Titel: Ueber die Oxydirung des Eisens bei Bauten, die Unwirksamkeit der Anstriche oder Firnisse, und die schützende Kraft des Kalks und Mörtels; von Hrn. Vicat.
Fundstelle: Band 134, Jahrgang 1854, Nr. XCV., S. 345
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XCV. Ueber die Oxydirung des Eisens bei Bauten, die Unwirksamkeit der Anstriche oder Firnisse, und die schützende Kraft des Kalks und Mörtels; von Hrn. Vicat. Aus Böttger's polytechnischem Notizblatt, 1854, Nr. 16. Vicat, über die Oxydirung des Eisens bei Bauten. Die Zerstörung des Guß- und Schmiedeisens durch den Rost, in Folge gewisser Einflüsse, ist eine bekannte Thatsache. Die Oxydirung dieser Metalle geschieht durch die Zusammenwirkung der Luft und des Wassers, denn das Eisen rostet eben so wenig in trockner Luft, noch im Wasser las von aller Luft befreit ist, noch endlich im trocknen Sauerstoffgase bei gewöhnlicher Temperatur. Gewisse aufgelöste oder selbst im Wasser suspendirte Stoffe können, obgleich in sehr geringer Quantität, als Präservative wirken. Diese Tendenz des Guß- und Schmiedeisens, in den Zustand des Röstens überzugehen, hat zu allen Zeiten Untersuchungen über präservirende Mittel veranlaßt. Erst kürzlich hat Robert Mallet in England sich diesem Gegenstande durch zahlreiche Versuche gewidmet; die folgenden Firnisse oder Anstriche wurden in Fluß- und Meerwasser, bald im klaren, bald im trüben Zustande erprobt, nämlich: Firnisse von Kautschuk, Copal, Asphalt, Mastix, Terpenthin, schwedischem Theer, Gastheer, trocknendem Oel, Wachs gemischt mit Seife u.s.w., und keiner von ihnen hat sich auf unbestimmte Zeit erhalten. Die minder kräftigen sind diejenigen, deren Basen aus kohlensaurem Bleioxyd bestehen, sie verwandeln sich in Schwefelblei. Derjenige, welcher im kalten Wasser entschieden große Vortheile vor allen übrigen hat, besteht aus heißem Gastheer, womit das erwähnte Eisen angestrichen wird. Der Kautschukfirniß ist wieder in heißem Wasser der beste; beide aber haben nur eine begränzte Dauer. Während diese Versuche in England angestellt wurden, erhielt Princeps in Calcutta, welcher von denselben gar keine Kenntniß hatte, die gleichen Resultate über den relativen Vorzug des Gastheers und über die gänzliche Unwirksamkeit aller anderen Anstriche ohne Ausnahme. Es geht hieraus hervor, daß man, wenn die Dauer des Eisens im Flußwasser absolut von den schützenden Anstrichen abhinge, und die Art und Weise wie und wo dasselbe verwendet wurde, eine Erneuerung dieser Anstriche unmöglich machte, diesem Metalle für die Zukunft die Consolidation der Zimmerwerke und anderer beständig unter Wasser befindlicher Constructionen nicht mehr anvertrauen könnte. Indessen hat man sich bis zum heutigen Tage des Eisens bei solchen Bauwerken bedient, und kein wichtiges Zeichen irgend einer Art hat den Beweis geliefert, daß man Unrecht gethan habe. Als im Jahre 1837 die alte steinerne im Jahre 1626 erbaute Brücke über die Isère abgerissen wurde, bemerkte der den Bau der neuen Brücke leitende Oberingenieur Picot Folgendes: 1) die ganz in Mörtel liegenden Krampen waren von derselben untadelhaften Beschaffenheit, als ob sie eben erst eingesetzt worden wären; 2) die eisernen Bolzen des hölzernen Rostes unter dem linken Pfeiler waren wie neu, obgleich sie mit dem Mörtel nicht in Berührung standen; 3) die Schuhe der herausgerissenen Pfähle waren mit Ausnahme einiger an Kiesmassen anhängenden Stellen unversehrt. Alle diese Eisen befanden sich also seit 212 Jahren unter Wasser und zwar 2,20 Meter unter dem niedrigsten Stand. Zur Vervollständigung dieser Beobachtungen möge die Bemerkung dienen, daß die Isère ihre Quelle auf den Gletschern Savoyens ungefähr 25 Lieues von Grenoble hat, daß sie beiläufig sechs Monate im Jahr, wo der Schnee schmilzt, schlammig ist, daß sie nach den in Savoyen fallenden Regenströmen sehr viel schwärzlichen Sand mit sich führt, und daß das Wasser derselben bei seiner höchsten Klarheit immer etwas trübe ist. Wenn jeder Ingenieur seine Beobachtungen auf diesen Gegenstand richten wollte, so würden sich solcher Beispiele über die Dauer des Eisens im süßen strömenden Wasser zu Tausenden zeigen, und es würde dadurch bewiesen werden, daß der Vorgang in der Natur nicht immer derselbe ist, wie im Laboratorium. Bei dem Flußwasser findet man in der That eine Menge von Grundstoffen, die im reinen Wasser nicht enthalten sind, von denen einige Tausendtel hinreichen, die Oxydation zu paralysiren; auch kann das Wasser in gewissen Tiefen nicht hinreichend Luft erhalten, besonders wenn es wenig Theil nimmt an der strömenden Bewegung, indem es sich entweder auf Kies- und Sandbänken oder an solchen Orten aufhält, die durch die Fundamentirung schwer zugänglich sind. Die Untersuchung der Oxydirung des Eisens in freier Luft führt zu Beobachtungen anderer Art, und es gibt keine Oertlichkeit, die man in dieser Beziehung nicht mit Nutzen untersuchen könnte. Im allgemeinen bemerkt man, daß in freier Luft und entfernt von den Ursachen, die ihre Erneuerung verhindern oder sie feucht erhalten können, die starken Eisen, welche ohne Anstrich sich selbst überlassen sind, sich mit einer Rostschicht bedecken, die selbst zum unangreifbaren Ueberzug wird und so allen Fortschritt nach innen aufhält. In Grenoble besteht aus der Promenade ein Gitter von 200 Meter Länge, dessen Stäbe 2 Centimeter Stärke im Quadrat haben; sie sind in steinerne Schwellen eingelassen und mit Blei vergossen. Dieses beinahe 250 Jahre alte Gitter ist seit Menschengedenken nicht angestrichen oder gefirnißt worden und dennoch ist es beinahe unversehrt. Das Eisen ist mit einer glatten, anhängenden und sehr dünnen Schicht braunen Oxyds bedeckt, und es scheint dieser Zustand schon seit sehr langer Zeit zu bestehen. Man würde kein Ende finden, wollte man alle ähnlichen Thatsachen anführen, Thatsachen, welche nichts Neues lehren würden, denn sie sind schon seit langer Zeit durch die Beobachtung bestätigt worden. Was aber bei Eisen von einer gewissen Stärke stattfindet, stellt sich nicht mehr bei solchen ein, deren Dimensionen geringe sind, wie z.B. Eisendrähten, von denen es Jedermann bekannt ist, daß sie in freier Luft in geringer Zeit angefressen und zerstört werden. Geht man von der freien Luft zu der in Höfen oder anderen Orten eingeschlossenen über, die sich nur schwer erneuern kann, so schreitet die Oxydirung rasch vor und dringt unter übrigens gleichen Umständen tiefer ein. Ihr Maximum der Intensität erreicht sie an niedrigen und feuchten Orten, wo die Luft gar nicht oder nur sehr wenig circulirt, wozu dann die Kohlensäure mächtig beiträgt, unter deren Einfluß das Eisen in den Zustand des kohlensauren Oxyduls übergeht, welches, alle neuen Quantitäten Sauerstoffs absorbirend, sich in Eisenoxydhydrat verwandelt. Die von der Regierung vorgeschriebenen Nachforschungen haben den schnellen Vorgang der Oxydirung in diesen letzten Fällen evident erwiesen und überall war sie zerstörend. Zeuge dieser Wirkungen war Vicat bei den Stangen der Kettenglieder an der Dracbrücke bei Grenoble, wo er Folgendes beobachtete. Die über den Drac im Jahr 1827 erbaute Kettenbrücke ist in Frankreich das erste Beispiel von der ausschließlichen Anwendung des geschmiedeten Eisens für diese Art von Bauten. Die Tragweite der Brückenbahn beträgt 130 Meter und die Breite der letzteren ist im Lichten 6 Meter. Die Aufhängung wird von vier je 12,25 Meter hohen Obelisken von Haustein getragen. Die Spannketten sind unveränderlich auf dem Gipfel des Obelisken befestigt, sind gegen denselben unter einem Winkel von 45° geneigt und versenken sich in Sockeln, die 1 Meter über dem Boden hoch sind. Alles hier mußte zu der Vermuthung führen, daß von diesen Sockeln an bis zu den Verankerungspunkten die Eisen von einem Mauerwerk umschlossen wären. Die Actiengesellschaft und die mit der Aufsicht über die Unterhaltung beauftragten Ingenieure glaubten dasselbe; sobald kann etwas in 23 Jahren vergessen werden! Niemand also erinnerte sich, daß zwischen den Sockeln und dem vollen MauerwerkMauerwe f, das auf den Verankerungspunkten lastet, die Eisen auf 5 bis 6 Meter Länge in ganz leeren, fallenden Canälen lagen. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß Vicat noch einen Durchschnitt von dem Verankerungsmauerwerk und den dazu gehörigen Theilen besaß, den er seiner Zeit von dem ausführenden Ingenieur erhalten hatte. Als er bei Gelegenheit des Einsturzes der Brücke von Angers diesen Durchschnitt zur Hand nahm, bemerkte er bei dem Durchgange der Eisen durch die Sockel in der Schraffirung einen ausgesparten Raum, was bekanntermaßen einen leeren Raum bedeutet. Er theilte dieß der Verwaltungscommission der Brücke mit, und es wurde beschlossen, das Innere der Sockel sogleich zu untersuchen. Ein betrübender Anblick lehrte nun die Gefahr kennen, welche, wenn nicht augenblicklich, doch gewiß in sehr naher Zukunft, die Existenz der Brücke und das Leben der Passirenden in Frage gestellt hätte. Die Stangen der Kettenglieder waren alle ohne Ausnahme durch den Rost tief angefressen, welcher sich Punkt- und schuppenweise erhob und die unausgesetzte Kontinuität seines Fortschrittes erkennen ließ. Bald lösten sich Blätter ohne Mühe ab, bald machte ihre Adhärenz die Anwendung des Meißels und des Hammers nothwendig; 75 Taglöhner waren erforderlich, um die Stangen ganz davon zu befreien, wobei man Olivenöl mit Bürsten einrieb. Ueber die Art des Anstriches, den man 1827 für diese Eisen anwendete, konnte Vicat nichts erfahren. Nach dieser Arbeit und nach einer sorgfältigen Untersuchung der Kettenglieder, welche mm ein ganz blatternartiges Aussehen erhalten, erwies es sich, daß sie ein Drittel ihrer Tragfähigkeit verloren hatten, und daß folglich ihre permanente Leistung seit langer Zeit der Probebelastung, d.h. beiläufig 10 Kilogr. pro Quadratmillimeter entsprach. Rechnet man nun zu dieser ungewöhnlichen Spannung die Zunahme des täglichen Verkehrs von ungeheuren Blockwägen, welche Pflaster- und Quadersteine aus den Brüchen von Sassenage nach Grenoble bringen, dann die Militärtransporte, die Volksmenge, welche an Kirchweihfesten der benachbarten Dörfer die Brücke belebt, und rechnen wir endlich die mögliche Wirkung eines gleichzeitigen Sturmes hinzu, so ist es begreiflich, daß die Katastrophe eines Einsturzes nahe bevorstand. In den letzten Tagen des Monats April 1853 war Alles wieder hergestellt. Die Spannketten sind jetzt kräftiger als im Anfange; die oxydirten Kettenglieder sind durch neue Kettenglieder verstärkt, wodurch die permanente Leistung der Eisen auf etwas mehr als 6 Kilogr. pro Quadratmillimeter zurückgeführt ist, was nicht ganz den siebenten Theil ihrer absoluten Kraft beträgt. Diese neuen Kettenglieder konnten mit denen verbunden werden, welche um das untere Mauerwerk gehen und vom Mörtel vor aller Oxydirung beschützt wurden. In Folge einer weisen Vorsicht sind die letzteren viel stärker und in größerer Anzahl als die oberen Reihen. Jetzt hat man nun bloß dem hydraulischen Mörtel die künftige Erhaltung der alten und neuen Eisen anvertraut; alle Glieder sind genau und vorsichtig in gutes Mauerwerk gelegt, und um den Ungläubigen volles Vertrauen zu diesem Mittel zu erwecken, hat man in eine mit Mörtel angefüllte und leicht zugängliche Höhlung verschiedene Stücke neuer und alter, in demselben Grad wie die alten Ketten, oxydirter Eisen eingelegt, die man nach einigen Jahren, oder wenn man will, noch früher untersuchen kann. Die Thatsache der Erhaltung des Eisens in frischem Mauerwerk ist nothwendigerweise so alt als die Beispiele, von denen sie ausgeht; Vicat glaubt aber, daß die theoretische Erklärung dieser Eigenschaft des Mörtels erst von der Zeit datirt, wo er seine ersten Beobachtungen über die Eigenschaft des einfachen Kalkwassers, darin eingetauchtes Eisen und Stahl im vollkommenen Zustande der Unversehrtheit zu erhalten, veröffentlichte. Später machte Payen bekannt, daß einige Tausendstel kohlensaures Kali oder Natron in reines Wasser gegossen, diesem dieselbe Eigenschaft verleihen, eine Eigenschaft, welche also mit den alkalinischen Lösungen innig verbunden ist. Da das reine, d.h. klare Kalkwasser, sich dem Anfange der Oxydirung des neuen und dem Fortschritt des alten schon angegriffenen widersetzt, so wäre es ganz einfach, daraus zu schließen daß der teigige Kalk und folglich aller frischer Mörtel auf dieselbe Art wirken müssen; und es wäre daher eine Sache von Wichtigkeit, dieß festzustellen, denn mitten im trockenen und erhärteten Mörtel, durch den die Luft nicht eindringen kann, ist auch die Unversehrtheit des Eisens gar nicht in Frage zu stellen. Es ist also zur Genüge bewiesen, daß in dem mehr oder minder längeren Zeitraum, den ein Mörtel nothwendig hat, um von seiner frischen und teigartigen Dichtigkeit in den harten und trockenen Zustand überzugehen (ein Zeitraum, der je nach der Qualität des Kalks und dem Orte, wo der Mörtel verwendet wurde, über 100 Jahre dauern kann), das von diesem Mörtel umgebene Eisen nicht oxydirbar ist. Da das chemische Princip unantastbar ist, so muß es auch die Permanenz des teigartigen Zustandes des fetten Kalkes und seines Mörtels, wenn hermetisch verschlossen vor dem Zugange der Luft und des Wassers, ebenfalls seyn. Jeder Baubeflissene kennt die von Alberti berichtete Thatsache von der Entdeckung einer mit fettem Kalk vor ungefähr 500 Jahren gefüllten Grube, worin der Kalk noch so feucht und geschmeidig war, daß der Honig und das Mark der Thiere es nicht besser seyn können. Ebenso ist die andere von Dr. Kohn berichtete Thatsache eines aus fettem Kalke bereiteten Mörtels bekannt, der 80 Jahre nach seiner Verwendung im Centrum eines abgebrochenen Pfeilers in der Kathedrale zu Berlin gefunden wurde. Aus diesen Beobachtungen gehen natürlicherweise zwei Mittel hervor, das Eisen in den Verankerungsblöcken der hängenden Brücken vor der Oxydation zu bewahren; das erste erfordert unter der Bedingung, zu jeder Zeit das Eisen frei zu legen, um es zu untersuchen und es nöthigenfalls zu Ersetzen, die Anwendung des fetten Kalks in teigartigem Zustande, oder des Mörtels aus fettem Kalke, der so gelegt werden kann, daß er beständig seine Frische behält; das zweite Mittel, bei dem diese letztere Bedingung nicht stattfindet und das folglich leichter anzuwenden ist, besteht nur in der Anwendung eines guten, nach seiner Erhärtung nicht schwindenden oder reißenden hydraulischen Mörtels, der auch durch Cemente, die mit Sand gemischt sind, ersetzt werden kann. Dieß sind die beiden Mittel, einem Bau, bei welchem Eisen verwendet wird, eine wahrhaft monumentale Dauer zu geben. Einige Baumeister wendeten das erstgenannte Mittel an, ohne die jede Vertrocknung und jedes Schwinden verhindernden Maßregeln zu nehmen. Es entstanden dann Risse, durch welche die feuchte Luft Zutritt hatte; eine Unvorsichtigkeit indessen, welche die Zweckmäßigkeit des Verfahrens durchaus nicht entkräftet und nur den Beweis liefert, daß das Mittel bei ungeschickter Anwendung unzureichend ist. Um es als fehlerhaft zu bezeichnen, müßte bewiesen werden, daß seine Anwendung unmöglich wäre, oder mit anderen Worten, daß man es bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft nicht vermöchte, in den Mauerkörpern Röhren oder Canäle zu ziehen, welche jedes Eindringen der Luft oder die Entweichung jeder Feuchtigkeit daraus verhindern können. Hat man aber kein Vertrauen auf den Erfolg eines solchen Verfahrens, so soll man ja seine Zuflucht nicht dazu nehmen; man soll sich dann bei der Ueberzeugung, daß ein Bau nicht in sich selbst alle Bedingungen der Dauer besitzt, nur darauf beschränken, das bei demselben verwendete Eisen durch provisorische Mittel zu conserviren; die zu gehöriger Zeit erneuerten Firnißanstriche können genügen, doch muß man sich hüten, dieselben 23 Jahre lang zu vergessen, wie es bei der Dracbrücke der Fall war.