Titel: Ueber die Osmose und ihre industriellen Anwendungen; von Hrn. Dubrunfaut.
Fundstelle: Band 139, Jahrgang 1856, Nr. LXXVI., S. 305
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LXXVI. Ueber die Osmose und ihre industriellen Anwendungen; von Hrn. Dubrunfaut. Aus den Comptes rendue, Novbr. 1855, Nr. 20. Dubrunfaut, über die Osmose und ihre industriellen Anwendungen. Die Maceration, wie sie von de Dombasle zur Zuckerfabrication empfohlen und angewandt wurde, gründet sich offenbar auf die Eigenschaften der von Dutrochet entdeckten und seitdem von mehreren Physikern, namentlich Mateucci, Graham und L'hermite, weiter untersuchten osmotischen Kraft (Endosmose, Osmose, von ὠσμὸς Antrieb). Dombasle beobachtete, daß die rohen, in Schnitte oder Stücke geschnittenen Runkelrüben die Maceration nicht eingehen, daß sie hingegen dieselbe sehr gut durchmachen, wenn sie vorher ausgetrocknet oder auf 80° R. erwärmt wurden. Er schloß daraus, daß das Pflanzengewebe durch das Kochen oder das Austrocknen eine Modification erleide, die es den trägen chemischen Substanzen assimilirt, da es nun bloß den Gesehen der Verwandtschaft und Cohäsion zu gehorchen hat; er bezeichnete diese Veränderung mit dem Namen Ertödtung (amortissement). Mit andern Worten, Dombasle schloß aus seinen Versuchen, daß die Maceration oder die Osmose nur bei todten Zellen stattfindet. Aus allen Arbeiten Dutrochet's geht jedoch klar hervor, daß die Osmose auch bei der lebenden Zelle sehr wohl anwendbar ist; man kann daher nach ihm bloß durch diese Kraft, mit Ausschluß der Lebenskraft der Vitalisten, viele organische Functionen erklären. Dennoch beweisen alle von Dutrochet mit seinem Endosmometer angestellten Versuche, daß er die osmotische Kraft auch bei der todten Zelle nicht in Abrede stellte. Die von Dombasle beobachtete Thatsache ist richtig, daß nämlich die nicht ertödteten Rübenschnitte die Maceration nicht erleiden, die ertödteten hingegen recht gut. Um die Ursache dieser Abweichungen zu ermitteln, stellte ich Versuche an, wodurch ich fand: 1) daß der Runkelrübenbrei die Maceration erleidet, und zwar um so besser, je zertheilter er ist; 2) daß das von Dombasle empfohlene Ertödtungsverfahren den Zusammenhang der Gewebe in ähnlicher Weise aufhebt, wie dieß von Link bewerkstelligt wurde, um die Ansichten und Beobachtungen von Hedwig, Treviranus und Kieser über die Constitution der Zelle zu rechtfertigen; 3) daß das Opalisiren der Runkelrübenschnitte den in ihren Zellengängen enthaltenen Gasen zuzuschreiben ist, und daß diese Gase, wie auch der natürliche Zusammenhang der Zellen, den Zutritt der macerirenden Flüssigkeit zu den Zellen behindern und sich also dem doppelten Strom der osmotischen Kraft widersetzen; 4) daß aber die osmotische Kraft doch nach einer gewissen Zeit ohne Ertödtung diese Widerstände besiegen würde, wenn nicht secundäre Wirkungen dann den nützlichen Erfolg der Maceration durch verschiedene eintretende Veränderungen (z.B. durch die schleimige und milchsaure Gährung) stören würden; 5) daß endlich die Zellen der frischen und nicht ertödteten Runkelrübe sich in einem Zustande der Aufschwellung befinden, welcher sie für Dutrochet's sogenannte anfüllende Endosmose (end. implétive), die in diesem Falle das Vehikel einer thätigen Reaction seyn muß, wenig empfänglich macht.Dieser aufgeschwollene Zustand der Zellen in der Runkelrübe und in allen fleischigen Pfahlwurzeln läßt sich durch einen sehr einfachen Versuch nachweisen. Wenn man eine solche Wurzel der Länge nach in einer mit der Achse parallelen Ebene durchschneidet (oder besser in einer Ebene welche die Achse der Wurzel einschließt), so bieten die beiden Schnittflächen, welche doch eben seyn sollten, zwei convexe Krümmungen dar, die so stark sind, daß sie ohne Zwang nicht mehr aufeinander gelegt werden können. Dieß zeigt sich bei allen in demselben Sinne gemachten Schnitten. Es ist dadurch dargethan, daß in den Geweben des Mittelpunkts und der Peripherie der Wurzel, vom Lebensknoten ausgehend, eine ungleiche Spannung stattfindet, und eine ähnliche entsteht auch, vom Lebensknoten ausgehend, in dem Stengel. Die welken Wurzeln erhalten diese Eigenschaft durch Eintauchen in Wasser in hohem Grade wieder. Diese Beobachtungen erklären die scheinbaren Widersprüche zwischen den von Dombasle aufgestellten Bedingungen für die Maceration und Dutrochet's Gesetzen der Osmose. Sie beweisen, daß die von Dombasle vorgenommene Ertödtung keinen andern Zweck hat, als den Zusammenhang der Zellengruppen aufzuheben, um sie dem Macerationswasser zugänglich zu machen, während sie zugleich die Luft ganz oder doch theilweise entfernt und den aufgeschwollenen Zustand der Zellen mehr oder weniger modificirt. Uebrigens wird durch die Temperatur-Erhöhung, welche die osmotische Kraft verstärkt, auch die Maceration beschleunigt. Nach vorstehenden Betrachtungen und Dutrochet's Versuchen mußte man annehmen, daß die Säuren die Ertödtung der Rübenschnitte bewirken. Dieß habe ich auch wirklich beobachtet. Die verdünnten Säuren bringen diese Reaction hervor, und merkwürdigerweise wird sie durch die Schwefelsäure, wenn man auf 1000 Gewichtstheile der Rüben nur 4 bis 5 Theile dieser Säure anwendet, schon bei – 12° R. hervorgebracht, ohne daß sich der krystallisirbare Zucker im Geringsten verändert, was sich durchaus nicht erwarten ließ, denn Auflösungen von reinem Zucker werden unter gleichen Umständen bekanntlich großentheils in Fruchtzucker umgesetzt. Die sauren Salze wirken ebenso. Deßgleichen Alkalien und alkalische Salze. Die neutralen Salze bringen eine solche Wirkung nicht hervor, außer in concentrirter Lösung. Ich habe ferner bemerkt, daß saure Weine die Ertödtung der Rübenschnitte bewirken und benützte dieses Verhalten zu einem industriellen Verfahren der Runkelrübenbrennerei, welches darin besteht, die Rüben als Schnitte in angesäuertem Wasser oder in Rübenwein, welcher entwickeltes Ferment enthält, gähren zu lassen. Diese Gährung, welche die Wurzel gegen jede Veränderung schützt, geht in großer Vollkommenheit vor sich, und wenn sie unter guten Umständen beendigt ist, so findet man den Zucker der Zelle durch sein Aequivalent Alkohol ersetzt, welchen man dann durch die Maceration oder durch Destillation gewinnen kann.Dubrunfaut's Associé, der Ingenieur Leplay, hat dieses Verfahren, welches im polytechn. Journal Bd. CXXXVII S. 72 näher beschrieben ist, in mehreren französischen Rübenzuckerfabriken zur Spiritusgewinnung in großem Maaßstab eingeführt.A. d. Red. Diese Thatsachen erklären sich hinlänglich durch die aufeinanderfolgenden Reactionen, nämlich die Ertödtung, Maceration und geistige Gährung, ohne daß man eine in der Zelle erfolgte Gährung annimmt, denn dieselbe könnte nicht stattfinden, ohne diese Zelle zu zerbrechen und ohne folglich in den gegohrenen Schnitten Spuren von Desorganisation zu hinterlassen, welche aber mittelst des Mikroskops darin nicht entdeckt werden können. Schon im April 1853, folglich vor Dr. Graham's Arbeiten über Osmose, suchte ich diese Kraft zur Zersetzung chemischer Gemische anzuwenden, und zwar zuerst zur Reinigung der Runkelrübenmelasse und zur Gewinnung ihres Zuckers. Diese Melassen sind bekanntlich ein Gemenge von Zucker mit organischen und unorganischen Salzen; von letztern enthalten sie hauptsächlich salpetersaures Kali und Chlorkalium. Bringt man diese Melassen (von normaler Dichtigkeit) und Wasser (durch eine Thierblase getrennt) in einen Dutrochet'schen Endosmometer, so entstehen zwei Ströme, wovon der eine, sehr starke, vom Wasser gegen die Melasse geht, während der andere, schwächere, von der Melasse gegen das Wasser seinen Weg nimmt. Letzterer Strom führt die organischen und unorganischen Salze der Melasse in das Wasser, so daß der verdünnte Zucker mit dem Farbstoff und einem kleinen Theil der Salze in dem Endosmometer zurückbleibt. Die so behandelte Melasse hat ihren schlechten Geschmack zum Theil verloren, ist genießbar wie die Zuckerrohrmelasse, und liefert mittelst der Raffiniroperationen krystallisirten Zucker. Das Wasser, welches die Salze aufgenommen hat, gibt beim Abdampfen schöne Krystalle von Salpeter, Chlorkalium und organischen Salzen.