Titel: Ueber Saccharimetrie; von Hrn. Dubrunfaut.
Fundstelle: Band 121, Jahrgang 1851, Nr. LXXI., S. 299
Download: XML
LXXI. Ueber Saccharimetrie; von Hrn. Dubrunfaut. Aus den Comptes rendus, Februar 1851, Nr. 7. Dubrunfaut, über Saccharimetrie. Die erste Methode, welche ich bei meinen Zuckerproben anwandte, war die geistige Gährung.Es ist dieses Verfahren seit 10 Jahren in meinem Laboratorium in Anwendung, und es diente seitdem fast ausschließlich in allen den Handel und die Verwaltung angehenden Fällen, um den krystallisirbaren Zucker von dem unkrystallisirbaren in den zuckerhaltigen Handelsproducten zu scheiden. Hr. Leplay, mein früherer Zögling und jetziger Mitarbeiter, hat dieses Verfahren auf das Genaueste geregelt. Um die Scheidung der beiden Zuckerarten zu bewerkstelligen, benutze ich die Eigenschaft der Alkalien, alle Zuckerarten, außer dem krystallisirbaren, zu zerstören; ich wende vorzugsweise Aetznatronlösung an. Ich nehme zwei Gährungen vor; die eine mit dem unveränderten Zucker, die andere mit dem Zucker welcher vorher mit Alkali behandelt wurde. Der durch letztere Gährung erhaltene Alkohol ergibt mittelst eines festgestellten Coefficienten das Verhältniß des krystallisirbaren Zuckers. Die Differenz der alkoholischen Producte beider Gährungen ergibt den unkrystallisirbaren Zucker; und da die verschiedenen Arten dieses Zuckers in den Handelsproducten derselben Formel, C12 H12 O12, entsprechen, so nehme ich als Coefficient für den Alkohol des unkrystallisirbaren Zuckers denjenigen an, welcher sich auf dem Wege des Versuches für irgend eine dieser Zuckerarten ergab. Das zweite Verfahren, welches ich anwandte, gründet sich auf zwei chemische Eigenschaften der Zuckerarten, welche schon von Peligot und Bareswill zu saccharimetrischen Methoden benutzt wurden. Ich benutze nämlich 1) die Eigenschaft welche außer dem krystallisirbaren alle Zuckerarten besitzen, durch Alkalien zersetzt zu werden; 2) die Eigenschaft der Säuren, den krystallisirbaren Zucker umzusetzen. Um den Gehalt an unkrystallisirbarem Zucker zu finden, zerstöre ich ihn unter den erforderlichen Umständen durch Natronlösung, und bestimme dann mittelst des Alkalimeters die Menge Aetznatron, welche bei dieser Reaction verschwand. Anderseits verwandle ich den krystallisirbaren Zucker mittelst einer Säure in umgesetzten Zucker, welcher nach der Behandlung mit Aetznatron wieder mittelst des Alkalimeters bestimmt werden kann. Zwei mit dem Zuckergemenge angestellte Versuche, einer vor, der andere nach der Umsetzung, ergeben die Verhältnisse, in welchen die beiden Zuckerarten verbunden sind. Die unkrystallisirbaren Zuckerarten werden hierbei zusammengenommen bestimmt, wie dieß auch mittelst der Gährung der Fall ist, und zwei Coefficienten, synthetisch mit reinem Zucker und mit einer der Zuckerarten C12 H12 O12 erhalten, ergeben die Alkalimengen, welche unter den gegebenen Umständen die Aequivalente der verschwundenen Zuckerarten sind. Ich werde dieses saccharimetrische Verfahren, welches, um constante und vergleichbare Resultate zu liefern, besondere Sorgfalt erheischt, später ausführlich veröffentlichen. Ein drittes saccharimetrisches Verfahren, dessen ich mich seit einiger Zeit bediene, verdient eher melassimetrische Methode genannt zu werden; denn es gibt direct die Menge von Melasse an, welche ein zuckerhaltiges Rohmaterial bei dem gewöhnlichen Verfahren in den Rübenzuckerfabriken und Raffinerien liefert; und nur indirect erfährt man dabei den Zuckergehalt des Rohmaterials. Dieses Verfahren beruht auf der Eigenschaft der Melassen von gleichem Ursprung und gleichem Fabricationssystem, durch Einäschern Producte von ziemlich gleichem alkalimetrischem Gehalt zu liefern. So gibt die rohe Melasse der Rübenzuckerfabriken eine Asche oder Kohle, welche auf 100 Gramme verbrannter Melasse im Durchschnitt 7 Gramme concentrirte Schwefelsäure sättigt. Die Asche von 100 Grammen der Melasse vom Raffiniren des Rübenzuckers sättigt durchschnittlich 6 Gram. concentrirte Schwefelsäure; diejenige von 100 Gram. Melasse vom Raffiniren des Rohzuckers sättigt im Mittel 1 Gr. concentrirte Schwefelsäure. Wenn man bedenkt, daß z. B. beim Raffiniren das titrirende Alkali, welches die Asche der Melasse liefert, in dem Zucker, welcher diese Melasse gab, gänzlich präexistirt, so wird man begreifen, daß die bloße Einäscherung eines gegebenen Gewichts Zucker und der alkalimetrische Gehalt dieser Asche, zur Bestimmung des Melassengehalts dieses Zuckers dienen können. Dasselbe gilt für die Rohr- und Runkelrübensäfte; mittelst des alkalimetrischen Gehalts ihrer Aschen, im Vergleich mit dem alkalimetrischen Gehalt der Asche ihrer respectiven Melassen, kann man sehr annähernd das Ergebniß dieser Säfte an Melasse vorausbestimmen. Es leuchtet ein, daß bloß mittelst dieses Verfahrens, oder mit Beihülfe anderer saccharimetrischer Methoden, auch das industrielle Ergebniß der Rohzucker an reinem Zucker und Melasse bestimmt werden kann, sowie man auch im voraus bestimmen kann, wieviel Melasse eine Runkelrübe oder ein Zuckerrohr enthält, und folglich wieviel sie durch die gewöhnlichen Verfahrungsarten gewinnbaren Zucker enthalten. Die Ausführung dieses Verfahrens besteht, wie man sieht, in einfachen und leichten Operationen, und es stellt dasselbe in nahe Aussicht, das industrielle Ergebniß eines Zuckerrohstoffs, und folglich auch dessen käuflichen Werth, sowohl für die Bedürfnisse des Handels als für die Ansprüche des Aerars bestimmen zu können. Mein viertes Verfahren beruht auf der Anwendung der bekannten Polarisationsapparate und namentlich des Soleil'schen SaccharimetersPolytechn. Journal Bd. CVII S. 343. in welchem wir ein schätzbares Meß- und Untersuchungs-Instrument besitzen. Um mittelst des Saccharimeters den krystallisirbaren Zucker zu bestimmen, benutze ich nicht die von Clerget angegebene Umsetzung als Grundlage der Bestimmung des krystallisirbaren Zuckers, weil dieses Verfahren mir ohne mögliche bedeutende Irrthümer nicht verallgemeinert werden zu können scheint. Ich beschränke mich darauf, die directe Rotation des zuckerhaltigen Körpers zu bestimmen, aus welcher ich den krystallisirbaren Zucker erschließe, indem ich annehme, daß 16,395 Gramme reinen Zuckers (C12 H11 O11) in so viel Wasser aufgelöst, daß er gerade das Volum von 1 Liter bildet, in einer Röhre von 0,2 M. beobachtet, gleichen Werth haben mit 1 Millimeter Bergkrystall, d. i. mit 100 Graden des Soleil'schen Saccharimeters. Wenn die Reagentien die Gegenwart unkrystallisirbarer Zuckerarten anzeigen, so beseitige ich die Möglichkeit von Fehlern, welche diese Zuckerarten in die optischen Beobachtungen bringen könnten, dadurch daß ich sie vorher mittelst Alkalien zerstöre. Dieses Verfahren gestattet mir, zu gleicher Zeit den unkrystallisirbaren Zucker mittelst meiner zweiten Methode zu bestimmen. Die so behandelten Syrupe werden mit Salpetersäure oder Salzsäure gesättigt, dann behufs der Beobachtung mittelst der bekannten entfärbenden Agentien (essigsaurem und basisch-essigsaurem Blei, gereinigter Knochenkohle etc.) hinlänglich entfärbt. Uebrigens ist dieses Verfahren, welches schneller ausführbar ist als die Umsetzung, in den meisten vorkommenden Fällen, sowie die Umsetzung selbst, von keinem großen Nutzen. So ist es unnütz beim Runkelrübenzucker und dessen Melassen, welche, wie ich längst gezeigt habe, keinen unkrystallisirbaren Zucker enthalten, welcher die Resultate der optischen Beobachtungen stören könnte. Nur der Rohrzucker und dessen Melassen können die Anwendung dieser Methoden erfordern, und auch hier tritt oft der Fall ein, daß diese Producte außer krystallisirbarem Zucker nur optisch neutralen Zucker enthalten (nämlich Caramel-Zucker, oder neutralen Zucker, welcher durch die schwachen alkalischen Reactionen auf den umgesetzten Zucker entstand). In den Fällen, wo man es mit krystallisirbarem Zucker zu thun hat, welcher mit umgesetztem Zucker gemengt ist, ist das Einwirkenlassen von Alkalien unerläßlich. Würde man in diesem Fall die Umsetzung anwenden, so müßte man die optischen Beobachtungen vor und nach der Umsetzung, um genaue Resultate zu erhalten, bei derselben Temperatur, z. B. bei 14° C., machen, was leicht zu bewerkstelligen ist, indem man die zu beobachtenden Syrupe in Brunnenwasser abkühlt. Dieses Verfahren beseitigt die bei Anwendung der Tabelle des Hrn. Clerget möglichen Irrthümer gründlich. Den linksdrehenden Traubenzucker, welchen ich im umgesetzten Zucker und in den Fruchtsyrupen entdecktePolytechn. Journal Bd. CXIII S. 385., bestimme ich mittelst der von mir entdeckten Eigenschaft dieses Zuckers, je nach der Temperatur verschieden zu rotiren. So habe ich gefunden, daß der bei + 14 und bei + 52° C. beobachtete und gemessene Zucker zwei Rotationen gibt, die sich zu einander verhaltenUm diese Drehungen zu beobachten, bediene man sich eines mit Augengläsern versehenen Gefäßes mit Wasser, das über den Saccharimeter zu stehen kömmt; die Beobachtungsröhre befindet sich in diesem Gefäß, dessen Temperatur man mit einer Weingeistlampe regulirt. wie 4 : 3. Da nach der bisherigen Erfahrung diese Eigenschaft nur der linksdrehende Traubenzucker besitzt, so kann man dieselbe benützen, um den in Gemengen enthaltenen Traubenzucker zu bestimmen. Man braucht hierzu bloß den Unterschied der Drehung eines Gemenges bei + 14° und + 52° C. zu ermitteln und diese Differenz mit 4 zu multipliciren, um die dem linksdrehenden Traubenzucker in dem Gemenge eigene Drehung zu erhalten und daraus mittelst eines vorher festgesetzten Coefficienten das Verhältniß dieses Traubenzuckers zu erschließen. Ich habe gefunden, daß 100 Gramme linksdrehenden Traubenzuckers (C12 H12 O12) in soviel Wasser aufgelöst, daß man 1 Liter hat, und dann am Saccharimeter in einer 0,2 M. langen Röhre beobachtet, bei + 14° C. eine Drehung von 86° links geben; diese Drehung ist bei + 52° C. nur mehr 59,5° links. Die Bestimmung des umgesetzten Zuckers könnte auf gleiche Weise geschehen, indem dieser Zucker nach meinen Beobachtungen aus gleichen Aequivalenten rechtsdrehenden und linksdrehenden Traubenzuckers zusammengesetzt ist. Nur muß dann der Unterschied der Drehung bei + 14 und + 52° C. mit 2 multiplicirt werden, um die dem umgesetzten Zucker eigene Drehung zu erschließen, welcher letztere beim Uebergang von + 14 auf + 52° C. die Hälfte seiner Drehung verliert.