Titel: Ueber Locomotiven amerikanischer Construction auf den belgischen Eisenbahnen.
Fundstelle: Band 99, Jahrgang 1846, Nr. III., S. 16
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III. Ueber Locomotiven amerikanischer Construction auf den belgischen Eisenbahnen. Aus der Eisenbahnzeitung, 1845 Nr. 44 und 45. Ueber Locomotiven amerikanischer Construction auf belgischen Eisenbahnen. Der folgende ausführliche Bericht über die Leistung einer in der Fabrik von Cockeril in Seraing für Oesterreich gebauten Locomotive nach amerikanischem System ist in mehr als einer Beziehung von vielem Interesse. An Hrn. Masui, Director etc. in Brüssel. Den in Ihren Briefen vom 8. Februar und 20. Mai d. J. enthaltenen Befehlen gemäß wurde die Locomotive Nr. 102 aus der Fabrik zu Seraing vom 5. März d. J. an auf der Bahn des Vesdre-Thales in Dienst gesetzt. Von jenem Tag bis zum 17. Mai functionirte sie fortwährend, mit Ausnahme jener Unterbrechungen, welche ihre Unterhaltung und die Vornahme einiger Veränderungen, von denen weiter die Rede seyn. wird, nothwendig machte. Die Erfordernisse des Dienstes veranlaßten uns, im allgemeinen die Fahrten der Maschine auf die Bahnstrecke zwischen Lüttich und Verviers zu beschränken; die weitere Strecke von Verviers bis Ronheid (am Gipfel der schiefen Ebene bei Aachen) ließen wir die Maschine bloß zweimal durchlaufen, um ihre Leistungen auf den dort vorkommenden starken Steigungen zu erproben. Hauptdimensionen der Maschine. — Bevor wir von unseren Beobachtungen Rechenschaft geben, wollen wir in kurzem die vorzüglichsten Dimensionen dieser Locomotive in Erinnerung bringen und ihre theoretische Kraft mit jener anderer Maschinen im Dienst der Administration vergleichen. Gesammtgewicht der Maschine ohne Wasser 18 Tonnen. Cylinder-Durchmesser 0,406 Meter (= 16 engl. Zoll.) Kolbenhub 0,56 Meter (= 22 engl. Zoll.) Kessel LängeDurchmesserBlechdicke 3,321,050,01 MeterMeterMeter Messingene Heizröhren Anzahlinnerer DurchmesserStärke 132.0,04750,0025 Meter.Meter. Heizfläche directein den Röhren 4,8366,97 Qdrtmet.Qdrtmet. Rostfläche 1,03 Qdrtmet. Blaserohr größter Durchmesserkleinster Durchmesser 0,1180,062 Meter.Meter. Durchmesser der Triebräder 1,27 Meter. Durchmesser der Untergestellräder 0,80 Meter. Entfernung der Triebachsen 1,42 Meter. Dampfdruck 4,568 Kilogr. per Quadrat-Centimeter oder 65 Pfd. per Quadratzoll. Comparative Schätzung der Kraft verschiedener Locomotiven. — Die Fläche beider Kolben beträgt 2589,24 Centimeter und der auf dieselben ausgeübte Druck 11827,648 Kilogr., auf die Geschwindigkeit der Maschine reducirt entspricht dieß 3320 Kilogrammen. Diese Ziffer stellt die gesammte Kraft dar, welche die Maschine bei einer Geschwindigkeit ausübt, bei welcher der Dampf in hinlänglicher Quantität vom Kessel erzeugt und in die Cylinder zugelassen wird, um auf die Kolben während des ganzen Hubs mit vollem Druck wirken zu können. Berechnet man die Kraft auf dieselbe Weise von einer Maschine von 14 Zoll Cylinder und 18 Zoll Hub mit 4 gekuppelten Rädern von 5 Fuß Durchmesser und bei demselben Dampfdruck von 65 Pfd., so findet man dieselbe = 1733 Kilogr. Für die Versuche, die uns beschäftigen, eignet sich zur Vergleichung am besten die Locomotive „Oliver Evans“ (Nr. 146) aus der Fabrik von W. Norris in Philadelphia, weil diese Maschine nicht nur nach demselben System gebaut ist, sondern auch in ihrer Kraft und in ihren Dimensionen am meisten mit der Maschine von Cockerill übereinstimmt. Die Norris'sche Locomotive arbeitet mit einem Druck von 75 Pfd. auf den Quadratzoll auf Kolben von 15 Zoll Durchmesser bei einem Hub von 20 Zoll. Die Triebräder haben 1,09 Met. Durchmesser. Die diesen Dimensionen entsprechende Kraftäußerung wird durch 3559 Kil. repräsentirt. Setzt man die Kraft einer Maschine von 14 Zoll Cylinder, wie sie oben berechnet wurde, = 1, so ist die proportionelle Kraft der Maschine von Seraing und jener von Norris beziehungsweise 1,915 und 2,054. Nach diesen Angaben wollen wir zur Untersuchung der erlangten praktischen Resultate übergehen. Geschichtliches der Versuche. — Sie finden nachstehend eine Tabelle, detaillirte Angaben enthaltend über den Gang der Maschine, die gezogenen Lasten, den Verbrauch an Brennstoff (ohne die zum Anheizen verwendeten Kohks) etc. bei 31 Fahrten von Lüttich nach Verviers und zurück, worüber genaue Notizen gesammelt worden sind. Wir haben dann noch hinzuzufügen 1) eine vollständige Erzählung der angestellten Versuche und der sie begleitenden Umstände, 2) das Detail von zwei Fahrten nach Ronheid und der dreimaligen Ersteigung der geneigten Ebenen bei Lüttich, wovon in der Tabelle nichts enthalten ist. Textabbildung Bd. 099, S. 19 Datum.; Zahl der Wagen ohne die Bremswagen.; Lüttich nach Chenée.; Chenée nach Nessouvaux.; Nessouvaux nach Pepinstre.; Pepinstre nach Verviers.; Dauer der Fahrt; der Aufenthalte.; Consumtion an Kohks in Hektoliter.; Dauer des Aufenthalts in Verviers.; der Rückfahrt.; Consumtion an Kohks für die Rückfahrt.; Aufenthalt in Lüttich zwischen zwei Fahrten.; Bemerkungen; März; April; Fünf Roststäbe wurden herausgenommen, um den Luftzug zu vermehren.; Die Expansions-Vorrichtung wurde weggenommen.; Die Fahrt wurde bis Ronheid fortgesetzt. Man befestigte Ringe in die Heizröhren.; Die Fahrt bis Ronheid fortgesetzt.; Die Expansions-Vorrichtung wurde wieder angebracht.; Bei der Fahrt aufwärts brach eine Wagenachse, was einen Aufenthalt von 1 Stunde 16 Min. verursachte.; Regnerisches Wetter.; Die Maschine arbeitete mit vollem Dampf. Anmerkung. Die Entfernung von Lüttich bis Verviers beträgt 25,18 Kilom. Ein Hektoliter Kohks wiegt 35 Kilogr. Am 5. März machte die Maschine ohne Last die erste Fahrt von Lüttich nach Verviers. Da der Kessel und Mechanismus in vollkommen gutem Zustande gefunden wurden, so nahm man in Verviers einen hiezu vorbereiteten, für Preußen bestimmten Convoi von 22 Wagen. Gleich beim Verlassen der Station machte sich der Mangel an Dampf fühlbar und bald wurde die Herbeirufung einer Hülfsmaschine für nöthig erachtet, um die Fahrt bis zur Gränze fortsetzen zu können, von wo dann die Maschine aus Seraing unbelastet nach Verviers zurückkehrte. Eben so erging es am 6. und 7. März; die Reservemaschine mußte jedesmal zu Hülfe genommen werden, weßhalb auch dieser Versuche in der Tabelle nicht Erwähnung geschah. Es war augenscheinlich, daß der Kessel in dem Zustand, in welchem er sich befand, nicht im Stande war die erforderliche Dampfmenge für eine angemessene Last zu erzeugen; und die Ursache hievon mußte nothwendig in der Einrichtung des Heizkastens zu suchen seyn. In der That war der Rost nach den Angaben der Ingenieure der österreichischen Bahnen, wo man die Maschinen mit Holz heizt, construirt, und die Roststäbe, 17 oder 18 an der Zahl, ließen dem Durchzug der Luft nur etwa die Hälfte der Rostfläche frei. Mit Zustimmung des Directors des Etablissements zu Seraing wurden 5 Roststäbe herausgenommen, und ferner wurde, damit im Nothfalle der Zug vermehrt werden könne, der kleinste Durchmesser der Blasrohröffnung um beiläufig einen Centimeter verringert. In Folge dieser Aenderungen waren über ⅔ der Rostfläche dem Durchzug der Luft offen und die Oeffnung des Blaserohrs konnte erforderlichen Falles auf 0,062 Meter Durchmesser reducirt werden. Am 11. März wieder in Gang gesetzt, gab die Maschine die am Anfang der Tabelle angeführten Resultate. Das Wetter war fast fortwährend ungünstig; bald machte der Schnee oder der Beginn von Thauwetter die Schienen glatt, bald machte der Frost die Schmiere in den Büchsen erstarren, so zwar, daß die Räder mancher Waggons auf den Schienen gleiteten, ohne sich zu drehen. Ueberdieß waren die verwendeten Kohks, welche übrigens für alle Fahrten dieselben blieben, schwer, steinig und verstopften öfter den Rost, so daß das Feuer oft aufgestiert werden mußte. Dessenungeachtet wurde, wie aus der Tabelle zu ersehen, am 12. März eine Last von 30 Waggons von Lüttich nach Verviers in 1 Stunde 50 Minuten geschafft, wobei der Verbrauch an Kohks 25 Hektol. (875 Kilogr.) betrug. Von jenem Tag an wurden die Ergebnisse von Tag zu Tag minder günstig; die Consumtion an Brennstoff nahm zu, während die Geschwindigkeit in beträchtlichem Grade abnahm. Ein neuer ungünstiger Umstand hatte auf die Dampferzeugung nachtheilig eingewirkt; das Wasser rann in den Heizraum an den Stellen, wo die Heizröhren an der Wand des Heizkastens befestigt waren — nicht wie gewöhnlich mit Ringen von Eisen oder Stahl, sondern, wie dieß bei allen in Seraing für Oesterreich gebauten Maschinen geschah, einfach durch Umnieten der Röhrenenden. Um die Befestigung an der Seite des Feuerkastens haltbarer zu machen, sind dort die Röhrenenden von Kupfer und um einen Millimeter stärker als der übrige Theil der Röhren, und sie werden im Innern der Kesselwand mittelst eines besonderen Instrumentes etwas erweitert. Diese Befestigung, welche dem Anschein nach dicht genug seyn mag, wenn die Feuerung mit Holz geschieht, konnte der Einwirkung des Kohksfeuers nicht widerstehen, und obschon die Röhren zu wiederholtenmalen verdichtet wurden, ließen sie dennoch das Wasser in dem Maaße durch, daß die Maschine, als sie am 21. März von Chenée abging, die Fahrt nicht weiter fortsetzen konnte. Der Dampf war ganz herabgesunken, das Feuer beinahe erstickt. Die Administration von Seraing entschied sich nun, an der Seite des Feuerkastens die Heizröhren mit Ringen zu befestigen, und nur von diesem Zeitpunkte an können eigentlich die Versuche als maaßgebend angesehen werden, da die Maschine erst von da an unter günstigen Umständen functionirte. Das Wetter blieb fortwährend sehr ungünstig, was bewirkte, daß bis zum 1. April bei übrigens zufriedenstellender Leistung der Brennmaterial-Verbrauch noch ziemlich bedeutend war. Vom 1. bis 8. April blieb das Wetter günstig und die Maschine machte 12 Fahrten von Lüttich nach Verviers unter sehr günstigen Umständen. Die in jenen Tagen gesammelten detaillirten Notizen reichten vollkommen hin, die Beschaffenheit der Maschine gehörig beurtheilen zu lassen; wir hörten daher auch auf, nachdem die Details einiger weiterer Versuche noch hinzugekommen waren, die Fahrten fortwährend und persönlich zu überwachen, obschon dieselben noch bis zum 17. Mai zweimal des Tags von Lüttich nach Verviers vorgenommen wurden. Während dieser Zeit haben auch die Versuche auf den geneigten Ebenen von Lüttich stattgefunden, von welchen noch weiter gesprochen werden soll. Versuche zwischen Verviers und der preußischen Gränze. — Am 26. und 28. März hat die Maschine, anstatt mit dem Zug von 1¾ Uhr nach Lüttich zurückzukehren, die Fahrt bis nach Ronheid fortgesetzt. Das Wetter war sehr regnerisch. Am 26sten wurde die Fahrt mit 20 beladenen und 2 Bremswagen von Verviers bis Herbesthal in 70 und von Herbesthal bis Ronheid in 35 Minuten bei einer Consumtion von 33 Hektoliter Kohks zurückgelegt. Am 28sten war die Zahl der beladenen Wagen 24, und da einer hievon mit einer Bremse versehen war, so wurde dem Zug nur ein leerer Wagen beigegeben. Dauer der Fahrt von Verviers nach Herbesthal 48, von Herbesthal nach Ronheid 50 Minuten; Kohksverbrauch 32 Hektoliter. Das Wetter war weniger ungünstig als zwei Tage früher; die längere Dauer der Fahrt von Herbesthal nach Ronheid war dem schlechten Zustand der Bahn auf dieser Strecke zuzuschreiben. Versuche auf den geneigten Ebenen mit den zwei Maschinen amerikanischer Construction. 1) Am 4. April 1845 machte die Norris'sche Locomotive die Fahrt von Lüttich nach Ans mit einer Last von 59,500 Kilogr. in 23 Minuten bei einer Consumtion von 9 Hektoliter Kohks. 2) Den 19. April machte die Maschine von Seraing dieselbe Fahrt mit einer Last von 59,200 Kilogr.; Dauer der Fahrt 16 Minuten, Consumtion 9 Hektoliter. 3) Am 22. April zog dieselbe Maschine 65,280 Kilogr. in 24 Minuten die schiefe Ebene hinauf. 4) Am 24. April beförderte dieselbe Maschine 59,200 Kilogr. in 17 Minuten bei einer Consumtion von 10½ Hektoliter. Erörterungen über die erhaltenen Resultate. — Die Leistungen der in Rede stehenden Maschine unter den verschiedenen angeführten Umständen haben zu den folgenden Betrachtungen Anlaß gegeben. Wenn man die Ergebnisse der mit verschiedenen Belastungen vorgenommenen Versuchsfahrten zwischen Lüttich und Verviers näher untersucht, so findet man, daß die günstigsten Resultate in Beziehung auf den Brennmaterial-Verbrauch erzielt worden sind bei einer mittleren Belastung für die ganze Strecke von 30 Wagen. Die Tabelle zeigt, daß diese zu verschiedenenmalen im Laufe des Monats April beförderte Last für die Fahrt aufwärts eine Consumtion verursachte, welche im Mittel zu 25 Hektol. angenommen werden kann, indem das Minimum (am 4. April) 21 und das Maximum (9. April) 30 Hektoliter war. Die Vergrößerung der Convois auf 35 bis 40 Wagen hatte zur Folge, daß die durchschnittliche Consumtion um 10 Hektol. vermehrt, die Schnelligkeit bedeutend vermindert, ja die Fahrten bei der geringsten unvorgesehenen Verzögerung einer gänzlichen Unterbrechung ausgesetzt waren. Als Beispiel kann die Fahrt vom 2. April citirt werden. Die Maschine fuhr von Lüttich mit 46 beladenen Wagen und einem Bremswagen ab; in Chenée ließ sie 6 Wagen zurück. In der Curve vor der Station von Nessouvaux angekommen, welche durch ihre Länge die Schwierigkeiten einer Rampe von 5 Millimeter (1 : 200) vermehrt, konnte sie die Fahrt nicht weiter fortsetzen. Man mußte den Convoi theilen. Nachdem aber in Nessouvaux drei für diese Station bestimmte Wagen zurückgelassen wurden, fuhr die Maschine mit 37 Wagen bis Pepinstre, und überwand mit 36 Wagen die Rampe von 0,0065 (1 : 154) bis Verviers, wo am Eingange der Station sogar eine kurze Steigung von 0,014 (1 : 71) vorkommt. Dieses Resultat ist sehr merkwürdig, zeigt aber zugleich, daß es keineswegs vortheilhaft sey, die Kraft einer Maschine bis zur äußersten Gränze zu benutzen. In der That sieht man, daß die Consumtion 35 Hektol. und die Dauer der Fahrt über eine Stunde mehr betragen hat. Auf der andern Seite wurden am 2. und 7. April Fahrten mit 21 und 25 Wagen gemacht, und wenn die Geschwindigkeit hiebei eine merkliche Zunahme erhalten hat, so zeigt die Tabelle, daß die Consumtion nicht im Verhältniß zur verminderten Last geringer worden ist. Ueber die Zusammensetzung der rückkehrenden Züge wurde keine Rechnung geführt. Sie bestehen fast durchgängig aus leeren Wagen, und der Brennstoffverbrauch, welcher zwischen sehr engen Gränzen variirt, scheint sich mehr nach der Wagenzahl und besonders auch nach den Manövers auf den Stationen, als nach der Größe der fortgeschafften Last zu richten. Es ist jedoch nothwendig zu bemerken, daß die Unterhaltung des Feuers während des Stationirens zu Verviers in der Consumtion der darauf folgenden Fahrt abwärts begriffen ist, so wie das in Lüttich zwischen den zwei Fahrten consumirte Brennmaterial dem Verbrauch der zweiten Fahrt aufwärts zugerechnet wurde. Dieser Umstand darf um so weniger außer Acht gelassen werden, als der Heizraum der Maschine sehr groß ist, die Kohks von geringer Qualität waren, den Rost beschmutzten und bei jeder Reinigung viel Abfall gaben. Die zwei Fahrten von Ronheid geben zu keiner besonderen Bemerkung Anlaß. Wir wollen im Vorbeigehen bloß erwähnen, daß die Leistung einer 20 Tonnen schweren Maschine, welche eine Steigung von 0,009 Meter (1 : 111), wie sie vor Dolhain vorkommt, mit 35 Wagen, jeder etwa 7 Tonnen schwer, überwindet, gleich ist dem Maximumeffect, welcher auf der Bahnstrecke zwischen Lüttich und Verviers mit 33 Wagen ausgeübt wurde, daß mithin die Belastung für die Strecke von Verviers zur Gränze noch um etwas hätte vermehrt werden können. In dieser Beziehung gelten hier die Bemerkungen, welche bereits oben über die Maximum-Ladung gemacht worden sind. Untersuchung der constructiven Details der Maschinen. — Variable Expansion. Gehen wir zur Prüfung der verschiedenen, die Construction der Maschinen von Seraing betreffenden Punkte über. Die Complication des Angéle'schen Systems variabler Expansion, welches bei dieser Maschine in Anwendung gebracht wurde, hatte befürchten lassen, daß dasselbe dem Derangement unterworfen und schwer zu handhaben seyn werde. Diese Befürchtungen haben sich als ungegründet erwiesen, obschon man von der Expansion, so weit es immer die Umstände zuließen, Gebrauch machte. Leider eignet sich aber die Linie durch das Vesdre-Thal nicht für comparative Versuche von solch entscheidender Art, daß darnach die Ersparniß constatirt werden könnte, welche die Anwendung der Expansion positiv mit sich bringt. In der Richtung von Lüttich zur preußischen Gränze erfordern die starken Steigungen auf der einen und die großen Transportmassen auf der andern Seite fast fortwährend die Anwendung des Maximums der Kraft, welche die Maschinen auszuüben im Stande sind. Beim Herabfahren dagegen ist die anzuwendende Zugkraft von geringem Belang, welches auch die Größe der Züge seyn mag. Um den reellen Nutzen der Anwendung der variablen Expansion constatiren zu können, wäre erforderlich gewesen, Versuche mit kleineren Zügen anzustellen, und da die Strecke kurz ist, dieselben mehrmals mit und ohne Benützung der Expansion zu wiederholen, um so den Unterschied in den Durchschnitts-Ergebnissen zu ermitteln. Dieß erlaubten aber die Erfordernisse des Dienstes um so weniger, als die Linie des Vesdre-Thales gerade einiger ihrer stärksten Maschinen aus Ursache der Reparaturen beraubt war, und die Versuchsmaschine deßhalb gewissermaßen die Transportmittel vermehren helfen mußte, über welche man gerade zu verfügen hatte. Die verschiedenen Arten der Anwendung der variablen Expansion haben in den Ergebnissen keinen merklichen und constanten Unterschied hervorgebracht. Als Beispiel können wir die Fahrt vom 25. April, die letzte in der Tabelle (S. 19) anführen, bei welcher fortwährend die volle Dampfkraft in Anwendung gebracht worden ist, und die Consumtion an Kohks für die Last von ungefähr 30 Wagen unter dem Durchschnitt geblieben ist. In der ersten Zeit der Versuchsperiode wurden die Excentrics und Hebel für die Expansions-Steuerung weggenommen, damit der Gang der Maschine erleichtert werde. Am 1. April wurden dieselben wieder angebracht, als die Maschine einige Zeit hindurch zur Zufriedenheit functionirt hatte. Indessen ließen die Veränderungen in dem Zustande der Atmosphäre nicht zu, den Antheil zu bestimmen, welchen diese Modification an den Ergebnissen vor und nach Vornahme der Veränderung hatte. — Im allgemeinen muß sonach bemerkt werden, daß die angewandte Vorrichtung, die mit der Meyer'schen Aehnlichkeit hat, bloß den Nachtheil der vermehrten Reibung mit sich zu bringen scheint, die nicht bedeutend seyn kann. Im übrigen kann mittelst derselben die Absperrung des Dampfes an jedem beliebigen Theil des Kolbenhubs stattfinden, ohne daß die Entweichung des Dampfes aus dem Cylinder in irgend einer Weise gehindert wäre. Obschon die Cylinder außenliegend sind, so konnte man doch nicht wahrnehmen, daß in ihrem Innern eine beträchtliche Condensation stattfindet; das System ihrer Bedeckung entfernt jeden Nachtheil in der Weise, daß die Hitze stets im Innern concentrirt bleibt und die Wärme nie an der Außenseite der Cylinderumfassung wahrgenommen wird. Radkränze. — Die Radkränze der Triebräder sind an der Oberfläche mit einer Lage von aus Holzkohlen erzeugtem Eisen von größerer Härte und Dichtheit versehen, welches die Stelle des Stahls bei den verstählten Radkränzen vertritt. Nach Zurücklegung eines Wegs von 5017 Kilometer hatten sich die Radkränze höchstens um 1½ Millim. vertieft. Man müßte, um die Güte dieser Radkränze zu beurtheilen, sie mit anderen, welche den gleichen Weg auf derselben Linie durchlaufen haben, vergleichen können, denn die Steigungen, schwere Lasten und die häufige Anwendung von Sand in den Tunnels und bei schlechtem Wetter vermehren in beträchtlichem Grade die Reibung der Räder auf den Schienen und deren zerstörende Wirkung. Wirkung des Vordergestelles (avant-train). — Wir haben Gelegenheit gehabt, in den Curven die Bewegung des Vordergestelles um seinen Zapfen zu beobachten. Außer diesem Vortheile der amerikanischen Disposition muß man die Leichtigkeit in Rechnung nehmen, welche dieselbe dadurch gewährt, daß man auf die vier Triebräder wenigstens 15 Tonnen von den 20, welche die Maschine wiegt, wenn der Kessel mit Wasser gefüllt ist, übertragen kann, wodurch erklärlich wird, wie die Kraft dieser Maschine sich auf den stärksten Steigungen vollständig benutzen läßt. Vergleichung mit anderen Locomotiven. — Es bleibt uns noch übrig, die Leistungen der Maschine, welche versucht worden ist, zu vergleichen mit jenen anderer Maschinen unter anologen Verhältnissen. Eine Locomotive von 14zölligen Cylindern mit gekuppelten Rädern kann unter gewöhnlichen Umständen 14 bis 16 beladene Wagen von Lüttich nach Verviers schaffen bei einer Consumtion von 15–18 Hektoliter Kohks. Die Maschine von Seraing, deren theoretische Kraft gleich der 1,9fachen der Maschine mit 14zölligen Cylindern angenommen werden kann, kann unter günstigsten Umständen die doppelte Last fördern, und diese Last ist noch nicht das Maximum. Dieser Vortheil ist allem Anschein nach großentheils der größeren Last zuzuschreiben, welche bei dieser Maschine auf den Triebrädern ruht. Was die Ersparniß an Brennmaterial betrifft, welche durch die Verwendung einer einzigen statt zweier Maschinen erzielt wird, so unterliegt dieselbe ohnedieß keinem Zweifel und hat nicht nöthig, hier aufs neue nachgewiesen zu werden. Die Maximumladung der Norris'schen Locomotiven in ihrem regelmäßigen Dienst auf der Bahn von Lüttich nach Verviers ist ein Train von 28 beladenen Wagen. Sie hat niemals mehr als 30 Wagen fortgeschafft. Auf den geneigten Ebenen von Lüttich hat sie 59,500 Kilogr. in 23 Minuten bei einer Consumtion von 9 Hektoliter Kohks hinaufgeschafft. Die Maschine von Seraing hat zweimal die gleiche Last gezogen und hiebei 6 bis 7 Minuten in der Fahrzeit gewonnen; sie hat ferner einmal einen Zug von 65 Tonnen in 24 Minuten die schiefen Ebenen hinaufgeschafft. Alle drei Fahrten wurden bei einer Consumtion von beiläufig 10 Hektol. Kohks vollbracht. Diese geringere Leistung der Norris'schen Locomotive bei einer theoretisch größeren Kraft läßt sich, wenn anders der Druck durch die Federwaage richtig angegeben wird, nicht anders erklären, als durch den großen Widerstand, welchen der Dampf beim Austritt aus den Cylindern zu erleiden hat, in Folge der geringeren Weite des Blaserohrs, dessen Oeffnung zugleich unveränderlich ist. Vielleicht ist auch der Zutritt des Dampfes zu den Cylindern durch die ziemlich engen Dampfleitungsröhren zu sehr beengt. Seit sie in Dienst getreten bis zum 19. Mai d. J. hat die Norris'sche Maschine 4620 Kilometer durchlaufen und hiebei, nach Abzug des zum Anheizen nöthigen Brennmaterials und von ½ Hektoliter für jede Stunde des Stationirens, 2223 Hektoliter Kohks consumirt. Hienach beträgt die durchschnittliche Consumtion per Kilometer 0,481 Hektol. (= 16,8 Kilogr.) Wird das Mittel nur für die Zeit vom 1. März an berechnet, nämlich für die Zeit, während welcher die Versuche mit der Maschine von Seraing statthatten, so findet man die Consumtion per Kilometer 0,513 Hektol. Die Maschine von Seraing hat dagegen vom 1. bis 17. Mai 5017 Kilometer durchlaufen und ihre gesammte Consumtion 2810 Hektoliter Kohks betragen, was im Durchschnitt auf den Kilometer 0,560 Hektol. (19,6 Kilogr.) gibt. Zum Vortheil der letzteren Maschine kommen jedoch die folgenden zwei Umstände in Rechnung: 1) die von ihr gezogenen Lasten übertrafen bei weitem jene der anderen Locomotiven, die Norris'sche selbst nicht ausgenommen. Um die Consumtion an Brennmaterial zu vergleichen, mußte man deßhalb dieselbe für jede von einem Wagen zurückgelegte Lieue berechnen. 2) Erst nachdem die in Rede stehende Maschine über einen Monat unter für die Kraftanwendung und den Verbrauch an Brennstoff sehr ungünstigen Verhältnissen functionirt hatte, wurde sie in einen Zustand gebracht, in welchem sie eigentlich erst gute Dienste leisten konnte. Die Unvollkommenheiten rührten aber keineswegs von Constructionsfehlern, sondern von besonderen Dispositionen her, welche die Administration, für die die Maschine gebaut wurde, vorgeschrieben hatte, und die im Einklang standen mit der Art des Brennstoffes, welcher für diese Maschine benützt werden sollte. Indem wir schließen, haben wir noch Folgendes hervorzuheben. Die in Probe gewesene Maschine war für den Dienst der Linie durch das Vesdre-Thal, welche einige ihrer stärksten Maschinen entbehrte, nicht nur nützlich, sondern beinahe nothwendig; sie verrichtete jeden Tag den Dienst von wenigstens zwei der gewöhnlichen Maschinen mit Ersparniß an Brennstoff und Personal, und auch abgesehen von diesen neuen Versuchen hat die vortheilhafte Verwendung der Norris'schen Locomotiven schon gezeigt, wie sehr eine oder zwei ähnliche Maschinen mehr auf der Vesdre-Bahn die vorhandenen Maschinen von 11-, 12- und 13zölligen Cylindern mit Vortheil ersetzen würden, deren Kraft wegen ihres geringen Gewichts und Mangels an Adhäsion kaum verwendet werden kann. Lüttich, den 26. Mai 1845. Von dem Ingénieur mécanicien und Sous-Ingénieurgezeichnet: Hudson. Vinchent.