Titel: | Ueber die Zuckerarten, von Dubrunfaut. |
Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. LXXXIV., S. 385 |
Download: | XML |
LXXXIV.
Ueber die Zuckerarten, von Dubrunfaut.
Aus den Comptes rendus, Juli 1849, Nr.
3.
Dubrunfaut, über die Zuckerarten.
Ich glaube in einer früheren Abhandlung (polytechn. Journal Bd. CVII S. 358) hinlänglich dargethan zu
haben, daß der durch Säuren umgesetzte Rohrzucker und der ihm ähnliche Fruchtzucker
etc. nicht chemisch einfache Körper sind. Ich glaubte durch ein einfaches und leicht
zu wiederholendes Experiment hinreichend bewiesen zu haben, daß der krystallisirte
Traubenzucker (Glucos), welchen man vom Fruchtzucker abscheidet, nicht durch
Molecularveränderung eines mit Drehungsvermögen nach links begabten Zuckers und
dessen Verwandlung hiebei in einen andern nach rechts drehenden entsteht, sondern
bloß das Product einer Abscheidung mittelst Krystallisation ist.
Ich hatte damals aus meinen Versuchen auch den Schluß gezogen, daß eine große
Aehnlichkeit in der Zusammensetzung des Fruchtzuckers und des Honigzuckers
stattfinde, und ihre Verschiedenheiten hauptsächlich darin bestehen:
1) daß der Honigzucker Rohrzucker enthält, welcher sich durch die umgekehrte Wirkung
des Ferments auf diese Zuckerart charakterisirt;
2) in der Eigenschaft des Honigsaftes in den letzten Perioden seiner Gährung ein
Drehungsvermögen nach rechts anzunehmen – eine Eigenschaft, die meines
Dafürhaltens eine neue Zuckerart anzeigt.
Diese im September 1847 als Vermuthung aufgestellte Theorie kann ich jetzt als durch
viele Versuche bestätigt betrachten, und sie gibt uns eine befriedigende Erklärung
aller bekannten und richtig beobachteten Thatsachen.
Von den zahlreichen und umständlichen Versuchen, welche ich schon seit langer Zeit
unternahm, um das Chaos der Zuckerarten zu entwirren und eine befriedigende
Monographie der in die Familie der Zucker gehörigen Körper herzustellen, will ich
hier nur einige Resultate mittheilen.
1) Ueber den umgesetzten Zucker und die ihm gleichartigen.
Der durch schwache Säuren oder Ferment ganz umgesetzte Rohrzucker besteht
hauptsächlich aus zwei verschiedenen im Verhältniß gleicher Aequivalente gemischten
oder verbundenen Zuckerarten.
Die eine dieser Zuckerarten ist der krystallisirte Traubenzucker (Glucos), welchen
man schon längst kennt und dessen Zusammensetzung im wasserfreien Zustande der
Formel C¹²H¹²O¹² entspricht.
Die andere ist ein unkrystallisirbarer Zucker, welcher bei 100° C. getrocknet
dieselbe Zusammensetzung hat wie das Glucos; auch liefert ein gleiches Gewicht von
ihm durch Gährung dieselben Mengen Alkohol und Kohlensäure wie das Glucos.
Dieser neue Zucker besitzt ein Drehungsvermögen nach linls, welches viermal so groß
ist als dasjenige des bei gleicher Temperatur und unter gleichen Umständen
beobachteten umgesetzten Zuckers. Sein bei 14° C. bestimmtes Drehungsvermögen
wird bei 52° C. um 9/37 geschwächt. Er bildet mit dem Kalk eine auflösliche
basische Verbindung, der mit Glucos entstehenden ähnlich, welche wie letztere
Sauerstoff aus der Luft absorbirt und dann neue Körper erzeugt, die noch nicht näher
untersucht sind.
Außerdem bildet dieser Zucker mit dem Kalke eine wenig auflösliche, in
mikroskopischen, nadelförmigen Prismen krystallisirbare Verbindung. Diese
charakteristischen Krystalle wurden noch nicht untersucht; soviel aber ist bereits
ermittelt, daß sie nicht weniger als 6 Aequivalente Basis auf 1 Aequiv. Zucker
enthalten. Sie zersetzen sich im Wasser; Luft und Wärme begünstigen diese
Zersetzung, wobei sie flüssig werden und der Zucker endlich verschwindet.
Der Rohrzucker, mit Wasser allein oder mit Zusatz verdünnter Säuren erhitzt, leibet
Veränderungen, die ihn umsetzen und dann den flüssigen Zucker, mit Ausschluß des
Glucos, zerstören.
Der flüssige Zucker ist dem mit Inulin bereiteten identisch, welcher, wie Bouchardat gezeigt hat, ein Drehungsvermögen besitzt, das
seine Unreinheit beweist.
2) Ueber den Honig. Der käufliche Honig enthält frisch
gesammelt veränderliche Mengenverhältnisse von Rohrzucker, die sich ausschließlich
in dem flüssigen Theile desselben befinden. Dieser Zucker verschwindet mit der Zeit,
welches Verschwinden hauptsächlich der umsetzenden Einwirkung des in diesem Product
enthaltenen natürlichen Ferments zuzuschreiben ist.
Der charakteristische Geschmack des Honigs rührt von Bestandtheilen her, welche durch
die geistige Gährung entwickelt wurden.
Der Honig liefert, je nach seiner Consistenz und der eben stattfindenden Temperatur,
durch Auspressen 20–30 Procent Glucos. Die Mutterlauge dreht alsdann stark
nach links.
Honig, welcher fest wurde, nimmt, unter günstigen Umständen umgeschmolzen, seine
ursprüngliche Consistenz wieder an. Honig, welcher in schlecht zugestopften Gefäßen
in Kellern stehen blieb, geht durch sein natürliches Ferment nach und nach langsam
in Gährung über. Hier wirft sich, im Gegensatz mit den Resultaten der Gährungen
welche bei geringer Dichtigkeit der Zuckerlösungen und mit Bierhefe stattfinden, die
Wirkung des Ferments zuerst auf den flüssigen Zucker und hinterläßt einen Saft, in
welchem sich das Glucos concentrirt. Ein Honig, welcher 1350 Dichtigkeit hatte, war
in drei Jahren auf 1150 herabgekommen; er enthielt einige Procente Alcohol, der
übrige war verdunstet; von entstandener Milchsäure zeigten sich nur schwache
Spuren.
Jeder Honig, ohne Ausnahme, enthält eine große Menge Fruchtzucker, aus welchem
mittelst Kalks mein unkrystallisirbarer flüssiger Zucker mit allen ihm von mir
zugeschriebenen Eigenschaften leicht abgeschieden werden kann.
Der Honig enthält außer dem Rohrzucker und den Elementen des Fruchtzuckers einen
Ueberschuß von Glucos oder einen andern Zucker mit starkem Drehungsvermögen nach
rechts, welchen man im Saft wiederfindet, der eine geistige Gährung bis zu dem Grade
bestanden hat, wo die Drehung schon bedeutend nach rechts übergegangen ist.
Die abführende Eigenschaft des Honigs scheint dem flüssigen Zucker und nicht der
festen Substanz desselben zugeschrieben werden zu müssen.
Die Krystallisation des Honigs geschieht unter so großer Expansion, daß die ihn
enthaltenden Gefäße springen würden, wenn man ihm nicht gestattete, sich frei
auszudehnen. Der Zutritt der Luft ist für diese Krystallisation, wie für diejenige
des Glucos, unerläßlich.
3) Ueber die getrockneten oder mit Zucker beschlagenen
Trauben (Rosinen). Die Versuche, welche Biot mit
den Trauben anstellte, um den seit 17 Jahren angenommenen Satz zu beweisen, daß die
rechts ablenkenden Traubenzucker-Concretionen in den Trauben das Product
einer Umbildung des Fruchtzuckers sind, welcher sonst links rotirt, sind zwar
richtig; aber der aus ihnen gezogene Schluß ist unrichtig, weil die betreffenden Versuche
nicht mit der erforderlichen Genauigkeit angestellt wurden.
Diese Concretionen zeigen sich zuerst in der Nähe des Fruchtstiels und der
Gefäßgewebe, wo die Luft ohne Zweifel die Krystallisation begünstigt.
Der Zucker in den ganzen Trauben erleidet keine größere Umbildung (Verwandlung) als
in den Syrupen dieser Frucht.
Wirklich geben die Rosinen, unter Umständen aufbewahrt, welche eine Gährung und
andere Veränderungen ausschließen, in Wasser aufgelöst ganz dieselbe Rotation,
welche bei gleicher Dichtigkeit der bei gleicher Temperatur beobachteten Auflösungen
gleich intensiv ist.
Die im Handel vorkommenden festgewordenen Rosinen, deren Syrupe, wie Biot zuerst beobachtete, die Ebene des polarisirten
Lichtes so deutlich nach rechts drehen, haben alle unter dem Einfluß der Zeit und
äußerer Agentien Veränderungen erlitten, welche zunächst den flüssigen Zucker
ergriffen. Zweierlei Erscheinungen, von welchen man sich leicht überzeugen kann,
führen vorzüglich dieses Resultat herbei, nämlich: 1) eine Gährung ähnlich
derjenigen, wie ich sie für den sich von selbst verändernden Honig bezeichnete; 2)
der Angriff verschiedener Insecten, vorzüglich des Acarus
farinae (der Mehlmilbe), deren Spuren man in alten, weißgewordenen Rosinen
häufig findet; diese Insecten greifen mit Vorliebe den flüssigen Zucker an. Ich
besitze eine Portion zerquetschter Trauben, welche, nachdem sie die
Traubenzucker-Krystallisation bestanden hatten, seit zwei Jahren von der
Mehlmilbe völlig zersetzt wurden. Dieses Insect verzehrte den flüssigen Zucker und
hinterließ beinahe ganz reinen krystallisirten Traubenzucker (Glucos). So besitze
ich auch Honigproben, welche von Ameisen zersetzt wurden, die den Zucker verließen,
nachdem sie ihn durch Beseitigung des flüssigen Zuckers in den Zustand von
Traubenzucker übergeführt hatten. Auch besitze ich ein Gefäß mit Rosinen, welche bei
freiem Zutritt der Luft aufbewahrt wurden; dieselben sind nicht fest geworden,
sondern haben sich im Gegentheil sehr erweicht und ihr Syrup lenkt die
Polarisationsebene nach rechts ab.