Titel: Ueber die Möglichkeit die Vortheile der atmosphärischen Eisenbahnen großentheils auf den gewöhnlichen Eisenbahnen zu erzielen; von Hrn. Seguier.
Fundstelle: Band 91, Jahrgang 1844, Nr. XXVI., S. 108
Download: XML
XXVI. Ueber die Moͤglichkeit die Vortheile der atmosphaͤrischen Eisenbahnen großentheils auf den gewoͤhnlichen Eisenbahnen zu erzielen; von Hrn. Seguier. Aus den Comptes rendus, 1843, 2tes Semester No. 25. Seguier, üb. d. Möglichkeit der Vortheile d. atmosphär. Eisenbahnen. Das durch die Eröffnung der ersten Section der atmosphärischen Bahnen in England erregte Aufsehen hat offenbar seinen Grund darin, daß das Problem einer sehr schnellen Locomotion mit größeren Garantien der Sicherheit dadurch als ausführbar erwiesen wurde. Schneller und zugleich sicherer am Ziel der Reise anzukommen, schienen zwei unvereinbare Bedingungen zu seyn; was hier dargethan werden soll ist, daß man bei den gegenwärtigen Bahnen und der Art ihrer Benüzung mit weit weniger Schwierigkeit, als man glauben möchte, schnell und sicher fahren, Steigungen hinanfahren und die Centrifugalkraft in Krümmungen mit kurzem Halbmesser bekämpfen kann. Nach unserer Ansicht brauchte zu diesem Behufe ihrem Material nur eine sehr kleine Umbildung gegeben zu werden. Wir wollen unsere Ansichten hierüber so bündig und klar auszudrüken suchen, als es ohne Zeichnung und Modell möglich ist. Die Vorzüge, welche man an den atmosphärischen Bahnen zu bemerken glaubt, liegen vorzüglich in der Verschiedenheit der Ursache des Zugs; wir reden hier nicht von der verschiedenen Natur der Triebkräfte, sondern lediglich von der Art der Anwendung irgend einer Zugkraft. Unseres Bedünkens steht unser gegenwärtiges Verfahren vorzüglich aus dem Grunde dem neuen nach, daß auf den gewöhnlichen Eisenbahnen die Kraft der Locomotive den Waggons lediglich vermittelst der Adhäsion der Treibräder an den Schienen mitgetheilt wird, während bei dem sogenannten atmosphärischen System die Kraft auf den Widerstand durch die kräftige und sichere Vermittelung fester Körper übertragen wird. Das Princip, durch das Gewicht der Locomotiven ihre Adhäsion an den Schienen zu begründen und darin die Ursache des Zugs eines ganzen Trains zu finden, scheint uns schon für sich allein und nothwendig alle vorhandenen Unmöglichkeiten mitzubringen, als da sind: die Unmöglichkeit leichte Locomotiven zu verfertigen, weil die Realisirung ihrer Kraft in ihrem Gewichte liegt; die Unmöglichkeit steile Steigungen zu befahren, indem die Gränze der Steigungen unabänderlich in dem Gewichte der Locomotive liegt, zu welchem ihre Kraft in Verhältniß steht; die Unmöglichkeit kleine Krümmungen zu befahren, weil die Centrifugalkraft von den in Bewegung befindlichen Massen abhängt; die Unmöglichkeit einer vollkommenen Sicherheit gegen das Austreten aus den Schienen, weil das Gewicht der Locomotive allein die Ursache des Bleibens zwischen den Schienen ist; die Unmöglichkeit die Stärke der Schienen bloß im Verhältniß zu den Waggons, welche in der Regel 4 Tonnen wiegen, zu wählen, indem die Locomotiven 12–18 Tonnen wiegen; die Unmöglichkeit die Züge mit großen Geschwindigkeiten fahren zu lassen, wegen der Nothwendigkeit, beständig eine zu deren Mäßigung hinreichende Kraft zur Disposition zu haben. Die atmosphärische Eisenbahn, glüklicher schon wegen ihres Princips, machte sich mit einemmale von allen diesen Uebelständen frei. Wir beschränken uns hier darauf, unsere Lösung dieses Gegenstandes bloß mit Worten zu erklären, beabsichtigen es aber nächstens am Modell zu thun. Ein Gleichniß wird die Auseinandersezung unserer Gedanken klarer und kürzer machen. Wenn ein Schiff an den Strand geworfen wird und scheitert, so bringt man, um Menschen und Waaren zu retten, ein Tau und einen Anker an das Land; man befestigt das Tau mittelst des Ankers im Boden, während das andere Ende desselben fest an das Schiff gebunden bleibt. So wird eine Verbindung zwischen dem Schiff und dem Lande hergestellt; hierauf ziehen Menschen auf einem Kahn oder Floß, indem sie mit ihren Händen dieses Tau ergreifen, sich auf dasselbe heran; die Communication ist dadurch hergestellt und das Retten beginnt; die Muskelkraft der Menschen wird in Thätigkeit gesezt, sie fahren her und hin ohne befürchten zu müssen die Richtung zu verlieren; sollte es nun so schwer seyn, dieses Verfahren, die Streke zwischen zwei Punkten zurükzulegen, zu Lande nachzuahmen? Vielleicht befindet sich der Leser schon im Geiste bei jenen endlosen Seilen, deren man sich an steilen Rampen der Eisenbahnen bedient, und welche zum Durchlaufen der ganzen Bahn von Blackwall benuzt werden; mittelst fixer Dampfmaschinen, welche ihnen eine schnelle Bewegung mittheilen, ziehen diese Seile alle mit ihnen verbundenen Waggons mit sich fort. Aber nein, die von uns vorgeschlagene Lösung hat gar keine Aehnlichkeit mit dieser Vorrichtung; sie erheischt kein Seil, weder ein hänfenes, noch ein metallenes. Die Eisenbahn, wie sie jezt ist, nur mit einer dritten, eisernen oder auch hölzernen Schiene in der Mitte der Bahn, die Locomotiven beinahe wie sie jezt sind, ihre großen Räder bloß in ihrer Richtung verändert — und somit ist unser Problem gelöst. Erklären wir uns deutlicher: wir wünschten, daß die beiden Treibräder der Locomotiven, horizontal angebracht, eines gegen das andere, unter dem Druke kräftiger Federn wirken, ähnlich wie die Walzen eines Walzwerks, die an den Boden wohl befestigte mittlere Schiene zwischen sich nehmend; von zwei Fällen muß dann einer eintreten: entweder die Schiene reißt sich los, um sich zwischen den Rädern der Locomotive zu walzen, leztere tritt in diesem Falle nicht aus der Bahn; oder die Schiene widersteht und die Adhäsion der von den Federn gegen die Schiene gedrükten Räder bewirkt sodann die Fortbewegung der Locomotive und des ganzen ihr angehängten Zuges. Der Druk der Federn, welche eben dazu dienen, die horizontalen Räder an die Schiene anzudrüken, würde auf diese Weise das Mittel der Fortpflanzung der Kraft auf den Widerstand, und die Masse der Locomotive hätte bei einer solchen Einrichtung keine Rolle mehr zu spielen; alles Streben müßte von nun an dahin gehen, die Locomotive leicht zu machen, damit ihr Gewicht, von dem der andern Waggons weniger verschieden, uns überhebt die Schienen übermäßig stark zu wählen; um die Kraft der Locomotiven bei Steigungen zu verstärken, brauchte man daselbst nur die mittlere Schiene so zu construiren, daß man weitere zwei Räder von kleinerm Halbmesser als die Treibräder, welche aber auf derselben Achse angebracht sind, darauf wirken lassen kann; auf diese Weise würde mit einemmal Geschwindigkeit in Kraft umgewandelt werden; doch dieß gehört zur nähern Einrichtung; hier soll nur der Grundsaz ausgesprochen werden: daß man die Ursache der Bewegung der Locomotiven im Andrüken der Räder an die Schienen mittelst Federn, und nicht mehr bloß in der Adhäsion der Räder an den Schienen durch das bloße Gewicht der Maschinen suchen muß.