Titel: Ueber einen rothen Färbestoff, welcher sich erzeugt, wenn man dem Alkohol, Zuker, Stärkmehl und einigen anderen Körpern einen Theil ihres Wasserstoffs entzieht; von Hrn. Rouchas, Pharmaceut zu Toulon.
Fundstelle: Band 40, Jahrgang 1831, Nr. LXXI., S. 359
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LXXI. Ueber einen rothen Faͤrbestoff, welcher sich erzeugt, wenn man dem Alkohol, Zuker, Staͤrkmehl und einigen anderen Koͤrpern einen Theil ihres Wasserstoffs entzieht; von Hrn. Rouchas, Pharmaceut zu Toulon. Aus dem Journal de Pharmacie. Maͤrz. 1831. S. 117. Rouchas, uͤber einen rothen Faͤrbestoff. Wenn man ein Gemisch von Alkohol und Salpetersaͤure allmaͤhlich bis zum Sieden erhizt und sobald es zu kochen anfaͤngt, vom Feuer nimmt, um die Reaction sich beendigen zu lassen, so erhaͤlt man verschiedene Producte je nach dem Verhaͤltniß der Saͤure zum Alkohol. Nimmt man gleiche Theile von beiden, so entbinden sich Stikstoff, Stikstoffprotoxyd, Stikstoffdeuteroxyd, Wasser, Kohlensaͤure, salpetrige Saͤure, Essigsaͤure, Essigaͤther und in der Retorte bleibt eine leicht zu verkohlende Substanz, ein wenig Salpetersaͤure, Essigsaͤure, Alkohol und Wasser zuruͤk. Besteht hingegen das Gemisch aus einem Theile Alkohol und drei Theilen Salpetersaͤure, so erhaͤlt man außerdem auch Kleesaure, wie Scheele und Hermbstaͤdt fanden. Als ich unlaͤngst drei Theile kaͤuflicher Salpetersaͤure mit einem Theil Alkohol von 38° Beaumé auf oben angegebene Weise behandelte, fand ich, daß sich nicht nur die bereits oben angegebenen Producte bilden, sondern auch daß die Alkalien, wie Kali, Natron, Ammoniak und ihre einfach- und doppeltkohlensauren Salze, in der ruͤkstaͤndigen Fluͤssigkeit eine sehr schone rothe Farbe entwikeln, was ich in keinem chemischen Werke bemerkt finde. Ich uͤberzeugte mich ferner, daß diese Fluͤssigkeit sich erst nach gaͤnzlicher Beendigung der chemischen Reaction, das heißt nachdem sich eine große Menge roͤthlicher Daͤmpfe entwikelte und das Sieden aufgehoͤrt hat, durch die Alkalien stark roͤthet. Wenn man die Fluͤssigkeit in verschiedenen Zeitpunkten waͤhrend der Operation mit Alkalien pruͤft, so uͤberzeugt man sich leicht, daß die erhaltene Farbe um so intensiver ist, je laͤnger die Salpetersaͤure auf den Alkohol wirkte.Zuker, Staͤrkmehl und einige andere Pflanzenproducte geben unter gleichen Umstaͤnden dieselben Resultate wie Alkohol. A. d. O. Man kann diese Farbe auch ohne Anwendung von Hize erzeugen, wenn man sehr concentrirte Salpetersaͤure in Alkohol gießt; jeder Tropfen, welchen man zusezt, bringt ein Geraͤusch hervor, wie wenn man ein gluͤhendes Eisen in Wasser taucht, und erst nachdem man so viel Saͤure zugesezt hat, daß sie 1/10 bis 1/8 vom Gewichte des Alkohols betraͤgt, kommt das Gemisch von selbst ins Kochen: die ruͤkstaͤndige Fluͤssigkeit erhaͤlt dann durch Alkalien eine rothe Farbe. Ist diese rothe Farbe, welche durch die Einwirkung der Salpetersaͤure auf Alkohol, Zuker, Staͤrkmehl u.s.w. entsteht und durch Alkalien entwikelt wird, derjenigen analog, welche sich zugleich mit der Purpursaͤure (bei Bereitung der lezteren durch Behandlung der Harnsaͤure mit Salpetersaͤure) bildet? Dieß ist nach den Versuchen von Lassaigne und Vauquelin sehr wahrscheinlich, denn diese Chemiker fanden, daß man die Purpursaͤure farblos erhalten kann und, daß die rothe Farbe, welche diese Saͤure im Augenblike ihrer Bereitung nach dem gewoͤhnlichen Verfahren zeigt, ihr fremdartig ist und von einem eigenthuͤmlichen Faͤrbestoffe herruͤhrt. Man koͤnnte glauben, daß das Ammoniak, welches durch die Einwirkung der Salpetersaͤure auf die Harnsaͤure entsteht, jene Faͤrbung hervorbringt und auf die unreine Purpursaͤure eben so wirkt, wie das Kali, Natron u.s.w. auf die Fluͤssigkeit, welche man durch Behandlung des Alkohols, Zukers, Staͤrkmehls etc. mit Salpetersaͤure erhaͤlt. Indessen bleibt dieses Raisonnement immer eine Hypothese, so lange man es nicht durch positive Thatsachen unterstuͤzen kann. Ich wiederholte meine fruͤheren Versuche, sowohl um mich von ihrer Genauigkeit zu versichern, als auch um den Faͤrbestoff abzuscheiden und seine Eigenschaften kennen zu lernen. Reine Kohle, durch welche Hr. Vauquelin den die Purpursaͤure verunreinigenden Faͤrbestoff vollkommen abscheiden konnte, gab mir kein genuͤgendes Resultat: die Fluͤssigkeit wurde zwar beim Erwaͤrmen durch Kohle entfaͤrbt, aber ich konnte den Faͤrbestoff nicht mehr in lezterer auffinden, was mich vermuthen laͤßt, daß er sich sehr leicht zersezt. Da es mir auf diese Art nicht moͤglich war, den rothen Stoff fuͤr sich zu erhalten und ich vermuthete, daß er demjenigen, welcher sich mit der Purpursaͤure bildet, sehr aͤhnlich ist, so wollte ich mich versichern, ob die Fluͤssigkeit keine Purpursaure enthaͤlt. Zu diesem Ende versezte ich die gefaͤrbte Fluͤssigkeit mit essigsaurem Blei, wodurch ein voluminoͤser Niederschlag entstand, welchen ich abfiltrirte und mit kaltem Wasser aussuͤßte; ich zertheilte ihn hierauf in Wasser, und leitete einen Strom Schwefelwasserstoffgas hindurch, filtrirte sodann neuerdings und erhizte die klare Fluͤssigkeit, um den uͤberschuͤssigen Schwefelwasserstoff zu verjagen; nachdem sie mit reinem kohlensauren Kalk neutralisirt worden war, filtrirte ich sie wieder; sie enthielt nun aber bloß aͤpfelsauren, keinen purpursauren Kalk in Aufloͤsung. Hierdurch mußte es mir sehr unwahrscheinlich werden, daß der fragliche rothe Faͤrbestoff derselbe ist, welcher sich mit der Purpursaͤure bildet; dieser Zweifel war auch sehr wohl gegruͤndet, denn in der Folge fand ich, daß man diesen rothen Farbestoff auf verschiedene Weise hervorbringen kann, ohne eine stikstoffhaltige Substanz anzuwenden. Dieß geschieht: 1) Wenn man uͤberschuͤssiges Chlorgas in eine Zukeraufloͤsung leitet, sie vier und zwanzig Stunden lang stehen laͤßt und dann mit Kali neutralisirt, so wird die Fluͤssigkeit, welche farblos war, zuerst waugelb und dann beim gelinden Erhizen auf der Stelle roth. Das Brom wirkt eben so. 2) Wenn man in eine waͤsserige Aufloͤsung von vollkommen reinem arabischem Gummi einige Tropfen salpetersaure Silberaufloͤsung gießt, so nimmt die Fluͤssigkeit nach einiger Zeit eitle schoͤne rothe Farbe an. Die Faͤrbung stellt sich augenbliklich ein, wenn man das Gefaͤß den Sonnenstrahlen aussezt. Diese Fluͤssigkeit erscheint im reflectirten Lichte schmuziggruͤn und im durchfallenden schoͤn roth. 3) Wenn man zu demselben Versuche Wasser anstatt des Gummiwassers nimmt, so faͤrbt sich die Fluͤssigkeit nicht und laͤßt ein schwaͤrzliches Pulver fallen, welches vor einigen Jahren von Hrn. Vogel zu Muͤnchen untersucht wurde. Vermengt man aber Zuker und salpetersaures Silber in feinem Pulver mit einander, so wird dieses Gemenge bald sehr feucht und nimmt mehr oder weniger schnell eine rothe Farbe an, je nachdem es das directe oder zerstreute Licht empfaͤngt. 4) Wir wissen auch, daß ein Gemenge von Arseniksaͤure mit Zuker ebenfalls eine sehr schoͤne rothe Farbe annimmt, welche mit der Zeit so dunkel wird, daß das Gemenge schwarz erscheint. Ich kenne diese Thatsache bloß aus muͤndlichen Mittheilungen und weiß weder welche Erklaͤrung man davon geben zu koͤnnen glaubte, noch wer sie entdekt hat;Sie wurde zuerst von Hrn. Elsner beobachtet. Man vergleiche Schweigger's Journal der Chemie und Physik Bd. L. S. 348. A. d. R. ich denke aber, daß der rothe Faͤrbestoff, welchen man hiebei erhaͤlt, von demjenigen, welcher sich bei obigen Versuchen bildet, nicht verschieden seyn kann. Theorie. – Die chemische Zusammensezung des rothen Faͤrbestoffes ist mir ganz unbekannt, da ich ihn nicht isoliren konnte; aber nach Allem muß ich glauben, daß er sich von Alkohol, Zuker, Staͤrkmehl u.s.w. nur durch einen geringeren Wasserstoffgehalt unterscheidet. In der That, wenn Zuker und salpetersaures Silber nach dem Vermengen sich befeuchten, ehe sie sich roth faͤrben, muß man nicht annehmen, daß sich auf Kosten des Wasserstoffs, des Zukers und des Sauerstoffs, des Silberoxydes oder der Salpetersaͤure Wasser bildet? Andererseits macht mir der Umstand, daß man diesen Faͤrbestoff auch durch Chlor erhaͤlt, welches sich bekanntlich so leicht des Wasserstoffs bemaͤchtigt, die von mir gegebene Theorie sehr wahrscheinlich. Die Wirkung des salpetersauren Silbers auf die Gummiaufloͤsung kann auf dieselbe Art erklaͤrt werden, denn nachdem ich eine so gefaͤrbte Aufloͤsung sechs Monate lang aufbewahrt hatte, war die Fluͤssigkeit noch vollkommen durchsichtig und hatte auch an Intensitaͤt ihrer Farbe nicht verloren, aber es hatten sich einige Grane eines graulichen Pulvers abgesezt, welches in Ammoniak und verduͤnnter Schwefelsaͤure unaufloͤslich war und in Salpetersaͤure sich mit Entbindung roͤthlicher Daͤmpfe aufloͤste; Salzsaͤure schlug aus der Fluͤssigkeit Chlorsilber nieder; der Niederschlag war also metallisches Silber. Dieser Versuch spricht gegen die Ansicht der HH. Sementini, Payen und Chevalier, hingegen fuͤr diejenige des Hrn. Casaseca. Wahrscheinlich wird auch bei der Einwirkung der Arseniksaͤure auf Zuker der Faͤrbestoff dadurch gebildet, daß der Zuker einen Theil seines Wasserstoffs verliert; das Gemenge wird naͤmlich, ehe es sich roͤthet, sehr feucht, selbst wenn man es in vollkommen trokener Luft unter einer Gloke mit Queksilber absperrt. Nach mehreren Tagen erhaͤlt es eine schwarze Farbe, indem ohne Zweifel der Kohlenstoff immer mehr uͤberwiegend wird. Der rothe Faͤrbestoff bildet sich auch unter folgenden Umstaͤnden: Wenn man gepulverten weißen Zuker und einige Stuͤke aͤzendes Kali in ein Glas bringt und kaͤufliche Salpetersaͤure darauf gießt, so entwikelt sich die rothe Farbe, ohne daß sich salpetrige Daͤmpfe entbinden. Soll unsere Hypothese, daß der Zuker durch den Sauerstoff der Salpetersaͤure einen Theil seines Wasserstoffs verliert, auch auf diese Erscheinung angewandt werden, so muß man annehmen, daß das salpetrigsaure Gas in der Fluͤssigkeit aufgeloͤst bleibt, oder, was wahrscheinlicher ist, daß sich ein untersalpetrigsaures Salz bildet. Ich fand ferner, daß wenn die Fluͤssigkeit, welche man durch Behandlung des Alkohols, Zukers etc. mit Salpetersaͤure erhaͤlt, neutralisirt und sodann mit einigen Tropfen salpetersauren Silbers versezt wird, man bloß noch einen Ueberschuß von festem Aezkali hineinzuwerfen braucht, um das Silber zu reduciren. Diese Thatsache schien mir interessant und zugleich neu, spaͤter aber erinnerte ich mich, daß Hr. Casaseca gefunden hatte, daß das Kali, Natron und Ammoniak aus einer Aufloͤsung einer vegetabilischen Substanz (z. 85. Gummiwasser, Cafféinfusion), welche mit salpetersaurem Silber gemischt ist, metallisches Silber faͤllen; er glaubt, daß diese Reduction von der Einwirkung dieser Basen auf die vegetabilische Substanz herruͤhre, in deren Folge das metallische Silber in Freiheit gesezt wird, oder vielmehr von der Saͤttigung der Salpetersaͤure, welche dann nicht mehr auf das Silber wirken kann? Hr Casaseca sagt aber nicht, welcher Stoff das Silber desoxydirt; ich vermuthe der Kohlenstoff der vegetabilischen Substanz. Dieß ist deßwegen sehr wahrscheinlich, weil, wenn man salpetersaures Silber mit Kohle mengt und zum Sieden erhizt, Stikstoffdeuteroxyd und Kohlensaͤure sich entbinden, waͤhrend das Silber reducirt wird. Man erhaͤlt ganz dasselbe Resultat, wenn man die Silberaͤufloͤsung in Beruͤhrung mit Kohle dem Lichte aussezt. – Aus meinen Versuchen geht also hervor: 1) Daß die Salpetersaͤure, wenn sie auf Alkohol, Zuker, Staͤrkmehl u.s.w. wirkt, unter anderen schon bekannten Producten, auch einen eigenthuͤmlichen rothen Faͤrbestoff erzeugt, welcher keinen Stikstoff enthaͤlt; 2) daß das Alkali die rothe Farbe bloß dadurch entwikelt, daß es die in der Fluͤssigkeit enthaltene freie Salpetersaͤure neutralisirt; denn wenn man wieder Salpetersaͤure zusezt, so verschwindet die rothe Farbe, erscheint aber auf Zusaz von Alkali wieder. 3) Daß dieser rothe Stoff aus denselben Elementen wie der Zuker, der Alkohol, das Staͤrkmehl besteht, aber weniger Wasserstoff als diese Substanzen enthaͤlt. 4) Daß die rothe Farbe, welche sich beim Verwischen a) von Zuker oder gummihaltigem Wasser mit salpetersaurem Silber, b) von Arseniksaͤure mit Zuker, c) von Chlor oder Brom mit zukerhaltigem Wasser entwikelt, identisch mit dem rothen Faͤrbestoff ist, welcher bei Einwirkung von Salpetersaͤure auf Alkohol, Zuker etc. entsteht; 5) endlich salpetersaures Silber, Salpetersaͤure, Arseniksaͤure, Chlor und Brom auf die vegetabilischen Substanzen ganz dieselbe Wirkung ausuͤben, indem die drei ersteren ihnen Wasserstoff durch Abgabe von Sauerstoff an dieselben entziehen, und die beiden lezteren sich ihres Wasserstoffs bemaͤchtigen, um Wasserstoffsaͤuren zu bilden.