Titel: Versuche über das Verhalten klarer alkalischer Chlorkalklösungen in der Wärme; von Gust. Schlieper.
Fundstelle: Band 146, Jahrgang 1857, Nr. CIX., S. 414
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CIX. Versuche über das Verhalten klarer alkalischer Chlorkalklösungen in der Wärme; von Gust. Schlieper. Im Auszug aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. C S. 171. Schlieper's Versuche über das Verhalten klarer alkalischer Chlorkalklösungen in der Wärme. Durch die große Verschiedenheit der Angaben über die Zersetzungen des Chlorkalks beim Kochen seiner Lösungen fand ich mich veranlaßt, einige Versuche über das Verhalten derselben zu machen, welche im Laboratorium zu Wiesbaden unter Leitung des Prof. Fresenius ausgeführt wurden. Die angewendeten Lösungen wurden erhalten durch Einleiten von Chlor in überschüssige Kalkmilch und Decantiren der klaren Flüssigkeit. Die Versuche wurden mit klaren alkalischen Lösungen gemacht, weil diese die meiste Anwendung in der Praxis finden. Um die drei Sauerstoffsäuren des Chlors neben einander zu entdecken, wurde folgendes Verfahren angewendet: Man prüfte mit Jodkalium-Stärkepapier auf unterchlorige Säure, da nur diese im verdünnten Zustande auf dasselbe wirkt; war sie vorhanden, so wurde sie genau mit Penot'scher Lösung entfernt, und nun die Flüssigkeit mit Salzsäure angesäuert und durch Zusatz von Indigsolution auf chlorige Säure geprüft; eintretende plötzliche Entfärbung zeigte letztere an. War sie vorhanden, so wurde so lange Indigsolution zugesetzt, bis die Lösung schwach blau erschien, d.h. bis alle chlorige Säure zerstört war und Indigsolution schwach vorwaltete. Trat jetzt auf Zusatz von einigen Tropfen schwefliger Säure Entfärbung ein, so war auch Chlorsäure vorhanden. Auf diese Art konnte bei den späteren Versuchen in den erhaltenen Lösungen nie chlorige Säure nachgewiesen werden, weßhalb ich nicht mehr darauf zurückkommen werde. Unterchlorige Säure und Chlorsäure waren stets vorhanden. Erstere wurde mit der Penot'schen Lösung (von der 1 Kubikcentim. 0,001943 Grm. unterchloriger Säure entsprach) bestimmt, Chlorsäure dagegen nach der Bunsen'schen Methode aus der ausgeschiedenen Menge Jod, nachdem die der unterchlorigen Säure entsprechende Menge Jod abgezogen war, berechnet. I. Versuche mit Lösungen, welche in einem Kubikcentim. die 5 und 7 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entsprechende Menge unterchlorige Säure enthielten. Die Lösungen wurden bei Versuch Ia in einer schräg aufwärts gerichteten Retorte mit angebrachtem, ebenfalls aufwärts gehendem Kühlrohr gekocht, so daß alles verdampfende Wasser wieder zurücklaufen mußte. Am oberen Ende des Kühlrohrs befand sich ein Gasleitungsrohr, welches unter Wasser mündete, um gleich bemerken zu können, wenn etwa Sauerstoff auftreten sollte. In die Retorte wurden 240 Kubikcentim. der Chlorkalklösung gebracht. Nach jeder Stunde wurde die Retorte erkalten gelassen und einige Kubikcentim. der Lösung mit Penot'scher Lösung titrirt. – Bei beiden Concentrationen wurde keine Sauerstoffentwickelung bemerkt, da jedoch bei der stärkeren Concentration, um Zeit zu sparen, ein anderer Apparat angewendet wurde, so ist bei derselben wahrscheinlich der entweichende Sauerstoff unbemerkt geblieben, da sich sonst der große Verlust an Chlorsäure nicht erklären ließe. Die Resultate der Unterchlorigsäure-Bestimmung waren bei der geringeren Concentration, mit 5 Kubikcentim. Penot'schen Lösung anfangend: nach der 1. Stunde 4,2 Kubikcentim.    „   „ 2.     „ 3,5        „    „   „ 3.     „ 2,9        „    „   „ 4.     „ 2,6        „    „   „ 6.     „ 2,1        „    „   „ 8.     „ 1,1        „ und sofort abnehmend, so daß nach der 16. Stunde das Ergebniß noch 0,05 Kubikcentim. war. Die Resultate der Bestimmung bei der größeren Concentration, mit 7 Kubikcentim. anfangend, waren folgende: nach der 1. Stunde 5,15 Kubikcentim.    „   „ 2.     „ 4,10        „    „   „ 3.     „ 3,18        „    „   „ 4.     „ 2,50        „    „   „ 6.     „ 1,90        „    „   „ 8.     „ 1,60        „ und so ferner abnehmend, so daß nach der 23. Stunde das Resultat 0,08 war. Nachdem die Lösungen nur noch sehr geringe Spuren von unterchloriger Säure enthielten, wurden sie einige Stunden gekocht, um auch die letzten Reste zu zerstören, und dann wurde in je 5 Kubikcentim. der erkalteten Lösung die Chlorsäure bestimmt. Dabei verbrauchte man bei der Lösung von der geringeren Concentration im Mittel 0,266169 Grm. Jod. Da nun 6 Aeq. Jod von 1 Aeq. Chlorsäure ausgeschieden werden, so sind in 5 Kubikcentim. Lösung 0,026383 Chlorsäure enthalten; nach der Rechnung sind, wenn die Umsetzung vollständig nach der Gleichung 3 (CaO, ClA) = 2 CaCl + CaO, ClO₅ erfolgt, in 5 Kubikcentim. der schwächeren Lösung 0,028102 Grm. Chlorsäure enthalten. In der Lösung von der größeren Concentration wurde die Chlorsäure ebenso bestimmt. Auf 5 Kubikcentim. derselben verbrauchte man dabei 0,319794 Grm. Jod, welche 0,031699 Grm. Chlorsäure entsprechen. Die Rechnung nach der obigen Gleichung ergibt 0,039343 Grm. Chlorsäure. Lösungen von angegebener Concentration verhalten sich somit also: a. Bei der geringeren Concentration wird aller unterchlorigsaure Kalk in Chlorcalcium und chlorsauren Kalk umgesetzt, während bei der größeren Concentration nur 80,5 Proc. der zu erhaltenden Chlorsäure wirklich erhalten werden, der Rest dagegen wahrscheinlich in Chlorcalcium und Sauerstoff zerfällt. b. Der unterchlorigsaure Kalk geht ganz allmählich in chlorsauren Kalk über, es sind 16 – 24 Stunden dazu erforderlich. II. Versuche mit Lösungen, von denen 1 Kubikcentim. 10 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entsprach. Bei dieser Concentration wurde gleich zu Anfang Sauerstoffentwickelung bemerkt; es wurden deßhalb Vorkehrungen getroffen, denselben wenigstens annähernd messen zu können. Man fand (der ursprüngliche Gehalt entsprach 10 Kubikcentim. Penot'scher Lösung) Textabbildung Bd. 146, S. 416 Entwickelter Sauerstoff; nach der 2. Stunde 4,74 Kubikcentim. etwa 375 Kubikcentim.; unbedeutende Entwickelung. Durch Jod fand man nachher (das der noch vorhandenen unterchlorigen Säure entsprechende Jod wurde bei der Berechnung abgezogen) in 5 Kubikcentim. der Flüssigkeit 0,028984 Grm. Chlorsäure. Nach der Rechnung müßten, unter Voraussetzung, daß kein Sauerstoff entwichen wäre, 0,056205 Grm. Chlorsäure vorhanden seyn; es sind also 0,027221 oder 48,43 Proc. zersetzt worden. Lösungen von einer Concentration, bei welcher 1 Kubikcentim. 10 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entspricht, verhalten sich somit also: a. Sie entwickeln beim Kochen Sauerstoff, und zwar in erheblicher Menge bis nach der 6. Stunde. b. Der darin enthaltene unterchlorigsaure Kalk geht nur zum Theil in chlorsauren Kalk über, ungefähr die Hälfte zerfällt in Chlorcalcium und Sauerstoff. III. Versuche mit Lösungen, welche in 1 Kubikcentim. die 15 Kubikcentimeter Penot'scher Lösung entsprechende Menge unterchlorige Säure enthielten. Dieselben ergaben, daß Lösungen von dieser Concentration sich wie folgt verhalten: a. Sie entwickeln Sauerstoff beim Kochen bis nach der 6. Stunde. b. In Folge davon zersetzen sich nur 43,8 Proc. des vorhandenen unterchlorigsauren Kalks in Chlorcalcium und chlorsauren Kalk, der Rest zerfällt in Sauerstoff und Chlorcalcium. Aus den drei angeführten Versuchen ergibt sich somit, a. daß bei sehr verdünnten Lösungen kein Sauerstoff entweicht und alle unterchlorige Säure als Chlorsäure wiedergewonnen wird; b. daß die Sauerstoffentwickelung mit der Concentration steigt, und daß in Folge dessen die Ausbeute an chlorsaurem Salze um so geringer ist, je größer die Concentration der gekochten Lösung war. Bei Erwägung der Frage, welche Umstände die Sauerstoffentwickelung bedingen, erwiesen sich nun zwei Fälle als möglich; es konnte nämlich entweder die größere Concentration, oder aber der gesteigerte Siedepunkt die Ursache der Sauerstoffentwickelung seyn. Um dieses zu entscheiden, wurden folgende Versuche gemacht: Es wurde eine Lösung von derselben Concentration wie im letzten Versuch in demselben Apparate, wie oben, aber im Wasserbade erhitzt, – und ferner wurden Proben von geringerer Concentration, entsprechend 5 und 7 Kubikcentim. Penot'scher Lösung, in zugeschmolzenen Röhren 2 Stunden lang auf 100° C. erhitzt. IV. Versuch mit Lösungen, von denen 1 Kubikcentim. 15 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entsprach, die also dieselbe Concentration wie bei Versuch III. hatten. Die Retorte wurde im Wasserbad erhitzt. Nach den Ergebnissen dieses Versuches verhalten sich die Lösungen von der angegebenen Concentration, wenn sie bloß auf 100° erhitzt werden, also: a. Sie entwickeln Sauerstoff, trotzdem, daß sie nicht wirklich kochen, bis in die achte Stunde, und zwar eben so viel, als wenn sie kochen würden. b. Der unterchlorigsaure Kalk zersetzt sich in denselben Verhältnissen wie bei Versuch III. V. Versuche mit Lösungen von denselben Concentrationen wie bei I, nur in höherer Temperatur. Die Versuche wurden in der Art ausgeführt, daß man je 5 Kubikcentim. Flüssigkeit in starke Verbrennungsröhren einschmolz und in einem Oelbad auf 110° C. erhitzte. Nach 2 Stunden ließ man die Röhren erkalten und brach unter Wasser die Spitzen ab; es zeigte sich keine Gasentwickelung, der Gehalt an unterchloriger Säure hatte bedeutend abgenommen, die Röhren, deren Inhalt in 1 Kubikcent. 5 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entsprach, enthielten nach dem Versuch in 1 Kubikcent. die 1,75 und 2,1 Kubikcent. Penot'scher Lösung entsprechende Menge unterchlorige Säure, und die, welche früher in 1 Kubikcentim. 7 Kubikcentim. Penot'scher Lösung entsprochen hatten, entsprachen jetzt 3,08 und 2,96 Kubikcentim. Diese Lösungen Hatten also trotz der gesteigerten Temperatur keinen Sauerstoff entwickelt. Man ersieht aus diesen Versuchen, daß Chlorkalklösungen von größerer Concentration mit Leichtigkeit Sauerstoff entwickeln) auch wenn sie nur auf 100° C. erhitzt werden, während verdünntere weder bei fortgesetztem Kochen, noch auch beim Erhitzen auf 110° C. Sauerstoff abgeben, sondern sich vollständig in der Art umsehen, daß je 3 Aeq. CaO, ClO 1 Aeq. CaO, ClO₅ und 2 Aeq. CaCl liefern – eine Thatsache, die für Fabriken von Chlorsäuresalzen eine Wichtigkeit haben dürfte.