Titel: Ueber die Kartoffelkrankheit, nach im nördlichen Deutschland angestellten Beobachtungen; von Munter.
Fundstelle: Band 99, Jahrgang 1846, Nr. CX., S. 467
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CX. Ueber die Kartoffelkrankheit, nach im nördlichen Deutschland angestellten Beobachtungen; von Munter. Aus den Comptes rendus, 1845, 2tes Sem. Nr. 18. Munter, über die Kartoffelkrankheit. Weder die Stengel noch die Blätter der Pflanze fand ich durch einen mikroskopischen Schmarotzerpilz inficirt. In der Umgebung von Berlin wurden nach der Aussage der Landwirthe die Kartoffeln zwischen dem 5. und 8. September plötzlich von der Krankheit befallen. Niedere, flache, feuchte und düngerreiche Lagen litten in der Regel am meisten; doch war auch die Sorte der Kartoffel von sehr merklichem Einflusse. In folgendem Verhältniß litten fünf der in dieser Gegend gewöhnlichsten Sorten: NierenkartoffelZuckerkartoffel 100 Proc. platte weiße Kartoffel 75 Proc. runde weiße Kartoffel 50 Proc. rothe Kartoffel Proc. Die vier befallenen Varietäten sind alle von Species mit dünner Epidermis. Obiges Verhältniß entspricht ziemlich dem, welches sich auch an den Rheinufern ergab. Weder die Oberfläche des Knollens, noch das Innere der Zellen ist meinen Beobachtungen zufolge der Sitz eines Pilzes. In den Zellen unter der Epidermis findet man junge Zellen von rundlicher Form und verschiedener Größe, und was sehr bemerkenswerth, eine Menge genau würfelförmiger Krystalle, oft zwei in einer Zelle. Doch muß ich erwähnen, daß ähnliche Krystalle, jedoch in viel geringerer Anzahl, auch in den entsprechenden Zellen gesunder Kartoffeln zerstreut gefunden werden. Eine, wenn ich nicht irre, den bisherigen Beobachtungen entgangene merkwürdige Erscheinung ist es auch daß, wenn man dem Querschnitte eines inficirten Knollens ein mit Salzsäure befeuchtetes Glasstäbchen nähert, sich auf der Stelle weiße Nebel bilden, welche das Vorhandenseyn von Ammoniak im Saft der Kartoffeln anzeigen; doch ist auch hier zu bemerken, daß dieselbe Erscheinung, obgleich in viel geringerm Grade, auf dem Querschnitt einer gesunden Kartoffel und sogar über den frisch zerquetschten Theilen jeder Pflanze stattfindet. Die Krystalle mit der Fäule behafteter Kartoffeln sind, außerdem daß sie zahlreicher sind als bei gesunden, auch stark braun gefärbt. Die krankhafte Veränderung, welche sich durch diese Färbung zu erkennen gibt, ist sehr oft an einer einzelnen Zelle mitten unter anscheinend vollkommen unversehrten Zellen wahrzunehmen. Die eben beschriebenen Erscheinungen können als die Symptome eines ersten Stadiums der Krankheit betrachtet werden. In einem weitern Stadium beobachtet man folgendes: der wechselseitige Zusammenhang der Zellen ist schwächer, so daß sic der geringsten auf sie einwirkenden Kraft nachgeben. Die Zellenmembran selbst erscheint erweicht. Nachdem sie im ersten Stadium braun gefärbt war, sieht man sie jetzt sich wieder entfärben. Die Fortschritte der Fäulniß geben sich durch das Vorhandenseyn der Infusionsthierchen (vibrio) und einen fauligen, widerlichen und dabei ammoniakalischen Geruch kund (siehe oben). Die Veränderung des Fleisches endlich beschränkt sich nicht mehr auf eine bloße Aufhebung des Zusammenhangs, sondern es bietet zuletzt beim Berühren alle Merkmale eines aus einem Absceß oder der eiternden Wunde eines Thierkörpers kommenden Eiters dar. Ein durch das Fleisch einer inficirten Kartoffel frisch gemachter Querschnitt wird an der Luft in einigen Minuten braun und darauf bald schwarz; dieselbe Erscheinung findet, jedoch in geringerm Grade, vom ersten Stadium der Krankheit an statt. Endlich geht aus meinen und anderer Beobachtungen hervor, daß die Stärkmehlkörner an der krankhaften Veränderung keinen Antheil nehmen. Man findet sie in den inficirten Zellen ungefärbt und ohne irgend eine besondere Veränderung wieder vor; höchstens verringert sich ihre Quantität in den kranken Kartoffeln etwas. Das Verderben der Kartoffeln schien mehreren das Resultat einer wirklichen Krankheit, einer Pflanzen-Epidemie (Epiphytie) zu seyn, welche, wie die asiatische Cholera, gleichsam von einem Mittelpunkt, der Quelle von Miasmen und Ansteckungsstoffen, ausgehend, sich auf diese Pflanzenspecies verbreitete. Aus meinen Versuchen scheint aber hervorzugehen, daß die Krankheit nicht contagiös ist. Ich bin eher zu glauben geneigt, daß sehr ähnliche atmosphärische Verhältnisse mit mehr oder weniger Intensität auf verschiedenen Punkten unseres Continents stattfanden und überall dieselbe verderbliche Wirkung äußerten. Sie bestanden nach meinem Dafürhalten in außerordentlich frühen Frösten, welchen außer allem Verhältniß mit der Jahreszeit warme Regenschauer folgten. Der passendste Name für diese Krankheit scheint mir kalter Brand (Fäule) zu seyn.