Titel: | Ueber Verbesserungen im Titrirverfahren; von Dr. Mohr in Coblenz. |
Fundstelle: | Band 132, Jahrgang 1854, Nr. XI., S. 43 |
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XI.
Ueber Verbesserungen im Titrirverfahren; von Dr.
Mohr in
Coblenz.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd.
LXXXVI S. 129.
Mohr, über Verbesserungen im Titrirverfahren.
Meine Bemühungen, dem Titrirverfahren und insbesondere der Alkalimetrie eine
besondere Vollkommenheit und Schärfe zu geben, betreffen theils die Apparate, theils
die Methoden. Von den Apparaten hat bis jetzt die Gay-Lussac'sche Bürette die meiste Anwendung gefunden und sich überall
verbreitet. Dieses vortreffliche Instrument hat jedoch gewisse Mängel, welche von
demselben in seiner jetzigen Gestalt untrennbar sind und sich bei jedem Gebrauche
desselben fühlbar machen.
Zunächst ist es schwer, das Instrument genau bis an 0 zu füllen, indem man aus einer
größeren Flasche ausgießt, und schwerlich auf das erstemal gerade die richtige Höhe
trifft. Man hat zu viel eingegossen und muß etwas ausgießen. Während man aber die
Bürette neigt, verliert man das Ablesen, und gießt leicht zu viel oder zu wenig aus.
Im ersten Falle muß man Flüssigkeit hinzufügen, im zweiten Falle das Ausgießen nach
Gutdünken wiederholen. Erst mit einiger Mühe erreicht man mit der Probeflüssigkeit
den Anfangspunkt der Theilstriche.
Während des Versuches bleibt die Bürette geneigt und indem man sie mit ihrer
Ausflußöffnung über dem Probirglase hält, kann man letzteres schütteln und die
Arbeit fortsetzen. Wenn aber die Erscheinung erst nach einiger Zeit eintritt, wie
das Absetzen des Chlorsilbers, oder wenn man dazwischen erhitzen muß, wie bei der
Titrirung kohlensaurer Alkalien, des Traubenzuckers etc., so muß man die Bürette
zurücklaufen lassen und aufrichten. Beim Fortsetzen des Versuchs ist es nun
schwierig, sogleich mit einem einzigen Tropfen anzufangen, und war man nahe an dem
Sättigungspunkt, so kann durch starkes Einfließen dieser Punkt überschritten werden
und die ganze Operation verloren gehen.
Ein anderer Nachtheil ist der, daß man während des Gießens die Quantität der
verbrauchten Flüssigkeit nicht ablesen kann. Dieß ist besonders nöthig bei
Wiederholung desselben Versuches. Gesetzt, man habe bei einem ersten Versuche 32,3
Kubikcent. verbraucht, so kann man bei der Wiederholung ohne Weiteres 32 Kubikcent.
zusetzen, und die letzten 0,3 Kubikcent. mit der größten Aufmerksamkeit
hinzutröpfeln. Bei der geneigten Lage der Bürette ist aber das Ausgießen von genau
32 Kubikcent. ganz unthunlich, da man nicht sehen kann, wie viel ausgeflossen ist,
theils weil die Theilstriche die Oberfläche des Wassers unter Winkeln schneiden,
theils auch, weil während des Gießens die dünne Röhre gefüllt ist, während des
Messens aber leer seyn muß.
Ich habe nun versucht, diese Uebelstände in der einfachsten und sichersten Art zu
vermeiden, und den Apparaten eine solche Gestalt zu geben, daß sich möglichst Viele
dieselben darstellen können, ohne in der Glasblasekunst große Uebung zu haben, was
bei den Gay-Lussac'schen Büretten nicht ganz der
Fall ist. Nach mehreren Versuchen, Ventile und gläserne Hähne anzuwenden, habe ich
von diesen Mitteln abgestanden. Die Operation geht mit Hähnen sehr leicht und
sicher, allein ich konnte mir keine so gut verschließende verschaffen, daß ich die Röhre mit
Probeflüssigkeit von einem Versuche zum andern stehen lassen konnte. Die Hähne von
Geisler in Bonn sind ausgezeichnet; sie schließen
wasser- und luftdicht für lange Zeit, allein bei Anwendung krystallisirbarer
Körper, wie von Kleesäure und Aetznatron, bildete sich um die Lilie des Hahnes immer
eine Efflorescenz, die Lilie hob sich etwas in ihrem Rohre und Tropfen kamen durch.
Es gelang mir durch einen glücklichen Griff, den theuren gläsernen Hahn durch eine
Vorrichtung zu ersetzen, welche jede beliebige Zeit absolut luft- und
wasserdicht schließt, welche sich durch einen Händedruck beliebig öffnen läßt und
welche endlich beinahe nichts kostet. Es ist dieß ein kleines Stückchen
vulcanisirter Kautschukröhre, die durch eine kleine Klammer aus Messingdraht
geschlossen wird. Die Enden dieser Klammer, welche ich Quetschhahn nenne, sind nach den entgegengesetzten Seiten unter rechten
Winkeln umgebogen und mit Druckplättchen versehen, so daß, wenn man gegen die beiden
Enden drückt, sich die Klammer öffnet und nach Willkür einen einzigen Tropfen oder
einen vollen Strahl durchläßt. Das Princip der Art des Oeffnens ist auch bei den
Platinzangen angewendet, die man bei Löthrohrversuchen gebraucht. Wenn man sie nicht
anrührt, so sind sie geschlossen und nur beim Drucke öffnen sie sich. Das Maaßrohr
ist eine gerade, möglichst calibrische und in 5tel Kubikcent. getheilte Glasröhre,
welche unten etwas verengt ist, um in die Kautschukröhre zu passen. Ein kleines
Stückchen Glasröhre bildet den Ausfluß unter dem Quetschhahn. Diese Vorrichtung
dürfte im chemischen Laboratorium wegen ihrer Einfachheit und Unzerstörbarkeit
vielfache Anwendung finden. Man kann sie bei den Zündlampen statt des Hahnes
gebrauchen, bei Gasometern, um das Gas zu reguliren, wobei man durch ein
zwischengelegtes Keilchen von Holz auch einen beständigen Durchgang veranlassen
kann; zum Abfließenlassen von Wasser in Kühlgeräthschaften, zum Abfließenlassen
durch Heber, an deren äußerm Ende der Quetschhahn sich befindet, bei Aetznatron,
Ammoniak, Schwefelsäure, Salzsäure, Analysenproben und dergleichen. Eine
zweischenklige Heberröhre in eine gefüllte Flasche gestellt, verwandelt diese
gleichsam in eine mit einem gläsernen Hahn versehene Flasche. Eine Flasche mit
Schwefelsäure bleibt gleichsam im Zapfen, wenn man die Röhre gefüllt darinnen
stecken läßt, und man kann jederzeit kleine und große Mengen Schwefelsäure aus dem
Ballon nehmen. Der Quetschhahn hat den Vorzug, nicht nachzutröpfeln, denn er
schließt sich von selbst, wenn man ihn losläßt.
Die mit dem Quetschhahn versehene Meßröhre befindet sich an einem beliebigen Stative
senkrecht angebracht, daß man ihr jede Höhe geben kann. Beim Gebrauche füllt man die
Röhre bis über den 0 Punkt mit der Probeflüssigkeit, öffnet den Quetschhahn einen
Augenblick ganz, um die Luft aus der Ausflußröhre zu verdrängen und läßt jetzt genau
bis an 0 ablaufen. Zu diesem Zweck bringt man das Auge auf die Höhe von 0, faßt den
Quetschhahn zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und drückt leise. Man
sieht jetzt oben die Flüssigkeit langsam sinken; sobald die nach unten gerichtete
Concavität der Flüssigkeit den Theilstrich, wie der Kreis eine Tangente, berührt,
läßt man den Hahn los, und im selben Augenblicke steht auch die Flüssigkeit stille
und bleibt wochenlang bei 0 stehen, wenn man von oben die Verdunstung verhütet. Die
Probirröhre ist jetzt normal gefüllt undnnd man geht zum Versuche über, welches im Sitzen geschieht, während man das
Anfüllen der Röhre im Stehen besorgt. Man hat nun die gewogene Substanz in einem
passenden Glase und läßt durch Drücken des Quetschhahns die Flüssigkeit hinzutreten.
Man hat beide Hände zur Disposition, denn läßt man den Hahn los, so ist er von
selbst geschlossen. Man kann also die Operation des Titrirens beliebig fortführen.
Man kann unterbrechen, die Flüssigkeit erwärmen, beim Lichte besehen, schütteln,
ohne durch die Bürette gehindert zu seyn. Man kann jeden Augenblick die Menge der
verbrauchten Flüssigkeit ablesen, und bei Wiederholung sogleich nahe an die Gränze
der zuerst gefundenen Menge gehen, um die Operation dann tropfenweise zu Ende zu
bringen. Diese Ausfließbürette ist zu allen Probeflüssigkeiten anzuwenden, mit
Ausnahme des übermangansauren Kalis. Dieses wird durch das kurze Stück der
Kautschukröhre zersetzt und dadurch in seiner Mischung verändert. Bei diesem Körper
bediene ich mich einer nach Art des Stichhebers oben und unten eingezogenen
Glasröhre, welche von unten an bis zu 3/4 ihrer Länge in 1/5 oder 1/10 Kubikcent.
graduirt ist. Da man bei diesem Reagens die Erscheinung augenblicklich sieht, und
ein Erwärmen gar nicht vorkommen kann, so ist man in wenigen Minuten mit jeder
Operation fertig und so lange kann man die Saugbürette in der Hand halten. Es läßt
sich dieser compendiöse Apparat bei allen Titrirungen bequem anwenden, welche
augenblicklich die Wirkung zeigen. Ueber seine zweckmäßige Form werde ich an einer
andern Stelle das Nöthige mittheilen.
Bei weitem die wichtigste Anwendung der Titrirmethode in der Chemie findet bei der
Alkalimetrie statt, und der Weg dazu ist erfolgreich von Gay-Lussac und Descroizilles
eingeschlagen. Es fehlte dieser Methode wegen der unsicheren Wirkung der
doppelt-kohlensauren Alkalien die nöthige Schärfe, und die Urprobeflüssigkeit
wurde aus einem in seiner Zusammensetzung nicht überall gleichen und nicht leicht zu
controlirenden Stoffe, dem Schwefelsäurehydrat dargestellt.
Ich habe nun gesucht einen solchen Körper zu finden, welcher im trockenen Zustande
eine immer gleiche Zusammensetzung hat, und aus dem man durch eine einzige Wägung im
Stande ist, eine sich immer gleiche Probeflüssigkeit herzustellen. Ich glaube eine
solche in der mit 3 Atom. Wasser krystallisirten Kleesäure gefunden zu haben. Die
Gründe für die Wahl sind folgende. Die krystallisirte Kleesäure ist an der Luft
unveränderlich, sie verwittert und zerfließt nicht. Die feuchte Kleesäure trocknet
an der Luft zu dieser Verbindung aus, und die in der Wärme getrocknete zieht bis
dahin Wasser an. Man hat also, wenn die Säure einmal richtig dargestellt ist, keine
Befürchtung einer Veränderung zu hegen.
Die Kleesäure ist nicht flüchtig, und ihre Lösung hält sich ohne, zu schimmeln,
unbestimmt lange. Andere feste Säuren, wie Weinsäure und Citronensäure, sind dem
Verderben in der Lösung ausgesetzt. Die Kleesäure ist stark sauer und ihre Wirkung
auf das Lackmuspapier fast so intensiv, wie die der Schwefelsäure selbst. Die Lösung
der Kleesäure, welche ich anwende, hat für alle Alkalien dieselbe Stärke, nämlich 1
Atom zu 1 Liter gelost. Diese jetzt allgemein angenommene gleichbleibende Stärke der
Probeflüssigkeiten rührte, wie ich glaube, ursprünglich von John Joseph Griffin in Glasgow (jetzt in London) her, welcher sich
sehr erfolgreich mit der Alkalimetrie beschäftigt hat. Es werden demnach 63 Gram.
krystallisirte Kleesäure in die Titrirflasche gebracht, diese 3/4 mit destillirtem
Wasser gefüllt, und durch Umschütteln die Lösung bewirkt, sodann die Flasche bei
14° R. scharf bis an die Marke im Halse gefüllt und dann noch einmal innig
gemischt. Dieser sauren Urflüssigkeit muß eine alkalische entgegengestellt werden,
welche ihr ganz gleichwerthig ist, d.h. welche die saure Flüssigkeit zu gleichem
Volum accurat sättigt. Als eine solche Flüssigkeit habe ich anfänglich und lange
Zeit Ammoniak angewendet, allein die Flüchtigkeit dieses Alkalis ist ein
wesentliches Hinderniß seiner Anwendbarkeit. Bei jedem Oeffnen der Flasche, sowie
besonders beim Eingießen in die Bürette oder Probirröhre reißt sich Ammoniak los,
was man schon durch den Geruch wahrnimmt. Noch zuverlässiger bemerkt man dieß, wenn
man eine Flasche längere Zeit im Gebrauch gehabt und öfter geöffnet hat, wo dann
eine größere Menge des Ammoniaks als ein gleiches Volum zum Sättigen der Säure
nothwendig ist. Dadurch wird die Anwendung des Ammoniaks ganz unsicher, und ich habe
dasselbe ungern, wegen der Leichtigkeit, womit es rein und kohlensäurefrei
dargestellt wird, verlassen. An die Stelle des Ammoniaks habe ich Aetznatron
angewendet. Man macht diesem Alkali gerne den Vorwurf, daß es leicht Kohlensäure
anziehe. Allein das Ammoniak zieht auch Kohlensäure an, nur sieht man das
kohlensaure Ammoniak nicht effloresciren, weil es beim Eintrocknen sich verflüchtigt. Um auch das
Anziehen von Kohlensäure durch das Aetznatron zu verhindern, habe ich eine einfache
Vorrichtung construirt, welche diesem Zweck vollkommen entspricht. Es ist unmöglich,
eine Flasche so zu verschließen, daß nicht bei eintretendem Temperatur- und
Barometerwechsel Luft in die Flasche ein- und austrete. Statt zu versuchen
dieß ganz zu verhindern, was unmöglich, lasse ich die Luft frei in die Flasche
eintreten, lege ihr aber einen Körper in den Weg, welcher die darin enthaltene
Kohlensäure vollständig absorbirt. Ich verschließe die Flasche durch einen
Korkpfropfen, in welchen eine gewöhnliche Chlornatriumröhre eingesteckt ist.
Dieselbe ist jedoch, statt mit Chlornatrium, mit einem fein geriebenen Gemenge von
Glaubersalz und Aetzkalk gefüllt. Diese Röhre ist nach außen mit einem dünnen
Glasröhrchen ganz offen. Die innere Luft kann sich so mit der äußeren ins
Gleichgewicht sehen, ohne daß eine Spur Kohlensäure hinzutritt, weil dieselbe bei
der nothwendig sehr langsamen Bewegung vollständig absorbirt wird. Ich bewahre so
nicht nur die Probeflüssigkeit, sondern auch einen Vorrath von Aetzkali, Aetznatron,
Kalkwasser, Barytwasser. Eine Flasche Barytwasser, welche schon 1/2 Jahr so offen
dasteht, hat noch nicht das dünnste Hautchen gezogen, oder die Wände mit einem
weißen Anflug besetzt. Bei der Aetznatronprobeflüssigkeit ist es von besonderer
Wichtigkeit, jede Spur von Kohlensäure fern zu halten, weil dadurch das plötzliche
Umschlagen der rothen Farbe der Lackmustinctur ins Blaue, und somit die Schärfe der
Analyse beeinträchtigt wird.
Das Aetznatron wird nun so titrirt, daß beim Mischen desselben mit einem gleichen
Volum der Probekleesäure der letzte Tropfen Natron die Farbe aus Roth in Blau
verwandelt. Dieß gelang jedesmal durch einen einzigen Tropfen, wenn keine
Kohlensäure in dem Gemische vorhanden war.
Beim Titriren kohlensaurer Alkalien verfahre ich nun in der folgenden Art.
Ich wäge von dem geglühten und wasserleeren Alkali 1/10 Atom in Grammen ab, von Soda
5,32 Gram., von Potasche 6,92 Gram. Da die Probeflüssigkeit in 1000 Kubikcent. ein
Atom Kleesäure enthält, so würden 100 Kubikcent. dieser Flüssigkeit genau 1/10 Atom
eines jeden Alkalis genau sättigen. Das Alkali bringe ich mit etwas Lackmustinctur
in eine kleine Kochflasche und lasse einen Strahl Probesäure hinzu, welche das
Alkali unter Aufbrausen zersetzt. Die Farbe geht allmählich aus Blau in Violett
über, und das Aufbrausen wird schwächer. Ich bringe nun die Flüssigkeit zum Kochen
und lasse noch mehr Probesäure hinzu, bis die Farbe vollkommen zwiebelroth geworden
ist; dann lasse ich noch Probesäure im Ueberschuß bis zu den nächsten vollen 5 oder 10 Kubikcentimeter
hinzu. Das Alkali ist nun entschieden übersättigt; durch Kochen, Schütteln und
Hineinblasen und zuletzt Ansaugen mit einer Glasröhre wird die letzte Spur
Kohlensäure entfernt. Der Sättigungspunkt des Alkalis ist jetzt um 2 bis 5
Kubikcent. überschritten, und dieß muß genau bestimmt werden. Ich fülle jetzt eine
in 1/10 Kubikcent. getheilte Handpipette bis an den Nullpunkt mit Probenatron, und
lasse dasselbe tropfenweise in die rothe Alkaliflüssigkeit fallen, indem diese immer
umgeschwenkt wird. Die Farbe geht jetzt rasch aus Hellroth in Violett und dann
plötzlich in klares Blau über. Man mißt jetzt die verbrauchten Kubikcentimeter
Aetznatron ab, zieht sie von den verbrauchten Kubikcentimetern Probesäure ab, und
der Rest gibt ohne Weiteres die Procente an chemisch reinem kohlensaurem Alkali. Das
Resultat ist, wenn die Instrumente richtig sind, so genau, als die Kleesäure, auf
der Alles beruht, die richtige Zusammensetzung C₂O₃ + 3Aq. hatte, und dessen kann man sich vorher
versichern.
Es ist nicht möglich, durch die Säure allein den Sättigungspunkt zu treffen, weil
sich bis zum letzten Augenblicke Kohlensäure entwickelt. Eine bereits roth gefärbte
Flüssigkeit läßt sich durch Zerstörung des doppeltkohlensauren Alkalis wieder blau
kochen. Man würde viel mehr Mühe haben, zwischen jedem Säurezusatz zu kochen und zu
Probiren, als wenn man den Sättigungspunkt einmal entschieden überschreitet, die
Kohlensäure ganz wegtreibt, und dann mit dem gleichwertigen Natron rückwärts
titrirt.
Bei einem Versuche mit 2 Gram. trockenem kohlensaurem Natron wurden in der
Sectionssitzung zu Wiesbaden 2,003 Gram. kohlensaures Natron heraustitrirt.
Hat man kohlensäurefreie Alkalien oder Oxyde, so kann man direct mit der Säure bis
zum Rothwerden der Lackmustinctur gehen.
So kann man trotz des entstehenden Niederschlages Zinkoxyd, gebrannten Kalk, reine
Magnesia, Kalkwasser, Barytwasser ohne Weiteres quantitativ bestimmen, und zwar mit
großer Schärfe und Schnelligkeit, weil die vielen Zufälligkeiten einer analytischen
Operation mit Fällen, Auswaschen, Trocknen und Glühen ausgeschlossen bleiben.
Statt daß man das Alkali im Atomgewichte nimmt, kann man auch jede beliebige Menge
desselben abwägen und mit Tabellen den Werth desselben aus der Titrirung berechnen.
Diese Tabellen sind einfach die Producte aus dem 1000sten Theil des Atomgewichtes
mit den ganzen Zahlen 1 bis 9. Denn da die Probeflüssigkeit im Liter 1 Atomgewicht
enthält, so enthält 1 Kubikcent. gerade 1/1000 Atomgewicht.
1 Liter Probeflüssigkeit sättigt 1 Atom = 53,2 Gr. wasserleeres kohlensaures Natron;
1 Kubikcent. sättigt also 0,0532 Gram., und die Tafel hat also die folgende
Gestalt:
VerbrauchteProbeflüssigkeit.
Wasserleereskohlensaures Natron,
Wasserleere Essigsäure.
Essigäther.
1
0,0532
0,051
0,088
2
0,1064
0,102
0,176
3
0,1596
0,153
0,264
4
0,2128
0,204
0,352
u.s.w.
u.s.w.
u.s.w.
u.s.w.
Jede Berechnung ist nur eine Addition im Sinne der zuerst von Poggendorff eingeführten Tafeln.
Will man den Ammoniakgehalt eines Salzes titriren, so destillirt man denselben mit
Wasser und überschüssigem Aetzkalk in eine mit Lackmustinctur rothgefärbte,
gemessene Menge von Probesäure, etwa 200 bis 300 Kubikcentimeter. Diese Säure muß
während der Destillation roth bleiben. Wenn sie alles übergehende Ammoniak
verschluckt hat, titrirt man den nicht gesättigten Theil der Säure mit Probenatron
zurück, zieht die Kubikcentimeter des Natrons von denen der Kleesäure ab, und
berechnet das Resultat nach den Tabellen.
Diese Operation ist schon anderweitig empfohlen worden, allein in der vorliegenden
Form ist sie viel schärfer, weil man die Kleesäure viel besser wägen und in
richtiger Zusammensetzung haben kann, als die sonst angewendete Schwefelsäure oder
gar die halb flüchtige Salzsäure.
Die Acidimetrie ist noch einfacher, weil dabei keine Kohlensäure interveniren kann.
Man versetzt die gewogene Menge Säure mit Lackmustinctur zum Lichtrothen, und
titrirt sie mit Aetznatron blau. Die verwendeten Kubikcentimeter berechnet man nach
den Tabellen, wenn man von der Säure nicht gerade das Gewicht von 1/10 Atom genommen
hat. Ich habe in dieser Art eine vortreffliche directe Analyse der zusammengesetzten
Aetherarten gefunden. Es solle z.B. Essigäther analysirt werden, welcher Weingeist
und Schwefeläther enthalten kann. Man wägt den Aether ab und versetzt ihn mit
Lackmustinctur, wobei man sieht, ob er freie Säure enthält. Diese titrirt man mit
Probenatron blau und bemerkt die verbrauchten Kubikcentimeter, oder wenn es nicht auf Bestimmung der
Säure ankommt, gibt man von nun an einen bestimmten Ueberschuß von Probenatron
hinzu. Da man das Atomgewicht des Aethers kennt, so kann man die zur Zersetzung
nöthige Menge Aetznatron vorauswissen, und nimmt davon etwas mehr als nothwendig
wäre, wenn der Aether chemisch rein wäre. Das Atom Essigäther, aus welchem 1 Atom
Essigsäure entstehen kann, wiegt 88. 8, 8 Essigäther ist äquivalent mit 100
Kubikcent. Probenatron und 4, 4 Essigäther ist äquivalent mit 50 Kubikcentimeter
Probenatron.
Ich wäge also 4, 4 oder 8, 8 Gramme des zu prüfenden Essigäthers ab, bringe ihn ohne
Verlust in ein starkes Glas, füge dazu 60 oder 120 Kubikcent. Probenatron,
verschließe das Glas mit einem guten Kork luftdicht und verbinde den Kork mit einer
starken Schleife. Das Glas wird nun an einen warmen Ort gestellt, oder in Wasser
gelegt, welches allmählich zum Kochen erhitzt wird. Nach einer halben Stunde ist der
Aether vollständig zersetzt und die Flüssigkeit noch blau. Ich titrire nun mit der
Probesäure den nicht gesättigten Theil des Probenatrons. Wenn z.B. 120 Kubikcent.
Probenatron zugekommen sind, und nach der Zersetzung des Essigäthers nur 29,5
Kubikcent. Probesäure zum Rothfärben des Gemenges verbraucht wurden, so sind bereits
120 – 29,5 = 90,5 Kubikcent. Probenatron durch den Essigäther gesättigt
gewesen, denn ohnedieß hätte ich 120 Kubikcent. Probesäure verbrauchen müssen. Der
Essigäther enthält also 90,5 Procent wasserleeren, chemisch reinen Essigäther, wenn
dazu 8,8 Gram, in Arbeit genommen waren.
Statt solche Flüssigkeiten abzuwägen, bestimme ich das spec. Gewicht derselben und
messe sie dann mit der Pipette ab. Das absolute Gewicht ist gleich den genommenen
Kubikcentimetern multiplicirt mit dem spec. Gewicht. Gesetzt der Essigäther habe das
spec. Gewicht 0,89, so wiegen 5 Kubikcent. desselben 5mal 0,89 = 4,55 Gram. Dieß ist
namentlich bei Wiederholung viel angenehmer als das Wägen, welches bei flüchtigen
Flüssigkeiten mit Verlust verbunden ist. Nach einer andern von mir versuchten und
ganz gelungenen Methode bestimme ich zugleich das absolute und spec. Gewicht der zu
analysirenden Menge Flüssigkeit, und zwar ohne Gefahr vor Verdunstung und Verlust.
Eine 10 Kubikcent. Pipette, welche bis zu einem Striche mit destillirtem Wasser von
14° R. gefüllt davon genau 10 Gram. faßt, versehe ich mit einem einfachen
Schlusse aus vulcanisirtem Kautschuk. Die Pipette hat unten eine weitere Röhre und
oben einen langen Hals, in welchem der Strich ist.
Ueber die enge Röhre schiebe ich ein dreiseitiges Metallblättchen mit einem Loche in
der Mitte, welches auf der Anschwellung der Pipette sitzen bleibt. An den drei Enden des
Blättchens werden messingene Elastiques befestigt, welche unten wieder ein gleich
großes, undurchbrochenes Metallblättchen tragen, auf dem ein Stückchen Kautschuk
angebracht ist. Dieser Apparat ist auf einer guten Waage tarirt; er hängt an einer
Schlinge.
Ich sauge nun die Flüssigkeit an, lasse bis an den Strich auslaufen, und spanne die
Elastiques unter den Ausfluß der Pipette und lasse sie nun anziehen. Die Spitze der
Pipette drückt sich durch den Zug der Elastiques in den Kautschuk, und ein
vollständiger Schluß findet statt. Ich wäge dann genau den Inhalt der tarirten
Pipette mit Grammen aus. Die erhaltene Zahl drückt das absolute Gewicht in Grammen,
und das spec. Gewicht für Wasser = 10 aus. Man hat also das Komma eine Stelle links
zu setzen, um das spec. Gewicht für Wasser = 1 zu haben.
Die Pipette bringe ich dann über das Glas, worin die Probe gemacht werden soll und
lasse sie darin ablaufen, wobei kein Verlust stattfinden kann, da die Pipette oben
durch den Zeigefinger, unten durch Kautschuk geschlossen ist. Die Pipette läuft
einfach ab, ohne daß sie ausgespült wird, weil sie auch auf Ablauf (écoulement) graduirt ist.
Eine andere Methode, Säuren zu titriren, besteht in der Anwendung eines
chlorsilberhaltigen Ammoniaks. Die Erscheinung ist gerade wie bei der vortrefflichen
Titrirmethode Liebig's bei Blausäure; die Flüssigkeit
bleibt klar und im letzten Momente der Sättigung findet eine Trübung durch
ausgeschiedenes Chlorsilber statt.
Das chlorsilberhaltige Ammoniak ist genau auf die Probesäure titrirt, so daß bei
gleichen Volumen der letzte Tropfen Säure eine bleibende Trübung veranlaßt. In jedem
Falle muß die Säure zum Ammoniak, und nicht umgekehrt gefügt werden, weil sonst von
vornherein ein Niederschlag entstehen würde, der sich erst bei bedeutender
Uebersättigung mit Ammoniak lösen würde. Das Probeammoniak stellt man sich so dar,
daß man etwa 170 Kubikc. flüssiges Ammoniak von 0,96 sp. G. in eine Literflasche
bringt, und darin etwas frisch bereitetes und noch feuchtes Chlorsilber auflöst,
dann die Literflasche bis an den Strich mit destillirtem Wasser von 14° R.
anfüllt. Es muß jetzt geprüft werden, indem es noch etwas zu stark ist. Man saugt 10
Kubikcent. heraus und bringt sie in eine sehr klare Flasche, dann läßt man aus der
in 1/10 Kubikcent. getheilten Pipette die Probekleesäure hineinfallen, indem man
gegen Ende damit tropfenweise vorgeht und zwischen jedem Tropfen umschüttelt, um zu
sehen, ob die örtlich entstandene Trübung sich im Ganzen wieder löst. Um dieß
deutlich zu sehen, muß die Flasche sehr klar und rein seyn, und einen ganz schwarzen
Hintergrund haben. Man legt deßhalb ein schwarzes Papier unter oder hält die
Flasche gegen eine dunkle Stelle im Zimmer, etwa gegen den Schatten unter einem
Tische. Man kann die bleibende Trübung bis auf 1 Tropfen genau sehen. War das
Ammoniak zu stark, so hat man außer den ersten 10 Kubikcent. Säure noch einige
Zehntel Kubikcentimeter mehr Säure verbraucht. So viel man im Ganzen verbraucht hat,
so viel muß das übrige Ammoniak für jede 10 Kubikcent. durch Verdünnung mit Wasser
werden. Gesetzt, man hätte 1000 Kubikcentimeter Ammoniak gemischt, und davon 10
Kubikcent. zur ersten Probe genommen, so daß also noch 990 Kubikcent. übrig bleiben.
Es fand sich nun, daß zu 10 Kubikcent. Ammoniak gerade 11 Kubikcent. Probesäure
verbraucht wurden. Es müssen also 10 Kubikcent. Ammoniak zu 11 Kubikcent. verdünnt
werden, wenn sie sich zu gleichen Volumen gerade sättigen sollen; es müssen also zu
den 990 Kubikcent. Ammoniak noch 99 Kubikcentimeter Wasser zugefügt werden.
Das Chlorsilberammoniak bewahre ich in gut schließenden Glasflaschen mit Glasstöpsel
auf. Es wird immer nur mit Pipetten angesaugt, und darf nicht in Büretten
eingegossen werden.
Die Anwendung dieser Methoden auf die einzelnen in der Technik und Chemie
vorkommenden Körper, so wie die Beschreibung der Art und Weise, wie es mir gelungen
ist sehr genau getheilte Röhren darzustellen und vorhandene nach ihrem richtigen
Inhalt zu corrigiren, muß ich mir an einer andern Stelle mitzutheilen
vorbehalten.