Titel: Ueber die Verhütung der Bleikolik.
Fundstelle: Band 44, Jahrgang 1832, Nr. LXXII., S. 307
Download: XML
LXXII. Ueber die Verhuͤtung der Bleikolik. Ueber die Verhuͤtung der Bleikolik. Da die Bleikolik, diese fuͤrchterliche Krankheit, durch welche nicht wenige gute Arbeiter zu Grunde gehen, oder wenigstens zu einem siechen Leben verdammt werden, aus Mangel an gehoͤriger Vorsicht und Reinlichkeit oder wegen Unzwekmaͤßigkeit der Fabriken und Werkstaͤtten, in denen gearbeitet wird, bei uns in Suͤddeutschland ziemlich haͤufig ist, so nehmen wir keinen Anstand auch in unser Journal einen Artikel aufzunehmen, der aus Christison's Toxikologie in das Repertory of Patent-Inventions uͤberging, und unseren Fabrikbesizern und Werkmeistern die strenge Befolgung der darin gegebenen Rathschlaͤge zu empfehlen, wenn ihnen an der Gesundheit ihrer Mitmenschen und Arbeiter etwas gelegen ist. In den englischen Bleibergwerken ist die Bleikolik nur bei jenen Arbeitern zu treffen, welche an den Schmelzoͤfen arbeiten. Am haͤufigsten zeigt sie sich bei den Bleiglaͤtte-, Mennig- und Bleiweiß-Fabrikanten; dann bei Mahlern und Anstreichern. Bleigießern, Bleiblech- und Bleiroͤhren-Fabrikanten, wenn ihre Schmelztiegel schlecht eingerichtet sind; ferner bei Toͤpfern, Glasirern, Glasblaͤsern, Steinschneidern, welche das Blei zum Poliren brauchen, Farbenhaͤndlern; selten bei Buchdrukern, die mehr den Laͤhmungen der Haͤnde ausgesezt sind. In der Charité zu Paris wurden nach Hrn. Mérat vom J. 1776 bis zum J. 1811 279 Individuen an der Bleikolik behandelt, und darunter befanden sich 148 Mahler und Anstreicher, 28 Bleigießer, 16 Toͤpfer, 15 Porcellanmacher, 12 Steinschneider, 9 Farbenreiber, 3 Glasblaͤser, 2 Glasirer, 2 Spielzeugfabrikanten, 2 Schuhmacher, 1 Buchdruker, 1 Bergarbeiter, 1 Schrotfabrikant. 17 der Kranken hatten nicht mit Blei, sondern mit Kupfer zu arbeiten, und 22 hatten weder mit Blei noch mit Kupfer zu thun: bei diesen ist es jedoch zweifelhaft, ob sie nicht doch zufaͤllig Blei in den Leib bekamen, oder ob sie wirklich Bleikolik hatten. Von diesen 279 Individuen starben 15 im Spitale; wie viele an den Folgen zu Grunde gingen oder mehr oder weniger Beschwerden behielten, ist nicht bekannt. Eines der sichersten Vorbauungsmittel gegen die Krankheit ist große Reinlichkeit. Die Werkfuͤhrer haben daher darauf zu sehen, daß die Arbeiter wenigstens ein Mal des Tages Haͤnde und Gesicht waschen, den Mund ausspuͤlen und die Haare kaͤmmen, daß hinlaͤngliche Gelegenheit zum haͤufigen Baden vorhanden ist, daß die Kleider der Arbeiter nicht aus Wolle, sondern aus starkem und dichtem Leinenzeuge bestehen, und daß diese Kleider woͤchentlich 2 Mal gewechselt, und außer der Werkstaͤtte so selten als moͤglich getragen werden. Waͤhrend der Arbeit sollen die Arbeiter immer eine leichte Kappe aus einem undurchdringlichen Zeuge tragen. Zunaͤchst neben der Reinlichkeit ist vorzuͤglich darauf zu sehen, daß die Speisen der Arbeiter nicht mit Blei impraͤgnirt werden. Die Arbeiter sollen daher nie in der Werkstaͤtte essen, und vor dem Essen jedes Mal Haͤnde und Gesicht mit Seifenwasser waschen, den Mund ausspuͤlen und die Unreinigkeiten unter den Naͤgeln mit einer Buͤrste entfernen. Sie sollen ferner Morgens, ehe sie zur Arbeit gehen, fruͤhstuͤken. So wie sich die geringsten Erscheinungen des Uebels zeigen, sollen sie alsogleich aͤrztliche Huͤlfe suchen, oder in Ermangelung derselben vorlaͤufig ein Abfuͤhrungsmittel nehmen, und den Koͤrper sorgfaͤltig reinigen, auch baden. Die Kost der Arbeiter soll nahrhaft und leicht verdaulich seyn. In den meisten Laͤndern will man gefunden haben, daß der haͤufigere Genuß von Butter, Kaͤse, Spek und anderen fetten Speisen die schaͤdlichen Wirkungen des Bleies mindert. Das Beoͤhlen und Befetten der Haut zeigte sich hingegen nachtheilig. Die Fabrikanten und Werkfuͤhrer sollen endlich so verstaͤndig und menschlich seyn, daß sie die Werkstaͤtten geraͤumig machen, eine systematische Ventilirung darin anbringen, damit alle in der Luft schwebenden Theilchen schnell und in gewissen, den Arbeitern bekannten Richtungen und Stroͤmungen fortgerissen werden, und daß sie sich der Einfuͤhrung aller jener Verbesserungen, die nicht bloß ihren Vortheil, sondern auch das Wohl ihrer Arbeiter zum Zweke haben, thaͤtiger annehmen. Durch die Errichtung der stark ziehenden Oefen zu Leadhills verschwand z.B. die Bleikolik daselbst ganz, waͤhrend sie an anderen Werken, wo man sich fortwaͤhrend der alten Oefen bedient, noch immer vorkommt. In den Mennig- und Bleiglaͤtte-Fabriken wurden die Nachtheile, die durch die feinen, in der Luft schwebenden Theilchen bewirkt wurden, durch Anbringung eines starkziehenden Huͤlfskamines beseitigt. In den Bleiweißfabriken wurde durch das Aufgeben des troknen Mahlens bereits eine der ungesundesten Arbeiten verbessert. In einer Fabrik zu Portobello geschieht selbst das Abnehmen des Bleiweißes von den Platten unter Wasser oder in feuchtem Zustande, und diesen Vorsichtsmaßregeln mag es hauptsaͤchlich zuzuschreiben seyn, warum die Arbeiter in Portobello weit gesuͤnder sind, als an anderen Orten. Die einzige Operation, welche man daselbst noch fuͤr gefaͤhrlich haͤlt, ist das Ausleeren des Trokenofens und das Verpaken des Bleiweißes in Faͤsser, bei welchem jedoch der Boden so feucht als moͤglich gehalten wird, um das Stauben zu verhindern.