Titel: Ueber das Kalken des Getreides mit Arsenik und die möglichen Gefahren desselben; von Legrip.
Fundstelle: Band 97, Jahrgang 1845, Nr. XCIX., S. 390
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XCIX. Ueber das Kalken des Getreides mit Arsenik und die moͤglichen Gefahren desselben; von Legrip. Im Auszug aus dem Journal de Chimie médicale, Jul 1845, S. 370. Legrip, über das Kalken des Getreides mit Arsenik. Einem schon früher gefaßten Vorsaz entsprechend habe ich eine Untersuchung über die Gefahren angestellt, welche das länger fortgesezte sogenannte Kalken des Getreides mit Arsenik für den Boden und die darin angebauten Gewächse haben kann. Um den von mehreren Seiten geäußerten Zweifeln hinsichtlich der Richtigkeit meiner im Jahr 1844 schon hierüber angestellten Versuche zu begegnen, woraus hervorging daß die Metallsalze von den aufsaugenden Gefäßen der Pflanzen nicht absorbirt und in sie eingeführt werden, mußte ich vor allem meine Versuche, namentlich hinsichtlich des Getreides, wiederholen und ausdehnen. Ich kalkte zu diesem Behuf Getreide auf mehrerlei Weise 1) mit Kalk und arseniger Säure; 2) mit Alaun und arseniger Säure; 3) mit arseniger Säure allein; ferner vermengte ich ein Erdreich, in welches nachher Getreide gesäet wurde, stark mit Arsenik; endlich begoß ich kräftige Getreidepflanzen, welche im Februar 1824 in Kästen umgesezt wurden, die ganze Jahreszeit hindurch mit Wasser, welches 1/250 weißen Arsenik enthielt. Ich erhielt folgende Resultate: Das auf eine oder die andere Weise gekalkte Getreide enthielt gar keinen Arsenik, weder in den Körnern, noch in Yen von den Körnern befreiten Aehren, noch in dem 1–1 1/2 Zoll über dem Boden abgeschnittenen Halm, noch in den Blättern, sowohl vor als nach der vollen Reife. In der Wurzel allein fand ich vor und nach der Reife eine sehr kleine Quantität Arsenik und auch da rührt er vielleicht weniger von der Aufsaugung her, als von dem bißchen Erde, welche der Wurzelstok troz des Auswaschens immer zurükhält und die durch Berührung mit dem gekalkten Saatkorn arsenikhaltig geworden seyn kann. Angenommen aber auch, es werde Arsenik absorbirt, wie viel könnte dieß seyn? Wenn man 50 Gramme Arsenik zum Kalten eines Hektoliters Getreide rechnet, welches etwa 1,400,000 Körner enthält (gewöhnlich aber nimmt man nur 30 Gramme), so haften an einem Samenkorn 0,0006 Gran. Löst sich dieser (im Handel selten rein vorkommende) Arsenik am Fuß der Pflanze nicht vollkommen auf, so wird das von der Wurzel Absorbirte auf 1 oder 2 Hunderttausendstel Gramme reducirt. Könnte aber auch alles Aufgelöste wirklich absorbirt werden? Gewiß nicht, wenn man nicht annehmen wollte, daß bei der Reife der Pflanze ihr Boden bloß eine träge Erde ist. Es wird mithin nicht über 1 Milliontheil eines Gramm Arsenik absorbirt. Ist zu erwarten, daß dieser aufgesaugt und im Wurzelstok, in 4–5 Stengeln, vielen Blättern und einer großen Anzahl von Körnern verbreitet, den Brand im Getreide zu verhüten im Stande sey? Das in dem stark mit Arsenik vermengten Erdreich gebaute Getreide enthielt solchen in dem Wurzelstok, sowohl vor als nach der Ernte; die Wurzelblatter enthielten davon weniger, die Stengelblätter und Halme keinen; in der Aehre und dem Korn war durchaus kein Arsenik zu entdeken. Bei dem Getreide aus dem mit arsenikhaltigem Wasser begossenen Boden enthielten die noch grünen Wurzelstöke etwas weniger Arsenik als im vorhergehenden Versuch; troken enthielten sie mehr (sie wurden bis dahin mehr begossen); die Blätter enthielten etwas mehr als bei dem mit Arsenik vermengten Erdreich (wovon aber ein Theil von den Begießungen herrühren kann). Der entblätterte Wurzelstok und das Korn gaben nicht die geringste Spur Arsenik. Kein Wunder also, daß von höchstens 1 Milliontels Gramm absorbirten Arseniks im Korn auch durch das genaueste analytische Verfahren dieses Gift nicht mehr zu entdeken ist. Nachdem die Unschädlichkeit des Getreides aus mit Arsenik gekalktem Boden nachgewiesen war, wünschte ich mich zu überzeugen, ob ein Boden, in welchem solches gekalktes Getreide gebaut zu werden pflegt, nicht nach einer langen Reihe von Jahren den Wurzeln oder krautartigen Pflanzen schädliche Eigenschaften mittheilen könnte, welche sie zur Nahrung für Menschen und Thiere untauglich machen. Ich stellte deßhalb folgende Versuche an. Es wurde, wie oben, Erdreich mit viel Arsenik vermengt; auf Flächen von einem Quadratmeter hob man nämlich eine 15 Centimeter dike Schicht Erde aus, vermengte mit derselben jedesmal 200 Gramme gepulverter arseniger Säure genau und brachte dann die Erde wieder auf ihren Plaz. Diese Flächen wurden mit auf ihrer schmalen Seite stehenden Ziegelsteinen eingefaßt und darin die Pflanzen gesäet oder gepflanzt. Gesäet wurden: gelbe Rübe, Runkelrübe, große Stekrübe (Dikrübe), Stekrübe, Klee und Mohn. Gepflanzt oder versezt wurden: Kohl, Lattich, Lauch und Dikrübe. Die gesäeten Körner gingen herrlich auf. Alle jungen Pflanzen wurden sorgfältig gepflegt, es wurde gehörig begossen, gejätet etc. Alle, mit Ausnahme der Dikrübe, die bald abstarb, trieben gut. Die gelben Rüben und Runkelrüben wurden sehr groß; Rüben und Mohn ließen nichts zu wünschen übrig; nur der Klee schien etwas zu leiden. Unter den versezten Pflanzen war keine einzige leidliche Lattichpflanze zu finden; kein Kohl konnte länger als zwei Monate der äzenden Wirkung des Arseniks widerstehen; die Wurzelrinde war zerfressen und das Mark gänzlich verkohlt; der Lauch trieb gut, die Dikrübe erreichte eine beinahe kolossale Entwikelung. Alle Pflanzen, die nicht trieben, wurden ausgezogen, gewaschen, sorgfältig getroknet und getrennt bei Seite gelegt. Zu gehöriger Zeit wurden von allen andern Wanzen Blätter, vom Mohn die reifen Kapseln und die Stengel abgenommen und später von allen diesen Gewächsen die Wurzeln ausgezogen. Alle diese verschiedenen Ernten wurden, nachdem sie gewaschen und wo es nöthig war, geschnitten und zertheilt waren, bei 40° R. getroknet, gestoßen und jede besonders aufgehoben. Die wässerigen Auflösungen der Verkohlungsproducte jeder einzelnen Ernte lieferten bei der Prüfung mit dem Marsh'schen Apparat folgende Resultate: Samen, Kapseln und oberer Theil des Stengels vom Mohn – kein Arsenik; die grünen Wurzelblätter – geringe Spuren; die Wurzeln – merklichere Spuren. Klee: die ersten jungen Blätter – schwache Spuren; ganze Pflanze, mit Ausnahme der Wurzel – noch geringere Spuren. Die jungen Sprossen der Dikrübe, welche nicht wachsen konnten, gaben merkliche Spuren von Arsenik; die Epidermis oder Rinde der Wurzel von solchen, welche versezt worden waren und ungeheuer groß wurden, enthielt ebenfalls Arsenik; der Strunk (collet) davon enthielt geringere Spuren; das Fleisch der Wurzeln und die Blätter gaben nicht die mindeste Spur. Bei der Runkelrübe waren die Resultate beinahe dieselben; sehr merkliche Spuren in der Epidermis, im Strunk beinahe gar keine, endlich gänzliche Abwesenheit desselben im Wurzelfleisch und den Blättern. Bei der gelben Rübe war in der Epidermis, vorzüglich aber im Strunk der Arsenik in größerer Menge vorhanden, als bei den beiden vorhergehenden Pflanzen; die Blätter zeigten sehr merkliche Spuren. In den ganz kleinen jungen Blättern, namentlich in der Mitte des Strunks, konnte jedoch keiner gefunden werden, woraus wohl zu schließen ist, daß die Stengel, besonders aber die Früchte, keinen enthalten. Im Wurzelfleisch, welches zur Nahrung dient, war kein Arsenik zu finden. Die Stekrübe lieferte mit der Dikrübe übereinstimmende Resultate. Der Lauch enthielt, wie ich erwartete, in seinem untern Theil mehr Arsenik, als eine der übrigen Pflanzen; die einige Centimeter über dem Boden abgeschnittenen Blätter verriethen kaum solchen. Aus diesen Versuchen läßt sich leicht erschließen, inwiefern das Kalken mit Arsenik, durch die schlimme Wirkung, welche es mit der Zeit auf den Boden haben kann, anzurathen ist oder nicht. Säet man in einen Boden mit Arsenik gekalktes Getreide, so verbreitet man auf dem Quadratmeter 0,4 Gramme (ungefähr 7 Gran) Arsenik. Nach 100 Jahren hat derselbe 40 Gramme ausgenommen, also 1/5 der von mir auf einmal angewandten Quantität. Von den 0,4 Grammen kann kaum 1/10 absorbirt werden; von den übrigen 9/10 ist ein Theil unauflöslich, der andere wird es in einer gewissen Tiefe, oder er wird vom Regenwasser mit fortgerissen und verbindet sich mit irgend einer Basis zu einem arsenigsauren Salze. Auch wird, wie ich glaube, nach 100 Jahren der Boden, als arsenikhaltig, nicht mehr zu fürchten seyn, als am ersten Tag, wo mit Arsenik gekalkt wurde. Kurz, wenn auch Arsenik offenbar absorbirt wird, scheinen doch unsere, unter dem Einfluß von 500mal so viel arseniger Säure als zum Kalken genommen wird, angebauten Pflanzen ohne einen schatten von Gefahr zur Nahrung verwendet werden zu können; um so sicherer kann man sich jedes Gewächses aus einem durch lange fortgeseztes Kalken arsenikhaltig gewordenen Boden zur Nahrung bedienen.