Titel: Ueber Stahl-Erzeugung, insbesondere über Puddelstahl- und Gußstahl-Fabrication.
Fundstelle: Band 145, Jahrgang 1857, Nr. LXXXVIII., S. 369
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LXXXVIII. Ueber Stahl-Erzeugung, insbesondere über Puddelstahl- und Gußstahl-Fabrication.Aus dem „Amtlichen Bericht über die Pariser Ausstellung im Jahr 1855, von Dr. v. Viebahn und Dr. Schubarth, Berlin 1856.“ – Berichterstatter über Stahl und Stahlwaaren: Berghauptmann v. Dechen zu Bonn. Ueber Stahl-Erzeugung, insbesondere über Puddelstahl- und Gußstahl-Fabrication. Die Erzeugung des Stahls ist wesentlich auf vier Länder: England, Frankreich, Oesterreich und Preußen beschränkt. Schweden, welches ganz vorzugsweise das Material für die Darstellung des Stahls in England, die sich in Sheffield concentrirt, liefert, hat selbst nur eine unbeträchtliche Fabrication von Stahl; die Ausfuhr des ganz besonders zur Darstellung von Stahl geeigneten Eisens aus Schweden nach England, nach Frankreich und einigen andern Ländern ist sehr bedeutend. Dasselbe wird ganz mit Holzkohlen dargestellt; die Erze werden mit Holzkohlen geschmolzen und das weiße strahlige Roheisen wird mit Holzkohlen gefrischt. Mit diesem schwedischen Eisen, von dem in Paris reichhaltige Sammlungen ausgestellt waren, concurrirt im Großen nur allein russisches Eisen aus dem Ural. Während auf diese Weise die englische Stahlproduction ganz und die französische zum großen Theile von dem Auslande – Schweden und Rußland – abhängig ist, besitzt Oesterreich in Steiermark, Tirol, Krain und Kärnthen, und Preußen in den Regierungsbezirken Arnsberg und Koblenz große Schätze eines für die Erzeugung von natürlichem Stahl vorzugsweise geeigneten Erzes – Eisenspath, kohlensaures Eisenoxydul – welche in einem sehr bedeutenden Maaße, aber freilich durch die gegebene Menge der Holzkohlen beschränkt, die in den angeführten Gegenden vorhandene Rohstahlfabrication veranlaßt haben und in einer fortdauernden Unabhängigkeit von dem Auslande erhalten. In Preußen ist ein allgemein anerkannter Fortschritt in der Stahlproduction eingetreten, indem aus sehr verschiedenen Sorten von Roheisen und Rohstahleisen durch den Puddlingsproceß mit Steinkohlen Puddelstahl erzeugt wird, der bei einem sehr billigen Preise zu Bandagen für Locomotiv- und Eisenbahnwagenräder verwendet wird. Derjenige Puddelstahl, welcher aus Rohstahleisen, theils Spiegeleisen, theils Nebeneisen, ganz besonders im Siegenschen zu Lohe, Geisweide, Olpe erzeugt wird, zeichnet sich durch seine Beschaffenheit aus und concurrirt mit dem aus dem Spiegeleisen erzeugten Holzkohlen-Rohstahl (der immer in zwei Sorten, Edelstahl und Mittelkür fällt) theils in der Verwendung zum Raffiniren und weiteren Verarbeitung als natürlichen Stahl, theils, und dieß ist ganz besonders wichtig, als Material für die Gußstahl-Fabrication. Der Agent von Krupp hat der Jury erklärt, daß das Hauptmaterial, aus dem der Gußstahl dargestellt werde, der von Lohe bezogene Puddelstahl sey. Bei den ganz außerordentlichen Leistungen von Krupp in der Darstellung von Walzen, Achsen, Bandagen und ganz schweren Stücken von Gußstahl von einer vorzüglichen Beschaffenheit, der wenn auch bis jetzt noch nicht für alle Zwecke dem englischen Gußstahl gleichgestellt wird, für andere Zwecke denselben offenbar weit übertrifft, ist auf diese Weise der Beweis geliefert, daß Preußen die Mittel besitzt, auch künftig hin jeder Concurrenz in der Stahlproduction entgegenzutreten und die Stahlfabrication in Solingen, Remscheid und der Enneper Straße zu erhalten und mit inländischem Material zu versorgen. Die Bochumer Gußstahlfabrik, welche drei große Glocken und zwei sehr schwere Gußstahlgüsse ausgestellt hatte, sowie auch die kleinere Fabrik von Lohmann in Witten verwendet dasselbe oder ähnliches Material. Andere Gußstahlfabriken, welche die Ausstellung nicht beschickt haben, folgen diesem Beispiele. Schon seit dem Jahre 1839 sind Versuche mit der Anwendung des Puddelprocesses oder des Flammofenfrischens auf die Umwandlung des Siegener und besonders des Müsener Rohstahleisens in Rohstahl oder Puddelstahl gemacht worden. Die ersten Versuche hat der verstorbene Oberhütten-Inspector Stengel von dem königlichen Hüttenwerke zu Lohe zwischen dem 1. und 8. October 1839 auf dem Puddlingswerke von Kamp und Hesterberg zu Wetter an der Ruhr angestellt. Es wurde dabei die Ueberzeugung erlangt, daß durch diesen Proceß Stahl erzeugt werden könne, aber es trat besonders die Schwierigkeit hervor, den Stahl frei von Eisenstreifen zu erzeugen. Diese Versuche wurden wohl auf manchem Werke wiederholt, und namentlich sind im Laufe des Jahres 1844 anhaltende Versuche mit Stahlpuddeln auf dem Puddlingswerk von Ebbinghaus und Comp. zu Wickede an der Ruhr von dem Factor Kolbe gemacht worden. Inzwischen setzte der Oberhütten-Inspector Stengel die Versuche im Mai 1845 auf dem Puddelwerk von Friedrich Huth an der Geitebrücke bei Hagen in der Weise fort, daß ein Windstrom von einem Gebläse in den Herdraum geleitet werden konnte. Interessant ist es, daß dieselbe Einrichtung bei den Versuchen angewendet worden ist, welche von dem Besitzer des großen Eisenwerks zu Creuzot in Frankreich, Schneider, zur Erzeugung von Puddelstahl angestellt worden sind. Der Erfolg war kein günstigerer als bei den ersten Versuchen in Wetter, und ist deßhalb und wohl zum großen Vortheil der Sache die Anwendung von Gebläsen beim Stahlpuddeln nicht wieder versucht worden. Die Versuche des Stahlpuddelns in einem gewöhnlichen Puddelofen, nur mit geringen Abänderungen in der Construction, wurden vom Jahre 1845 ab durch den Oberhütten-Inspector Zintgraff in Siegen mit großem Eifer verfolgt; im Jahre 1846 zuerst auf dem Puddlingswerk Wickede, dann auf dem Puddlingswerk zu Geisweide bei Siegen, welche schon recht befriedigende Resultate lieferten. Die Sache wurde nun von mehreren Seiten in ihrer Wichtigkeit erkannt, und im Jahre 1846 wurden bereits mehrere Patente für Stahlpuddeln nachgesucht. Alle diese Versuche führten dann im Jahre 1849 zu dem Resultate einer regelmäßigen Fabrication, welche auf den Werken von Röhr, Böing und Comp. zu Limburg an der Lenne, von Lehrkind, Falkenroth und Comp. zu Haspe und des Hörder Hütten-Vereins zu Hörde zuerst in einem großen und gegenwärtig auf letzterm Werk im größtem Maaßstabe ausgeübt wird. Diese Werke, so wie die vorgenannten hatten Puddelstahl ausgestellt, so wie auch die Producte, welche sie aus demselben liefern. Es verdient hier als ganz besonders wichtig bemerkt zu werden, daß zu Lohe der Puddelstahl aus Rohstahleisen und Nebeneisen erzeugt wird, welches halb mit Kohks und halb mit Holzkohlen aus den Erzen geschmolzen wird, und daß kein Zweifel darüber besteht, daß dieses Rohstahleisen in derselben Qualität mit Kohks allein dargestellt werden könnte. Auf diese Weise kann also Stahl ganz mit Ausschluß von Holzkohlen, allein mit Kohks und Steinkohlen dargestellt werden, welcher zu allen Zwecken brauchbar ist und in der Verwendung nur für wenige Zwecke dem englischen Gußstahl nachstehen dürfte. Neben den Versuchen des Stahlpuddelns gingen gleichzeitig andere, welche ebenfalls von großer Wichtigkeit waren, namentlich die Verwendung des Rohstahls zur Gußstahlfabrication. Rohstahl, der durch den gewöhnlichen Frischproceß zu Lohe aus mit Kohks erblasenem Rohstahleisen erzeugt worden war, wurde zuerst 1844 von Friedrich Huth auf dem Werke an der Geitebrücke zu Gußstahl verwendet. Im Jahre 1847 wurde der vom Oberhütten-Inspector Zintgraff auf dem Ronnewinkler und auf dem Geisweider Puddlingswerke dargestellte Puddelstahl in der Gußstahlfabrik von Mayer und Kühne, in Bochum (jetzt dem Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrication gehörig) zu Gußstahl geschmolzen und lieferte ein sehr vorzügliches Product. Versuche die schon 1845 von David Vorster, zu Eilpe bei Hagen, mit Adouciren von Rohstahleisen, so wie andere, die 1846 auf Veranlassung des Geheimen Oberbergraths Karsten durch Stengel auf dem Werke von Friedrich Huth mit Zusammenschmelzen von Spiegel- (Rohstahl-) Eisen und Stabeisen angestellt wurden, verdienen Erwähnung. Denselben Beweis hat Seraing in Belgien, und Schneider auf dem Werke zu Creuzot, in Frankreich, geliefert; beide hatten Puddelstahl aus Kohks-Roheisen, welches aus den gewöhnlichen auf beiden Werken zur Verschmelzung gelangenden Eisensteinen erblasen ist, ausgestellt, deßgleichen Gußstahl aus diesem Puddelstahl. Seraing hatte Feilen geliefert, welche aus diesem Gußstahle gemacht sind, und der Agent hat der Jury erklärt, daß seit längerer Zeit die Maschinenfabrik zu Seraing zu allen Werkzeugen nur allein den selbsterzeugten Gußstahl verbraucht. Sollte nun eine längere Erfahrung die allgemeine Brauchbarkeit dieses ganz mit Kohks und Steinkohlen erzeugten Stahls bestätigen, so müssen die Gegenden, welche durch besondere Eisenerze begünstigt, bisher einen Vortheil für die Stahlproduction vor anderen hatten, ganz besondere Anstrengungen machen, um sich diesen Vortheil auch für die Zukunft zu sichern. Für Preußen wird es unter diesen Verhältnissen von ganz besonderer Wichtigkeit, die Eisenbahn von der Ruhr zur Sieg (Hagen nach Siegen) auszuführen, um Kohks dorthin zu schaffen, wohlfeileres Rohstahleisen in größerer Menge zu produciren und den Transport desselben und des Puddelstahls nach den Steinkohlenrevieren und zu den Gußstahlwerken zu erleichtern. Die Eisen- und Stahlwerke in Oesterreich hatten große Mengen der verschiedenen Sorten natürlichen Stahls ausgestellt, welche durch die Vorzüglichkeit für bestimmte Zwecke allgemein bekannt sind und zum Theil bei sehr hohen Preisen in bestimmten Quantitäten Absatz, selbst in sehr entfernten Gegenden finden. Bis jetzt hat aber die große Bewegung, welche sich in der Stahlproduction in Preußen, Belgien und Frankreich zu erkennen gibt, Oesterreich ebenso wenig wie England ergriffen. Die Erzeugung von Puddelstahl und von Gußstahl ist in Oesterreich bis jetzt noch nicht zu einer Ausübung im Großen gelangt. Offenbar hat aber Oesterreich einen Ueberfluß an den vortrefflichsten zur Erzeugung von Stahl geeigneten Erzen, und wenn einmal die Anwendung sehr guter Braunkohlen in Gasöfen zum Puddeln des Stahls und zum Schmelzen des Gußstahls sich Bahn gebrochen hat, so kann dasselbe ganz gewiß allen stahlproducirenden Gegenden eine sehr bedeutende Concurrenz machen, indem alsdann Holzkohlen in der Nähe der Eisenstein-Bergwerke in genügender Menge disponibel werden, um die Production des zur Stahlerzeugung geeigneten Roheisens ungemein zu vermehren. In England ist eine Veränderung in der Stahlproduction und Fabrication seit langer Zeit nicht eingetreten; die größten Häuser in Sheffield produciren jährlich zwischen 50 bis 90,000 Ctr. Cementstahl, von denen der größte Theil zu Gußstahl verwendet wird; in Frankreich erzeugt das Haus Gebrüder Jakson, Petin, Gaudet und Comp., zu Rive de Giers, jährlich 110 bis 120,000 Ctr. Cementstahl, und ist, wie es scheint, dieß die größte Stahlproduction, welche ein einzelnes Werk bewirkt. Es wird hier sehr viel schwedisches Eisen, außerdem verschiedene Sorten französisches Eisen verwendet. Das Stahlpuddeln wird in Frankreich seit einiger Zeit von J. Holzer, zu Unieux, auf dieselbe Weise wie in Preußen betrieben, und waren viele Sorten davon ausgestellt. Außerdem ist in Frankreich noch bemerkenswerth, die Erzeugung von Gußstahl in unmittelbarer Verbindung mit Schmiedeisen. Das letztere wird glühend in die Form gestellt, und der Gußstahl hineingegossen, das Stück nachher ausgewalzt. Auf diese Weise werden Schienen mit einer Kopfplatte von Gußstahl, Bänder für Hobeleisen u.s.w. gewalzt; der Erfinder dieser Methode ist F. J. Verdié und Comp., zu Firminy. Dieselbe wird wahrscheinlich dazu führen, viele Gegenstände von Gußstahl viel wohlfeiler als bisher zu erzeugen.