Titel: Ueber die momentane Unverbrennlichkeit lebender organischer Gewebe (sogenannte Feuerprobe) und die physische Beschaffenheit der Körper im sphäroidischen Zustande; von P. H. Boutigny.
Fundstelle: Band 115, Jahrgang 1850, Nr. X., S. 45
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X. Ueber die momentane Unverbrennlichkeit lebender organischer Gewebe (sogenannte Feuerprobe) und die physische Beschaffenheit der Körper im sphäroidischen Zustande; von P. H. Boutigny.Man vergleiche die betreffenden Untersuchungen des Verfassers im polytechn. Journal Bd. LXXX S. 457, Bd. CIV S. 78, Bd. CXII S. 356 und Bd. CXIII S. 77. Aus dem Moniteur industriel, 1849, Nr. 1391. Boutigny, über die momentane Unverbrennlichkeit lebender organischer Gewebe. Auf die Oberfläche eines Bleibades goß ich einige Tropfen destillirtes Wasser, welche in sphäroidischen Zustand übergingen; dann Alkohol – gleiche Erscheinung; endlich Aether, welcher sich wie der Alkohol verhielt. Diese Resultate waren gewiß sehr ermuthigend. Ich begann daher meine Versuche von Neuem und zwar wie folgt: Ich befeuchtete den Zeigfinger mit Wasser, tauchte ihn in dasselbe Bleibad und hatte die Empfindung von Wärme, welche das Wasser im sphäroidischen Zustand hervorbringt. Ich wiederholte den Versuch mit Alkohol; ich empfand ebenfalls Wärme, aber eine ganz erträgliche. Der dritte Versuch wurde mit Aether angestellt, mit welchem ich meinen Finger befeuchtete. Diesesmal fühlte ich keine Wärme; hingegen eine angenehme sammetartige Kühle; ich wüßte dieses Gefühl nicht anders auszudrücken. Dieser Versuch wurde oft wiederholt, und ich erkläre ohne Anstand, daß er vollkommen unschädlich ist, und daß die zarteste Frauenhand ihn ohne die mindeste Gefahr vornehmen kann. Ich muß jedoch bemerken, daß die Resultate dieser Versuche nach Umständen veränderlich sind; so würde z.B., wer seinen Finger mit Aether befeuchten und ihn nicht gleich darauf in das geschmolzene Blei tauchen würde, Wärme empfinden, dieselbe so wie ohne vorgängiges Eintauchen in Aether, und zwar weil diese höchst flüchtige Flüssigkeit verdunstet.Eine Mischung von 10 Grammen Alkohol und 20 Gram. Aether, in welcher 1 Gramm Seife aufgelöst ist, eignet sich sehr gut zur sicheren Anstellung derartiger Versuche. Auch würde man Gefahr laufen sich tief zu verbrennen, wenn man den Finger in das Metall im Augenblick seines Erstarrens tauchen würde, weil in diesem Falle der Finger darin stecken, oder eine gewisse Menge des Metalls daran hängen bliebe; es ist mir dieses selbst mehrmals widerfahren. Der Alkohol und Aether, welche sich zu dem Versuche mit geschmolzenem Blei so gut eignen, wären ganz ungeeignet zu den Versuchen mit geschmolzenem Eisen, weil dessen Temperatur so hoch ist, daß sie sich entzünden würden, wie ich bei einigen Versuchen die Erfahrung machte. Merkwürdig ist, daß jene Theile der Hand, welche nicht in das schmelzende Metall getaucht, aber der Ausstrahlung an der Oberfläche des Bades ausgesetzt werden, eine schmerzhafte Empfindung von Hitze erfahren, auf welche Röthung der Haut folgt. Die in das Bad gesteckten Theile kommen hingegen gesund und wohlbehalten wieder heraus. Ich habe in meinem Werkchen einen Versuch beschrieben, der darin besteht, Ammoniak in sphäroidischen Zustand übergehen zu lassen, und einige Milligramme Jod hineinzuwerfen, welche sich mit ihm vermischen und endlich darin auflösen; untersucht man aber während des Aufeinanderwirkens dieser Substanzen das Gemenge aufmerksam, so beobachtet man zahlreiche Strömungen, die in allen Richtungen gehen und sich mit einer Geschwindigkeit, welcher das Auge kaum folgen kann, kreuzen; sie bilden zahllose Wirbel. Schon Anfangs schien es mir, daß die das Sphäroid begränzende Schicht an den Bewegungen, welche in den darunter liegenden Schichten stattfinden, durchaus keinen Antheil habe. Weitere Versuche bestätigten diese Beobachtung, und es blieb mir in dieser Hinsicht nicht der mindeste Zweifel übrig; dieß genügte mir aber nicht, sondern ich bestrebte mich, diese Ueberzeugung auch Anderen beizubringen. Durch folgenden Versuch hoffe ich darzuthun, daß die Körper im sphäroidischen Zustand von einer Schicht der Materie begränzt sind, deren Moleküle in solcher Weise mit einander verbunden sind, daß man sie mit einer festen durchsichtigen Hülle vergleichen kann, welche unendlich dünn und sehr elastisch ist. – Man nimmt 5 Centigramme gepulverte braune Kohle, von welcher jedes Körnchen nicht mehr als 1/4 Millimeter in seiner größten Dimension hat; man rührt dieses Pulver mit 10 Grammen destillirten Wassers an; alsdann läßt man mittelst einer Pipette einige Tropfen dieses Gemenges in ein ganz blankes, rothglühendes Platinschälchen fallen und beobachtet den Vorgang, Die oben bezeichneten Strömungen lassen sich nun deutlich wahrnehmen, ohne daß die das Sphäroid begränzende Schicht irgend einen Antheil daran nähme. Manchmal dringen kleine Kohlenkörnchen durch die äußere Schicht und bleiben darauf stehen; es sind dieß ebenso viele Anhaltspunkte für den Beobachter. Wenn man die Geduld hatte, diese Erscheinung abzuwarten, so kann einem nicht mehr der geringste Zweifel übrig bleiben, weil die Strömungen sich im Innern des Sphäroids nach allen Richtungen zu bewegen fortfahren, während die äußere Schicht diesen Strömungen ganz fremd bleibt (da der Versuch lange andauern kann, so unterhalt man das Volum des Sphäroids dadurch, daß man von Zeit zu Zeit ein paar Tropfen destillirten Wassers zusetzt). Wenn man dem Gemenge von Wasser und Kohle ein wenig Kalkwasser zusetzt, so ist die Erscheinung noch viel deutlicher; hiebei könnte man aber einwenden, daß eine Schicht kohlensaurer Kalk das Sphäroid begränze, und wirklich tritt aller Kalk als kohlensaurer Kalk an die Oberfläche des Sphäroids. Wie ich also oben sagte, sind die Körper im sphäroidischen Zustand mit einer Schicht überzogen, deren Cohäsion so groß ist, daß sie als fest oder von eigenthümlichem, dem festen ähnlichen Molecularzustand betrachtet werden kann, welcher sie so zu sagen von der übrigen Masse isolirt. Wird diese Thatsache zur Erklärung gewisser Eigenschaften der Materie im sphäroidischen Zustand dienen, namentlich der langsamen Verdampfung, welche beim Wasser in einem auf 200° C. erhitzten Schälchen bekanntlich 50 mal geringer ist, als beim Sieden unter gewöhnlichen Umständen? Wird sie uns die Ursache der Fortdauer des sphäroidischen Zustandes, sogar der schwefligen Säure und des Stickstoffoxyduls (im luftleeren Raum und im rothglühenden Schälchen) enthüllen? Wir werden dieß ohne Zweifel einmal durch die Analyse erfahren. Meine hier aufgestellte Ansicht über die physische Beschaffenheit der Körper im sphäroidischen Zustand wird, obwohl sie auf Versuche und Beobachtungen gegründet ist, gewiß nicht unbestritten bleiben; sie erscheint hiefür zu paradox. So könnte man mir einwenden, daß die äußere feste Schicht der im sphäroidischen Zustand befindlichen Körper weniger dicht seyn müsse, als der flüssige Theil, weil sie sonst in Folge der Attraction gegen den Mittelpunkt der Kugel einfallen müßte; dieß widerspricht aber, wird man sagen, den allgemeinen Gesetzen der Physik, weil ein fester Körper immer dichter ist, als die Flüssigkeit welche ihn lieferte. Hierauf antworte ich, daß dieses Gesetz nicht so allgemein ist, als man glaubt; folgendes sind Ausnahmen davon: 1) das feste Wasser ist nicht so dicht wie das flüssige; 2) viele Metalle sind minder dicht als das Quecksilber; 3) das feste Silber schwimmt auf dem geschmolzenen (Persoz); 4) das specifische Gewicht des geschmolzenen Bleies ist größer als dasjenige des festen (Boutigny) etc. – Wie man sieht ist dieser Einwurf nicht stichhaltig; andern sehe ich entgegen, um sie zu prüfen. Zusatz. Hr. Pros. Plücker in Bonn bestätigt in Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, 1849 Nr. 11, die neuesten Versuche des Hrn. Boutigny; er sagt: „Um Ostern v. J. hat Hr. Boutigny mir mit gewohnter Freundlichkeit seine frühern Versuche gezeigt, und seine seltene Ausdauer in Verfolgung eines fruchtbaren Gedankens bewundernd, nahm ich damals den Eindruck mit hinfort, daß es sich hiebei um lange noch nicht vollständig enthüllte Naturgesetze handle, worin ich durch die Nachricht von seinen letzten Versuchen nur bestärkt wurde. In Folge einer mündlichen Besprechung dieser Versuche schrieb mir Hr. Fessel aus Köln, er habe am folgenden Tage seine Finger in möglichst stark erhitztes Blei eingetaucht, der hervorragende Nagel eines Fingers sey dabei verbrannt worden, sonst aber seyen die Finger ganz unversehrt geblieben; und gleich darauf schrieb er mir weiter, ein Arbeiter in der Maschinenfabrik von Behrens und Comp. zu Köln habe den Versuch mit geschmolzenem Eisen gemacht und wolle denselben vor mir wiederholen. Dieses Anerbieten annehmend, ging ich in Begleitung mehrerer Personen, die sich für die Sache interessirten, nach Köln. Der Arbeiter schlug in meiner Gegenwart wirklich mit den nicht benetzten Fingerspitzen, rasch und nicht ohne Aengstlichkeit, gegen die Oberfläche des Eisens, das eben aus dem Schmelzofen in eine Wanne ausgeströmt war und später zum Gusse einer großen Ofenplatte verwendet wurde. Von der Richtigkeit der Boutigny'schen Versuche war ich hienach vollständig überzeugt, und als ich eben zu dem Arbeiter hinzutrat, um seine Fingerspitzen genauer zu untersuchen, schlug bereits einer der mich begleitenden beiden Assistenten des physikalischen Cabinets mit der vollen flachen Hand, die er zuvor in Wasser getaucht hatte, so stark gegen die hellglühende Oberfläche, daß geschmolzenes Eisen herumgeworfen wurde, und gleich darauf schlug auch der andere Assistent mit benetzter Hand hinein. Nach diesen Versuchen, die selbst gegen die von Boutigny angerathenen Vorsichtsmaßregeln, nicht gegen die Masse zu schlagen, angestellt worden waren, schienen Versuche, die ich der Vorsicht wegen, vor dem Eintauchen machen wollte, für diesen Zweck überflüssig; ich benetzte die rechte Hand, steckte den Zeigefinger fast ganz in die geschmolzene Masse und zog ihn, ganz langsam durch dieselbe hinfahrend, nach ein paar Secunden wieder heraus. Ich fühlte, wie das Eisen vor meinem Finger floh und hatte in demselben durchaus keine Empfindung von Hitze.Schon vor länger als 20 Jahren sah Hr. Prof. H. Rose bei einem Besuch der Hüttenwerke zu Avestad in Schweden, daß ein Arbeiter, für eine geringe Belohnung, flüssiges Kupfer mit der bloßen Hand aus einem Tiegel schöpfte und gegen die Wand warf. Es bestätigt dieß, wie andere Thatsachen, die Hr. Boutigny selbst in seiner Abhandlung aufführt, daß das erwähnte Phänomen, namentlich in technischen Kreisen, längst kein unbekanntes war. Poggendorff. Ich würde die Temperatur des Eisens, die etwa 1500° C. war, nicht auf 36° geschätzt haben; der Finger war beim Herausziehen weniger warm als die übrige Hand. Auch Hr. Fessel und meine drei übrigen Begleiter wiederholten unter Modificationen diese Versuche; einer derselben mit trockener Hand; einer bemerkte, wie die zuvor in Wasser eingetauchte Hand nur so weit trocken heraus kam, als sie nicht eingetaucht war, ein dritter schöpfte das Eisen mit der hohlen Hand. Die kleinen Härchen auf den eingetauchten Fingern waren überall verschwunden, die Nägel hatten durchaus nichts gelitten, auch war kein besonderes Eindringen der Wärme durch die Nägel bemerkbar. Die herausgezogene Hand hatte einen schwachen brenzlichen Geruch, der, wo Schwielen vorhanden, stärker war; aber nirgend das geringste Gefühl einer Verbrennung oder auch nur einer unangenehmen Hitze. Gewisse Operationen der niedern Chirurgie würden sich hiernach am schmerzlosesten machen lassen, wenn man den Fuß in ein Bad glühenden Eisens brächte. Zuletzt machte ich noch einen Versuch, dem eigentlich seine Stelle früher bestimmt war: ich hing den Finger eines ledernen Handschuhes, den ich von innen stark benetzt und um einen Holzstab gezogen hatte, beinahe eine Minute lang in das geschmolzene Eisen: beim Herausziehen war der Handschuh nicht nur nicht verbrannt, sondern auch nur etwa (ein Thermometer stand mir damals nicht zu Gebot) 40° C. warm.