Titel: Ueber die Lebensfähigkeit der Samenthierchen einiger Süßwasserfische und über künstliche Fischzucht; von A. v. Quatrefages.
Fundstelle: Band 129, Jahrgang 1853, Nr. LXXXVIII., S. 379
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LXXXVIII. Ueber die Lebensfähigkeit der Samenthierchen einiger Süßwasserfische und über künstliche Fischzucht; von A. v. Quatrefages. Aus den Comptes rendus, Mai 1853, Nr. 22. Quatrefages, über künstliche Fischzucht. Meine Beobachtungen über die Lebensdauer der Samenthierchen (Spermatozoïdes) lieferten mir ganz unerwartete Resultate. Bei meinen Versuchen mit den Ringelwürmern und Weichthieren mit äußerlicher Befruchtung fand ich nämlich daß die Bewegungen, um welche es sich hierbei handelt, nach dem Einrühren der befruchtenden Flüssigkeit in das Wasser 48 und 72 Stunden fortdauern. Bei den Vögeln dauern diese Bewegungen nach Wagner 15 bis 20 Minuten; bei dem Menschen, nach Spallanzani's, von Lallemand bestätigten Versuchen, ungefähr 8 Stunden. Bei den übrigen Säugethieren variirt ihre Dauer, nach Spallanzani, je nach den Species, von zwei Stunden bis zu einer halben Stunde; und Müller nimmt an, daß bei den Reptilien und Fischen die Lebensfähigkeit der Samenthierchen viel länger andauert als bei den andern Wirbelthierclassen; ich habe davon gerade das Gegentheil gefunden,Wenn der berühmte Berliner Physiolog dieß nach seinen eigenen Versuchen aussprach, bin ich vollkommen überzeugt, daß unsere abweichenden Resultate nur in den verschiedenen von uns befolgten Verfahrungsweisen die Lebenskraft dieser Thierchen zu beurtheilen, ihren Grund haben. Wollte er von der Zeit sprechen, während welcher diese Thierchen die Bewegung nach dem Tode des Thieres beibehalten, von welchem sie abgesondert wurden, dann stimmen wir ganz überein. nämlich daß unter den günstigsten Umständen der in Wasser gerührte Same seine Bewegung ganz verlor: beim Hecht spätestens nach 8 Minuten 10 Secunden   „ Rothauge   „ 3      „ 10      „   „ Karpfen   „ 3      „   „ Barsch   „ 2      „ 40      „   „ Barbe   „ 2      „ 10      „ Der Einfluß der Temperatur auf die Lebenskraft der Samenthierchen ist höchst merkwürdig. Für jede der von mir untersuchten Fischarten ist es ein besonderer Wärmegrad, welcher den Bewegungen dieser Thierchen das Maximum der Dauer gibt. Selbst sehr geringe Abweichungen von diesem Temperaturgrad (unter oder über ihm) thun diesen Bewegungen mehr oder weniger schnell Einhalt, sind aber stets von nachtheiligem Einfluß. Ich beschränke mich hier auf die Angabe der Temperaturen, welche mir für die Lebenskraft der Thierchen die höchsten Zahlen gaben: Das Maximum wurde erhalten für den Hecht bei   2° den Karpfen   „ 12° das Rothauge   „ 13° den Barsch   „ 15° den Barben   „ 16° und 23° C. Die Zwischen-Temperaturen wirken, wenngleich alle das Leben abkürzend, doch nicht auf dieselbe Weise. Eine zu niedere Temperatur macht die Bewegungen gleich anfangs langsamer; eine zu hohe hingegen macht sie anfangs merklich kräftiger. Die Kälte scheint also die Samenthierchen durch Erstarrung zu tödten, die Hitze hingegen durch übermäßige Aufregung und zu schnelle Aufzehrung der Lebenskraft. Mehreremal bewahrte ich Hechtmilch auf, indem ich sie bloß in mit Eis gefüllte Gefäße brachte. Nach Verlauf von 50 Stunden hatte ich auf diese Weise recht lebendige Samenthierchen in großer Anzahl. Am besten aber gelang mir dieß durch Einbringen der Milch in einen (von Hrn. Millet erdachten) kleinen tragbaren Eisbehälter; in dieser einfachen Vorrichtung bleibt die Milch ziemlich constant auf der Temperatur von etwa 0°, und ist zugleich gegen Berührung mit dem geschmolzenen Eis geschützt, was eine wesentliche Bedingung ist. In diese Vorrichtung gebrachte Milch zeigte sich 64 Stunden nach dem Ausdrücken aus dem Thier noch vollkommen brauchbar. Man hat beim Hecht nichts zu befürchten, wenn die Temperatur unter 0° herabsinkt. Ich setzte Hechtmilch 16 Stunden lang, sowohl unmittelbar, als in einem mit Wasser gefüllten Glas, Temperaturen von – 1°, – 2° und – 3° C. aus, wobei das Wasser in Masse gefror und folglich auch die Milch; als ich sie dann in ein auf 15° erwärmtes Zimmer brachte, thaute sie theilweise auf. In der ganzen, durch die Kälte noch halb erstarrten Portion waren die Thierchen so beweglich, wie bei einem lebenden Individuum. Um die Samenthierchen des Hechtes durch Kälte zu tödten, mußte ich eine Kältemischung anwenden und die Milch fünf Stunden lang einer Temperatur von 10 bis 12° unter Null aussetzen. Viele Versuche ergaben mir, daß bei gewissen Fischen 4 bis 5 Grade über oder unter einer bestimmten Temperatur schon hinreichen, das ohnehin so kurze Leben der Samenthierchen um mehr als die Hälfte abzukürzen. Es ist daher begreiflich, daß die Laichzeit dieser Fischarten an verschiedenen Orten merklich verschieden seyn kann. Man begreift jetzt auch, daß das Laichen beschleunigt, verzögert, und sogar einige Tage lang unterbrochen werden kann, um dann wieder von neuem zu beginnen, wie ich dieß Heuer beim Barsch und dem Rothauge beobachtete; bei diesen Fischarten sind die Reproductionsverrichtungen unmittelbar abhängig von gewissen climatischen Umständen. Es war bisher schwer, eine Ursache für den Instinct aufzufinden, welcher gewisse Fische, z.B. die Forelle und den Lachs, antreibt, die Flüsse wieder hinaufzugehen und bisweilen in Gräben zu dringen, wo sie kaum das zu ihren Bewegungen erforderliche Wasser vorfinden. Diese und mehrere andere Thatsachen lassen sich durch den Einfluß der Temperatur leicht erklären. Wenn die Winterfische die Flüsse wieder hinaufgehen und in einer gewissen Entfernung von den Quellen Halt machen, so geschieht dieß, um ein Wasser zu suchen, dessen Wärmegrad genau derjenige ist, welchen die Befruchtung und die Entwickelung der Eier erheischen. An der Quelle wäre die Temperatur zu hoch; in einem manchmal geringen Abstand von derselben ist das Wasser schon zu sehr erkaltet; zwischen diesen beiden Punkten müssen die in Rede stehenden Fische die geeignete Temperatur finden. Bezüglich der künstlichen Befruchtung geht aus meinen Versuchen hervor, daß in dem flüssigen Samen, welcher beim geringsten Druck aus der Zeugungsöffnung tritt, die Samenthierchen viel schneller sterben als in der Milch selbst. Schon daraus war man berechtigt zu schließen, daß die Milch oft vorzuziehen ist, um Befruchtungen zu bewirken, welcher Schluß durch eine mir von Hrn. Millet mitgetheilte Thatsache auch vollkommen bestätigt wird; derselbe fand nämlich, daß man gar keine Befruchtung erhält, wenn man die ersten Samentröpfchen von solchen Fischen anwendet, welche erst vor einigen Stunden starben. Theorie und Praxis beweisen also übereinstimmend, daß in zweifelhaften Fällen die Anwendung des Milchkörpers wie er aus dem Sacke (testicule) kommt, dem völlig ausgearbeiteten Samen vorzuziehen ist. Wir haben gesehen daß die Hechtmilch, getrennt und 16 Stunden lang einer Temperatur von 1 bis 3 Graden unter Null ausgesetzt, ihre Thierchen lebend erhalten hatte; daraus folgt, daß man bei gewissen Fischen Befruchtungen durch Anwendung der aus gefrornen Individuen gedrückten Milch bewirken kann – ein für die Fortpflanzung der im Winter laichenden Fischarten sehr wichtiges Resultat. Auch hier bestätigt die Praxis in allen Punkten die theoretischen Folgerungen. Hr. Millet erhielt bei einem Versuche mit gefischten und seit 45 Stunden todten Forellen, und zwar mit einem ihm durch die Kälte erstarrt zugekommenen Männchen, 1200 bis 1300 Auskriechungen von 2500 mit der Milch befruchteten Eiern.2500 Eier von denselben Weibchen, welche mit dem flüssigen Samen desselben Männchens befruchtet wurden, gaben nicht eine einzige Auskriechung. Die Conservirung des Befruchtungsvermögens in dem vom Männchen gelieferten Stoff ist für die Praxis der künstlichen Befruchtungen von der größten Wichtigkeit. Folgendes ist das Resultat meiner Untersuchungen in diesem Betreff: 1) Man vermische das Wasser niemals im Voraus mit der Milch, sondern lasse letztere, wenn die Befruchtung bald nach dem Tode des männlichen Fisches geschehen soll, bis zum Augenblick, wo man sich ihrer bedienen will, an ihrer Stelle; 2) soll die Befruchtung erst einen Tag oder nur zwölf Stunden nach dem Tode des Thiers geschehen, so muß man ihm die Milch entziehen und solche für sich aufbewahren. 3) Um diese Milch aufzubewahren, bringe man sie weder in Wasser, noch an die freie Luft, sondern in ein feuchtes Linnen und suche dasselbe auf einer Temperatur zu erhalten, welche derjenigen gleich (oder selbst noch etwas niederer) ist, die für jede Species die längste Dauer der Bewegung der Samenthierchen gibt. 4) Hat man mehrere Befruchtungen nacheinander zu bewirken, so muß man jedesmal die erforderliche Menge Milch vom Vorrath wegnehmen und den Rest in zweckmäßiger Verwahrung lassen. Der die Lebenskraft der Samenthierchen am besten erhaltende Temperaturgrad muß allerdings für jede Species durch directe Versuche bestimmt werden. Allein schon jetzt glaube ich annehmen zu können, daß für die Winterfische die Gränze sehr wenig unter derjenigen liegt welche ich für den Hecht erhielt, und daß sie für die Sommerfische den beim Barben erhaltenen Grad nicht viel überschreiten wird. Ich muß hier eine sehr wichtige Bemerkung machen. Aus praktischen Beobachtungen des Hrn. Millet geht hervor, daß in der Natur die Befruchtung, wenigstens für gewisse Species, bei einer höhern Temperatur vor sich geht, als diejenige ist welche die Lebenskraft der Samenthierchen am längsten unterhält. So gaben mehrere Hunderttausend. Hechteier welche zu Versailles und Grignon, in Wasser, dessen Temperatur unter + 5° C. war, befruchtet wurden, gar keine Auskriechung; während eine Portion derselben Eier, bei einer Temperatur von 8 bis 10° C. befruchtet, ein ganz gutes Resultat gab. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich leicht durch das was ich oben über den Einfluß einer Temperatur sagte, welche höher ist, als diejenige welche das Leben der Thierchen unterhält, ohne sie übermäßig aufzuregen. Gewiß findet dasselbe auch bei der Forelle, der Quappe und andern (oder allen) im Winter laichenden Fischen statt. Jedenfalls geht aus meinen Versuchen klar hervor, daß die Temperatur des angewandten Wassers ein Hauptaugenmerk bei dem Betrieb der Befruchtung seyn muß. Ein für die Samenthierchen des Barben kaum hinreichender Wärmegrad würde die des Hechtes gleichsam kochen, geschweige erst diejenigen der Forelle. Für diese letztere wäre Wasser von 10 oder 11° C. wahrscheinlich viel zu warm, und folglich ließe sich für sie weder unmittelbar an einer Quelle geschöpftes Wasser anwenden, noch solches das eine Zeit lang in einem geheizten Zimmer gestanden hat. Nun wurden aber bisher viele Versuche unter diesen ungünstigen Umständen gemacht und man kann sich jetzt deren Erfolglosigkeit erklären. Aus meinen Versuchen und Millet's Beobachtungen ergibt, sich, daß die günstigste Temperatur zur Befruchtung für die Winterfische, wie die Forelle, diejenige von 6 bis 8° C. ist; für die Fische des Frühlingsanfangs, wie den Hecht, diejenige von 8 bis 10° C.; für diejenigen des spätem Frühjahrs, wie den Barsch, 14 bis 16° C.; für die Sommerfische endlich, wie den Barben, 20 bis 25° C. Wahrscheinlich sind die Zahlen welche ich für die Dauer der Bewegungen der Samenthierchen angegeben habe, etwas zu hoch, besonders dürfte dieß beim Hecht der Fall seyn, dessen Untersuchung meine erste war. Ich wollte anfangs kaum an einen so schnellen Tod derselben glauben, und verwendete immer eine gewisse Zeit, um auf meinem Objectträger ein lebendes Samenthierchen zu suchen, welches sich nicht darauf fand. Uebrigens bezeichnen diese Zahlen die Maxima, und der Karpfe läßt dem Züchter kaum zwei Minuten Zeit, um seine Verrichtungen zu vollenden, der Barsch und das Rothauge höchstens eine Minute. Dieser Umstand erklärt das häufige Fehlschlagen der Versuche mit diesen Species, wenn man damit begann, Eier und Milchwasser zu trennen und in besondere Gefäße zu bringen. Offenbar schütteten solche Züchter nur noch todte Samenthierchen auf ihre Eier. Bei allen diesen Verrichtungen ist die größte Geschwindigkeit absolut nothwendig. Millet pflegt auch die Mischung auf die Art vorzunehmen, daß er die Eier und die Milch zu gleicher Zeit fließen läßt, um sich der befruchtenden Berührung zu versichern. Auch hier rechtfertigt also die wissenschaftliche Beobachtung das durch die Praxis entdeckte Verfahren vollständig. Nicht minder rationell ist Millet's Verfahrungsweise in folgender Beziehung. Frühere Versuche von Prevost und Dumas haben nachgewiesen, daß die Froscheier nicht mehr befruchtet werden können, sobald einmal die sie umhüllende schleimige Materie vom Wasser aufgeschwellt worden ist. Nun sind die Eier gewisser Fische, z.B. des Karpfen und des Barschs, von einer ganz ähnlichen Substanz umhüllt und zusammengehalten. Wenn man die Eier vor ihrer Anwendung wäscht, muß daher bei gewissen Fischarten die Befruchtung mißlingen, während sie bei andern wenigstens gefährdet wird. Aus Golstein's Versuchen schien hervorzugehen, was man jetzt noch allgemein annimmt, daß alle in den Eierstöcken eines Fisches zur Laichzeit enthaltenen Eier zur Befruchtung fast gleich geeignet seyen. Man gab daher die Vorschrift, alle aus dem Bauch des Fischweibchens ausgedrückten Eier zu verwenden. Nachdem Millet beobachtet hatte, daß gewisse Fische, z.B. die Forelle und der Hecht, wenn sie in Freiheit laichen, mehrere Tage, und manchmal mehrere Wochen brauchen, um sich ihrer Eier und ihres Samens zu entledigen, mußte ihm die Zweckmäßigkeit dieses Verfahrens zweifelhaft erscheinen. Um darüber Gewißheit zu bekommen, nahm er eine solche gezwungene Verlegung in fünf Abtheilungen vor, befruchtete das ganze Product mit derselben Milch und versetzte es in gleiche Umstände. Das Resultat dieses oft wiederholten Versuchs war, daß bei den zwei ersten Fünfteln kaum 1/10 der Eier der Befruchtung entging; daß beim dritten Fünftel 2/3 unbefruchtet blieben, bei den zwei letzten Fünfteln aber nicht ein einziges Ei befruchtet wurde. Dieß veranlaßte ihn, den gewaltsam abgetriebenen Laich ebenso abzutheilen, wie dieß mit dem natürlichen geschieht; er nimmt von den lebenden Fischen nur die ersten Eier und die ersten Samentropfen, hierauf bringt er die benützten Individuen in den Fluß zurück. Um sie aber nach Belieben wieder finden zu können, zieht er ihnen einen, an einem Pfahl befestigten Bindfaden durch die Kiemen. Die so angebundenen Fische befinden sich sehr wohl und können in dem Maaße, als die Eier und die Milch zur Reife kommen (man gestatte mir den Ausdruck) gemolken werden. Millet war hauptsächlich bemüht, das Zuchtverfahren zu vereinfachen, was ihm so gut gelang; daß er in seiner Wohnung zu Paris mittelst eines Apparats, der 6 Franken kostete, mehrere Millionen Eier verschiedener Fischarten zum Auskriechen brachte. Als Brutvorrichtungen benutzt er je nach Umständen kleine Markenkörbchen, Haarsiebe, oder Siebe von Drahtgewebe; sein ganzes Verfahren ist so einfach und praktisch, daß viele Forstbeamte bloß mittelst seiner geschriebenen Instructionen zahlreiche Auskriechungen bewerkstelligten. Der äußerst günstige Bericht einer CommissionMitgetheilt S. 150 in diesem Bande des polytechn. Journals. über die Resultate des Hrn. Millet veranlaßte den Generaldirector des Forst- und Jagdwesens den Minister um die Ermächtigung zu ersuchen, die Wiederbesetzung der unter seiner Verwaltung stehenden Gewässer mit Fischen organisiren zu dürfen, wodurch er den jetzigen geringen Pacht von 521,000 Franken auf wenigstens 5 Millionen Franken zu steigern hofft. Wenn man auch dem großen Etablissement zu HüningenMan s. darüber polytechn. Journal Bd. CXXVIII S. 65. alle Anerkennung läßt, so kann dasselbe doch nicht für ganz Frankreich genügen; man muß bedenken, daß auch die Fische, so zu sagen, ihre Muscardine haben; die Schmarotzer-Conferven, welche manchmal sehr schnell die Eier oder die Brut, sogar die schon erwachsenen Fische überfallen, könnten einmal plötzlich die ganze in Hüningen mit großen Kosten erzielte Nachzucht zerstören, wogegen bei einer geregelten Zucht im ganzen Land ein örtliches Mißrathen keinen großen Schaden bringen würde.