Titel: Ueber die näheren Bestandtheile des Leders; von Professor A. Payen.
Fundstelle: Band 145, Jahrgang 1857, Nr. XIX., S. 70
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XIX. Ueber die näheren Bestandtheile des Leders; von Professor A. Payen. Aus den Comptes rendus, Novbr. 1856, Nr. 20. Payen, über näheren Bestandtheil des Leders. Schon bei meinen ausgedehnten Untersuchungen über das Stärkmehl und die Cellulose machte ich vielfach die Erfahrung, daß diese Substanzen wesentlich verschiedene Eigenschaften bloß durch ihren verschiedenen Aggregatzustand annehmen können. Schon damals vermuthete ich, daß das Thierreich ähnliche Erscheinungen darbieten müsse; ein auffallendes Beispiel bot mir die Untersuchung einer gegerbten Ochsenhaut dar; ich zeigte in der Société philomatique durch Versuche, daß die Festigkeit des Leders abhängig war von den Eigenschaften zweier Gerbstoffverbindungen, die sich in derselben Haut gebildet hatten. Die eine ließ sich leicht lockern und zerging in ammoniakalischem Wasser; die andere behielt dabei ihre faserige Structur. In der letzten Zeit habe ich jene Versuche wieder aufgenommen und will hier nur meine vorläufigen Resultate über diesen sehr schwierig aufzuklärenden Gegenstand mittheilen. Analysen, welche ich gemeinschaftlich mit Hrn. Billequin anstellte, ergaben, meine ersten Beobachtungen bestätigend, daß in Rindshäuten, die nach dem gewöhnlichen Verfahren gegerbt sind, und wovon die einen acht bis zwölf Monate mit Lösung des Gerbstoffs der Eichenrinde, die anderen bis gegen sieben Jahre lang in Gruben gegerbt wurden, ein Ueberschuß von Gerbstoff zurückbleibt, welcher durch reines Wasser ausgezogen werden kann, indem dasselbe einen Theil der lockern Verbindung auflöst, welche jener Gerbstoff mit der thierischen Substanz bildet.Durch die dem Gerben vorausgehenden Operationen waren die Haare und fast alle Fettsubstanz weggeschafft, und ich habe dann, um die Zusammensetzung noch weniger verwickelt zu machen, mit der Epidermis eine Schicht des darunter liegenden Gewebes entfernt, so daß der größte Theil der Haarbälge und der Schweißcanäle beseitigt war und die verbliebene Hautmasse den Theilen entsprach, welche vor dem Gerden fast gänzlich in Gallerte umgewandelt werden können. Die Menge auflöslicher Substanz, welche auf diese Weise aus dem sieben Jahre in Gruben gelegenen Leder erhalten wurde, betrug 6,469 Procent vom Gewicht der gegerbten Haut und enthielt nur 1,548 Proc. Stickstoff. In einem gut gegerbten Leder von Hrn. Ogereau fand man 8,09 lösliche Substanz, welche 2,8 Proc. Stickstoff enthielt. Aus gewöhnlichem Pariser Leder löste Wasser 7,37 Substanz auf, welche 3,98 Proc. Stickstoff enthielt. Die beiden letzteren enthielten also weniger an löslichen Stoffen, und die stickstoffhaltige Substanz, welche vom Wasser mit fortgeführt wird, scheint daher der Dauer des Gerbens proportional zu seyn. In den drei Proben betrug der faserige Theil der Haut, welcher der Wirkung von Wasser und Ammoniak widersteht, für das sieben Jahre lang gegerbte Leder 58,88 (das Mittel von zwei Analysen: 58,76 und 59) und für die beiden anderen 46,60 und 48,80. Der Stickstoff- und Aschegehalt der drei erwähnten Ledersorten betrug in Procenten: Nr. 1. Nr. 2. Nr. 3. Stickstoff         13,272         12,235         13,59 Asche   0,733   0,660   0,606 Der Unterschied im Stickstoffgehalt ist also gering und steht nicht im Verhältniß mit der Dauer des Gerbens; dieß scheint anzudeuten, daß die Sättigung der widerstehenden Materie der Haut mit Gerbstoff lange vor dem Punkte eintritt, wo man die Gerbung für vollendet ansieht. Soviel steht fest, daß das Mengenverhältniß der widerstehenden faserigen Substanz und nicht ihr Gerbungsgrad einen namhaften Unterschied zwischen diesen Producten bedingt, und wahrscheinlich sind jene in der That besser, worin der widerstehende Theil vorwaltet. Nachdem man den Gehalt des Leders an faserigem Theil und den Stickstoffgehalt der ganzen Haut bestimmt hatte, ergab sich durch Differenz das Mengenverhältniß der mittelst Ammoniak ausziehbaren löslichen Substanz und ihr Stickstoffgehalt; man findet auf diese Weise für:   Nr. 1.   Nr. 2.   Nr. 3. widerstehende Fasersubstanz         58,88   46,60   48,80 lösliche Materie   41,12   53,40   51,20 ––––––––––––––––––––––––– 100,00       100,00       100,00 Wenn die im Ammoniak gelöste Substanz während des Auflösens und Abdampfens keine Veränderung erlitt, so mußte sie sich in dem ausgetrockneten Rückstand vollständig wiederfinden; dem war aber nicht so, denn der Versuch ergab nur: Nr. 1. Nr. 2. Nr. 3. 18,46 29,77 28,75 statt 41,12 53,40 63,17 ––––––––––––––––––––––– Differenz oder Verlust         22,66         23,63         34,42 Die lösliche Substanz zersetzt sich daher offenbar beim Eindampfen unter dem Einfluß des Wassers, des Ammoniaks und der Wärme. Der Stickstoffgehalt der eingedampften Rückstände des ammoniakalischen Auszugs betrug in Procenten: Nr. 1.             Nr. 2.             Nr. 3. 5,112 6,006 7,151 Es stellte sich also auch ein Verlust in den Stickstoffgehalten heraus; man fand nämlich in diesen Rückständen immer nur die Hälfte von dem Gehalte an Stickstoff, den sie der Zusammensetzung der ganzen Haut nach haben sollten. Schlußfolgerungen. Aus den mitgetheilten Thatsachen kann man folgende Schlüsse ziehen: 1) die Rindshaut enthält dichte, widerstehende Theile und andere, welche lockerer und in ihren Eigenschaften von denen der ersteren verschieden sind; 2) der Gerbstoff verbindet sich während feiner Einwirkung auf die Haut mit diesen beiden Theilen, und für jeden derselben sind viel geringere Gerbstoffmengen erforderlich, als für den Leim; 3) der lockere Theil der Haut bildet mit dem Gerbstoff eine in Ammoniak lösliche Verbindung, welche in dieser Lösung zersetzt wird, wobei von ihrem Stickstoffgehalte ein Theil austritt. Beim Abdunsten der Lösung erhält man deßhalb nicht die ganze Menge von Substanz wieder, welche das Ammoniak auszog; 4) durch längere Dauer des Gerbens werden die mit Gerbstoff schwächer versehenen Theile nach und nach gelöst, daher die Fasersubstanz relativ vermehrt. Das Leder wird deßhalb zäher; 5) die lösliche zerreibliche Substanz, welche dem Leder einverleibt ist, ist leicht zersetzbar, sie muß daher durch eine lange Behandlung in der Flüssigkeit, womit das Leder bereitet wird, vermindert werden. Fragen, welche noch zu erledigen sind. Sollte es nicht möglich seyn einen Theil der zerreiblichen Substanz, sobald der Gerbstoff die Haut in ihrer ganzen Dicke gesättigt hat, mittelst schwach ammoniakalischen Wassers zu entfernen, um die Dauer des Gerbens sehr abzukürzen? Könnte man die Lederabfälle nicht durch Zusatz von ammoniakalischem Wasser, welches ihre Zersetzung sehr beschleunigt, als Düngmittel verwenden? Die lockeren Theile der Haut müssen wegen ihrer leichten Zersetzbarkeit in Berührung mit den Agentien, deren man sich bei der Verarbeitung des Leders in der Industrie bedient, angegriffen und theilweise aufgelöst werden. Worin besteht beim eigentlichen Gerben die Wirkung des Kalks, des Natrons, des erzeugten Ammoniaks, der verdünnten Schwefelsäure und der Milchsäure? Wird bei der Sämischgerberei durch die Anwendung von Oel und schwacher Potaschelauge nicht der lockere Theil aufgelöst, der widerstehende Theil dadurch vorherrschend gemacht und eine seifenartige Substanz dem Leder einverleibt, welche den Zusammenhang unter den Fasern verhindert und folglich die Häute geschmeidiger, schwammiger macht? In der Weißgerberei müssen das säuerliche Bad und die milchsaure Gährung einen Theil der lockeren Substanz wegnehmen; die Auflösung des Thonerdesalzes scheint zum Zweck zu haben, den widerstehenden Theil und was von dem lockereren zurückbleibt, zusammenzuziehen und zu erhalten; das Gemenge stärkmehlartiger, eiweißartiger und fetter Substanzen endlich muß zwischen den Fasern schlüpfrigmachende Materien hinterlassen, welche denselben gestatten über einander zu gleiten, wodurch solche Häute vollends geschmeidig gemacht und erhalten werden.