Titel: Einiges über die für Landstraßen bestimmten Dampfwagen des Hrn. Walter Hancock.
Fundstelle: Band 70, Jahrgang 1838, Nr. XCI., S. 409
Download: XML
XCI. Einiges uͤber die fuͤr Landstraßen bestimmten Dampfwagen des Hrn. Walter Hancock. Aus dem Mechanics' Magazine, No. 787. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Einiges uͤber Hancock's Dampfwagen. Die Dampfwagenfahrt auf den Landstraßen gehoͤrt zu jenen Projecten, durch welche das Publicum am haͤufigsten zu großen Erwartungen angereizt und beinahe eben so oft in diesen getaͤuscht wurde. Vor 9 bis 10 Jahren z.B. waren alle Tagblaͤtter mit hochtrabenden Artikeln hieruͤber angefuͤllt, und man sprach von hohen Wetten, die dahin abgeschlossen worden seyn sollten, daß in 12 Monaten in England die Dampfwagen alle uͤbrigen Fuhrwerke verdraͤngt haben duͤrften. Dessen ungeachtet ist es gewiß, daß so vielversprechend allerdings manche der angestellten Versuche in ihren Resultaten ausfielen, man es doch nie uͤber diese Versuche hinaus brachte. Auch scheint es, daß die ersten Dampfwagen beinahe eben so viel leisteten, wie ihre zahlreichen Nachfolger. Hienach drangen sich von selbst die Fragen auf: Welche Hindernisse stellten sich der Benuzung dieses Lieblingsgegenstandes zu einem praktischen Zweke im Großen entgegen? Wie kam es, daß in den lezten 14 Jahren ein Dampfwagen-Elfinder nach dem andern auf der Buͤhne erschien, um, nachdem er den Beifall der Zuschauer geerntet, von der Scene zu verschwinden, und sich entweder nie mehr oder nur um seinen Schwanengesang vernehmen zu lassen, bliken zu lassen? Die Antwort auf diese Fragen, die in Kuͤrze die Geschichte aller dieser Erfinder, mit Ausnahme eines einzigen, repraͤsentiren, findet man in den Verhandlungen der Parlaments-Commission, welche seiner Zeit uͤber die Anspruͤche Gurney's auf eine Nationalbelohnung zu berichten hatte. Zur Ergaͤnzung hievon dient jedoch eine Schrift, welche unter dem unten bezeichneten TitelNarrative of twelve years Experiments – 1824–36 – demonstrative of the practicability and advantage of emploiyng Steam carriages on Common roads; with engravings and descriptions of the different Steamcarriages constructed by the Author, his Patent-Boiler, Wedge-wheels and other Inventions. By WalterHancock, Engineer. 8. London 1838 by Weale, Holborn and Mann, Cornhill. von jenem rastlosen Manne herausgegeben wurde, der unter den ersten auf der Bahn erschien, und der dermalen der einzige ist, welcher sich noch auf ihr behauptet. Wir meinen hierunter Hrn. Walter Hancock, von dem wir bereits vielfach zu berichten Gelegenheit hatten, und dessen Verwandte Thomas, William und Charles Hancock durch ihre mannigfachen, auf die Anwendung des Kautschuk bezuͤglichen Erfindungen gleichfalls ruͤhmlich bekannt sind. Einiges aus diesem Werke der Beurtheilung unserer Leser zu unterstellen ist der Zwek gegenwaͤrtigen Aufsazes. Eine Drukschrift uͤber den Dampfwagen, den die HHrn. Bramah fuͤr Hrn. Griffiths gebaut hatten, brachte Hrn. Hancock darauf, sich mit den fuͤr Landstraßen bestimmten Dampfwagen zu beschaͤftigen. Er hatte im Jahre 1824 ein Patent auf eine neue Art von Dampfmaschine genommen, zu deren Bau er den Kautschuk verwendet wissen wollte, und die man daher fuͤglich auch eine Kautschuk-Dampfmaschine nennen koͤnnte. Diese Maschine bestand aus zwei elastischen kugelfoͤrmigen Dampfrecipienten, welche aus Canevaßschichten, die mit Kautschukaufloͤsung verbunden und mit Kautschuk uͤberzogen waren, verfertigt worden. Durch die abwechselnde, durch Einlassen und Austreiben von Dampf bewirkte Ausdehnung und Zusammenziehung dieser Kautschukballons, welche einen Druk von 60 Pfd. auf den Quadratzoll auszuhallen vermochten, sollte eine Wechselbewegung erzielt werden, die dann auf gewoͤhnliche Weise in eine rotirende umgewandelt wurde. Wegen der wenigen metallenen Theile, die zu dieser Maschine verwendet wurden, wegen ihrer großen Leichtigkeit, wegen ihrer geringen Abnuͤzung und ihrer Gefahrlosigkeit schien dem Erfinder diese Maschine ganz besonders geeignet fuͤr Dampfwagen, welche auf den Landstraßen so vielen und heftigen Erschuͤtterungen ausgesezt sind. Ein Dampfwagenmodell, welches nach diesem Plane gebaut wurde, uͤbertraf so sehr die gehegten Erwartungen, daß Hr. Hancock sogleich ein zweites in groͤßerem Maaßstabe bauen ließ. Hier ergab sich aber nach mehrfachen Versuchen, daß mittelst der neuen Maschine die fuͤr Dampfwagen noͤthige Kraft nicht zu erzielen ist. Weit entfernt, sich hiedurch abschreken zu lassen, gewann Hancock vielmehr gerade durch das erste Mißlingen seiner Versuche die volle Ueberzeugung von der Thunlichkeit des Dampfwagenbetriebes auf den Landstraßen. Als das große und wesentlichste Desideratum erschien ihm ein Kessel, der rasch und und ununterbrochen eine hinreichende Menge Dampf erzeugt, dabei wenig Raum einnimmt, von geringer Schwere ist, einen einfachen Bau hat, wenig kostet, und selbst wenn er bersten sollte, keinen großen Schaden anrichtet. Einen solchen Kessel ausfindig zu machen war von nun an sein Hauptstreben. Die unguͤnstigen Resultate, zu denen er bei der Anwendung mannigfach modificirter Roͤhrenkessel gelangte, uͤberzeugten ihn von der Unmoͤglichkeit, nach diesem Principe einen sicheren und dabei hinreichend wirksamen Kessel zu erzielen; und zwangen ihn auf eine Anordnung zu sinnen, bei der das der Einwirkung des Feuers ausgesezte Wasser minder vertheilt und dennoch uͤber eine große Oberflaͤche verbreitet waͤre. Er kam hiedurch auf den sogenannten Kammernkessel, auf den er im Jahre 1827 ein Patent nahm, dessen er sich an den spaͤter von ihm gebauten Dampfwagen bediente und der sich auch zu verschiedenen anderen Zweken benuzen laͤßt. Die Originalitaͤt dieser Art von Kessel, so wie auch die Frage: ob sich die Patentanspruͤche Hancock's auf alle Arten flacher Kammern, in denen Feuer oder vielmehr heiße Luft, Flammen und Wasser abwechselnd enthalten sind, erstreken, ist in neuester Zeit eine Streitsache geworden. Uns scheint es, daß Hancock der urspruͤngliche Erfinder der flachkammerigen Kessel ist, und daß, wenn derselbe auch beispielsweise nur eine einzige Art solcher Kessel beschrieben hat, das Gesez ihn doch gegen alle die Modifikationen schuͤzt, die man an feinem Systeme machen kann, und die, wie gut sie auch seyn moͤgen, doch immer nur mit seiner Zustimmung angewendet werden duͤrfen, bis das Patent einmal verfallen seyn wird. Schon oft verdankten wir Erfindungen in der Mechanik und die Entdekung gewisser, besonders zwekdienlicher Formen dem reinen Zufalle. Ein neues Beispiel liegt in Folgendem. Hancock versuchte verschiedene Formen, die er den Seitenwaͤnden der Kammern seiner Kessel gab. Einige waren der ganzen Laͤnge nach gerieft oder gerippt, so daß sie geradelaufende Feuerzuͤge bildeten; andere dagegen hatten unregelmaͤßige Formen, wodurch die erhizte Luft bei ihrem Emporsteigen auf verschiedene Weise an deren untere Oberflaͤchen angetrieben werden sollte. Nach Pruͤfung saͤmmtlicher Formen schien es ihm am Geeignetsten, bei der halbkugeligen Ausbauchung stehen zu bleiben, da ihm diese die groͤßten Vortheile zu bieten schien. Dessen ungeachtet glaubt er, daß man in gewissen Fallen mit Vortheil zur Anwendung senkrechter Stangen schreiten koͤnne, um theils die Ausdehnung der Kammern zu verhuͤten, theils zur Bildung der Feuerzuͤge zu dienen. Der halbkugelfoͤrmigen Ausbauchungen an den Seitenwaͤnden der Kammern bediente sich Hancock zufaͤllig gleich vom Anfange an. Die geriefte oder gerippte Form ergab sich ihm zufaͤllig bei der Anwendung eines Kessels mit flachwandigen Kammern, zu deren Verstaͤrkung Eisenstabe angebracht worden sind. Als naͤmlich dieser Kassel einmal durch vernachlaͤssigte Speisung mit Wasser zum Rothgluͤhen gekommen, hatten die Waͤnde der Kammern nicht mehr ihre fruͤhere, aus Fig. 26 zu ersehende Flaͤche Gestalt beibehalten, sondern das Metall war durch die Hize so nachgiebig geworden, daß die Waͤnde in Folge des in den Kammern Statt findenden Drukes die n Fig. 27 ersichtliche Gestalt bekamen. Durch einfaches Ausnehmen der Staͤbe und dadurch, daß man die zwischen denselben vorgedraͤngten Theile mit einander in Beruͤhrung brachte, blieb immer noch Raum genug fuͤr das Emporsteigen des Feuers, ohne daß deßhalb die Stangen g, g dazu nothwendig gewesen waͤren. Zwei Kammern dieser Art sieht man in Fig. 28 abgebildet. Die vollkommene Sicherheit seines Kessels erwaͤchst, wie Hr. Hancock sagt, aus der großen Vertheilung seiner Theile und seiner Kraft, sowie aus der Schwaͤche der Kammern im Vergleiche mit den Bolzen und Klammern, die das Ganze zusammenhalten. Das Aeußerste, was geschehen kann, ist, daß eine der Kammern berstet, und zwar mit einer Gewalt, die nur dem loͤten oder 20sten Theile der ganzen Gewalt gleichkommt. Ein solches Bersten erleichtere den Druk im Ganzen und eine Explosion des Ganzen ist unmoͤglich, weil die Bolzen und Klammern, wodurch saͤmmtliche Kammern zusammengehalten werden, von solcher Groͤße und Staͤrke sind, daß sie einen zwanzigmal groͤßeren Druk auszuhalten vermoͤgen, als jener ist, den die Kammern auszuhallen haben. An den Roͤhrenkesseln findet eine Drosselung der Roͤhren Statt, in Folge deren der Dampf nicht frei, sondern stoßweise entweicht, dadurch das Wasser aufruͤhrt und mithin bewirkt, daß der Dampf Theilchen dieses lezteren mit sich fortreißt. An dem Kammernkessel dagegen wird der Dampf mehr gleichmaͤßig erzeugt und geschieden, und die ganze Oberflaͤche des Wassers gibt den aus diesem erzeugten Dampf ungehindert ab, waͤhrend das Wasser selbst verhaͤltnißmaͤßig ruhig verbleibt. Auch Farey aͤußerte sich vor der angefuͤhrten Parlaments-Commission dahin, daß Hancock's Kessel Allem entspreche, was man in Hinsicht auf Sicherheit verlangen koͤnne, und daß ihm in Hinsicht auf die Schwere gleichfalls vor jedem anderen Kessel von gleicher Kraft der Vorzug gebuͤhre. Bei der Freiheit, womit sich der Dampf in Blasen, und ohne das Wasser mit sich fortzureißen, aus dem Wasser entwikeln kann, bleibt die Metalloberflaͤche stets mit Wasser bedekt; und deßhalb wird mit einer bestimmten Metalloberflaͤche und einer im ihr enthaltenen Wassermenge eine kraͤftigere Dampferzeugung und eine laͤngere Dauer der Metallplatten erzielt, als man mit kleinen Roͤhren je zu erreichen im Stande ist. Hr. Hancock selbst haͤlt feinen Kessel unter allen bisher bekannten fuͤr den fuͤr Dampfwagen, Locomotiven fuͤr Eisenbahnen, Dampfboote und in vielen Fallen selbst fuͤr fixe Dampfmaschinen geeignetsten; denn er ist leichter, minder voluminoͤs, weniger kostspielig in Hinsicht auf den Aufwand an Brennmaterial, kraͤftig, sicher, wohlfeil und leichter auszubessern. Er kann ferner leicht zerlegt und verpakt werden, so daß man ihn selbst auf Pferden weiterschaffen kann: ein Umstand, der besonders in fremden Landen fuͤr den Bergwerksbetrieb von hoher Wichtigkeit ist. Eine schadhaft gewordene Kammer endlich kann leicht und selbst von ungeuͤbten Arbeitern durch eine neue ersezt werde. Auf Dampfbooten kann man, leicht in einen kleinen Raum verpakt, mehrere Ersazkammern unterbringen, deren man sich im Nothfalle auf offener See bedienen kann. Ohne auf eine Beschreibung der von Hrn. Hancock bisher gebauten Dampfwagen, von denen der erste nur drei Raͤder hatte, da das Eingreifen eines einzigen Rades in die Straße sich als zum Treiben des Wagens genuͤgend bewies, einzugehen, wollen wir nur ein Verzeichniß derselben vorlegen. Experimentirwagen fuͤr   4 Außenpassagiere. Der Infant (mit Zapfenmaschinen) 10            – Derselbe, (vergroͤßen u. mit fixirten Maschinen) 14            – Die Era (nach Greenwich bestimmt) 16 In.- u. 2 Außenp. Die Enterprise 14 Innenpassagiere. Die Antopsy   9 In.- u. 5 Außenp. Der Erin   8 In.- u. 6 Außenp. Der deutsche Zugkarren (german drag)   6 Außenp. und mehrere angeh. Wagen. Der Automaton 22 Innenpassagiere. Diese Liste vermehrte sich in neuester Zeit noch durch die bereits mehrmals besprochene Dampfgig, womit Hr. Hancock in den lezten 6 Monaten in den bevoͤlkertsten Theilen Londons fuhr. Einen Aufriß dieses lezteren Fuhrwerkes siehe man in Fig. 29, und einen Laͤngendurchschnitt in Fig. 30. a ist der Kessel; b der Ofen; c das Aschenloch; d einer der Cylinder; e die Kette, welche die Bewegung von der an der Kurbelwelle befindlichen Trommel an die an der Achse des Treibrades aufgezogene Trommel fortpflanzt; f ist die zur Steuerung des Wagens dienende Vorrichtung; g ein Hebel, womit der Dampfzufluß regulirt wird; h ein Hebel, der, wenn der Steuermann mit dem Fuß darauf tritt, den Hemmapparat in Thaͤtigkeit sezt; i der Plaz fuͤr den Maschinisten; k der zur Speisung des Ofens dienende Trichter; l der Windfang. Die Wasserbehaͤlter sind unter den beiden Sizen angebracht. Was den Kostenpunkt und die Abnuͤzung betrifft, so hat Hr. Hancock hieruͤber nach dem Ergebnisse der Miethfahrten, welche er mit seinen Wagen, und namentlich mir dem Automaton unternahm, folgende Rechnung abgelegt. Berechnung fuͤr eine Tagarbeit von 100 engl. Meilen. Ausgaben. Pfd. Schil. Den. Fuͤr Kohks zu 1 Schilling per engl. Meile   5   –  – Fuͤr Reparaturen und Abnuͤzung   4   –  – Fuͤr Oehl, Hanf etc.   –  10  – Fuͤr zwei Maschinisten, zwei Steuermaͤnner, zwei    Schuͤrer, einen Waͤchter   2   –  – Fuͤr Miethe der Stationen; Salaire der Bediensteten   3   –  – Fuͤr Zoͤlle   1  10  – Fuͤr den Fond zur Erneuerung der Wagen, auf    jeden 2 Pfd.   4   –  – Fuͤr zufaͤllige Ausgaben   2   –  – ––––––––––– Taͤglicher Gewinn 10    9  4 ––––––––––– 32    9  4 Einnahmen. Pfd. Schil. Den. Ertrag von 50 Passagieren zu 1 1/2 Den. per Meile 31    5  – Ertrag von 1 Tonne Ladung zu 1 D. der Cntr. p. Meile   9    6  8 40  11  8 ––––––––––– Hievon ab 20 Proc. fuͤr leichte Ladungen   8    2  4 ––––––––––– 32  9  4 Berechnung fuͤr eine Tagarbeit von 1000 engl. Meilen. Ausgaben.     Pfd. Schil. Den. Fuͤr 80 Dampfwagen zu 1500 Pfd. 120,000   –  – Fuͤr 50 gewoͤhnliche Wagen zu 120 Pfd.      6000   –  – Fuͤr Stationen etc.   14,000   –  – ––––––––––––––– Pfd. St. 140,000   –  – Einnahmen.       Pfd.   Schil.   Den. Ertrag von 313 Arbeitstagen, zu 10 Pfd.    9 S. 4 D. auf 100 engl. Meilen gibt    fuͤr 1000 engl. Meilen   32,760     –    – Der Gewinn am Capitale wuͤrde demnach dieser Berechnung gemaͤß fuͤr ein Unternehmen von der angedeuteten Groͤße gegen 25 Proc. betragen! Das Publicum wird diesen Daten jedoch nach so vielen unbewaͤhrt gebliebenen Voraussagungen erst dann Glauben schenken, wenn sie durch wenigstens ein halbes Jahr lang fortgesezte ununterbrochene Fahrten erwiesen sind. Leider hat Hr. Hancock bei seinen Bemuͤhungen nicht mehr die Neuheit fuͤr sich; sondern er hat vielmehr, abgesehen von allen sonstigen Schwierigkeiten, die Gleichguͤltigkeit eines oft getaͤuschten Publicums zu uͤberwinden.

Tafeln

Tafel Tab.
                                    VI
Tab. VI