Titel: Ueber die fabrikmäßige Verarbeitung der Braunkohlen auf Photogen, Paraffin u.s.w.; von B. Hübner, preuß. Apotheker I. Classe, Director der Bitterfelder Photogen- und Paraffin-Fabrik.
Autor: B. Hübner
Fundstelle: Band 146, Jahrgang 1857, Nr. LI., S. 212
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LI. Ueber die fabrikmäßige Verarbeitung der Braunkohlen auf Photogen, Paraffin u.s.w.; von B. Hübner, preuß. Apotheker I. Classe, Director der Bitterfelder Photogen- und Paraffin-Fabrik. Hübner, über die fabrikmäßige Verarbeitung der Braunkohlen auf Photogen, Paraffin etc. In den letzten Jahren wurde mit eine Anzahl der verschiedenartigsten Materialien, besonders sächsischer Braunkohlen zugeschickt, damit ich solche auf die Ausbeute an technisch wichtigen Producten der trockenen Destillation prüfe. Darauf bezügliche Untersuchungen, sowie die Anlage der Photogen- und Paraffin-Fabrik der Gesellschaft F. L. Baurmeister und Comp. in Bitterfeld, womit ich betraut war und in welcher unter meiner Leitung die Kohlen des daselbst vorkommenden mächtigen Kohlenstoßes besonders auf Photogen, schwere Oele und Paraffin verarbeitet werden, führten mich zu einer Reihe von Beobachtungen und praktischen Erfahrungen, welche die Grundlage des Systemes bilden, nach dem ich Braunkohlen fabrikmäßig auf obige Producte verarbeite. Die Braunkohle erleidet bekanntlich, in verschlossenen Räumen einer höheren Temperatur ausgesetzt, wie jede organische Substanz, eine Zersetzung der Art, daß sich ihre Bestandtheile zu neuen, von ihr selbst ganz verschiedenen Producten vereinigen, die in ihrer Mannichfaltigkeit Theer, Gase und Wasser bilden. Als Rückstand bleibt eine sehr kohlenstoffreiche Materie, welche ihre äußere Beschaffenheit von derjenigen des Materials, aus dem sie gebildet worden, entlehnt und die den der Menge nach sehr verschiedenen anorganischen Bestand der Kohle enthält. Sie steht auf derselben Stufe der Entstehung wie die Kohks der Gasanstalten, und liefert, mit etwas frischer Kohle gemischt, meist ein treffliches Heizmaterial für die Retorten. Der Theer ist das Material, aus welchem die werthvollen Producte: Photogen, Paraffin u.s.w. gewonnen werden, und eine möglichst große Menge desselben von guter Beschaffenheit aus den zu seiner Darstellung verwendeten Stoffen zu erzielen, ist demnach Hauptaufgabe. Die wichtigsten Momente bei der Theerfabrication sind, daß man die zu seiner Erzeugung dienenden Substanzen einer möglichst niederen Temperatur aussetzt, und daß man die Zersetzungsproducte aus den Räumen, in denen sie gewonnen werden, möglichst schnell und ohne ihnen einen großen Widerstand entgegenzusetzen, abführt. Letzteres erreicht man durch Benutzung nicht zu enger Leitungsröhren für die Destillationsproducte, durch möglichste Umgehung von hydraulischen Sperrungen und durch zweckmäßige Construction der Kühlapparate. Ich verfahre, um guten Theer zu erzielen, wie folgt: Die trockne Destillation der Kohlen nehme ich in förmigen gußeisernen Retorten von 8 Fuß Länge, 27 Zoll Breite und 10 Zoll Höhe vor. Sie gewähren bei übrigens gleichen Vortheilen wie die förmigen noch den, daß man sie, wenn man den mit dem Abzugsrohre für die Theerdämpfe versehenen hintern Deckel durch Verschraubungen bewegbar macht, ohne weitere Veränderungen umdrehen kann, wenn sie durch die fortwährende Einwirkung des Feuers auf der einen Seite schadhaft geworden sind. Das erwähnte Abzugsrohr befindet sich an dem von dem Feuerraume abgewendeten Ende der Retorte im obern Theile derselben, und gebe ich ihm da, wo es sich an diese anlegt, um eine möglichst weite Durchgangsöffnung zu erzielen und einer der Hauptbedingungen einer zweckmäßigen Theerfabrication zu genügen, eine Form. Ein rundes Rohr von demselben Flächeninhalt würde ungefähr 6 1/4 Zoll Durchmesser haben müssen, es würde noch so hoch angebracht nur 3 3/4 Zoll vom Boden der Retorte entfernt liegen und Unbequemlichkeiten beim Füllen derselben bieten, indem leicht Kohle in dasselbe eingeworfen werden könnte und so eher Veranlassung zu Verstopfungen gegeben wäre, als bei der von mit gewählten Form. Das Rohr selbst ist übrigens knieförmig und an dem Knie mit einer Reinigungsöffnung versehen, die durch Deckel, Bügel und Schraube geschlossen ist und jederzeit sehr leicht geöffnet werden kann. Zwei solcher Retorten lege ich über ein Feuer, dessen Gluth durch ein Gittergewölbe aus feuerfesten Steinen auf dieselben einwirkt. Ihren oberen Theil besonders schütze ich vor der directen Einwirkung der Hitze durch etwas aufgelegte Asche; ein Doppelgewölbe überspannt beide auf die Weise, daß sie, ohne den Ofen selbst zu zerstören, bequem eingesetzt und entfernt werden können. Ich bemerke, es werden in den hier in Sachsen bestehenden Photogen-Fabriken vielfältig mehretagige Retortenöfen in Anwendung gebracht, der Art, daß mehrere Retorten neben einander gelegt und die Feuerungen an der Längs-Ausdehnung der vordersten angebracht werden; die Flamme streicht dann unter diesen hin, schlägt hinter der letzten der ganzen Reihe nach oben, bespült die Decke der untern und den Boden einer eben solchen darüber gelegten, und entweicht nun erst in den Fuchs. Man wählt dann gewöhnlich kastenförmige sehr niedrige Retorten, packt diese ganz voll Kohlen und läßt die Hitze von unten und oben auf sie wirken. Den Kohlen in den oberen läßt man mehr Zeit zur Destillation, als denen in den unteren. Solche Einrichtungen werden getroffen, um Brennmaterial zu ersparen und um in kürzester Zeit möglichst viel Material zu verarbeiten. Bei einer Prüfung des mehretagigen Systems fand ich das von mit beschriebene, welches sich ja auch anderweitig in der Praxis bewährt hat, in Bezug auf Quantität und Qualität des erzielten Theeres bei weitem vortheilhafter, und bei zweckmäßiger Feuerungsanlage sind auch in diesen Oefen der Bedarf an Brennmaterial, so wie die zur völligen Zersetzung relativer Kohlenmengen nöthige Zeit im allgemeinen recht befriedigend. Die Mängel der mehretagigen Retortenöfen jeder Einrichtung liegen sehr nahe. Es ist eine durch vielfache Erfahrung bestätigte Thatsache, daß eine Kohle um so mehr und um so werthvollere Destillationsproducte liefert, je niedriger die Verkohlungstemperatur gehalten wird. Setzt man nun die untere Reihe der Retorten eines mehretagigen Ofens gerade nur der Temperatur aus, die zum Verkohlen nöthig ist, so wird die obere keine genügende Hitze bekommen und die Zeit kann den Mangel daran nicht ersetzen. Entweder also die Kohle in den oberen oder von der Feuerstätte entfernt liegenden Retorten wird unvollkommen und schlecht zersetzt, oder aber sie wird zersetzt, dann erleidet man Verluste an den Producten der unteren, der Feuerstätte näher liegenden Retorten, die mehr Hitze bekommen als ihnen zuträglich ist. Selbst bei Anwendung der zweiretortigen Oefen kann man die von mit gewählten Längs – und Breitendimensionen der Retorten nicht gut überschreiten, da eine gleichmäßige Wirkung des Feuers nur auf eine verhältnißmäßig kleine Fläche erzielt werden kann. Ganz zu verwerfen aber sind die von unten und oben erhitzten mit Kohle ganz angefüllten niederen Retorten; es soll eine Verkohlung von unten und oben nach der Mitte zu erfolgen. Dabei ist nicht bedacht, daß das Volumen derselben sich beim Erhitzen sehr bald vermindert, daß sie zusammensinken und der Einwirkung der glühend gewordenen Retortendecke entrückt werden. Nur die gebildeten Theerdämpfe sind dieser wie derjenigen einer verhältnißmäßig hohen glühenden Kohlenschicht ausgesetzt, und eine reichliche Gas- und Naphthalinbildung auf Kosten von leichten Oelen und Paraffin sind die Folge davon. Jede meiner Retorten fülle ich mit drei preußischen Scheffeln Kohle, die etwas abgetrocknet circa. 250 Pfund wiegt. Die Höhe der Schicht, die dadurch gebildet wird, beträgt 3-4 Zoll. Es bleibt demnach ein freier Raum zur Entwicklung der Theerdämpfe, und nur Theile davon passiren die kaum glühenden Retortendecken. Die zur vollständigen Verkohlung nöthige Zeit ist übrigens bei verschiedenem Material verschieden. Sie variirt zwischen acht und zehn Stunden. Bei Anlage von 50 Retorten können demnach in 24 Stunden 450 bis 360 Scheffel oder 37,500 bis 30,000 Pfund Kohle verarbeitet werden. Im allgemeinen dauert der Verkohlungsproceß bei pulverförmiger Kohle länger als bei Stückkohlen, und ist es vortheilhaft erstere in Stücke geformt, ähnlich wie sie hier in der Provinz Sachsen auch als Brennmaterial gebraucht werden, zur Destillation zu verwenden. Die Hitze gelangt dann gleichmäßiger und besser durch die gebildeten Zwischenräume zu allen Theilen der Kohle. Wo, wie hier in Bitterfeld, diese schon ein Gemisch von Stücken und grobem Pulver ist, trennt man beide zweckmäßig durch eine Siebvorrichtung, wählt die ersteren zur Destillation, und benutzt das letztere zur Feuerung. Sehr vortheilhaft, besonders bei Verarbeitung klarer Kohle, fand ich es, während der Destillation eine geringe Menge sehr wenig gespannter Wasserdämpfe so durch die Retorten zu leiten, daß man das fein durchlöcherte Zuführungsrohr derselben auf den Boden dieser legt. Der Dampf durchdringt die glühende Kohlenschicht und führt die gebildeten Destillationsproducte schnell durch sie hinweg. Auf diese Weise wurden in meinem früher in Halle bestehenden Laboratorium auch von anderen Chemikern klare Kohlen mit bestem Erfolg destillirt. Das Verfahren erwarb sich bald Freunde und wurde von diesen im allgemeinen – da ich den Dampf anfänglich erst noch durch ein Röhrensystem leitete, welches durch dasselbe Feuer, das die Retorte heizte, erhitzt wurde, eine Methode die ich später verließ – Destillation vermittelst überhitzter Wasserdämpfe oder auch, sehr unbezeichnend, Destillation mittelst indirecten Feuers genannt. Ich verwahre mich aber gegen die Ansicht, daß ich Braunkohlen, um zu gedachtem Zwecke Theer daraus zu gewinnen, nur vermittelst überhitzter Wasserdämpfe auf ähnliche Weise habe verkohlen wollen, wie man z.B. das Holz zur Bereitung der Rothkohle für gewisse Schießpulversorten verkohlt. Es würde dieß ein nutzloses, höchst kostspieliges Unternehmen seyn. Denn einmal liegt die Zersetzungstemperatur für Braunkohlen, um dieß mit Vortheil bewerkstelligen zu können, meist viel zu hoch, und anderseits ist man bei der Unzulänglichkeit der Mittel, so hohe Temperaturen genau zu messen, durchaus nicht davor geschützt, daß man die zur Erzeugung des besten Theers gerade nothwendige nicht doch überschreitet. Und was würde die Unterhaltung und Bedienung des dazu nöthigen Dampferzeugers und der Retorten, was würden die zum Ueberhitzen der Dämpfe nöthigen Röhren, die, man wähle welches Material man wolle, der Zerstörung dabei so sehr ausgesetzt sind, was die Condensationsapparate für Kosten verursachen, welche Umständlichkeiten beim Arbeiten würden herbeigeführt werden! So kostspielige Anlagen macht der neue in Rede stehende Industriezweig, welcher überall auf die einfachsten Principien zurückgeführt, mit den einfachsten Apparaten betrieben seyn will, wenn er sich verallgemeinern und Nutzen bringen soll, nicht bezahlt. Gewiß gewährt in andern industriellen Fächern unter andern Verhältnissen und Absichten der überhitzte Wasserdampf großen Vortheil; zum Verkohlen von Braunkohlen, um Theer zur Photogen- und Paraffinfabrication zu gewinnen, ist er aber mit Vortheil sicherlich nicht zu gebrauchen. Die Abzugsrohre meiner sämmtlichen Retorten münden in ein gemeinschaftliches, um es leichter reinigen zu können, mit Mannlöchern versehenes Rohr von 18 Zoll lichter Weite und führen die Verkohlungsproducte zunächst in dieses. Durch auflaufendes Wasser wird es gekühlt; Theer und Wasser schlagen sich zum größten Theil darin nieder und nur ein geringerer davon wird mit den Gasen weiter geführt. Um diese davon zu befreien und um besonders die letzten in ihnen enthaltenen Theertheile zu gewinnen, leite ich sie durch ein System von Kondensatoren. Ein solcher besteht aus einem Rohr, das von einem andern in geringem Abstand ringförmig umgeben wird. Die Gase bewegen sich durch den so gebildeten Raum, und indem der innere Cylinder auf seiner Innenwand, der äußere auf seiner Außenwand stets naß erhalten wird, erfolgt durch Anwendung von mehreren solchen eine hinlängliche Enttheerung derselben. Je größer man, natürlich in gewissen Gränzen, die Durchmesser der Röhren wählt, desto schmäler kann, ohne gegen die Gesetze einer zweckmäßigen Theerfabrication zu sündigen, der gebildete Ring werden, und desto besser und leichter erfolgt die Kühlung. Da wo die Gase ans den Condensatoren austreten, werden sie am zweckmäßigsten der Wirkung eines gut ziehenden Schornsteins ausgesetzt, und je nach der Menge in der sie erzeugt werden, zur Feuerung einiger Retorten und des Dampfkessels benutzt. Der Schornstein ersetzt in diesem Falle und bei vorgedachter Einrichtung des ganzen Theerapparates (wo nur eine höchst mäßige, durch die Gefahr beim Verbrennen der Gase und beim Oeffnen der Retorten – was auf gleiche Weise wie in den Gasanstalten geschieht – bedingte hydraulische Sperrung und die Reibung der sich an den Wandungen der Sammel- und Kühlröhren fortbewegenden Gase, einen äußerst geringen Widerstand den abziehenden Destillationsproducten entgegensetzen, in Verbindung mit den fortwährend durch dieselben strömenden wenig gespannten Wasserdämpfen) vollständig den hier und da in Anwendung gebrachten, durch Anlage und Betrieb so kostspieligen Exhaustor. Zur Beschaffung eines Exhaustors ist man aber genöthigt, wenn man die Gase zum Heizen der Destillationsapparate (was zweckmäßig nur bei Anwendung eines Gasometers erfolgen kann) oder zu Beleuchtungszwecken benutzen will, wo dann außer demselben noch ein Reinigungsapparat zur Entfernung des Schwefelwasserstoffs, der Kohlensäure u.s.w. erforderlich ist; alle diese Apparate vermehren jedoch ebenso wie mit Kohks und Eisenfeile gefüllte Condensatoren, den Druck auf die Retorten und geben dadurch Veranlassung zu Verlusten und zur Bildung werthloser und durch die Reinigung oft schwierig zu entfernender Producte. Die erwähnten Condensatoren gruppire ich übrigens um ein verschlossenes eisernes Bassin, so daß dieses das aus jenen Gewonnene eben so aufnimmt, wie die Producte aus dem Hauptsammelrohr, welche die Temperatur des Bassins auf einer Höhe erhalten, bei der eine fast vollständige Trennung derselben in Theer und ammoniakalisches Wasser erfolgt. Indem ich die Pumpen zur Entfernung des Theeres so anbringe, daß deren Saugrohre ein wenig über den einige Zoll vom Boden des Bassins entfernt liegenden Hähnen, die einen genügenden Theerstand erkennen lassen, enden, gelingt es mit den Theer fast wasserfrei in die Destillationsapparate zu schaffen. Bitterfeld bei Halle a. S. im October 1857. (Die Fortsetzung folgt.)