Titel: Ueber eine neue Flinte des Hrn. Baron Heurteloup.
Fundstelle: Band 69, Jahrgang 1838, Nr. XL., S. 223
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XL. Ueber eine neue Flinte des Hrn. Baron Heurteloup. Aus dem Echo du monde savant, 1838, No. 21. Ueber Heurteloup's neue Flinte. Hr. Baron Heurteloup legte der Akademie der Wissenschaften in Paris schon im Jahre 1835 ein neues Mittel zur Abfeuerung der fuͤr den Kriegsdienst bestimmten Schießgewehre vor. Die HHrn. General Rogniat und Baron Séguier erstatteten uͤber dieses Mittel, dem der Erfinder den Namen der Koptiptie beilegte, seiner Zeit einen Bericht, in welchem der Erfindung eine Wichtigkeit zugestanden wurde. Da dessen ungeachtet seither nichts mehr daruͤber verlautete, so mußte man glauben, daß dieselbe wegen irgend eines Hindernisses praktisch unanwendbar befunden wurde, und daß sie daher in Vergessenheit kam. Dem ist jedoch nicht so, sondern es ist Hrn. Heurteloup vielmehr durch fortgesezte Bemuͤhungen gelungen, saͤmmtliche Schwierigkeiten zu uͤberwinden und sein Princip wirklich auf die Verfertigung von Schießgewehren fuͤr den Kriegsdienst anzuwenden. Die Einfachheit des neuen Systemes und die großen Vortheile, welche dasselbe gewaͤhrt, hat bereits die Aufmerksamkeit mehrerer fremder Maͤchte auf sich gezogen, und namentlich ließ Rußlands Kaiser dasselbe seit einem Jahre durch einen hoͤheren Artillerieoffizier besonders studiren. Es waͤre dieß nicht das erste Mal, daß eine in Frankreich gemachte Entdekung im Auslande fruͤher Beachtung faͤnde, als im eigenen Lande. Dem sey uͤbrigens wie ihm wolle, so wollen wir versuchen, die Eigenthuͤmlichkeiten, durch die sich die Flinte Heurteloup's vor allen uͤbrigen aͤhnlichen Erfindungen auszeichnet, anzudeuten. Es gibt sich schon seit laͤngerer Zeit das Streben kund, auch an den Schießgewehren der Armeeen das alte Steinfeuer durch das sogenannte Percussionsfeuer zu ersezen. Alle in dieser Hinsicht angestellten Versuche fuͤhrten jedoch zu keinen genuͤgenden Resultaten. Die Anwendung der auf den Jagden gebraͤuchlichen Kapseln bringt mehrere bedeutende Unannehmlichkeiten mit sich, unter denen die Schwierigkeit der Handhabung derselben fuͤr den Soldaten nicht die geringfuͤgigste ist. Man hat, um diesem Uebelstande zu begegnen, versucht, im Inneren der Schwanzschraube ein Magazin anzulegen, welche das Zuͤndkraut liefere; allein daraus entstand ein noch groͤßeres Uebel, indem sich das Feuer nicht selten bis in dieses Magazin fortpflanzte und die Schwanzschraube zersprengte. Viele andere Nachtheile lassen sich an allen uͤbrigen, bis auf den heutigen Tag probirten Systemen nachweisen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man eine enge, duͤnnwandige, mit Knallpulver gefuͤllte Metallroͤhre senkrecht gegen ihre Achse durchschneiden kann, ohne daß eine Entzuͤndung erfolgt; daß hingegen unfehlbar eine Detonation erfolgt, wenn man einen Stoß oder Schlag gegen das Ende dieser Roͤhre vollbringt. Auf diese doppelte Erfahrung gruͤndet sich das System des Hrn. Heurteloup; und da das Zuͤndkraut an der neuen Flinte zugleich abgeschnitten und geschlagen wird, so gab ihr der Erfinder den aus dem Griechischen gebildeten Namen Fusil Koptipteur. Die neue Flinte hat das Aussehen einer gewoͤhnlichen Muskete; denn es kam wesentlich darauf an, die Form, an welche der Soldat durch langen Gebrauch gewoͤhnt ist, so wenig als moͤglich zu andern. Das Zuͤndkraut befindet sich, wie gesagt, in einer kleinen metallenen Roͤhre von beilaͤufig 2 Millimeter Breite auf einen in der Dike und auf beinahe 2 Centimeter Laͤnge. Diese Roͤhre, welche das fuͤr 35 Schusse noͤthige Zuͤndkraut liefert, wird unter die Schwanzschraube gebracht, indem man einen Charnierdekel aufhebt und dadurch eine zur Aufnahme der Roͤhre dienende Fuge bloß legt. Der Mechanismus der Batterie besteht in der Hauptsache aus zwei Theilen, von denen der eine dazu dient, die kleine Roͤhre nach der Laͤngenrichtung vorwaͤrts zu bewegen, waͤhrend der andere die Roͤhre durchschneidet und die Percussion bewirkt. Der erstere dieser Theile besteht aus einer kleinen, mit zwei Raͤdern, einem aͤußeren und einem inneren, ausgestatteten Buͤchse. Das aͤußere Rad, welches verzahnt ist, greift in ein Stuͤk, welchem der Erfinder den Namen Gravité beilegte. Dieses Stuͤk wird durch das Aufziehen des Hahnes in Bewegung gesezt; die Bewegung theilt sich durch die Verzahnung an das kleine aͤußere Rad, und von diesem an das innere, mit ersterem solidarische Rad mit. Die kleine Zuͤndkrautroͤhre wird zwischen diesem inneren Rade und einer auf sie druͤkenden Feder festgehalten; und hieraus folgt, daß die Roͤhre durch die Bewegung des Rades vorwaͤrts geschoben wird, so daß ihr Ende unter das Zuͤndloch gelangt, welches sich unter der Batterie befindet, von der Stange aber durch eine metallene Scheidewand geschieden ist. Wenn man auf den Druͤker druͤkt, so faͤllt der Hahn durch den gewoͤhnlichen Mechanismus ab; sein vorderer Theil ist mit einer Schneide versehen, welche die Roͤhre abschneidet, waͤhrend in demselben Augenblike das abgeschnittene Roͤhrenstuͤk auf dem Zuͤndloche zerquetscht wird, detonirt und dadurch die Ladung abfeuert. Wenn die Waffe die 35 Schuͤsse, welche die Laͤnge der Roͤhre zulaͤßt, gemacht hat, so versagt sie beim naͤchsten Abfeuern. Damit jedoch der Soldat nicht unversehens hievon uͤberrascht wird und doch auch nicht zu zaͤhlen braucht, hat Hr. Heurteloup hinter der Roͤhre noch eine einzelne Kapsel angebracht, die, wenn man den Hahn nach dem Versagen des Gewehres noch Mal aufzieht, an das Zuͤndloch gelangt, und die von dem Erfinder mit dem Namen Amorce de miséricode bezeichnet wird. Das Versagen kuͤndigt demnach dem Soldaten an, daß er nur mehr uͤber einen einzigen Schuß zu verfuͤgen hat, was beim Plaͤnklergefechte von großem Nuzen seyn kann. Das Einfuͤhren einer neuen Zuͤndroͤhre, welches hierauf noͤthig wird, ist etwas so leichtes, daß es in einem Augenblike geschehen ist. Wir haben noch einer sehr sinnreichen Anordnung, die der neuen Flinte eine hoͤchst schaͤzbare Eigenschaft gibt, zu erwaͤhnen. Wie bereits gesagt, pflanzt der Hahn die Bewegung durch einen Mechanismus, den der Erfinder Gravité nennt, an das aͤußere verzahnte Rad fort. Dieses Stuͤk ist so eingerichtet, daß es sich, wenn man das Gewehr so umkehrt, daß die Stange nach Oben gerichtet ist, schwingt und nicht laͤnger mehr in das Rad eingreift. Hieraus folgt, daß, wenn man dann den Hahn aufzieht, er die Zuͤndroͤhre nicht mehr vorwaͤrts treibt, so daß der Hahn auf das leere Zuͤndloch faͤllt und daß die Flinte also versagt. Der Nuzen dieser Einrichtung erhellt von selbst. Wenn naͤmlich der Soldat das Zuͤndloch zu untersuchen hat, so ist es von Wichtigkeit, daß dieß geschehen koͤnne, ohne daß er gezwungen ist zu spannen; er braucht nur seine Flinte umzukehren, denn dann nimmt der Hahn den oberen Theil ein und man kann ihn aufziehen und das Zuͤndloch nach Belieben untersuchen, ohne daß man einen Unfall zu besorgen haͤtte. Will der Soldat unmittelbar darauf abfeuern, so kehrt er die Flinte wieder um, laͤßt den Hahn ab und zieht ihn sogleich wieder auf; denn da durch diese neue Schaukelbewegung der Gravité Alles wieder an seinen fruͤheren Ort gelangt, so wird die Zuͤndroͤhre beim Aufziehen des Hahnes wieder an das Zuͤndloch vor bewegt, so daß das Abfeuern durch einen Druk auf den Druͤker bewerkstelligt werden kann. Im Vorbeigehen muͤssen wir darauf aufmerksam machen, welche Sicherheit sowohl fuͤr den Schuͤzen selbst, als auch fuͤr die Richtung des Schusses daraus erwachsen muß, daß das Zuͤndloch nach Unten zu angebracht ist. Das neue Schießgewehr laͤßt sich mit groͤßter Geschwindigkeit zerlegen und wieder zusammenfuͤgen; alle seine Theile sind einfach, und leicht zu reinigen; auch laufen alle ihre Kanten in gerader Linie oder im Kreise, was von großem Belange ist. Saͤmmtliche Theile koͤnnen fuͤr alle Schießgewehre einer Art gleich verfertigt werden, so daß man fuͤr ein Gewehr, welches einer Reparatur bedarf, die Theile eines anderen untauglich gewordenen benuzen kann. Dieß ist kaum moͤglich, wenn die Theile der Batterie andere Curven als dem Kreise angehoͤrige darbieten. Wir hegen daher kaum einen Zweifel, daß die Flinte des Hrn. Heurteloup Alles beseitigen duͤrfte, was bisher noch der Einfuͤhrung des Percussionssystemes an den fuͤr den Militaͤrdienst bestimmten Schießgewehren im Wege stehen mochte.Hr. General Rogniat erstattete der Akademie unterm 4. Jun. l. J. wiederholt einen sehr guͤnstigen Bericht uͤber die Flinte des Hrn. Heurteloup. Die einzige Einwendung, die er gegen sie macht, ist folgende. Die Flinte kann, da das Zuͤndloch an ihrem unteren Theile angebracht ist, dem abfeuernden Soldaten allerdings keinen Schaden zufuͤgen, allein sein Vordermann kann dadurch sehr beeintraͤchtigt werden, indem sich das Feuer an die Patrontasche dieses lezteren fortpflanzen kann, wenn das Abfeuern in demselben Momente erfolgt, in welchem der Vordermann nach einer Patrone langt. Dieser Gefahr waͤre freilich vorgebeugt, wenn der Soldat seine Patrontasche vorne zu tragen haͤtte, wie es bei einigen Armeen ohnedieß eingefuͤhrt ist. (Echo du monde savant, No. 22.)