Titel: Ueber die Gasbildung der Schießbaumwolle; vom k. b. Artillerie-Lieutenant Peter Weiß.
Autor: Peter Weiß
Fundstelle: Band 103, Jahrgang 1847, Nr. LXXXIV., S. 370
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LXXXIV. Ueber die Gasbildung der Schießbaumwolle; vom k. b. Artillerie-Lieutenant Peter Weiß. Weiß, über die Gasbildung der Schießbaumwolle. Da man jetzt die Elementar-Zusammensetzung der Schießbaumwolle kennt, so kann man mit hinlänglicher Genauigkeit die bei ihrer Verbrennung sich bildenden Gasarten dem Volumen nach bestimmen und hieraus ihre Wirkungsäußerung, sowie auch ihr Verhalten in Vergleich mit dem Schießpulver ableiten. Die zahlreichen Analysen von Prof. Fehling S. 220 in diesem Bande des polytechn. Journals. ergeben als durchschnittliche Zusammensetzung einer guten lufttrockenen Schießwolle (womit auch das technische Präparat der HHrn. Schönbein und Böttger übereinstimmt) in 100 Gewichtstheilen: Kohlenstoff   25,94 Wasserstoff     3,74 Sauerstoff   60,32 Stickstoff   10,00 –––––– 100,00 Diese Bestandtheile betragen in gasförmigem Zustand für 100 Gramme Schießwolle: Kohlenstoff   25,94 Gramme   23692,7533 Kubikcentimet. Wasserstoff     3,74      „   41843,8129          „ Sauerstoff   60,32      „   42112,3181          „ Stickstoff   10,00      „     7887,0573          „ ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 100,00 Gramme 115535,9416 Kubikcentimet. Diese verdichten sich im Verbrennungsproceß zu: 41843,8129 Kubikcentimet. Wassergas 42380,8234          „ Kohlenoxydgas   5384,7157         „ Stickstoffgas   2502,3416         „ Cyangas ––––––––––––––––––––––––––––––– 92111,6936 Kubikcentim. Gasen aus 100 Gram. Schießbaumwolle. Es ist hieraus ersichtlich, daß der Sauerstoffgehalt der Schießwolle (eines guten technischen Präparats) nicht einmal hinreicht, allen Kohlenstoff zu Kohlenoxydgas zu verbrennen; sollte sämmtlicher Kohlenstoff zu Kohlensäure verbrannt werden, so wären nicht weniger als 26195,0949 Kubikcentimet. Sauerstoffgas außer den schon vorhandenen noch erforderlich. Man hat daher mit Recht empfohlen, die Schießbaumwolle mit Kalisalpeter oder chlorsaurem Kali zu sättigen, wodurch wenigstens bewirkt werden muß, daß aller in ihr enthaltene Kohlenstoff zu Kohlenoxyd verbrennen kann. Daß sich bei der Explosion von Schießbaumwolle aus dem wenigen Kohlenstoff, welcher keinen Sauerstoff mehr zu feiner Verwandlung in Kohlenoxyd vorfindet, wirklich Cyan bildet, ist durch die Untersuchungen von Fordos und Gélis S. 45 in diesem Bande des polytechn. Journals. erwiesen, welche eine genügende Menge Cyansilber erhielten, als sie wiederholt die Verbrennungsproducte der Schießbaumwolle in einem gläsernen Ballon sammelten, welcher Silberauflösung enthielt. Um nun zu untersuchen, ob das oben berechnete Volumen der Gase von 100 Grammen Schießbaumwolle richtig sey, benutzen wir die Resultate der zu Paris mit vieler Genauigkeit angestellten ballistischen VersucheS. 48 in diesem Bande des polytechn. Journals.; dieselben ergaben, daß 5 Gramme Schießbaumwolle eben so viel leisten wie 13 bis 14 Gramme Schießpulver. Nach Proust's Versuchen geben 100 Grane Schießpulver, bereitet aus 75 Theilen Salpeter, 12 1/2 Th. Kohle und 12 1/2 Th. Schwefel, 113 Kubikzoll Gase, und daher ein bayer. Handelspfund 10124,8 Kubikzoll Gase; ein gleiches Pfund Schießbaumwolle gibt aber 28784 Kubikzoll Gase, bei 0° C. Temperatur und 0,76 Met. Barometerstand. Ferner geben 13 Gramme Schießpulver 235,04 Kubikzoll Gase 14      „               „ 253,12       „    „ mithin das Mittel von beiden 244,08       „    „ deßgleichen geben wie bemerkt 5 Gram.Schießbaumwolle 257,5       „    „ Nimmt man nun die Temperatur der Gase bei der Verbrennung des Schießpulvers zu 2000° C. an und berechnet dieselbe für das Volumen der Ladung von 5 Grammen Schießbaumwolle, so ergibt sich für die Pulvergase nur noch eine Temperatur von 1100° C., und folglich für die Gase der Schießbaumwolle von 1030° C. Dabei ist jedoch angenommen, daß die Dauer des Verbrennungsprocesses der Schießbaumbaumwolle derjenigen des Schießpulvers gleich sey, was nicht der Fall ist, indem dieselbe sich wie 0,76 zu 1 verhält, wenn die Schießbaumwolle auf den entsprechenden Raum zusammengedrückt wird, wie derselbe bei den erwähnten ballistischen Versuchen zu 24 Millimeter per Gramme für das französ. Infanterie-Gewehr angegeben ist. Berechnet man nun auf Grund der gleichen Wirkung die Temperatur der Gase der Schießbaumwolle, so ergibt sich dieselbe gleich 715° C., was auch als höchstes Maaß anzusehen ist, indem für das Schießpulver die möglich günstigsten Eigenschaften angenommen wurden. Theilt man nämlich die Zeit des Verbrennungsprocesses von 13 1/2 Gr. Schießpulver, sowie auch die daraus entwickelten Gase in 100 gleiche Theile, so hat man in dem Zeitpunkt, wo 5 Gramme Schießbaumwolle in einem gleichen Feuergewehr verbrannt sind, für jenes Schießpulver bereits die Summe von 185 Kubikzoll Gasen, und für die Schießbaumwolle die Summe von 257 Kubikzoll Gasen von 0° C. Temperatur. Da nun beide Ladungen die gleiche Wirkung äußern, so können die entwickelten Gase nur durch ihre verschiedene Temperatur die gleiche Spannkraft erlangen. Es ergibt sich auch mit Benützung der oben angeführten Temperaturen folgendes gleiche Ausdehnungsbestreben der Gase a) für das Schießpulver 185 (1 + 0,00365 . 1100) = 929, b) für die Schießbaumwolle 257 (1 + 0,00365 . 715) = 929; d.h. die Gase beider Ladungen äußern, für einen bestimmten Zeittheil berechnet, ein gleiches Ausdehnungsbestreben, indem 929 Kubikzoll Gase auf den Raum einer Ladung von 5 Grammen Schießbaumwolle zusammengepreßt sind. Es geht sonach aus Obigem hervor, daß die Schießbaumwolle mehr Gase in etwas kürzerer Zeit aber unter geringerer Wärme-Entwickelung, und umgekehrt das Schießpulver weniger Gase in etwas längerer Zeit jedoch unter größerer Wärme-Entwickelung erzeugt, und sohin der Unterschied hinsichtlich der Gasvolume und der Zeit ihrer Entwickelung in Bezug auf ihre Wirkung durch die Verschiedenheit ihrer Temperatur ausgeglichen wird. Durch diese Rechnungs-Resultate (soweit solche überhaupt eine besondere Schärfe gestatten) dürfte die Richtigkeit obiger Berechnung der bei der Explosion von Schießbaumwolle entstehenden Gasvolume genügend nachgewiesen seyn. Augsburg im Februar 1847.