Titel: Zur Theorie des Amsler'schen Planimeters; von Professor G. Decher.
Autor: Georg Decher [GND]
Fundstelle: Band 141, Jahrgang 1856, Nr. V., S. 29
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V. Zur Theorie des Amsler'schen Planimeters; von Professor G. Decher. Mit Abbildungen auf Tab. I. Decher, zur Theorie des Amsler'schen Planimeters. In einem Aufsatze: „Ueber das Polar-Planimeter“ S. 321–327 des vorhergehenden Bandes dieses Journals sucht Hr. Amsler sein patentirtes Instrument zu empfehlen und gegen die Ausstellungen, welche ich gegen das Princip desselben erhoben habe, zu vertheidigen, was ich sehr natürlich finde; und wenn sich Hr. Amsler begnügt hätte, darauf hinzuweisen, daß durch die Erfahrung eine für viele praktische Zwecke hinreichende Genauigkeit des Instrumentes nachgewiesen werde, so hätte ich ihm gerne stillschweigend zugegeben, daß ich, zuviel Gewicht auf den theoretischen Gesichtspunkt und die Möglichkeit einer fehlerhaften Angabe legend, die Wahrscheinlichkeit derselben außer Berechnung gelassen habe, und daß, von dem genügsamen Standpunkte des Hrn. Amsler angesehen, das Instrument bei seiner Wohlfeilheit recht gute Dienste leisten könne. Auch werde ich gar nichts dagegen einwenden, wenn irgend Jemand die Amsler'sche Begründung der Theorie des Instrumentes streng und bündig genug findet. Wenn aber Hr. Amsler in seinem Eifer soweit geht, meinen Beweis dieser Theorie für unrichtig zu erklären und mir unklare Vorstellungen vorzuwerfen, so kann ich nicht umhin, ihn darin zurechtzuweisen. Der Drehungswinkel φ des Rädchens ist eine Function der beiden unabhängigen Veränderlichen r und ω' (wie Hr. Amsler den Winkel XCD, Fig. 24, bezeichnet hat), da sich φ mit r allein oder mit ω' oder mit beiden zugleich ändern kann; es wird daher /dω' so abgeleitet, als wenn r unveränderlich wäre, und bleibt derselbe Ausdruck, ob r veränderlich oder unveränderlich genommmen wird; ist also /dω' = / für ein constantes r, so besteht diese Gleichung auch für ein veränderliches r. Es scheint sich Hr. Amsler nicht viel über den in der Praxis gangbaren hausbackenen Begriff von den Differentialen erhoben zu haben, mit dem man eben bei Functionen mit mehreren Veränderlichen nicht ganz ausreicht. Wenn übrigens der vorstehende Beweis Hrn. Amsler nicht gründlich und bündig genug dünkt, so mag er sich von seiner Fläche-Elementen-Theorie sagen lassen, daß man jede ebene Figur, welche von zwei sich schneidenden Geraden und einer Curve begränzt wird, als die Summe von sehr spitzen Kreissectoren betrachten kann; für jeden einzelnen Sector hat man aber als entsprechenden Drehungswinkel Δφ des Rädchens: Textabbildung Bd. 141, S. 30 folglich auch für ihre Summe Textabbildung Bd. 141, S. 30 Mein Beweis ist daher nur für die durch gekränkte Eigenliebe getrübte Anschauung des Hrn. Amsler unrichtig, zu dessen Beruhigung ich noch bemerken will, daß ich überhaupt niemals Differentiale miteinander verwechsle, da ich nur mit Differentialquotienten rechne. Was nun die Bewegung des Rädchens betrifft, so ist Hr. Amsler, welchem ich hier in seine Vorstellungsweise folgen will, sehr im Irrthum, wenn er meint, es sey dasselbe bei seinem Instrumente den nämlichen Bedingungen unterworfen, wie bei dem Wetli'schen und solchen Polar-Planimetern, bei denen die Achse des Rädchens immer durch den Pol geht. Bei diesen letztern dreht sich das Rädchen allerdings um eine und zwar um eine feste verticale Achse, bei dem Amsler'schen aber um zwei verticale Achsen, eine bewegliche B und eine feste C; es bewegt sich also in einem Epicykel, und dadurch wird eben seine Bewegung eine zusammengesetztere. Bei dem Wetli'schen, dem Bouniakovsky'schen und meinem Planimeter ist die Bewegung des Rädchens in Bezug auf seine Unterlage von vollkommen gleicher Beschaffenheit; bei dem erstern schiebt sich die Achse der Scheibe (der Pol für das Rädchen) in der Achse des Rädchens hin und her, und die Scheibe dreht sich unter dem Rädchen, bei den letzteren ist der Pol und die Scheibe (die Unterlage) fest und das Rädchen mit seiner Achse in der Art beweglich, daß seine Achse immer die feste Achse schneidet und sich gleichsam in dieser verschiebt. Die Behauptung des Hrn. Amsler, die praktischen Uebelstände in Betreff bestimmter Figuren seyen bei dem Bouniakovsky'schen und meinem Planimeter am schwierigsten, bei dem Wetli'schen am vollständigsten zu beseitigen, das seinige halte die Mitte ein, klingt daher etwas lächerlich. Wenn derselbe ferner sagt: „die Natur jener Bewegung hängt offenbar durchaus nicht davon ab, u.s.w., wie man sie wirklich hervorbringt“, so weiß ich nicht, was damit in Bezug auf das Instrument überhaupt und insbesondere unter „Natur jener Bewegung“ gemeint seyn soll. Die richtige Angabe des Instrumentes oder die richtige Drehung des Rädchens, um welche es sich hier handelt, hängt allerdings davon ab, wie die Bewegung des Rädchens hervorgebracht wird, und es ist gar nicht gleichgültig, wie Hr. Amsler weiter meint, welche Bewegungen zur Führung des Rädchens benützt werden; denn es handelt sich hier nicht allein um die Gestalt der Bahn seines Berührungspunktes, welche für eine zu berechnende Figur bei jedem anders construirten Planimeter eine andere ist, sondern, wie Hr. Amsler selbst bemerkt, hauptsächlich um die Stellung der Achse des Rädchens in Bezug auf die Bahn des Berührungspunktes, oder darum, ob das Rädchen seinen Weg mehr gleitend oder mehr wälzend zurücklegt, und dann darum, ob dasselbe keine nutzlosen Bewegungen macht. Es ist daher dasjenige Instrument das minder zuverlässige, bei welchem der Winkel zwischen der Bahn-Tangente und der Achse des Rädchens meistens kleiner ist als 45° oder bei welchem das Rädchen den größeren Theil seines Weges gleitend zurücklegt und mehr nutzlose Bewegungen macht; daß dieses aber unter den obigen Instrumenten gerade das Amsler'sche ist, davon wird man sich ohne lange Untersuchung durch einen Blick auf die Figuren 24, 25, 26 und 27 überzeugen, welche die Wege des Berührungspunktes und die Lage der Achse des Rädchens bei dem Amsler'schen und meinem Planimeter für gleiche Figuren darstellen, und welche zeigen, daß bei dem ersteren der Berührungspunkt selbst für die günstigste Figur, den Kreis, eine sehr langgestreckte Bahn beschreibt und von dieser einen viel größeren Theil gleitend als wälzend zurücklegt.Die Figur 24 kann auch dazu dienen, die Lage der Flächen-Elemente des Hrn. Amsler deutlich zu machen, und die Frage zu beantworten, ob man darnach so geradezu behaupten kann, daß die Summe dieser innerhalb und außerhalb des Kreises sich kreuzenden positiven und negativen Elemente der Fläche des Kreises gleich sey. Ebenso wird es mit allen dem Kreise nahe kommenden Vielecken und noch mehr mit länglichen Figuren der Fall seyn; beachtet man dann noch, daß bei diesem Planimeter das Rädchen einen ziemlich bedeutenden Weg nutzlos abwälzt, nämlich den Weg: (a² + b² + 2ac)/2a (ω₁ – ω₀), welcher für alle Figuren außerhalb des Poles einmal in positivem und dann in negativem Sinne gemacht werden muß, und daß eine solche nutzlose Drehung, welche immer auch eine entsprechende nutzlose gleitende Bewegung mit sich bringt, eine neue, nicht unbedeutende Fehlerquelle ist, so wird kaum noch ein Zweifel darüber bestehen können, daß das Princip des Amsler'schen Planimeters bei aller Sorgfalt der mechanischen Ausführung nicht geeignet ist, ein möglichst zuverlässiges Instrument zu liefern, und dieß war es, was ich durch die Erörterungen in meinem früheren Aufsatze, welche sich auf mechanische, nicht auf „unklare geometrische“ Betrachtungen stützen, und welchen Hr. Amsler alle Realität abspricht, zeigen wollte, wobei ich mich aber allerdings auf einen andern Standpunkt stellte, als auf den der Anwendbarkeit zur Berechnung von Querprofilen und Grund-Entschädigungen. Für solche Zwecke erkenne ich die Brauchbarkeit und wegen bedeutender Zeitersparniß auch die große Nützlichkeit des Polar-Planimeters gerne an. Für die Bemühung des Hrn. Amsler, mein Planimeter zu verbessern, bin ich demselben sehr dankbar, bedauere aber, die Modification desselben nicht als eine zweckmäßige Verbesserung anerkennen zu können, da die Führung des Rädchens durch die Verbindungsschiene JH, Fig. 28, ganz unzuverlässig wird, wenn H in die Nähe von D kommt, und weil die Schiene JH dabei einen sehr nachtheiligen Druck auf CD ausübt. Wenn die Achse des Rädchens nicht durch C geht, sondern nur zu CD parallel ist, so muß man der Angabe des Instrumentes für Figuren, welche den Pol einschließen, noch eine Constante beifügen.

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