, wie die Lamas in Europa, gegen Geschenke keine Leibwache haͤlt, und daß es vielleicht Mittel geben koͤnnte, seiner allerhoͤchsten Gnade theilhaftig zu werden. Er both sich endlich sogar an, mit mir die Muͤhseligkeiten und Gefahren dieser Jason's-Fahrt nach dem goldenen Fließe zu theilen. Wir hatten es nicht gewagt daran zu zweifeln, daß die russische Regierung, ohne deren Bestimmung hier nichts zu machen waͤre, und daß die franzoͤsische, die zunaͤchst den Vortheil davon zoͤge, sich nicht vereinigen wuͤrden, diese Eroberung zu unternehmen; daß die eine die Leute zur Bedekung, ohne die man hier nicht reisen kann, und die andere das Geld, ohne welches man noch weniger reisen kann, hergeben wuͤrde. Die uͤbrigen Schwierigkeiten fanden wir nicht unuͤbersteiglich. Die Auslagen, das Geschenk fuͤr den Kuschu-Lama mit eingerechnet, waͤren nicht uͤbergroß. Ich schrieb nach Frankreich. Ich zeigte, wie man diese Schaafe großen Theils auf Fluͤssen, die sich in das caspische Meer ergießen, transportiren koͤnnte. Ich zeigte die Vortheile einer solchen Requisition; ich bath; ich beschwor. Der Gewinn waͤre nicht zu berechnen gewesen. Man pruͤfte meine eingesendeten Muster; man ließ ihnen alle Gerechtigkeit widerfahren: man schien die Wichtigkeit der Sache einzusehen; allein, am Ende hieß es: „man hat keinen Fond fuͤr eine solche Sache.“ So weit das Schreiben des Herrn Cochelet. „Wer sollte bei einem solchen Resultate“ faͤhrt Herr Rey fort „nicht mit Unwillen, ich moͤchte fast sagen mit Bitterkeit, sich gegen ein solches Finanzsystem unserer Buͤreaukraten erheben? Man hat keinen Fond zu einer solchen Sache? Und wozu hat man denn Fonds? Wie einfaͤltig naͤrrisch diese Finanzraͤthe sind! Bei einem Budget von tausend Millionen verschmieren sie fuͤr einen Thaler Papier um Rechnungsfehler von Einem Centime an einem uͤberfluͤssig gelegten Ziegelsteine, an dem Auspuzen einer Heke oder eines Grabens zu bemaͤngeln, und fuͤr Unternehmungen, die dem Lande Millionen ersparen wuͤrden, durch die es Millionen jaͤhrlich noch dazu gewinnen koͤnnte, zu solchen Unternehmungen, die nur ein paar Tausend Franken kosten wuͤrden, haben diese Beamten keinen Fond. Wie gluͤklich sind wir, daß der Zufall unseren Voreltern einen Faust und Guttenberg, einen Gioja schenkte! Wenn die Buchdrukerei nicht jezt schon bei uns eingefuͤhrt waͤre, wenn nicht jedes unserer Schiffe jezt schon seine Magnetnadel haͤtte, und Buchdruckerpressen und Magnetnadeln waͤren noch 1000 Meilen weit von uns entfernt, und irgend Jemand machte diesem Schreibervolke den Vorschlag, Buchdruckerpressen und Magnetnadeln in das Land herein zu holen, so wuͤrde ihm dieses Schreibergesindel wieder zur Antwort geben: „Man hat keinen Fond fuͤr eine solche Sache!“ und wir muͤßten ohne Buchdrukerpresse fortleben und ohne Magnetnadel schiffen.“ Wir wagen es nicht, weiter zu uͤbersezen. So waͤre also jezt der Streit, ob die orientalischen Schahls aus Ziegenhaar oder aus Schaafwolle verfertigt werden, beigelegt. Die Patrone der Ziegen haben das Schaaf nie von dieser Ehre ausgeschlossen; waͤhrend die Advokaten der Schaafe oͤfters gute Gruͤnde anfuͤhrten, um zu beweisen, daß die Ziege und das Kameel nicht das Material zu den Kaschmirschahls liefern kann. Der Armenier zu Constantinopel, der den Ziegen ausschließlich das Recht zugestanden wissen wollte, das Material zu den Schahls zu liefern, mochte vielleicht seine eigenen Gruͤnde dafuͤr gehabt haben. Herr Rey nimmt also jezt seine fruͤhere Meinung zuruͤk, und erklaͤrt sich fuͤr die Schaafe. Er gesteht, daß es in der weiten Bergstreke Oberasiens von Kaschmir und Ladak bis Sifan und China eine Menge uns noch unbekannter Schaafrassen gibt, von welchen wir bereits das Schaaf von Ludak (den Purik, polytechn. Journ. B. XXVII. S. 232.), das Schaaf aus Bhôt in Nordindien, in der Nachbarschaft des Himalaya, und jezt die Schaafe aus Sifan kennen. – Das Schaaf aus Bhôt ist so groß, als ein Leicester-Schaaf, und dient als Lastthier im Gebirge. Seine Wolle ist im Suͤden grob, und wird gegen Norden feiner, je mehr es sich dem Imaus naͤhert, so daß man sie selbst zu groͤberen Schahls verwenden kann. Herr Rey bemerkt mit Recht, daß die Schaafe, die die feine Wolle zu den Kaschmirschahls liefern, auch die Wolle der Merinos und der Leicesterschaafe noch verfeinern, und auf diese Weise allen Tuch-Manufakturen neuen Umschwung geben wuͤrden. Man machte ihm den Einwurf, daß, wenn die franzoͤsische Regierung solche Schaafe kommen ließe, auch die uͤbrigen Staaten, die sich um Industrie kuͤmmern, solche Schaafe zu erhalten trachten wuͤrden; daß er nur ein Geheimniß verrieth, das die Voͤlker, die mit Frankreich's Industrie wetteifern, zu benuͤzen sich beeilen werden. Er antwortet hierauf mit Fénélon: „ich liebe meine Familie mehr als mich selbst; mein Vaterland mehr, als meine Familie; aber ich liebe die ganze Menschheit noch mehr, als mein Vaterland.“ Herr Rey schließt mit der gegruͤndeten Bemerkung, daß die Schaafe aus Sifan um so vorteilhafter in Frankreich zu halten waͤren, als sie an den ewigen Schnee und das ewige Eis der Himalaya-Gebirge so zu sagen durch die Bande der Natur gebunden, nur die oͤden und bisher unbenuͤzten Alpen der Pyrenaͤen und der Meeresalpen bevoͤlkern wuͤrden, und der Weiden in den Ebenen entbehren koͤnnten.Oesterreich koͤnnte durch seine Armenier in Galicien sich sehr leicht die Sifanschaafe beilegen, und diese auf seinen Alpen in Steyermark, Kaͤrnthen, Krain, Tirol in hinlaͤnglicher Menge fuͤr ganz Europa halten. Die Concurrenz der Englaͤnder duͤrfte man nicht befuͤrchten; denn England hat keine Alpen und Frankreich hat deren zu wenige. Die große oͤsterreichische Alpenkette waͤre allein zu dieser Art von Schaafzucht geeignet. A. d. Ueb.