Titel: Betrachtungen über die beiden lezten zu Nantes und zu Cincinnati vorgefallenen Explosionen der Kessel von Dampfbooten. Vorgetragen von Hrn. Baron Séguier vor der Akademie der Wissenschaften zu Paris.
Fundstelle: Band 69, Jahrgang 1838, Nr. XLVI., S. 247
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XLVI. Betrachtungen uͤber die beiden lezten zu Nantes und zu Cincinnati vorgefallenen Explosionen der Kessel von Dampfbooten. Vorgetragen von Hrn. Baron Séguier vor der Akademie der Wissenschaften zu Paris. Aus dem Echo du monde savant 1838, No. 24 S. 178. Séguier, Betrachtungen uͤber die Explosionen der Kessel von Dampfbooten. Wenn man in Ermangelung von amtlichen Documenten die Erscheinungen, welche den in Zeitungen erschienenen Angaben nach bei den beiden Explosionen, auf welche ich mir heute die Aufmerksamkeit der Akademie zu lenken erlaube, Statt fanden, mit einander vergleicht, so wird man von der zwischen ihnen bestehenden Aehnlichkeit uͤberrascht. In beiden Faͤllen erfolgte das Ungluͤk, nachdem das Spiel der Maschine unterbrochen worden, in demselben Augenblike, in welchem man den Dampf ausließ. Zu Nantes hatte man die mit einem Boote vorgenommene Probe beendigt, und das Fahrzeug bereits am Quai angebunden. Der Maschinist legte eben die Hand an den Auslaßhahn, als sich in demselben Augenblike eine fuͤrchterliche Explosion vernehmen ließ, in Folge deren Stroͤme von Dampf aus dem zerrissenen Kessel hervorstuͤrzten, und ein Theil des Verdekes mit einigen Kesseltruͤmmern weit von dannen geschleudert wurde. Wenn man das, was bei einem solchen Ereignisse vorgehen mußte, sorgfaͤltig erwaͤgt, so wird man leicht einsehen, daß bei der Befangenheit, welche bei Versuchen so oft herrscht, die Speisung des Kessels wohl vernachlaͤssigt worden seyn konnte; daß die ohnedieß so unsicheren Verrichtungen der Speisungsapparate leicht eine Unterbrechung erleiden konnten, ohne daß man dieselbe bemerkte; daß der Wasserstand im Kessel hiedurch so tief sinken konnte, daß eine Ueberhizung der Kesselwaͤnde moͤglich wurde: besonders wenn durch das Anhalten der Maschine und durch die hiedurch bedingte Vermehrung des Drukes im Kessel die Bewegung des Wassers aufhoͤrte, und wenn das Wasser hiedurch gleichsam auf ein kleineres Volumen gebracht wurde. Es erhellt, wie unter diesen Umstaͤnden die durch das Oeffnen des Auslaßhahnes entstehende Depression genuͤgende Ursache einer Explosion wird. Die erhizte Fluͤssigkeit verwandelt sich naͤmlich im Augenblike der Depression tumultuarisch in Dampf; die in Mitte der Fluͤssigkeit gebildeten Kuͤgelchen entwikeln sich um so mehr, je geringer der Druk wird; sie vergroͤßern daher die Masse und schleudern sie auf die gluͤhenden Oberflaͤchen. Dieselbe Erklaͤrung paßt auch vollkommen auf die umstaͤndliche Erzaͤhlung, welche uͤber die zu Cincinnati vorgefallene Explosion vorliegt. Das Dampfschiff hielt naͤmlich, um Passagiere aufzunehmen, an einem Quai, und in dem Augenblike, wo es wieder in Gang gesezt werden sollte, ereignete sich das traurige Ungluͤk, welches 175 Personen das Leben kostete. Ein amerikanisches Blatt scheint die Ursache desselben in der Eitelkeit des Maschinisten zu suchen, indem es sagt, daß dieser, um auf glaͤnzende Weise abzufahren, den Dampf waͤhrend des Stillstandes des Fahrzeuges absichtlich angehaͤuft habe. Um die Unstatthaftigkeit einer derlei Erklaͤrung jedoch ins Licht zu sezen, genuͤgt die Bemerkung, daß eine durch uͤbermaͤßige Spannung bedingte Explosion doch nicht wohl im Momente der Verminderung dieser Spannung, naͤmlich bei der Abfahrt des Bootes, Statt finden konnte. Diese Erklaͤrung haͤtte nur dann Wahrscheinlichkeit fuͤr sich, wenn die Explosion waͤhrend des Stillstandes erfolgt waͤre; die Erfahrung deutet vielmehr auch hier auf die wahre Ursache, die ganz dieselbe ist, wie bei der oben erzaͤhlten Explosion des Dampfbootes zu Nantes. Zuerst ein Sinken des Wasserstandes, welches durch das Aufhoͤren des Sprudelns des Wassers und durch den zunehmenden Druk noch gesteigert wird; dann eine Ueberhizung der troken gelassenen und dem Feuer ausgesezten Kesselwaͤnde; und endlich eine tumultuarische Erhebung, welche durch die bei der Eroͤffnung eines Ausganges entstehende Depression bedingt ist: diese drei Umstaͤnde allein sind es, in deren Zusammentreffen meiner Meinung nach hier die wahre Ursache der Explosion zu suchen ist. Der Bau der auf den Dampfbooten groͤßten Theils angenommenen Kessel mit niederem Druke, muß die Explosionen, welche aus dem eben angegebenen Grunde erfolgen, noch haͤufiger und leichter machen. Diese, aus großen Kaͤsten mit ebenen Waͤnden bestehenden Verdampfungsapparate enthalten zahlreiche Galerien von der Gestalt laͤnglicher Parallelogramme mit ebenen Waͤnden, deren Rauminhalt bedeutend steigen kann, wenn die Waͤnde in Folge der Zunahme des Drukes ausgebaucht oder convex werden. Wie groß die hiedurch bedingte Zunahme des Rauminhaltes ist, ergibt sich leicht aus dem Calcul; eben so ergibt sich auch, bei welch geringer Steigerung des Drukes schon ein auf dem angegebenen Grunde beruhendes Sinken des Wasserstandes eintreten muß. Ueberdieß tritt dieser Grund nie fuͤr sich allein auf, sondern er ist nothwendig immer waͤhrend der ganzen Dauer der Unterbrechung der Communication zwischen dem Kessel und der Maschine mit einer Abnahme der in der ganzen Masse der Fluͤssigkeit verbreiteten Kuͤgelchen verbunden. Die Volumsvermehrung des Wassers, welche bei der Eroͤffnung eines Ausganges aus der hiedurch bewirkten Depression folgt; die Verminderung des Rauminhaltes, welche daraus erwaͤchst, daß die Kesselwaͤnde mit nachlassendem Druke wieder eben werden; diese beiden Umstaͤnde sind leider immer gleichzeitig vorhanden und wirken gemeinschaftlich zur Vorbereitung der Katastrophe, welche durch die ploͤzliche Erzeugung von Dampf auf den uͤberhizten Kesselwaͤnden vollends zum Ausbruche kommt. Diese, an den vierekigen Kesseln so sehr in die Augen fallende Erklaͤrung findet auch auf die cylindrischen Kessel mit Siederoͤhren ihre Anwendung, obschon hier der Vorgang selbst ein anderer ist. Die Erhoͤhung des Rauminhaltes der umschließenden Huͤllen spielt hier eine unbedeutende Rolle; das ploͤzliche Sinken der Fluͤssigkeit im Momente, wo der Austritt des Dampfes unterbrochen wird, und das Aufwallen derselben im Momente, wo dem Dampfe neuerdings Ausgang gestattet wird, sind die Folgen dessen, was in diesen beiden Faͤllen in der Siederoͤhre vorgeht. Ich will versuchen, dieß anschaulich zu machen. Aus zahlreichen Versuchen ist erwiesen, daß die Siederoͤhre eines Kessels, der eine Maschine mit Dampf versieht, nichts weniger als vollkommen mit Wasser gefuͤllt ist. Die viel zu engen und nicht selten auch schlecht angebrachten Verbindungen zwischen den Siederoͤhren und dem Koͤrper des Kessels, gestatten dem Dampfe nicht, in dem Maaße als er erzeugt wird, auszutreten; und hieraus folgt, daß die Siederoͤhre, welche der auf das Hoͤchste erhizte Theil des Dampfapparates ist, zugleich auch jener ist, wo das Sprudeln am staͤrksten ist: das heiße Wasser hat nicht Zeit auszutreten, um durch kuͤhles ersezt zu werden. Der aus der Verschiedenheit der Temperatur erwachsende Unterschied im specifischen Gewichte reicht nicht hin, um rasch die durch schlecht gewaͤhlte Communicationen bedingten Hindernisse zu uͤberwinden. In Folge seines verlaͤngerten Aufenthaltes in der Siederoͤhre, nimmt das Wasser eine Quantitaͤt Waͤrmestoff auf, die mehr dann hinreicht, um es unter dem allgemeinen, im Kessel Statt findenden Druke in Dampf zu verwandeln. Kurz, die Siederoͤhren koͤnnen meiner Ansicht nach als kleine Kessel betrachtet werden, die unter einem etwas hoͤheren Druke Dampf erzeugen, als der Hauptkoͤrper des Kessels, und die ihren Dampf fortwaͤhrend in lezteren entleeren. Dieser Unterschied im Druke, welcher in der Siederoͤhre und im Hauptkoͤrper des Kessels Statt findet, erhaͤlt sich so lange, als der Dampf an die Maschine abgegeben oder uͤberhaupt nach Außen geleitet wird; das Gleichgewicht stellt sich erst dann her, wenn die Abgabe aufhoͤrt. In ersterem Falle enthaͤlt die Siederoͤhre Wasser und vielen Dampf; sie ist gleichsam mit einer Art Schaum erfuͤllt; in lezterem, wo der Druk gleichfoͤrmig und konstant ist, enthaͤlt sie nur Wasser. Es erhellt also, wie der Wasserstand im Hauptkoͤrper des Kessels um einen großen Theil des Rauminhaltes der Siederoͤhren wechseln kann; und wenn dem so ist, so muß der Wasserstand sinken, wenn das Spiel der Maschine unterbrechen wird, um dafuͤr tumultuarisch emporzusteigen, wenn das Spiel wieder beginnt. Wenn man demnach die Moͤglichkeit der Ueberhizung der Kesselwaͤnde waͤhrend des Sinkens des Wasserstandes zugibt, so ist die Explosion im Momente des Aufsteigens des Wassers, welches bei der Herstellung des Spieles der Maschine stets eintritt, erklaͤrt. Was folgt nun aber aus dieser Discussion? Nur mit Scheue erlaube ich mir in dieser Hinsicht meine Ansicht auszusprechen, indem sie mit einigen bisher allgemein guͤltigen Ideen im Widerspruche steht. Meine innige Ueberzeugung und die vielen Erfahrungen und Versuche, denen ich mich seit Jahren hingab, machen mir es jedoch zur Pflicht, damit hervorzutreten. Da die Statistik der Explosionen, zu der wir leider auf Kosten so vieler Menschenleben gelangten, mit der Ansicht, die ich mir uͤber diese schwierige Frage bildete, uͤbereinstimmt, so stehe ich um so weniger an, zu erklaͤren, daß ich die Kessel mit niederem Druke fuͤr die gefaͤhrlichsten halte. Nach meiner Meinung ist jeder etwas rasche Austritt, der dem Dampfe gestattet wird, und der eine merkliche Depression im Kessel zu erzeugen im Stande ist, eine der gewoͤhnlichsten Ursachen der Explosionen. Ich halte ferner das Sinken des Wasserstandes, der in den meisten Apparaten nur auf eine hoͤchst unsichere Weise auf gleicher Hoͤhe erhalten wird, fuͤr die beinahe einzige Ursache der Explosionen. Die Einrichtung der Ventile ist von der Art, daß von einer progressiven Zunahme des Drukes, welche nur durch ihre absichtliche Ueberladung und nicht durch Unsicherheit ihrer Verrichtungen hervorgebracht werden kann, nichts zu besorgen ist. Die Ansicht, die ich mir uͤber die Explosionen gebildet habe, und welche ich hier vorlegte, stimmt mich natuͤrlich wenig fuͤr die schmelzbaren Scheiben. Auf welchen Widerstand uͤbrigens meine Meinung stoßen mag, so sey es mir wenigstens erlaubt, die Aufmerksamkeit neuerdings auf ein Schuzmittel zu lenken, in welchem man, wie mir scheint, ein falsche Sicherheit gesucht hat. Wer wagt es zu bestreiten, daß die schmelzbaren Scheiben ein vortreffliches Mittel zur Beschraͤnkung des Drukes abgeben? Allein beduͤrfen die verordnungsmaͤßig belasteten Sicherheitsventile dieser Beihuͤlfe, um diesen wichtigen Dienst zu leisten? Man wird hierauf sagen, eine doppelte Vorsicht ist besser als eine einfache; das Schmelzen der Scheiben laͤßt sich nicht willkuͤrlich verhuͤten, und es wird daher den unkluger Weise uͤberlasteten Ventilen zu Huͤlfe kommen. Dagegen sage ich aber, daß derjenige, der die Ventile uͤberlasten will, auch sehr leicht das Schmelzen der Scheiben zu verhuͤten weiß; einige Tropfen Wasser, welche man auf die schmelzbare Scheibe traͤufelt, sind gleichsam das Corollarium der erhoͤhten Belastung der Ventilhebel. Nicht willkuͤrliche Annahmen von meiner Seite sind es, die ich hier geltend mache, sondern Thatsachen, von denen ich mich leider mehr dann ein Mal mit eigenen Augen uͤberzeugt habe; Erfahrungen, welche von den tuͤchtigsten Praktikern gemacht und mir mitgetheilt wurden. Man wird ferner einwenden, daß die schmelzbaren Scheiben nicht nur den angegebenen Dienst leisten, sondern daß sie durch ihr Schmelzen, welches ohne Druk in Folge der einfachen Temperaturerhoͤhung des ungesaͤttigten Dampfes eintreten kann, auch das Sinken des Wasserstandes und die Ueberhizung der Kesselwaͤnde andeuten. Dagegen wird man aber nicht verlaͤugnen, daß wir es nur der Unterstuͤzung der erweichten Scheiben durch enge Gitter, und dem unbedeutenden Austritte, den sie dem Dampfe gestatten, zu verdanken haben, wenn der unseligen Andeutung, die sie uns ziemlich spaͤt erst geben, nicht sogleich auch die Explosion selbst folgt. Die Erlaͤuterungen, in welche ich hier eingegangen bin, werden, wie ich hoffe, die Gefahr gezeigt haben, welche aus einem tumultuarischen Aufsieden, das auf die Depression, welche durch reichlichen Dampfaustritt erzeugt wird, folgt, erwachsen muß, wenn die Kesselwaͤnde nach vorausgegangenem Sinken des Wasserstandes uͤberhizt worden. Wenn wir aber die Anwendung der schmelzbaren Scheiben zu tadeln wagen, wissen wir ein unfehlbares Mittel anzugeben, welches dieselben ersezen soll? Es ist mir nicht gestattet in einer Note, die mir ganz persoͤnlich eigen ist, das Resultat der gewissenhaften Pruͤfung anzudeuten, der diese große Frage in gegenwaͤrtigem Augenblike von Seite einer von der Akademie gewaͤhlten Commission unterliegt. Ich bemerke nur, daß das wirksamste Mittel zur Bekaͤmpfung der Explosionen, nachdem man zu deren Verhuͤtung oder Verspaͤtung Alles gethan, darin zu suchen ist, daß man sie nichtig macht. Beseitigung der großen Gefahren der Explosionen, Trennung derselben von den fuͤrchterlichen Ungluͤksfaͤllen, die sie gewoͤhnlich begleiten: dahin sind seit langer Zeit meine Forschungen und Anstrengungen gerichtet. Die zahlreichen, im Wege stehenden Schwierigkeiten ließen nur ein langsames Fortschreiten auf dieser Bahn zu; mit Ausdauer darf ich aber das ersehnte Ziel zu erreichen hoffen.