Titel: Ueber Seide und Seide-Fabriken. Von Hrn. Ozanam.
Fundstelle: Band 34, Jahrgang 1829, Nr. XIV., S. 46
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XIV. Ueber Seide und Seide-Fabriken. Von Hrn. Ozanam. Fortsezung vom Polytechnischen Journal Bd. XXXI. S. 126. Aus dem Recueil Industriel, Juli. S. 78. Ozanam, uͤber Seide und Seide-Fabriken. §. XIII. Entschaͤlen und Kochen. Unter gewissen Umstaͤnden bedient man sich zu gewissen Seiden-Zeugen roher (oder ungekochter) Seide, und nimmt dann weiße Seide, die man beinahe kalt faͤrbt. Zu den meisten Zeugen braucht man jedoch entschaͤlte oder gekochte Seide. Die Seide entschaͤlen (décreuser), heißt, ihr, mittelst des siedenden Seifenbades, die gummiharzige Substanz, von welcher sie umhuͤllt wird, und die beinahe den vierten Theil ihres Gewichtes betraͤgt, entziehen. Man hat bisher viele verschiedene Verfahrungs-Weisen versucht, um zu diesem Zweke zu gelangen: bis jezt hat man die Seife allein als hierzu brauchbar befunden. Hr. Ozanam zu Lyon hat ein anderes Verfahren entdekt, dasselbe aber weder bekannt gemacht, noch auch patentisiren lassen. Um der Seide alle fremdartigen Stoffe zu entziehen, sind mehrere Arbeiten noͤthig. Sie muß: 1) entgummt werden. Das Entgummen (le dégommage) besteht darin, daß man die Seide eine Viertelstunde lang in einem kochenden Bade von weißer Seife haͤlt, in welchem diese den zehnten Theil des Gewichtes der Seide betraͤgt. 2) gekocht werden. Man gibt bei dieser Arbeit die Heide, deren Straͤhne mit einem starken Faden umwikelt werden (pantimès), damit sich die einzelnen Seidenfaden nicht verwirren, in einen Sak (sache). Diesen Sak taucht man in einen Kessel, in welchem sich 20 p. C. des Gewichtes der Seide in Wasser aufgeloͤst befinden, und treibt den Sak drei Stunden lang mit einer hoͤlzernen Stange fleißig umher. Hierauf nimmt man die Seide heraus, laͤßt sie abtraͤufeln, waͤscht sie, und windet sie dann wieder aus. 3) Wenn man ein hohes Weiß (grand blanc) wuͤnscht, taucht man die Seide in leichtes Seifenwasser, kocht sie noch ein Mal 30 bis 40 Minuten lang, nimmt sie dann heraus, wascht sie im Bache, windet sie auf dem Windstoke aus, und bringt sie dann in den Schwefeldampf, um ihr die lezte Weiße zu geben. Hr. Board, ancien directeur des Gobelins, behauptete Seide in Einer Arbeit zugleich entgummen und kochen zu koͤnnen. Sein Verfahren, das lediglich in einem Kochen nach Art. 2. bestand, wurde zu Lyon versucht; man fand aber, daß, wenn man die Seide in ihrem ersten Bade fort kochen laͤßt, der Farbestoff die uͤbrigen fremdartigen Substanzen verlaßt, und sich auf die Seidenfaser wirft, die dadurch eine unaustilgbare gelbliche, ungleiche, gestreifte Faͤrbung erhielt mit mehr oder minder dunklen Fleken (sogenannten biscuits), wodurch dann die lichteren Farben mangelhaft und schlecht beim spaͤteren Faͤrben ausfallen. Die Faͤrber zu Lyon haben dieses mangelhafte Verfahren mit Recht verworfen. Indessen sind nicht immer alle drei der oben angegebenen Arbeiten nothwendig, und die Faͤrber aͤndern sie, nach verschiedenen Farben, auf verschiedene Weise ab. So braucht z.B. Seide, welche schwarz, dunkelgrau, oder uͤberhaupt in Farben gefaͤrbt werden soll, die vorher Gattung erhalten muͤssen, mit Ausnahme des Karmesinrothes, bloß entgummt zu werden. Einfache Kochung reicht fuͤr Gelb, Blau, Gruͤn, Orange, Ponceau und die daraus abgeleiteten Farben hin. Allein Seide, die fein karmesin, canariengelb, rosenfarben, lilas und hell violett, himmelblau, meergruͤn, und in den Nuancen dieser Farben gefaͤrbt werden soll, muß entgummt, gekocht und noch ein Mal aufgesotten werden; die Nuancen von Weiß, die unter dem Namen Blanc Gonin bekannt sind, verlangen sogar nach dem Schwefeln noch eine fuͤnfte Operation. Man bereitet eine Art von Gyps-Bad, in welchem man eine gewisse Menge von kohlensaurem, schoͤn weißen, gut zerkleinten Kalk in Wasser einruͤhrt, und dem man dann etwas weniges Schwefelsaͤure zusezt. Oder man nimmt auch Statt des kohlensauren Kalkes schwefelsauren, z.B. gepulverten Alabaster; oder selbst phosphorsauren Kalk aus Knochen, welchen man die Gallerte entzogen hat, und taucht die Seide kalt in diese Baͤder, und zieht sie einige Male durch dieselben durch. Auf diese Weise wird die Seife, die noch an der Seide haͤngen blieb, zersezt; der schwefelsaure unaufloͤsbare Kalk wirft sich auf die Seide, krystallisirt sich auf derselben, und die Seide erhaͤlt dadurch den herrlichsten Silberglanz. Mit einigen leichten Dosen Cochenille-Aufloͤsung kann man ihr einen Stich in das Rosenfarbene, oder mit etwas Indigo-Aufloͤsung einen Stich ins Blaue ertheilen. Durch diese leztere Arbeit kann die Seide um 4 bis 5 p. C. schwerer werden. §. XIV. Geschmeidig-Machen der Seide. (Assouplissage.) Die Seide geschmeidig machen heißt, ihr den Farbestoff entziehen, und das Gummiharz erweichen, welches dieselbe elastisch macht, um hierauf die Seide faͤrben zu koͤnnen. Durch diese Arbeit verliert die Seide nicht mehr als 3 bis 4 p. C. Man macht gewoͤhnlich nur die Einschlag-Seide (tranus) geschmeidig; selten die Ketten-Seide, bei welcher diese Arbeit etwas schwieriger ist. Das Geschmeidig- Machen, welches nur mittelst Mineral-Saͤuren geschieht, ist ein mangelhaftes und bastardmaͤßiges Verfahren, wodurch die Seide ihren Glanz und die Faͤhigkeit verliert, lebhafte und glaͤnzende Farben anzunehmen. Dieses Verfahren wurde zur Verfertigung von Stoffen ausgedacht, die man nach dem Pfunde verkauft, und in welchen der Eintrag von der Kette bedekt wird. Nach einiger Zeit sind die Farben durch die Einwirkung der Luft und des Lichtes vollkommen abgestanden, und der Zeug bekommt Loͤcher und bricht. Dieses neue Verfahren hat nicht wenig dazu beigetragen, um den Credit der Lyoner Waaren im Auslande zu untergraben: man hat sich, und mit Recht, von Seite des Auslandes bei der franzoͤsischen Regierung hieruͤber beklagt. Ein Faͤrber zu Lyon, Namens Pons, hat dieses Verfahren vor ungefaͤhr 15 Jahren erfunden. Er wurde von den Fabrikanten zu Lyon schlecht belohnt, und ging mit seiner Entdekung und mir seinen Talenten nach England, wo man die Seide gegenwaͤrtig besser geschmeidig macht, als in Frankreich, Das Verfahren, welches man hierbei befolgt, ist folgendes. Man zieht die Seide eine laͤngere oder kuͤrzere Zeit uͤber in einer Wanne durch ein Wasser durch, welches bis auf 3 oder 400 Grad erhizt und mit Salpeter-Kochsalzsaͤure (Koͤnigswasser) so gesaͤuert ist, daß es wie schwacher Essig schmekt. Die Seide nimmt hierdurch alsogleich eine lichte olivengruͤne Farbe an, und geht hierauf in ein graues Weiß uͤber. Man nimmt sie sodann heraus, und wascht und klopft sie am Bache, bringt sie hierauf auf 24 Stunden in den Schwefel-Kasten, und zieht sie wieder in einem Kessel durch Wasser, Welches mit demjenigen Wasser, das man aus dem Schwefel-Kasten erhielt, und welches die Faͤrber schwefelige Saͤure nennen, gesaͤuert wurde. ManMan erhizt dieses Wasser bis auf 50°, und sezt einiges leichte Seifen-Wasser zu, jedoch nicht so viel, daß die Schale oder das Gummi-Harz der Seide dadurch abfallen koͤnnte. Nach zwei Stunden nimmt man die Seide heraus, windet sie aus, und bringt sie auf 24 Stunden in den Schwefel-Kasten: auf diese Weise erhaͤlt man eine entfaͤrbte, graulich weiße oder matt gelbliche Seide, welcher man nun das verlangte Farbenbad geben kann. Dieses Verfahren ist fehlerhaft; denn, je nachdem die Salpeter-Saͤure mehr oder weniger rein oder in groͤßerer oder geringerer Menge angewendet wird, wird die Seide davon auch mehr oder weniger angegriffen. Ferner ist die angebliche schwefelige Saͤure der Faͤrber (acide sulfureux) eine wahre, nur sehr verduͤnnte, Schwefelsaͤure, welche nie durch das Waschen von der Seide gaͤnzlich weggeschafft werden kann, und die auch durch das wenige Seifen-Wasser, welches man in dem lezten Bade zusezte, nicht neutralisirt wurde; daher nimmt nun solche Seide, wenn sie gefaͤrbt wird, die Farbe nur ungleich an, und wenn sie rosenfarben, Ponceau oder blau gefaͤrbt wurde, kriegt sie gelbe Fleken, und die daraus verfertigten Zeuge brechen. Schwarz gefaͤrbt wird solche Seide sehr bald schmuzig braun. Die Englaͤnder arbeiten besser. Sie wenden eine saure Mischung an, die aus 1 Theile reiner Salpeter-Saͤure und aus 2 Theilen Hydrochlor-Saͤure besteht, und nehmen von dieser Mischung ein Loth auf das Pfund Seide, welche sie in einer Wanne voll Wasser behandeln, in welcher lezteres mittelst eines Cylinders immer auf 40° Waͤrme erhalten wird. Hierauf machen sie die Seide in einem Kessel geschmeidig, den sie gleichfalls mittelst eines Dampf-Cylinders heizen, und in welchem sie auf zwei Drittel Wasser ein Drittel schwefelige Saͤure halten, welche sie sich dadurch bereiteten, daß sie Schwefelsaͤure uͤber Saͤgespaͤne distillirten, und das Distillat in kaltem Wasser aufnahmen. Hierauf schwefeln sie 24 Stunden lang. Ihr Weiß wird gleichfoͤrmiger, Heller und weniger matt als das unsrige. Einige Englaͤnder machen die Seide kalt geschmeidig, und bedienen sich hierzu eines Bades aus kohlensaurer Soda von 2° auf der Salzwage. §. XV. Ueber die Betruͤgereien der Faͤrber. Man weiß aus Erfahrung, daß die Seide durch das Entschaͤlen 25–27 p. C. verliert. Es ist daher herkoͤmmlich, daß die Fabrikanten dem Faͤrber einen Abgang von 4 Unzen (8 Loth) auf Ein Pfund (von 15 Unzen) erlauben. Dieß gibt nun 26 2/3 p. C.; d.h., der Faͤrber, der 15 Unzen Seide erhaͤlt, ist nur gehalten 11 Unzen gefaͤrbte Seide zuruͤk zu geben, außer bei der schweren schwarzen Seide, wo Gewicht fuͤr Gewicht zuruͤkgegeben werden muß. Es gibt aber eine Menge Faͤlle, in welchen, wie wir oben bemerkten, es nicht noͤthig ist die Seide vollkommen zu entschaͤlen, und die Seidenfaͤrber ziehen, ungeachtet der Ordonnanz Ludwig XIV., dd. Aug. 1669, welche alle Seide, die gefaͤrbt werden soll, weiß zu kochen befiehlt, hieraus ihren Vortheil. Nur die Seide, welche weiß, himmelblau, rosenfarben, hell-lilas, Hortensiagelb, strohgelb und in dergl. Farben gefaͤrbt werden muß, erfordert diesen Grad von Kochung. Die uͤbrigen Farben verlangen nur, daß die Seide entgummt wird, und fordern nur eine leichte Kochung, um die Seide zu oͤffnen (ouvrir), d.h., die Faden zu loͤsen, wie bei dem Ponceau und bei anderen Nuancen von Roth, bei welchen sogar das Weiß-Sieden nachtheilig seyn wuͤrde, indem die Farbe dadurch mehlig wird (fariner). Seide, die bloß entgummt wird, verliert nur 20 Statt 25 p. C. Der Faͤrber gewinnt also hieran 5 p. C., und dieser Gewinnst ist noch groͤßer, wenn der Faͤrber die Seide gallt oder gallirt. Ueberhaupt gibt alle mit Gallus behandelte Seide einen Ueberschuß an Gewicht, der t/16, ja sogar 1/10 betragen kann, und stark gefaͤrbte schwarze Saͤure gibt selbst 20 bis 30 p. C. Je nachdem ferner die Seide auf dem Windstoke mehr oder minder geschlagen und gewunden, und folglich mehr oder minder getroknet wird, bleibt auch mehr oder weniger Feuchtigkeit in der gefaͤrbten Seide. Ja, was noch mehr ist, gefaͤrbte und gut getroknete Seide ist so hygrometrisch „(vielmehr hygroskopisch),“ daß man sie nur einer feuchten Luft aussezen darf, um sie um 2 bis 3 p. C. schwerer zu machen. Außer der Behandlung mit Gallus geben auch noch alle andere Farben der Seide ein schwereres Gewicht; wir haben gesehen, daß Weiß das Gewicht der Seide um 4 bis 5 p. C. vermehrt. Versuche, die Dr. Ozanam mit 77 verschiedenen Farben-Nuͤancen anstellte, gewahrten ihm eine sehr genaue Tabelle uͤber die Zunahme des Gewichtes, welche jede Farbe der Seide ertheilt, von dem blassen Rosenfarben, welches das Gewicht nur um 1 bis 1 1/2 p. C. vermehrt, bis zum schweren Schwarz, durch welches das Gewicht der Seide um 30 p. C. erhoͤht wird. Diese Tabelle sollte sich in der Hand eines jeden Faͤrbers befindenWarum wird sie nicht hier dem Publicum mitgetheilt?A. d. Ue.. Wir bemerken hier besonders daß gelbliche Seide, bloß durch Zusaz von thierischer Gallerte, durch welche die Farbe derselben auf eine ganz ausgezeichnete Weise aufgefrischt wird, 6 bis 8 p. C. gewinnt, und daß andere Farben, mit Staͤrkmehl verbunden, 12 bis 15 p. C, geben. Man sieht hieraus, welchen Gewinn ein Faͤrber machen kann, wenn er dem Fabrikanten die gefaͤrbte Seide in jenem Gewichte zuruͤkgibt, welche die Verordnungen fordernMan sieht hieraus auch den Geist, in welchem diese Verordnungen abgefaßt wurden, die, wie die meisten Verordnungen im technischen Fache, als Ausgeburten von Verfassern, die von der Sache ex offo nichts verstehen, oft hundert Mal mehr Unheil bringen, als der Nachtheil, den sie beseitigen sollen.A. d. Ue.. Wenn der Faͤrber untreu seyn will, so nimmt er, da er das Gewicht kennt, um welches die Seide schwerer wird, wenn sie in einer gewissen Farbe gefaͤrbt wird, so viel Seide von dem Straͤhne dem Gewichte nach weg, als die Seide durch das Faͤrben schwerer wird. Nachdem er auf diese Weise uͤberall her kleine Partien von Seide, von verschiedener Feinheit und Guͤte, zusammengestohlen hat, bildet er hieraus eine Straͤhne, in welcher Tram und Organsin und Alles durch einander laͤuft. Wenn nun auf ein Mal eine große Partie gleichfoͤrmiger Seide zum Faͤrben kommt, nimmt er so viel von dieser weg, als sein Quodlibet schwer ist, und stekt dieses dafuͤr unter. Die gleichfoͤrmige Seide, die er auf diese Weise ausgetauscht hat, verkauft er nun weit leichter und zu einem hoͤheren Preise an irgend einen vertrauten Fabrikanten aus der Klasse der zu Lyon sogenannten Unzen-Stecher (piqueurs d'once, Unzen-Diebe), als er sein Quodlibet nicht angebracht haben wuͤrde. Es gibt indessen Mittel, zu erkennen, um wie viel die Seide mit Faͤrbestoff uͤberladen ist, und vorzuͤglich zu entdeken, ob man gegen die Verordnungen den Gallus bei einer Seide angewendet hat, bei welcher er nicht haͤtte angewendet werden sollen. Wir werden hiervon in einer anderen Nummer sprechen. Außer diesen Mitteln, das Gewicht der Seide durch die Farbe selbst zu vermehren, gibt es noch viele andere chemische Mittel; z.B. Sublimat in Alkohol aufgeloͤst; Kalomel-Dampf aus einem Tiegel in einer Gluthpfanne entwikelt und unter die Seide gestellt; ein Bad, in welchem man kochsalzsaure Schwererde aufloͤste, und welchem man dann etwas Schwefelsaͤure zusezt, um Schwerspat!) auf die Seide niederzuschlagen; eine Aufloͤsung von Staͤrkmehl oder auch von Erdaͤpfel-Staͤrke: diese Betruͤgereien werden oͤfters angewendet, so daß der Fabrikant auf der einen Seite dei dem Ankaufe der rohen Seide von dem Seiden-Haͤndler mit Honig, Syrup, Gummi, Seidenpuppen-Gallerte etc. auf eine Weise betrogen wird, die sich durch die sogenannte Bedingung (Condition) nicht ausgleicht; und auf der anderen Seite auch nicht minder von dem Faͤrber getaͤuscht wird. Kein Wunder also, wenn der Gewinn des Seidenzeug-Fabrikanten so oft aͤußerst gering, und zuweilen sogar null ist. Indessen ist dieß zum Theile seine eigene Schuld: er sollte sich die noͤthigen chemischen Kenntnisse verschaffen, um alle diese Betruͤgereien zu entdeken. Statt daß er der Spielball seiner eigenen Unwissenheit ist, die, vorzuͤglich zu Lyon, in dieser Hinsicht groͤßer ist, als anderswo.