Titel: | Ueber die Gewinnung reinen Sauerstoffgases aus der atmosphärischen Luft, um zu technischen Zwecken hohe Temperaturen hervorbringen zu können; von Boussingault. |
Fundstelle: | Band 120, Jahrgang 1851, Nr. XXVIII., S. 121 |
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XXVIII.
Ueber die Gewinnung reinen Sauerstoffgases aus
der atmosphärischen Luft, um zu technischen Zwecken hohe Temperaturen hervorbringen zu
können; von Boussingault.
Aus den Comptes rendus, Febr. 1851, Nr.
8.
Boussingault, über Gewinnung reinen Sauerstoffgases um zu
technischen Zwecken hohe Temperaturen hervorzubringen.
Seit geraumer Zeit habe ich mir die Aufgabe gestellt, das in der atmosphärischen Luft
mit Stickstoff gemengte Sauerstoffgas in reinem Zustande und beträchtlicher Menge
daraus zu gewinnen.
Es ist in der That auffallend, baß man noch nicht versucht hat dieses Gas aus der
Atmosphäre, von welcher es ein Fünftel ausmacht, zu gewinnen, und das erste-,
vielleicht das einzigemal, wo man von einem Körper den Sauerstoff aufnehmen und in
festen Zustand überführen sah, um ihn dann rein und in gasförmigem Zustand wieder
abzugeben, war der
denkwürdige Versuch, durch welchen Lavoisier die
Bestandtheile der Atmosphäre trennte, indem er ein Quecksilberbad in einem sehr
beschränkten Luftvolum erhitzte; hierbei mußte er aber das Metall zwölf Tage lang
fast bis zum Siedepunkt erhitzen, um ein wenig rothen Präcipitats
(Quecksilber-Oxyd) zu erhalten, aus welchem er durch Calciniren in
geschlossenem Gefäße einige Kubikcentimeter Sauerstoff gewann. Wie man sieht, ist
dieses Mittel durchaus nicht praktisch, nicht nur wegen der geringen Menge des
Products, sondern auch, weil man den Sauerstoff in einem andern Apparat entwickeln
muß, als worin das Metall oxydirt wurde, was ich bei der mir gestellten Aufgabe
vermeiden wollte.
Uuter den wenigen Körpern, welche zur Lösung der Frage, so wie sie gestellt war, zu
Gebot stunden, wählte ich den Baryt, und zwar wegen seiner bekannten Eigenschaft,
den gasförmigen Sauerstoff bei nicht sehr hoher Temperatur zu fixiren und ihn durch
hinreichendes Erhitzen wieder abzugeben.
Man weiß, daß wenn man einen Strom Sauerstoffgas über Stücke von caustischem Baryt
streichen läßt, welche in einer Röhre bis zum sehr dunkeln Rothglühen erhitzt
werden, das Gas so vollständig absorbirt wird, daß es am Ende der Röhre erst dann
zum Vorschein kömmt, wenn der Baryt ganz überoxydirt ist. Es ist dieß das von Thenard entdeckte Verfahren das Baryumsuperoxyd
darzustellen. Wenn man, nachdem sich dasselbe gebildet hat, die Temperatur der Röhre
über die Kirschrothglühhitze steigert, so wird es beinahe augenblicklich zersetzt
und man erhält von 1 Kilogr. der Substanz 73 Liter Sauerstoffgas. Nach seiner
raschen Zersetzung nimmt der Baryt sein ursprüngliches Ansehen und seine frühern
Eigenschaften wieder an, man kann ihn neuerdings oxydiren, den Sauerstoff wieder
daraus entwickeln, um ihn abermals zu oxydiren und so ins unendliche fort.
Diese Eigenschaft des Baryts, sich innerhalb sehr enger Temperaturgränzen zu oxydiren
und zu desoxydiren, habe ich benützt um den Sauerstoff der Atmosphäre zuerst
abzuscheiden und dann für sich zu sammeln, nachdem ich mich vorher überzeugt hatte,
daß der Baryt durch einen Strom von ihrer Kohlensäure befreiten trocknen Luft
überoxydirt werden kann.
Mein Apparat besteht in einer Röhre aus Porzellan oder glasirtem Steingut, die durch
einen Ofen mit aufgesetztem Schornstein gelegt wird. Der Baryt wird in Stücken in
diese Röhre gebracht, deren vorderes Ende mit einem Hahn versehen ist, mittelst
dessen der Zutritt der Luft nach Belieben hergestellt oder aufgehoben werden
kann.
An der Austrittsmündung der Röhre ist eine gabeltheilige Röhre angepaßt, die mit zwei
weitern Hähnen versehen ist, wovon der eine mit einem Aspirator, der andere mit
einem Gasometer verbunden ist. Das Abfließen des im Aspirator enthaltenen Wassers
bewirkt das Einziehen der Luft in die Röhre, welche dunkelrothglühend erhalten wird.
Der Baryt oxydirt sich höher. Nach einer gewissen Zeit, wenn man diese Oxydation
hinreichend vorgeschritten erachtet — denn es ist nicht unerläßlich daß sie
vollständig sey — schließt man den Hahn für den Luftzutritt und den des
Aspirators, und stellt die Verbindung zwischen der Röhre und dem Gasometer her. Man
erhöht nun die Temperatur, zu welchem Behufe man nur den Aschenraum zu öffnen
braucht, und bald strömt der bisher vom Baryt zurückgehaltene Sauerstoff in den
Gasometer.
Nachdem die Entwickelung beendigt ist — und dieß geht sehr schnell —
sperrt man den Gasometer ab, mäßigt das Feuer und beginnt, indem man den Aspirator
in Gang setzt, neuerdings zu oxydiren, um dann wieder zu desoxydiren; beide
Operationen folgen so beständig aufeinander. Bei der dunklen Rothglühhitze bildet
also der Baryt gewissermaßen ein Filter, welches den Sauerstoff der Luft zurückhält,
ihren Stickstoff aber hindurchläßt.
Der Apparat, welchen ich hier in der Hauptsache beschrieb, war in meinem Laboratorium
am Conservatorium der Künste und Gewerbe (zu Paris) im Monat Mai 1849 im Gang; ich
mache ihn aber erst jetzt bekannt, weil sich in der Praxis eine große Schwierigkeit
ergab, deren Ursache ich erst nach vielen Versuchen entdeckte.
Als der Baryt zum erstenmal angewandt wurde, gelang der Versuch auf das
befriedigendste; nach einigen Operationen aber, oft schon von der zweiten Oxydation
an, trat der Umstand ein, daß für dasselbe und mit gleicher Geschwindigkeit durch
die Röhre streichende Luftvolum die Menge des im Baryt fixirten Sauerstoffs sehr
rasch abnahm. Als Beispiel theile ich einen solchen Versuch mit, bei welchem 250
Gramme Baryt angewandt wurden. Man erhielt:
Temp.
Bar.
Nach der
1sten
Oxydation
15,5
Liter Sauerstoff
14
bis
18° C.
760 Mill.
2ten
—
11,8
—
—
—
—
3ten
—
8,5
—
—
—
—
4ten
—
5,9
—
—
—
—
Bei einem andern Versuch, wo die Oxydation des Baryts nicht so weit getrieben wurde,
erhielt man:
Temp.
Bar.
Nach der
1 sten
Oxydation
11,7
Liter Sauerstoff
14
bis
19° C.
750 Mill.
2ten
—
11,7
—
—
—
—
3ten
—
11,7
—
—
—
—
4ten
—
10,5
—
—
—
—
5ten
—
8,6
—
—
—
—
6ten
—
6,8
—
—
—
—
7ten
—
3,8
—
—
—
—
Bei so gleichbleibenden Resultaten — denn die Versuche wurden länger als zwei
Monate fortgesetzt — und nachdem ich mich vorher überzeugt hatte, daß
dieselben nicht einer Unvollkommenheit des Apparats zugeschrieben werden konnten,
welcher auf das sorgfältigste zusammengesetzt und überwacht wurde, mußte ich
vermuthen, daß die Luft wegen der Geschwindigkeit, womit sie durch den
Reinigungsapparat strich, nicht alles Wasser und nicht alle Kohlensäure abgab, so
daß sich Spuren dieser Substanzen mit dem Baryt verbinden und sein Vermögen den
Sauerstoff zurückzuhalten, schwächen. Doch bezeugten Probirröhren durch die Unwandelbarkeit ihres Gewichts, daß die eingeführte
Luft weder Feuchtigkeit noch Kohlensäure enthielt.
Ich glaubte nun, daß die Luft gewisse Stoffe enthalten müsse, welche ihr die
austrocknenden Mittel nicht entziehen; allein auch diese Ansicht hielt nicht mehr
Stich, nachdem ich mich durch wiederholte Versuche überzeugt hatte, daß sich das
Absorptionsvermögen des Baryts auch dann noch verminderte, wenn ich seine Oxydation
durch reinen Sauerstoff, welchen ich abwechselnd von ihm aufnehmen und wieder
abgeben ließ, oder auch, wenn ich seine Oxydation in einem so engbegränzten
Luftvolum bewerkstelligte, daß keine wägbare Menge irgend eines fremdartigen Stoffes
darin enthalten seyn konnte. Die Versuche, im Sauerstoff sowohl als in
eingeschlossener Luft, wurden mit einigen Grammen Baryt angestellt, welcher sich in
einem Platinschiffchen befand, das in eine Porzellanröhre geschoben wurde; den
Gasometer vertraten eine oder zwei über Quecksilber gestellte Glasglocken, welche in
Kubikcentimeter getheilt waren.
Schon am Anfang dieser Versuche bemerkte man, daß der Baryt, nachdem er lange Zeit
erhitzt worden, sich endlich merklich zusammenzog, manchmal sogar gefrittet schien; in einem Fall, wo der Sauerstoff bei
starker Weißglühhitze ausgetrieben wurde, kam er sogar in teigigen Fluß. Andererseits gab
Baryt, der zu diesen Versuchen gedient hatte, in Salpetersäure aufgelöst, als
Rückstand eine nicht unbedeutende Menge Kieselerde; der Baryt, wie man ihn
gewöhnlich darstellt, enthält nämlich stets Kiesel- und Thonerde. Thenard hat dieß zuerst beobachtet und schreibt die
Gegenwart dieser Erden den Schmelztiegeln oder Porzellanretorten zu, in welchen der
salpetersaure Baryt längere Zeit geglüht wird. Wenn man aber zum Ausglühen ein
Platingefäß anwendet, welches sich wohl auch durch ein eisernes Gefäß ersetzen läßt,
so erhält man einen von Kiesel- und Thonerde freien Baryt, welcher ohne
Berührung erdiger Substanzen sich nicht mehr frittet, und beliebig lang zur
Gewinnung des Sauerstoffs aus der atmosphärischen Luft dienen kann.
Als Beispiel theile ich eine Reihe von Oxydationen mit, welche mittelst eines auf
reinen Baryt wirkenden Luftstroms bewerkstelligt wurden; die Zahlen beziehen sich
auf 25 Gramme angewandten Baryts. Man erhielt:
Temp.
Bar.
Nach der
1sten
Oxydation
1,70
Liter Sauerstoff
15½
C.
759 Mill.
2ten
—
1,79
—
17
—
—
3ten
—
1,82
—
14
—
—
4ten
—
1,74
—
17
—
—
5ten
—
1,74
—
19
—
—
6ten
—
1,64
—
19
—
—
9ten
—
1,58
—
17
—
—
10ten
—
1,72
—
19
—
—
11ten
—
1,75
—
19
—
—
Obwohl hergestellt war, daß die Verminderung des Absorptionsvermögens des Baryts für
den Sauerstoff nicht von dem in der Luft etwa enthaltenen Wasserdunst oder
Kohlensäuregas bewirkt werde, untersuchte ich doch noch den Einfluß dieser beiden
Gase in dem Fall, wo zufällig um gereinigte Luft in den Apparat käme. Die darüber
angestellten Versuche waren entscheidend und lieferten überdieß unerwartete
Resultate.
Ich brachte in ein Platinschiffchen 2,595 Gramme Baryt und leitete darüber einen
Strom von ihrer Kohlensäure nicht befreiter, nicht getrockneter Luft; die Luft
strich langsam darüber, die Röhre wurde zum Dunkelrothglühen erhitzt und man
sammelte den Sauerstoff bei der Desoxydation in einer graduirten Glocke über
Quecksilber auf.
Jede Oxydation dauerte ¼ bis ½ Stunde. Man erhielt:
Temp.
Bar.
Nach der
1sten
Oxydation
159
Kubik-Centim.
Sauerstoff
14°
C.
760 Mill.
2ten
—
158
—
—
15
—
—
9ten
—
162
—
—
18
—
—
10ten
—
157
—
—
18
—
—
Bei diesem Versuche nahm der Baryt nur um 0,087 Gramme an Gewicht zu, und doch hatte
man 50 Liter Luft aus dem Laboratorium von 12–13° C. durch die Röhre
streichen lassen. Diese Luft mußte 0,040 Gramme Kohlensäure enthalten und hätte,
wenn sie mit Wasserdunst gesättigt gewesen wäre, beiläufig 0,5 Gramme Wasser zu
bringen müssen. Es ist mithin wahrscheinlich, daß der Baryt in diesem Fall nicht
alles aufgenommen hat, was er an Wasser und Kohlensäure hätte aufnehmen müssen, und
doch hat er zu beiden eine sehr große Verwandtschaft; ich fand z. B. daß er beim
Dunkelrothglühen Kohlensäuregas absorbirt. Nicht minder groß ist seine
Verwandtschaft zum Wasser; das Hydrat schmilzt in der Weißglühhitze, ohne sich zu
zersetzen. Dennoch gibt kohlensaurer Baryt auf einem Platinschiffchen in eine
Porzellanröhre gebracht, durch die man einen raschen trockenen Luftstrom leitet,
beim Kirschrothglühen zwar langsam aber sicher
Kohlensäure ab; in der Weißglühhitze erfolgt die Zersetzung schneller, doch ist auch
dabei noch eine beträchtliche Zeit erforderlich, um sie zu bewerkstelligen.
Unter denselben Umständen wird auch das Barythydrat schnell zersetzt, und wenn man
dann die Temperatur über die Kirschrothglühhitze treibt,
um das gebildete Superoxyd zu zerstören, so erhält man Aetzbaryt; alles Hydratwasser
wird durch den trocknen Luftstrom ausgetrieben. Diese Thatsachen erklären, warum die
nicht ausgetrocknete Luft, wenn sie bloß einige Zehntausendtheile Kohlensäure
enthält, das Absorptionsvermögen des Baryts nicht unmittelbar schwächt.
Das von mir mitgetheilte Verfahren setzt uns in Stand, den Sauerstoff von dem
Stickstoff, mit welchem er in der atmosphärischen Luft gemischt ist, zu trennen, und
obgleich ich dasselbe bloß als einen Laboratoriums-Versuch veröffentliche, so
kann ich doch nicht umhin, einige Zahlen anzuführen, welche in technischer Hinsicht
beachtenswerth sind. So erinnere ich, daß 10 Kilogr. Baryt, indem sie sich
vollständig oxydiren, 730 Liter Sauerstoff aufnehmen und wieder abgeben können; dieß
ist die theoretische Zahl; damit aber die Operation noch schnell ausführbar bleibt,
dürfte nur auf 600 Liter zu rechnen seyn. In letzterm Falle würde man aus 100
Kilogr. Baryt, die in 8 bis 10 Cylindern in demselben Ofen vertheilt wären, bei jeder Desoxydation
6000 Liter Sauerstoffgas entwickeln, und da man in 24 Stunden wahrscheinlich 4 bis 5
Operationen beendigen könnte, so erhielte man in diesen 24 Stunden 24 bis 30,000
Liter Sauerstoffgas mittelst eines verhältnißmäßig wenig Raum einnehmenden
Apparats.
Die Anwendung des Baryts bietet heutzutage kein ernstliches Hinderniß mehr dar;
seitdem nämlich Dubrunfaut die Zuckerindustrie mit einem
Verfahren beschenkte,Polytechn. Journal Bd. CXVII S. 142. welches eine
große Zukunft hat, wird der Baryt zu Tausenden von Kilogrammen bereitet; in
praktischer Hinsicht aber wäre bezüglich meiner Methode noch zu untersuchen, welchen
Einfluß die Geschwindigkeit des Luftstroms auf die Oxydation des Baryts hat, und ob
es, um diese Geschwindigkeit zu erhöhen, nicht zweckmäßig wäre, den Baryt mit heißer
Luft zu oxydiren.
Zusatz.
Obige Versuche von Boussingault begründen einen
Fortschritt in der Technik, von welchem in der nächsten Zukunft die Hüttenwerke und
später viele andere Industriezweige Nutzen ziehen dürften.
Die Erzeugung eines hohen Hitzegrades ist eine wesentliche Bedingung für das
Zugutemachen der Erze. Die Hitze, welche man gegenwärtig hervorzubringen vermag,
indem man die Luft vermittelst des Zugs oder der Gebläsemaschine durch die Oefen
leitet, bleibt auf ungenügende Gränzen beschränkt; wir können sie nicht so hoch
steigern, daß wir gewisse Metalle, z. B. Platin, im Großem zu schmelzen vermöchten,
wie im Kleinen mittelst des Knallgasgebläses. Um dieses Ziel zu erreichen, war man
längst bedacht, die Verbrennung in den Oefen mittelst reinen Sauerstoffs, anstatt
atmosphärischer Luft, zu bewerkstelligen; die Schwierigkeit bestand nur darin, ein
Verfahren zur wohlfeilen Bereitung des Sauerstoffgases zu ermitteln. Ein solches ist
aber die Methode von Boussingault; man kann jetzt das
nach derselben ohne bedeutende Kosten gewonnene Sauerstoffgas in großen Glocken, wie das Leuchtgas
sammeln, um Temperaturen hervorzubringen, welche bisher in der Technik nicht zu
erreichen waren. E. Maumené. (Moniteur industriel Nr. 1542.)