Titel: Oesterreichische Stahlindustrie. – Glühstahl.
Fundstelle: Band 140, Jahrgang 1856, Nr. XLIV., S. 195
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XLIV. Oesterreichische Stahlindustrie. – Glühstahl. Aus der österreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, 1856, Nr. 16. Ueber die österreichische Stahlindustrie. Die stetige Abnahme des Schmelz- und Gerbstahlverbrauchs im Allgemeinen ist als eine unverkennbare Folge des unter den jüngsten Zeitverhältnissen herangereiften Aufschwunges der Gesammtindustrie und als Erfolg anderweitig entwickelter Thätigkeit zu betrachten. Während nun jene Fabricate, worin vornehmlich Oesterreich rücksichtlich ihrer Productionsmenge, vorzüglichen Qualität und verhältnißmäßig niedern Preise seit einer Reihe von Jahren den Vorrang behauptet – auf dem Weltmarkte verdrängt oder weniger gesucht werden, machen sich in noch größerem Verhältnisse Cement-, Puddlings- und Gußstahl, die ihre qualitative wie quantitative Ausbildung der jüngern Vergangenheit verdanken, allenthalben geltend. Es gibt viele Gewerbe, die einen Rohstahl von gewisser Härte und Zähigkeit verarbeiten, und für deren Zwecke Cement- und Puddlingsstahl nicht allein vollkommen genügen, sondern im Vergleiche mit Schmelzstahl des geringern Preises halber vortheilhafter sind. In andern Fällen dagegen gibt man bei Anfertigung werthvollerer Arbeiten nur zu oft dem Gußstahle den Vorzug vor dem sonst üblichen Gerbstahl. Ferner haben die Anforderungen und der Bedarf des Maschinenbauwesens einen so großartigen Maaßstab angenommen, daß unter Feststellung bestimmter Gränzen in der Stahlnatur eher die Frage der massenhaften und billigen Production, als der vorzüglichen Qualität oder bedeutender Härte maaßgebend wird. In allen Fällen ist also die Billigkeit des Rohstahls, möge dieser als solcher für mindere Zwecke verarbeitet, oder behufs fernerer Raffinirung dem Umschmelzen unterworfen werden, von vorwiegender Wichtigkeit, für das Aufblühen neuer Anlagen mit Rücksicht auf auswärtige Concurrenz von Wesenheit. Ohne Zweifel verdanken die Stahletablissements des Auslandes ihre rasche Entwickelung zur gegenwärtigen Bedeutung und überraschenden Leistungsfähigkeit allein dem billigen Rohmateriale. Wenn gleich unsere einheimische Stahlindustrie, gestützt auf einen unerschöpflichen Reichthum an ausgezeichneten Eisenerzen, denen die Natur nicht minder reichhaltige Schätze an vegetabilischem und mineralischem Brennstoffe beigesellte, den vortheilhaftesten Ruf genießt, hat dieselbe trotz der natürlichen Begünstigungen weder in der Darstellung des Instrumenten-, noch in der Aufbringung des Maschinengußstahles, insbesondere wenn es sich um Anfertigung schwerer Maschinentheile handelt, die vermöge ihrer Bestimmung aus einem homogenen, von Schweißnähten freien und zugleich eine langsamere Abnützung verbürgenden Materiale, also aus einem großen Gußblock hergestellt werden sollen – die gewünschte Selbstständigkeit und Concurrenzfähigkeit erlangt. Es muß hier hervorgehoben werden, daß man in Oesterreich bei der Wahl der Rohstoffe für Gußstahlbereitung in vielen Fällen zu ängstlich verfuhr, indem man vorherrschend qualitätmäßiges Material verwendete und auf diese Art das erzielte Fabricat im Allgemeinen vertheuerte. Allerdings erheischen die edleren Gußstahlsorten (Instrumenten-, Prätiosen- oder Demantstahl) die sorgfältigste Sortirung, Auswahl und Behandlung der zu verschmelzenden Stoffe behufs der Einhaltung der so zarten Nuancen, finden aber in einem höhern Preisansatz ihre gebührende Deckung, wogegen sich bei dem Massengußstahl für Maschinenzwecke augenscheinlich ein ungleich weiterer Spielraum in der Qualität darbietet, indem in vielen Fällen Zähigkeit erwünschter ist als eine zu große Härte, also nebenbei jedenfalls die Preisermäßigung ein lebhaftes Interesse erweckt. Eine zeitgemäße Reform der einheimischen Stahlindustrie durch Anbahnung eines concentrirten schwunghaften, also fabriksmäßigen Betriebes, erscheint demgemäß dringend geboten, verbürgt aber zugleich reichlichen Erfolg und die schönste Zukunft in dieser Richtung. Freilich wohl wird deren Durchführung in einem großartigem Maaßstabe durch die Entwickelung der Kohlenproduction vorzugsweise bedingt; denn nur wenn die Verwendung mineralischen Brennstoffes im Allgemeinen zur Geltung gelangt und der Stahl-Industrie ihre Vortheile im vollen Umfange zuwendet, können Zweige der letztern um so kräftiger gedeihen und ihre gehörige Ausbildung erreichen. Unter diesen Bedingungen steht es nunmehr zu erwarten, daß der Puddlingsstahl, dessen Darstellung schon vor zwanzig Jahren in Oesterreich bekannt geworden, jedoch erst in der Neuzeit gleich dem Cementstahle durch die Bemühungen des um die Eisenindustrie vielfach verdienten Hrn. Director Tunner in das Gebiet der Praxis vollends eingeführt wurde, zur baldigen Reife gelangen werden. Als von besonderem Interesse für die Innerberger Stahlindustrie möge hier der im Auftrage des hohen k. k. Finanzministeriums zu Neuberg abgeführten Gerbversuche mit Innerberger Rohstahl im Wege des Flammofen-Schweißprocesses mit wenigen Worten Erwähnung geschehen. Diese Versuche wurden bis zur viermaligen Gerbung des Schmelzstahls fortgesetzt und lieferten das überraschende Ergebniß, daß der durch den Schweißproceß mit Hülfe des Dampfhammers und der Walzen gegerbte Rohstahl nicht allein ausgezeichnete Qualität verrieth, sondern sogar seine Stahlnatur konstanter beibehielt, als der in gewöhnlicher Weise im Kohlfeuer dargestellte Gerbstahl. Nebst dem Vortheile der größeren Production in gleicher Zeit ergab sich bei der Behandlung im Schweißofen überdieß die Möglichkeit, Gerbstahlstücke in großen Querschnitten, welche bei dem herkömmlichen Kohlfeuer bedeutende Schwierigkeiten verursachen, anstandslos und qualitätmäßig darstellen zu können. Ueberdieß wurde als wesentliches Resultat ein der sonst üblichen Methode gegenüber um 10 Proc. höheres Ausbringen an Gerbgut erzielt. Einen nicht minder wichtigen Impuls auf die neue Gestaltung unserer Stahlindustrie auszuüben, ist die von Hrn. Director Tunner in einer praktisch vortheilhaften Weise verwirklichte Idee: unmittelbar aus Roheisen Stahl oder Stabeisen darzustellen, fähig. Schon im Anfange des verflossenen Jahres stellte nämlich Hr. Tunner den Antrag zur versuchsweisen Darstellung eines billigen Stahles durch bloßes Glühen des Roheisens, welches bei seiner anerkannten Reinheit und Vorzüglichkeit nur einen günstigen Erfolg verspräche. Im Auftrage des hohen k. k. Finanzministeriums wurde demgemäß der Versuch mit Eisenerzer Roheisen, welches zu diesem Behufe in Stäben von 27''' Breite und 7''' Dicke geformt und abgegossen worden, unter der Leitung des Hrn. Tunner nach seiner Rückkehr von der Pariser Weltausstellung im Herbste 1855 zu Eibiswald abgeführt. Es wurde eine Partie von 86,76 Ctr. Roheisenschienen in eine Kiste des Cementofens mit Glühpulver eingebettet und dem Glühproceß unter Anwendung des schlechtesten Brennstoffs bei mäßigem Zuge nahezu vierzehn Tage lang unterworfen. Schon dieser erste Versuch führte zu dem angestrebten Ziele, indem das in solcher Art trocken gefrischte Roheisen sich bei der weitern Behandlung und Verarbeitung dem Gußstahl ähnlich verhielt und daher mit Rücksicht auf die Darstellung mit dem besondern Namen „Glühstahl“ belegt wurde. Vielfache mit dem Glühstahl vorgenommene Qualitätsproben haben in erfreulicher Weise dargethan, daß derselbe für viele Zwecke eine vorzügliche Brauchbarkeit inne habe, sich im rohen Zustande insbesondere für gröbere Stahlarbeiten, Schlosserwerkzeuge, Gezähe, Radreife, Radschuhe, Achsen, Tyres, Rails etc. und im Allgemeinen besonders für solche Gegenstände eigne, die im ungehärteten Zustande zur Verwendung gelangen. Dabei bewährte sich der Glühstahl im Vergleiche mit Gußstahl um so vortheilhafter, als er mit bedeutender Zähigkeit hohe Härte verbindet und letztere bei wiederholter Behandlung im Feuer constanter beibehält; dagegen benehmen ihm öftere Unganzen die Tauglichkeit für feinere Schneidewerkzeuge. Die auf Gußstahl umgeschmolzenen Proben Glühstahls lieferten dem Ansehen nach das beste Product. Rücksichtlich seiner absoluten Festigkeit wurden mit rohem und zu Gußstahl umgeschmolzenem Glühstahl mittelst einer Zerreißmaschine im k. k. polytechnischen Institute vom Hrn. k. k. Regierungsrath und Prof. Burg Proben abgeführt, die ein überraschendes Ergebniß lieferten, indem das Zerreißen erst bei Belastungen auf den Quadratzoll bezogen von 1397,40 Ctr. roh. Glühstahl 1300,10    „     „       „ 1372,50    „     „       „ umgeschmolzen erfolgte. Bezüglich des Kostenpunktes beschränken sich die unmittelbaren Auslagen der Glühstahldarstellung vornehmlich auf die Erzeugung der Roheisenschienen und auf die Bestreitung der Glühkosten. Dagegen resultirt hier der gewöhnlichen Schlackenfrischung mit Anwendung einmaliger Schweißhitze gegenüber die wesentliche Ersparniß an Calo mit 20 Proc., ferner eine Ersparniß an Brennstoff und an Arbeitslohn, so daß sich der Gestehungspreis per 1 Ctr. Glühstahl im Vergleich mit den andern Rohstahlsorten bedeutend billiger stellt. Neuen fortgesetzten Versuchen bleibt die Lösung der wichtigen Frage, welche Roheisengattungen sich zur Glühstahlbereitung vortheilhaft eignen, für die nächste Zukunft überlassen, um die Folgen dieser neuen Darstellungsmethode, welche sich Hr. Tunner durch ein Privilegium sicherte, in ihrem vollen Umfange würdigen und ermessen zu können.