Titel: Ueber die nährenden Eigenschaften der Knollen der Apios tuberosa de Candolle von A. Richard.
Fundstelle: Band 111, Jahrgang 1849, Nr. XCIX., S. 451
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XCIX. Ueber die nährenden Eigenschaften der Knollen der Apios tuberosa de Candolle von A. Richard. Aus den Comptes rendus, Febr. 1849, Nr. 7. Richard, über die nährenden Eigenschaften der Knollen von Apios tuberosa. Seit dem Einbrechen der unglückseligen und so hartnäckigen Kartoffelkrankheit wurden schon mannichfache Versuche angestellt, andere satzmehlhaltige Wurzeln ausfindig zu machen, welche in jeder Hinsicht deren Stelle vertreten könnten; bisher aber wurde noch keine gefunden, die ebenso reich an Stärkmehl und so wohlschmeckend ist. Die Knollen folgender Pflanze scheinen mir noch vor allen den Vorzug zu verdienen und sich der Kartoffel am meisten zu nähern. Die Glycine apios Linn. oder Apios tuberosa de Candolle gehört zu der Familie der Leguminosen und wird schon seit einem Jahrhundert in botanischen Gärten angebaut. In Nordamerika zu Hause, wird sie in unsern Gärten im freien Felde gebaut, und übersteht den Winter sehr gut, ohne daß von der strengsten Kälte etwas zu befürchten wäre. Die Wurzel ist ausdauernd, die Stengel aber sind krautartig, jährig. Sie sind dünn, windend, 6 bis 12 Fuß hoch, zweigig, cylindrisch und etwas behaart. Die Blätter sind ungleich gefiedert langgestielt, gewöhnlich aus sechs eirunden, länglichen, sehr fein zugespitzten, ganzrandigen Blättchen bestehend, die von kurzen, ganz von braunen Haaren bedeckten Stielchen getragen werden. Die ziemlich kleinen Blüthen bilden aufrecht stehende, kurzgestielte, achselständige Trauben, welche aus violettbraunen höchst angenehm riechenden Blüthen bestehen. Bisher wurde die Apios in Frankreich nur als Zierpflanze an Gitterwerk gezogen, um Lauben zu bilden. In Zukunft, hoffe ich, wird sie in Gärten, und selbst in der Landwirthschaft, eine wichtigere Rolle spielen. Die Botaniker, welche diese Pflanze unter den verschiedenen Namen, welche ihr nach einander gegeben wurden, bisher besprachen, sagten weiter nichts, als daß ihre Knollen in Virginien und einigen andern nordamerikanischen Provinzen als Nahrungsmittel dienen. In keinem Werke konnte ich aber Näheres über die nahrhaften Eigenschaften dieser Knollen im Vergleich mit andern Pflanzen finden. Man erfährt nur, daß die wilden Völker Amerika's sie essen, daß sie gekocht einen süßen, an den der Artischocke etwas erinnernden, Geschmack haben. Die Wilden ernähren sich vorzüglich während des Winters mit den Knollen. Die grünen Samenkörner können wie die grünen Erbsen genossen werden; leider konnte bis jetzt die Apios tuberosa in unsern Klima nicht bis zum Früchtetragen gebracht werden, daher man sich hievon noch nicht zu überzeugen Gelegenheit hatte. Bosc (Cours complet d'Agriculture t. VII. p. 399) fand die knollige Glycine in den sandigen Wäldern auf Carolina. Die Schweine, sagt er, suchen die Wurzeln derselben begierig auf; dieselben sind sehr hart, können aber, wie er sich überzeugte, auch von Menschen genossen werden. Auch der französische Naturforscher Trécul verspricht sich viel von dieser Pflanze, welche er im Staate Missouri fand. Ihre Wurzelknollen, von den Osagen Taux genannt, sind mehlig, wie die Kartoffeln und etwas süßer; sie reifen erst gegen Ende des Herbstes. Lamarre-Picquot hat dieser Wurzel ebenfalls seine Aufmerksamkeit geschenkt. Das Wachsthum dieser Pflanze unter dem Boden ist sehr eigenthümlich. Die federkieldicken Wurzeln sind cylindrisch, kriechen horizontal in sehr geringer Tiefe unter dem Boden fort, werden oft 6 Fuß und darüber lang. Von Strecke zu Strecke werden sie allmählich dicker und diese anfangs oliven- oder etwas spindelförmigen Anschwellungen bilden endlich, immer dicker werdend und sich reichlich mit Mehl anfüllend, wahrhafte Knollen. Zuweilen sind diese Anschwellungen so nahe beisammen, daß sie eine Art Rosenkranz bilden; oft sind sie sehr ungleich, oft aber auch von ziemlich regelmäßiger Größe. Ihre Oberfläche ist anfangs ziemlich glatt und gleich, von sehr blaßbrauner Farbe; beim allmählichen Heranwachsen aber bekleiden sie sich mit Wurzelzasern, die sich oft in, zur Wurzelachse parallelen, Längenreihen legen. Diese Zasern hinlassen, wenn sie absterben, auf der Oberfläche der Knollen kleine ungleiche und hervorstehende Narben. Außer diesen Narben finden sich auf den Knollen noch kleine weißliche, halbkugelförmige Wärzchen von der Größe eines kleinen Stecknadelkopfs, welche ebenso viele stengelbildende Augen oder Knospen sind. Wenn diese Knollen ihre Reife erreicht haben, sind sie unregelmäßig eiförmig; die größten kaum über ein Hühnerei groß. Ein Theil ihrer Oberfläche ist glatt, der andere ist uneben und unregelmäßig mit Warzen bedeckt. Diese Ungleichheiten sind entweder Folge der Stengelentwickelung oder des Ausbrechens der Wurzelzasern. Die diese Knollen überziehende Haut ist bräunlich grau und der Länge nach etwas aufgesprungen. Innerlich sind sie rein weiß und lassen, aufgebrochen oder aufgeschnitten, einen weißen Milchsaft ausfließen, der vorzüglich aus an der Peripherie im Kreise herumliegenden, sehr kleinen Gefäßbündeln kömmt, die ich unter dem Mikroskop größtentheils aus unregelmäßig punktirten Gefäßen bestehend fand. Dieser Saft erhärtet schnell, wird dick und klebrig wie Vogelleim. Die fleischige und feste Masse des Knollens besteht aus einem unregelmäßigen Zellgewebe, dessen Zellen ganz mit Stärkmehlkörnern angefüllt sind. Diese sind von ungleicher Größe; die größten schienen an Gestalt und Größe jenen der Kartoffeln ähnlich zu seyn. Diese Knollen haben, im rohen Zustande gekaut, einen süßen Geschmack, ohne alle Bitterkeit oder Schärfe, und erinnern durch Consistenz und Geschmack sehr an die rohen Kastanien. In Dampf gekocht, wie Kartoffeln, und aufgeschnitten, gleichen sie letztern ganz und sind mehlig, besonders die ganz reifen, jedoch nicht zu alten (diese Knollen erhalten sich nämlich mehrere Jahre im Boden, ohne zu verderben). Ihr Geschmack ist süß und angenehm, ebenfalls dem der Kartoffel sehr ähnlich, doch etwas süßer, mit einem schwachen Beigeschmack der Artischocke, der nur sehr angenehm genannt werden kann. Ich habe im botanischen Garten der medicinischen Facultät mehrere Stöcke der Apios tuberosa eingesetzt. Einer derselben hatte einen sehr schlechten Boden längs eines Gitterwerks, welches er jedes Jahr mit seinen schmiegsamen und zahlreichen Zweigen umzog. Als ich ihn unlängst ausziehen ließ, erhielt ich mehr als 100 Wurzelknollen von verschiedener Größe, die über 1 Decaliter betrugen. Dieser Stock war vier Jahre lang im Boden gesteckt, sich selbst überlassen, ohne Pflege, unbegossen, und in einem Winkel, wo vielleicht niemals Dünger hingekommen war. Es ist also nicht daran zu zweifeln, daß die Pflanze in gutem, leichtem, lockerm und wohlgedüngtem Boden, worin sich ihre Wurzeln besser ausstrecken können, in einem Jahre zahlreiche und wohl, genährte Knollen liefern würde. Wenn diese auch nicht gleich die Größe der Kartoffeln erreichen, so würden sie doch in Folge der Cultur an Größe sowohl wie an Güte zunehmen. Einer Analyse zufolge, welche Hr. Payen vornahm, enthalten diese Wurzelknollen mehr als 40 Procente trockener nahrhafter Substanz, nämlich Stärkmehl, Gummi, Zucker etc. Die Kartoffeln liefern dagegen bekanntlich im Durchschnitt nur 25 Procent. Vergleichende Analysen. Gelbe (Patrak-)Kartoffeln Apiostuberosa. Trockne Substanz   25,6   42,4 Wasser   74,4   57,6 Stickstoffhaltige Materien     1,7     4,5 Fettsubstanzen     0,1     0,8 Stärkmehl, Dextrin, zuckerartige Stoffe, Pektinsäure,        Pektin etc.   21,3   33,55 Zellensubstanz (die Oberhaut inbegriffen)     1,5     1,3 Mineralische Substanzen     1,1       2,25 Wasser   74,4   57,6 ––––––––––––––––––––– 100,0 100,0 Die Apiosknollen enthalten sonach mehr als noch einmal soviel stickstoffhaltige Materie, achtmal soviel Fettsubstanz: im Ganzen über 1 1/2mal soviel feste (organische und mineralische) Substanzen als die Kartoffeln. Das Verhältniß der zuckerartigen und anderer auflöslichen Stoffe ist wenigstens das Dreifache gegen jene in den Kartoffeln. Der Anbau dieser Wanze könnte wegen der Art ihres Wachsthums einige Schwierigkeit darbieten. Die langen, dünnen und sich windenden Stengel, so wie die ebenfalls langen, wagerecht sich fortziehenden Wurzeln, sind allerdings dem Anbau im Großen nicht sehr günstige Umstände. Am zweckmäßigsten erschien es mir, die Apios abwechselnd mit Früh-Türkischkorn in Linien anzubauen. Die Stengel dieses letztern, welche sich viel schneller entwickeln, würden so zu sagen als Schutzpfähle dienen, um welche sich die andern ranken könnten. Beide würden, vor dem Herbst geschnitten, ein vortreffliches Viehfutter geben. Man könnte auch, wie Hr. Héricart de Thury es mit gutem Erfolg versuchte, das in manchen Gegenden in den Hopfengärten gebräuchliche Verfahren anwenden, sie in Büschen zu pflanzen, deren jedem man eine Anzahl Stangen beisetzte, um die windenden Stengel aufzunehmen. Einer der mit der Cultur dieser Pflanze verbundenen großen Vorzüge wäre, daß man die Wurzelknollen einernten könnte, ohne den Hauptstock auszureißen, an welchem sich dann alle Jahre die langen fortkriechenden Wurzeln mit ihren Knollenreihen erzeugen würden. Das Verfahren, diese Pflanze zu vermehren, ist dasselbe wie bei der Kartoffel. Es geschieht mittelst der Knollen, die man von einander trennt und welche alle viele horizontale Zasern aussenden, folglich neue Knollen bilden. Aus Vorstehendem ergibt sich also: 1) daß die Wurzelknollen der Apios tuberosa DC. durch ihre chemische Zusammensetzung und ihren süßen, angenehmen Geschmack die größte Aehnlichkeit mit den Kartoffeln besitzen; 2) daß sie beinahe noch einmal soviel nahrhafte Substanz enthalten als letztere; 3) daß ihre Cultur, da sie die strengste Kälte aushält, leicht auszuführen ist, und alle Ermunterung verdient. Ich werde die Versuche damit fortsetzen.