Titel: Ueber die physische und chemische Constitution der natürlichen Wässer; von E. Marchand.
Fundstelle: Band 124, Jahrgang 1852, Nr. XLVII., S. 210
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XLVII. Ueber die physische und chemische Constitution der natürlichen Wässer; von E. Marchand. Aus den Comptes rendus, Januar 1852, Nr. 2. Marchand, über die physische und chemische Constitution der natürlichen Wässer. Ich beschäftige mich schon lange mit Untersuchungen über die physische und chemische Constitution der natürlichen Wässer und ihren geologischen Ursprung; aus denselben geht hervor: 1) Alle natürlichen Wässer, Umstände ausgenommen, welche ich besonders erwähne, enthalten Iod und Brom. 2) Alle diese Wässer enthalten Lithium. 3) Sofern sie obern Kreidegebirgen oder Kalkgebirgen entspringen, enthalten sie stets Eisen. 4) Das in den Wässern enthaltene Iod und Brom haben ihren Ursprung im Meerwasser, aus welchem sie durch die beständig daraus entweichenden Dünste und Wassertheilchen weggeführt werden, welche auf dem Festlande angelangt, auf dessen Oberfläche in Form von Regen, Schnee oder Hagel niederfallen. Das Regen- und Schneewasser enthalten in der Regel eine merkliche Menge von Jodüren und Bromüren. 5) In gut bewaldeten Gegenden können das Iod und Brom aus den sie aufgelöst enthaltenden Wässern verschwinden, indem sie unter dem Einfluß der Lebenskräfte in die Pflanzen mit anderen Mineralstoffen übergehen. Die Asche unserer meisten Waldbäume, der Ulme, Buche, Tanne etc., enthält Iod. 6) Die den Kropf und den Kretinismus veranlassenden Ursachen sind nicht in dem Vorkommen von kohlensaurer Talkerde in dem Wasser zu suchen. 7) Eher ist die Ursache dieser Krankheiten der Mangel von Iod und Brom unter den Bestandtheilen des Wassers. 8) Die physische und chemische Beschaffenheit der Wässer ändert sich jeden Tag des Jahres, und selbst jeden Augenblick eines Tages. Zu jenen Zeiten des Jahres, wo die Temperatur am höchsten ist, sind die Wässer auch am dichtesten und ihr Salzgehalt ist am stärksten. Eine plötzliche Temperatur-Veränderung bringt auch eine plötzliche Veränderung in der Constitution der Wässer hervor. 9) Der Einfluß der Entwaldung auf das reichliche oder seltene Vorkommen der Quellen ist bekannt. Aber den Einfluß der Vegetation im Allgemeinen, und insbesondere den Einfluß der Cultur der Agriculturgewächse auf diese Erscheinung hat man nie berücksichtigt. Man behauptet sogar, daß die Quellen im Winter reichlicher fließen als im Sommer. Dieß ist aber eine irrige Ansicht; aus meinen Beobachtungen geht hervor, daß, im Kalkboden wenigstens, die Quellen um so reicher sind, je thätiger die Vegetation ist, und in dem Maaße abnehmen als das Pflanzenleben erlischt; gegen den 15. bis 20. Januar geben sie am wenigsten Wasser. 10) Das Wasser aller unserer Quellen, Flüsse und Ströme enthalt salpetersaure Salze, und doch enthält das sie aufnehmende Meerwasser keine merklichen Spuren von diesen Salzen mehr. Dieses hat darin seinen Grund, daß einerseits durch den Respirationsact der Fische die im Wasser enthaltenen salpetersauren Salze, indem sie mit dem Wasser durch deren Kiemen gehen, eine Zersetzung erleiden, wobei Ammoniak entsteht. Andererseits befindet sich in den Tiefen des Oceans eine große Menge ein- und zweischaliger Mollusken (Austern, Miesmuscheln etc.), welche beständig eine gewisse Menge freien Schwefelwasserstoffs absondern, welcher die Säure der salpetersauren Salze, mit welchen er in Berührung kommt, in Ammoniak verwandeln muß. Der sich aus dem Wasser absetzende Schlamm enthält Krystalle von phosphorsaurer Ammoniak-Talkerde, und das Wasser enthält Schwefelwasserstoff. 11) Der Schwefelwasserstoff findet sich auch oft in freiem oder gebundenem Zustande im Regenwasser wieder. Er versieht die Pflanzen aus der Familie der Cruciferen mit Schwefel. 12) Aus letzterer Thatsache geht hervor, daß die durch Schwefelwasserstoff inficirten Orte durch den Anbau der in diese Familie gehörenden Pflanzen gesund gemacht werden können.