Titel: Zur Geschichte der Planimeter; von Professor Dr. C. M. Bauernfeind.
Autor: C. M. Bauernfeind
Fundstelle: Band 137, Jahrgang 1855, Nr. XXII., S. 81
Download: XML
XXII. Zur Geschichte der Planimeter; von Professor Dr. C. M. Bauernfeind. Bauernfeind, zur Geschichte der Planimeter. Meine vor zwei Jahren erschienene Abhandlung über die Planimeter, von Ernst, Wetli und Hansen hat, nach den mir seitdem zugekommenen schriftlichen und mündlichen Mittheilungen und Anfragen zu schließen, vielfache Anregung zur Anwendung des Hansen'schen Planimeters gegeben; sie hat aber außerdem noch einen andern erfreulichen Erfolg gehabt, insoferne sie die Veranlassung war zur Entdeckung des ursprünglichen Erfinders der Classe von Planimetern, welche den Flächeninhalt ebener Figuren durch das Umfahren des Umfangs darstellen. Ueber diese Entdeckung sey hier eine kurze Mittheilung gestattet. Unter dem 17. Juni d. J. übersandte mir der k. Bezirksgeometer Kunig in Straubing mehrere Bruchstücke von alten Manuscripten und Zeichnungen, welche in Verbindung mit einer Entschließung der königl. Steuerkataster-Commission in München den vollständigen Beweis liefern, daß der wahre Erfinder der vorhin bezeichneten, allein brauchbaren Classe von Planimetern der verstorbene königl. bayer. Trigonometer Johann Martin Hermann ist, und daß der ehemalige königl. bayer. Steuerrath Lämmle (bekannt durch die im Jahre 1819 gemessene Basis zwischen Speyer und Oggersheim) wesentlichen Antheil hat an der ersten Ausbildung der nunmehr in die Praxis übergegangenen Flächenmesser. Ich werde, um alle Weitläufigkeiten zu vermeiden, aus den mir anvertrauten Papieren nur so viel mittheilen, als zum Beweise der eben aufgestellten Behauptung nöthig erscheint, indem ich mich bereit erkläre, die Einsicht der Originale mit Vergnügen Jedem zu gestatten, der mir seinen darauf zielenden Wunsch zu erkennen geben wird. 1) In einem Concepte mit der Ueberschrift: „Beschreibung einer Maschine zum Abnehmen des Flächeninhalts aller geometrischen Figuren durch bloßes Herumführen eines Stifts auf ihren Gränzlinien“ – drückt sich J. M. Hermann wie folgt aus: „Der Flächeninhalt zweier Dreiecke oder Parallelogramme, welche eine und dieselbe Grundlinie haben, steht im geraden Verhältnisse zu ihren Höhen. Denkt man sich mm einen Kreis, dessen Peripherie gleich einer solchen gemeinschaftlichen Grundlinie ist, und diesen Kreis mit etwas anderem so in Verbindung, daß, wenn man mit letzterem längs dieser Linie hinfährt, er sich gerade einmal um seine Achse dreht, wenn die Höhe der Figur = 1 ist; denkt man sich ferner, daß, wenn die Höhe der Figur = 2 ist, sich der Kreis vermittelst seiner Verbindung, während längs der Grundlinie hingefahren wird, zweimal um seine Achse drehe; denkt man sich endlich, daß die Revolutionen des Kreises wie die Zahlen der Höhen zunehmen, und würde die Zahl dieser Revolutionen an irgend etwas bemerkt werden können: so hätte man mit einem so verbundenen Kreise eine Art mechanischen Flächenmessers. Wollte man nun ohne Zahlenrechnung den Inhalt geometrischer Figuren durch eine Maschine finden, so dürfte bloß die Art aufgesucht werden, wie die Kreisrevolutionen in dem obigen Verhältnisse bewirkt werden könnten, und die Maschine wäre erfunden.“ „So dachte ich im Herbste des Jahres 1814 in den Auerburgischen Gebirgen, welche ich damals zum Behufe der Steuerrectifications-Vermessung trigonometrisch aufnahm, und als ich nach vollendetem Geschäfte wieder in München war und mehr diesem Gedanken nachhängen konnte, kam ich nach angestrengtem Nachdenken auf folgende Idee.“ „Der vorgenannte Kreis ist ein ungezahntes Rädchen, das sich an einer Welle um seine Achse drehen läßt. Dieses Rädchen wird vermittelst einer Feder mit seinem Rande an eine Seitenlinie eines Kegels angedrückt, welche Seitenlinie des Kegels aber parallel mit der Welle des Rädchens seyn muß. Der Kegel ist um seine Achse drehbar und setzt, wenn er gedreht wird, das an ihn gedrückte Rädchen ebenfalls um seine Achse in Bewegung, und er wird während der Bewegung von dem Rädchen in einem Kreise auf seiner Seitenfläche berührt, dessen Ebene parallel mit der Ebene seiner Basis ist. Gesetzt nun, das Rädchen berühre den Kegel an jener Stelle, wo der Kreis, den es auf seiner Oberfläche beschreibt, eben so groß ist als das Rädchen selbst, so wird zu einem ganzen Umlauf des Rädchens auch ein ganzer Umlauf des Kegels erfordert; rücke ich aber das Rädchen noch einmal so weit von der Spitze des Kegels gegen seine Basis, so wird es dort, wenn der Kegel einmal um seine Achse bewegt worden ist, sich in dieser Zeit zweimal um die seinige bewegt haben, weil die Peripherie des Kegelkreises jetzt doppelt so lang ist als die des Rädchens.“ „Es habe jetzt der Kegel auf seiner Basis einen concentrischen Cylinder, dessen Durchmesser gleich dem Durchmesser des Rädchens ist, befestigt, welcher, wenn der Kegel um seine Achse gedreht wird, an einem geraden Lineale sich fortrollt; die Welle des Rädchens behalte während des Fortrollens des Kegels immer dieselbe Lage gegen des letzteren Achse, und könne längs der Seite des Kegels mittelst eines Keils hin und her gelassen werden; ferner sey irgend eine Vorrichtung angebracht, welche die ganzen Umläufe des Rädchens sowohl als die Theile des Umlaufs anzeige: so wird diese Vorrichtung die Verhältnisse des Flächeninhalts aller auf einer und derselben Grundlinie stehenden Rechtecke anzugeben im Stande seyn.“ Hierauf folgt ein Bruchstück von dem Beweise dieser Behauptung, und damit hört die Beschreibung auf. Ob diese nicht weiter fortgesetzt wurde oder verloren ging, läßt sich nicht entscheiden. Es kommt aber auch gar nichts mehr auf die Fortsetzung an, da der erhaltene Theil des Manuscripts die Idee des Hermann'schen Planimeters so klar und deutlich beschreibt, daß Niemand, der die Einrichtung des Ernst'schen Planimeters kennt, daran zweifeln kann, daß der letztere dem ersteren fast ganz gleich ist. Während aber Hermann seinen Planimeter im Jahre 1814 erfand, hat Ernst den von Opikofer i. J. 1827 (wahrscheinlich) nacherfundenen Planimeter erst im Jahre 1836 verbessert und ausgeführt. (S. meine Abhandlung, Vorrede und Seite 7 und ff.) 2) Nachdem der Trigonometer J. M. Hermann seine Erfindung dem Steuerrathe Lämmle mitgetheilt und dieser zu ihrer mechanischen Vervollkommnung wesentlich beigetragen hatte, erstatteten beide unter dem 10. April 1817 einen gemeinschaftlichen Bericht an die k. Steuerkataster-Commission in München, um ihr „die glückliche Erfindung einer neuen Flächenberechnungsmaschine anzuzeigen, welche sich von anderen ähnlichen Werkzeugen dadurch unterscheide, daß sie bloß durch das Herumführen eines Stifts an der Peripherie jeder beliebigen Figur den Flächeninhalt derselben in welchem Maaßstabe immer eben so schnell angebe, als der Lithograph durch eben diese Manipulation die Planfiguren auf den Stein zeichne.“ Der von Lämmle verfaßte Bericht fährt nach einer längeren Einleitung, worin die Wichtigkeit des Planimeters hervorgehoben wird, also fort: „Die Geschichte dieser Erfindung ist folgende. Der Trigonometer Hermann entdeckte bereits im Herbst 1814 durch angestrengtes Nachdenken das Gesetz einer Bewegung, die mit dem Flächeninhalte der Figuren, um welche diese geschieht, im Verhältniß steht. Diese Idee sammt Zeichnung vertraute dieser dem Geodäten Joseph Miller und wollte mit ihm die Ehre der Erfindung theilen, wenn dieser die Maschine verfertigen würde. Dieser Miller machte die Maschine nicht und Hermann war genöthigt, von ihm die Zeichnung und das zur Erleichterung mitgetheilte Modell wieder abzuverlangen. Im Herbste des Jahres 1815 entdeckte der Steuerrath Lämmle in der Kegelschnittslehre ebenfalls eine vortheilhafte Multiplications- und Divisions-Methode und verwendete den jüngst verflossenen Winter seine Ruhestunden dazu, diese durch eine Maschine in Wirklichkeit zu setzen. Gegenseitige Mittheilung unserer Ideen führte endlich zum Zweck, und der Steuerrath Lämmle bemerkte gar bald die ungemeinen Vorzüge, welche die Hermann'sche Methode hatte, verließ die Ausführung seines Vorhabens und verwendete sich lediglich für die Verbesserung der ersteren. Der Mechanismus ist nun gelös tund sehr einfach, doch fordert derselbe die Hand eines geübten Künstlers.“ „Einestheils in dieser Hinsicht, anderntheils auch um der Maschine die größtmögliche Genauigkeit zu verschaffen, entdeckten wir am 29. März a. c. die Erfindung und Anordnung des Ganzen dem k. Salinenrathe v. Reichenbach in der Hoffnung, daß er die Maschine sogleich machen lassen werde. Obschon ihn die Losung des Problems in Staunen setzte, entschuldigte er sich doch wegen vorhabender anderer Geschäfte, theils auch weil er dem Ganzen eine andere Gestalt geben wollte, die Verfertigung nicht sogleich vornehmen zu können. Dadurch und beseelt von der Begierde, die Maschine bald im Gange zu sehen, mußten wir zu dem Mittel schreiten, einstweilen ein gut gearbeitetes Modell des Ganzen unter unserer Aufsicht verfertigen zu lassen. Wir hoffen in einigen Wochen so glücklich zu seyn, dieses neue Product der k. Steuerkataster-Commission zur Würdigung und Prüfung vorlegen zu können.“ „Wir glauben überzeugt zu seyn, daß wir den Zweck unseres Vorhabens, der k. Steuerkataster-Commission eine große Kostenersparniß zu verschaffen, nicht verfehlen werden, und führen deßhalb nur noch an, daß wir die Erfindung auch dem k. Steuerrath und Astronomen v. Soldner entdeckten, welcher dem Ganzen seinen Beifall durch die Aeußerung zollte, daß er ehevor die Lösung dieses Problems für unmöglich gehalten haben würde.“ 3) Auf diesen Bericht erfolgte nachstehende, mit Nr. 609 bezeichnete und vom 10. April 1817 datirte Entschließung an den Steuerrath Lämmle und den Trigonometer Hermann: „J. N. S. K. M. V. B. „Aus dem gemeinschaftlich mit dem Trigonometer Hermann und dem dießseitigen Rathe Tit. Lämmle unterm 7ten dieß erstatteten Berichte hat die unterzeichnete Stelle mit besonderem Wohlgefallen die von denselben nach einer neuen Erfindung in Arbeit und Ausführung genommene Flächenberechnungs-Maschine vernommen, und sieht dem vorzulegenden Modelle mit freudiger Erwartung entgegen und mit dem Wunsche, daß derselben Bemühungen einsweil durch die hievon zu hoffenden Resultate belohnt werden mögen. Königliche unmittelbare Steuerkataster-Commission. (L. S.)       Grünberger, Director.“ 4) Wer der Verfertiger des in dem Berichte und der darauf ergangenen Entschließung genannten Modelles war, ist aus den vorliegenden Manuscript-Fragmenten nicht zu entnehmen; daß aber der Planimeter wirklich zur Ausführung kam, geht zunächst aus einer großen Zahl Aufzeichnungen von Versuchsresultaten, denen eine Genauigkeit von 1/400 zugeschrieben wird, und weiter aus der folgenden Stelle hervor, die sich in einem nur theilweise vorhandenen Briefe Hermann's findet: – „Da sich bei allen angestellten Versuchen der Art die Differenzen stets gleich blieben, so folgt ferner, daß weder die Schnur einen bedeutenden Einfluß auf die Genauigkeit der Maschine habe, noch daß das Rädchen an irgend einer Stelle des Kegels auslasse; zwei sehr bedeutende Dinge!“ – Endlich wird die Realisirung der Hermann'schen Idee durch einen noch lebenden Zeugen, den schon genannten k. Geometer Kunig, welcher mir die theilweise veröffentlichten Manuscripte und Zeichnungen zur beliebigen Benützung übergab, vollständig bewiesen; denn dieser schreibt: – „diese Papiere erhielt ich aus dem Rücklasse meines im Jahre 1848 verstorbenen Onkels, des Mechanikers Sammet, welcher mir auch ein paar Jahre vor seinem Tode eine Maschine vorgewiesen hat, welche nach der bei diesen Blättern liegenden colorirten Zeichnung vor längerer Zeit von ihm gefertigt worden war. Er erklärte mir manches daran, was ich jedoch damals weniger beachtete, weil ich Willens war als Jurist mein Brod zu suchen. Es ist mir jedoch noch gut erinnerlich, wie er klagte, daß diese einen ziemlich hohen Grad von Genauigkeit erreichende Maschine bei der k. Steuerkataster-Commission keinen Eingang, wohl aber viele Feinde und üble Nachreder gefunden habe. Die fragliche Maschine kam nach dem Tode Sammet's ins alte Messing und existirt nicht mehr.“ 5) Nach den vorstehenden Mittheilungen gestaltet sich nunmehr die Geschickte der Erfindung der auf das Umfahren des Umfangs der Figuren gegründeten Planimeter also: Erster Erfinder ist der Trigonometer J. M. Hermann in München (1814). Die ersten Verbesserungen dieser Erfindung verdankt man dem Steuerrache Lämmle ebendaselbst (1816). Unser berühmter Reichenbach und der Astronom Soldner, sowie die k. bayerische Steuerkataster-Commission kannten und würdigten die neue Erfindung (1817). Modelle und wirkliche Planimeter nach Hermann und Lämmle wurden angefertigt; unter andern von dem Mechaniker Sammet. In welchen Jahren ist vorläufig noch unbekannt. Von den vorhandenen Instrumenten gaben die ersten, womit Hermann und Lämmle Versuche machten, eine Genauigkeit von 1/400 der gemessenen Fläche. Der Planimeter von Opikofer, welchen ich in meiner Abhandlung für den ersten der hier allein in Betracht gezogenen Classe hielt, ist mindestens 10 Jahre älter als der von Hermann (1827). Jener mag unabhängig erfunden seyn, stimmt aber dem Wesen nach mit diesem überein. Diese Uebereinstimmung erkennt man ganz deutlich an der Verbesserung von Ernst, welche von der Akademie der Wissenschaften in Paris mit einem Preise belohnt wurde (1836). Die wichtigste Vervollkommnung erhielten die Planimeter durch Wetli in Zürich (1849) und weitere Verbesserungen durch Hansen in Gotha (1850). Die Wetli'schen Planimeter werden in hoher Vollendung in der Werkstätte des Wiener polytechnischen Instituts unter der Leitung von Starke und die Hansen'schen eben so vorzüglich von Ausfeld in Gotha angefertigt. Die Genauigkeit dieser Instrumente ist so groß, daß sie denjenigen, welche noch nicht damit gearbeitet haben, auffällt, ja auffallen muß. Mir selbst ging es so, als ich die ersten Berichte von Stampfer über den Wetli'schen Planimeter las. Aber ich hörte zu zweifeln auf, sobald ich mich durch eigene Versuche von dem überzeugen konnte, was ich vorher nicht glauben wollte. Ich kann mir übrigens heute noch die jede Erwartung übertreffende Genauigkeit der Wetli- und Hansen'schen Planimeter nur dadurch erklären, daß ich eine Ausgleichung der kleinen Unregelmäßigkeiten, welche mit der Bewegung verbunden sind, annehme, ungefähr so, wie sie beim Nivelliren stattfindet. Während nämlich hier in den einzelnen Stationen von 500 Fuß Länge Fehler von 1 Linie in dem Höhenunterschiede vorkommen, gleichen sich alle diese Fehler, wie jeder geübte Ingenieur aus Erfahrung weiß, bei Linien von 100,000 Fuß Länge in der Regel auf 10 bis 20 Linien und oft auf noch weniger aus. Vertheilt man diesen Unterschied auf die ganze Länge, so wäre in dem ersten Falle die Genauigkeit 1 Millionstel und in dem zweiten Falle 2 Millionstel der ganzen Länge, obgleich in den einzelnen Stationen die Genauigkeit 10- bis 20mal geringer ist. Was nun beim Nivelliren die ganze Länge einer größern Linie, ist beim Flächenmessen mit dem Planimeter der ganze Umfang der Figur, und was dort die Station, hier ein Theil des Umfangs. Wenn aber die Planimeter von Wetli und Hansen eine größere Genauigkeit geben als man sie in der Praxis je bedarf) wenn sich diese Genauigkeit erfahrungsgemäß selbst nach langem Gebrauche der Planimeter kaum merklich ändert, und wenn sich dieselbe, nachdem sie etwas abgenommen hat, durch sehr geringfügige Mittel wieder auf die frühere Höhe zurückführen läßt: so können die neuesten Planimeter-Constructionen (wie z.B. von Prof. Decher in Augsburg, Keller in Rom, Fichtbauer in Fürth u.a.m.), abgesehen von ihrem theoretischen Interesse, einen Vorzug nur dann erlangen, wenn sie sich bei gleicher Genauigkeit wohlfeiler als jene nach Wetli und Hansen herstellen lassen. In dieser Beziehung darf man jedoch nicht ohne Hoffnung der nächsten Zukunft entgegensehen.