Titel: Ueber die Erzeugung einer neuen Zuckerrüben-Race; von Louis Vilmorin.
Fundstelle: Band 143, Jahrgang 1857, Nr. CVII., S. 459
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CVII. Ueber die Erzeugung einer neuen Zuckerrüben-Race; von Louis Vilmorin. Aus den Comptes rendus, Novbr. 1856, Nr. 18. Vilmorin, über die Erzeugung einer neuen Zuckerrüben-Race. Das Ziel, welches ich mir gesetzt hatte, war anfänglich ein rein praktisches; nämlich eine zuckerreichere Runkelrübenrace als die gewöhnlich angebaute zu schaffen, indem man die zuckerreichsten Rüben zur Fortpflanzung wählt. Das Verfahren, dessen man sich in den Magdeburger Fabriken bedient, um das specifische Gewicht der Wurzeln durch Salzlösungen von bekannten Dichtigkeiten zu ermitteln, war mein Ausgangspunkt. Ich wurde aber bald gewahr, daß in der Mitte der Wurzel fast immer eine Höhlung vorhanden ist, welche den Versuch ungenau macht. Da ich zu gleicher Zeit fand, daß das Herausnehmen eines cylindrischen Stückes bei einiger leicht zu beobachtenden Vorsicht der Conservation der Wurzel nicht schaden kann, so nahm ich nun aus den Wurzeln Probestücke mittelst einer schneidenden Röhre, und das so herausgenommene Stück wurde mittelst einer Reihe von Gefäßen gewogen, welche Zuckerlösungen von bekannten Dichtigkeiten enthielten, in welche nach einander man das Rübenstück brachte, wobei dann jene Lösung aufgezeichnet wurde, in der es zu schwimmen aufhörte. Aber trotz aller angewandten Vorsicht veränderten sich die Zuckerlösungen sehr bald; ihr Gehalt modificirte sich durch den beständigen Uebergang der nassen Stücke von einem Gefäß in das andere, obwohl ich sie den Gang abwechselnd auf- und abwärts hatte machen lassen, und überdieß stellte sich darin nach einigen Stunden eine zähe Gährung ein. Diesem Uebelstand wollte ich durch Anwendung von Salzlösungen und von viel größeren Gefäßen begegnen; es stellten sich dann aber die Wirkungen der Endosmose in solchem Grade ein, daß die Resultate ganz unrichtig wurden. Im Jahr 1852 schlug ich nun ein Verfahren ein, das sich auf die Ermittelung der Dichtigkeit des durch Verdrängung gewonnenen Saftes selbst gründet, indem man in demselben ein Silberstäbchen von bekanntem Volum wiegt. Das mit dem Ausschneideisen herausgenommene Rübenstück lieferte zerrieben leicht die zu einer Wägung des Stäbchens erforderlichen 7–8 Kubikcentimeter Flüssigkeit. Diese, auf einer sehr empfindlichen Waage vorgenommene Wägung gibt mit Sicherheit den halben Milligramm, folglich die vierte Decimale an, eine mehr als hinreichende Genauigkeit, welche kein anderes Verfahren bei einer so geringen Menge von Flüssigkeit geben könnte. Ich bemerke noch, daß die vom Thermometer auf Zehntelsgrade abgelesene Temperatur nach jeder Wägung des Stäbchens ins Buch eingetragen wird, und daß genau eingetheilte Gefäße, ein feiner Aufhängdraht und völlige Gleichheit aller Umstände, bei diesem Verfahren alle Fehlerquellen beseitigen. Nachdem ich somit ein sehr schnell ausführbares und sehr genaues Verfahren besaß, um die Dichtigkeit des Safts der Rüben zu ermitteln, konnte ich an das Studium der Hauptfrage gehen, die erbliche Uebertragung der Zuckerqualität. Ich bediene mich absichtlich dieses Ausdrucks, weil ich mich durch zahlreiche Versuche überzeugt habe, daß, sobald man in die Mittlern Dichtigkeiten gelangt, oder vollends in die hohen Dichtigkeiten, das Mengenverhältniß der löslichen, dem Zucker fremdartigen, dichten Substanzen, welche der Saft enthalten kann, stufenweise abnimmt, daher der wirkliche Zuckergehalt stets größer ist als der aus der Dichtigkeit des Saftes berechnete. Jene Uebertragung gelang nun in einem meine Erwartung übertreffenden Grade; so fand ich, von der zweiten Generation an, daß die von reichen Pflanzen abstammenden Loose im Durchschnitt den höchsten Zuckergehalt des ersten Jahres erreichten. Diesen Weg verfolgend, erhielt ich in dritter Generation Pflanzen, deren Saft 1,087 Dichtigkeit zeigte, was (ohne Correction) 21 Procent Zucker entspricht, und wieder andere Loose, welche durchschnittlich eine Dichtigkeit von 1,075 lieferten, was in gleicher Weise 16 Procent entspräche, während dieser Verbesserungsweise nicht unterzogene Pflanzen in gleichem Boden und unter gleichen Umständen als höchste Dichtigkeit des Saftes nur 1,066 und als mittlere nur 1,042 ergaben. Die erbliche Uebertragung der Zuckerqualität ist sonach jetzt thatsächlich erwiesen und die Möglichkeit eine reichhaltige Race zu erzeugen und als solche zu erhalten, unterliegt keinem Zweifel mehr. Allein es zeigten sich hinsichtlich dieser Möglichkeit der Uebertragung merkwürdige Ausnahmen, welche über die Frage der Uebertragung der Eigenschaften bei Pflanzen im Allgemeinen Licht verbreiten. So habe ich im ersten Jahre des Versuchs, wo mir natürlich die Eigenschaften der Vorfahren der in Behandlung genommenen Pflanzen nicht bekannt seyn konnten, zur Fortpflanzung Wurzeln von gleichem Zuckergehalt aufbewahrt, deren Abkömmlinge mir lieferten: bald ein Loos von sehr hohem durchschnittlichen Gehalt ohne auffallende Abweichungen; bald, bei geringerem durchschnittlichem Gehalt, bedeutende Abweichungen, daher die Maxima Ausnahmen bildeten; bald endlich entschieden schlechte Loose, deren Abkömmlinge ganz verworfen werden mußten. Ich wählte vorzüglich aus der ersten Kategorie, den Pflanzen mit geringen Abweichungen und hohem durchschnittlichen Gehalt, die Individuen zu meiner Zucht, und finde in Folge meines in dieser Richtung gemachten Anbaues, daß der mittlere Gehalt allmählich zunimmt, wobei gleichzeitig die Maxima fortwährend steigen, obgleich viel langsamer als anfangs. Ich darf daher hoffen, in einigen Jahren zur Erzeugung einer Race von constanter Zusammensetzung zu gelangen, bei welcher alle Wurzeln von gleichem Gewicht auch das gleiche Mengenverhältniß von Zucker enthalten. Nachdem ich einmal dazu gelangt bin, ist es auch möglich, den Einfluß der äußern Agentien auf die Zuckererzeugung mit Sicherheit zu erkennen und zu studiren – ein nicht minder wichtiger Punkt, als der von mir zunächst in Angriff genommene, hinsichtlich dessen aber meine ersten Versuche erfolglos blieben, weil ich die von diesen Einflüssen herrührenden Veränderungen von den durch das bloße Gesetz der individuellen Abweichungen hervorgebrachten, nicht zu sondern vermochte. Diese, von jedem äußern Einfluß unabhängigen Abweichungen der Individuen zeigen sich stets bei den Culturpflanzen, ihre Gränzen lassen sich aber bei den vollkommen festgestellten Racen genau ziehen und bestimmen. So ist der ganz entschiedene und regelmäßige Einfluß des Volums aus den Tabellen klar ersichtlich, die ich demnächst der Akademie vorlegen werde und welche über 2000 Rübenproben umfassen; deßgleichen der Einfluß der Zerstörung des Zuckers durch die Aufbewahrung in Silos; endlich ist aus denselben der Einfluß der Erblichkeit auf das Deutlichste zu entnehmen. Ich kann sonach das erste der gesuchten Resultate als nunmehr erreicht und die Lösung der in zweiter Linie stehenden Aufgabe, die numerische Schätzung der äußern Einflüsse als sicher in Aussicht stehend betrachten. Doch müssen hinsichtlich dieser letztern die Versuche noch viele Jahre fortgesetzt werden, wo dann aber die Resultate die aufgewendete Mühe lohnen werden.