Titel: Ueber Kartoffelbier; von G. E. Habich.
Autor: G. E. Habich
Fundstelle: Band 150, Jahrgang 1858, Nr. XX., S. 66
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XX. Ueber Kartoffelbier; von G. E. Habich. Habich, über Kartoffelbier. In Jahren, wo der Kartoffelsegen so groß ist, wie heuer, muß auch die Verwendung desselben zur Bierbrauerei einmal wieder in Erinnerung gebracht werden. In nationalökonomischer Hinsicht hat dieses Capitel eine ganz besonders wichtige Seite. Ich las vor einigen Jahren irgendwo einmal den Ausspruch eines landwirthschaftlichen Schriftstellers (ich denke es war Fintelmann?), der überall seinen Wiederhall finden muß: „Wohl mehren sich die Völker um Millionen, aber die alte Erde wird um keinen Zoll vergrößert.“ Suchen wir also alle Wege auf, ergreifen wir alle Mittel, welche uns in den Stand setzen, die zur Herstellung irgend eines Lebensbedürfnisses erforderliche Bodenfläche auf das geringste Maaß zu reduciren. Zu solchen Lebensbedürfnissen gehört ohne Zweifel auch das Bier. Und deßhalb ist es eine bemerkenswerthe Thatsache (auf die Prof. Balling längst hingewiesen), daß man „von derselben Ackerfläche mit Kartoffeln bebaut, zwei- bis dreimal so viel eben so starkes Bier erzeugen kann, als beim Anbau mit Gerste.“ Will man nun einer solchen höchst wohlthätigen, aber noch neuen Praxis den Weg bahnen helfen, so kommt man freilich vorne weg einmal mit dem Schlendrian in Conflict. Daß man den Consumenten die Verwendung der Kartoffeln zum Bierbrauen Anfangs schlechterdings verheimlichen müßte, um einem Heidenlärm über Bierverfälschung vorzubeugen, wird mir Jeder zugestehen, – geht ja doch der Aberglaube noch allgemein herum, daß man bloß aus Malz Bier brauen könne, wobei man die Mitanwendung von ungemalztem Getreide ausdrücklich ausschließt. Und nun gar Kartoffeln! – Da steigen den ängstlichen Gemüthern sofort Fuselgedanken empor und verwirren ihnen den Kopf. Erst wenn solch ein modernes Gebräu längere Zeit hindurch verzapft worden ist und Wirth und Gäste sich wohl dabei befunden haben, dann darf man's allenfalls wagen, den neuen Weg, nach welchem ja Niemand gefragt hat, offen einzugestehen. Und selbst dann noch muß man darauf gefaßt seyn, daß Einzelne sich den Zusatz von Kartoffeln verbitten werden, weil besagtes Getränke dann nicht mehr „Bier“ zu nennen sey. Merkwürdiger Weise machen wir jetzt, nachdem seit 20 Jahren von verschiedenen Seiten zur Mitverwendung der Kartoffeln angeregt wurde und das daraus bereitete Getränk (wenn der eingeschlagene Weg sonst tadellos war) allgemein als ein gutes Bier anerkannt ist, – die überraschende Erfahrung, daß ein mit großer Zähigkeit der herkömmlichen Praxis anhangender Empiriker sich für die Mitanwendung der Kartoffeln erklärt, während eine berühmte chemische Autorität dem so erzeugten Getränke den Charakter des Biers und damit auch dessen Namen streitig macht. Der Erstere ist Hr. Philipp Heiß, Director der Actienbrauerei in Dresden, – der Andere ist Hr. J. G. Mulder, Professor der Chemie an der Universität Utrecht. Heiß (in seinem Schriftchen „über die im Braubetriebe gebräuchlichen Rohstoffe“) rechnet S. 4. die Kartoffeln „zu den wichtigsten Materialien,“ und in der Beschreibung der Anwendung derselben stimmt er Balling (der bekanntlich die besten Erfolge in der Bereitung der Kartoffelbiere errungen hat) wörtlich bei. Freilich wäre es da nun auch wohl am Platze gewesen, über die Qualität der Kartoffelbiere vergleichende Angaben zu liefern. Ich werde diese Lücke später ausfüllen. Von Mulder (vergl. seine eben erschienene „Chemie des Bieres“) müssen wir mehrere Stellen wörtlich citiren, um in dieser Frage zur bessern Erkenntniß zu kommen. Seite 4: „Nicht bloß aus dem Getreide, sondern auch aus andern Samenarten, ja selbst noch aus manchen andern Stoffen kann Bier bereitet werden; indessen verliert es doch in dem Maaße, als man andere Stoffe neben dem Getreide oder anstatt desselben zu seiner Bereitung verwendet, mehr und mehr den eigenthümlichen Charakter des Bieres.“ Da werden wir also einmal den Versuch machen müssen, den Charakter des „Bier“ genannten Getränkes genauer zu studiren. Mulder stellt folgende Anforderungen (S. 4 und 5): „Zwar verlangt man hauptsächlich von dem Biere, daß es eine alkoholische, durch Gährung entstandene und aus einem zuckerhaltigen Safte bereitete Flüssigkeit sey (der Zucker kann selbst aus Satzmehl gewonnen seyn); allein zum Wesen des Bieres gehören auch noch feste Bestandtheile, welche aus Pflanzensamen, vorzugsweise aus dem Getreide, bei den zum Zwecke der Bierbereitung vorgenommenen Operationen in Auflösung gebracht werden.“ „Man verlangt ferner von dem Biere, daß es ebensowohl nährend, als erfrischend sey, und zwar muß es die ersten Eigenschaft in hohem Grade besitzen.“ Hierzu muß ich bemerken, daß der Gehalt an Kohlensäure, welche doch bekanntlich dem Biere den erfrischenden Geschmack verleiht, lediglich abhängt von der Behandlung des Bieres auf dem Lager (Temperatur des Kellers, Grad der Vergährung, Spunden der Fässer u.s.w.), – mit der Frage der Materialien hat er nichts zu schaffen. Und ein Kartoffelbier wird eben so moussirend wie ein anderes. Was den Nahrungswerth des Bieres anlangt, so stellt Mulder alle die dahin gehörigen Factoren zusammen, wie folgt: „Zu den nährenden Bestandtheilen des Bieres zählen wir unbedenklich auch die unorganischen Stoffe, wie phosphorsauren Kalk, phosphorsaure Magnesia und phosphorsaures Kali, neben andern Salzen, welche bei der Bierbereitung aus dem Getreide in die wässerige Lösung gehen, der erstere durch einen Gehalt an freier organischer Säure. Wer an dem Nutzen dieser Salze zweifelt, verkennt den Nutzen der meisten Mineralwässer; ja noch weit mehr, er verkennt die Bedeutung der Phosphate für den Organismus.“ In Bezug auf das Kartoffelbier fügt Mulder (S. 15) noch hinzu: „Die Eiweißstoffe des aus Getreide bereiteten Bieres fehlen darin, sowie außerdem die Salze und andere Stoffe, welche das Bier zu einem wichtigen Nahrungsmittel erheben.“ Wir wollen uns hier zunächst einmal die Salze betrachten, von denen den Phosphaten so hoher Werth beigelegt wird. Der Mensch lebt bekanntlich nicht von Bier allein, – er genießt im Brod, Fleisch und in den Gemüsen so reichliche Mengen phosphorsaurer Salze, daß in dem bekannten Versuche Fleitmann's (Poggend. Ann. Bd. LXXVI S. 376, 1849), der die Excremente eines jungen Mannes untersuchte, welcher gar kein Bier trank und eine sehr mäßige Diät führte, dennoch täglich 2,59 Grm. Phosphorsäure im Koth und Urin fortgeschafft wurden. Daraus schon erhellt wohl zur Genüge, daß es nicht der Phosphorsäure des Bieres bedarf, um einem etwaigen Mangel derselben im Organismus vorzubeugen. Aber gesetzt auch, es wäre auf den Phosphorsäuregehalt des Bieres Werth zu legen, so braucht man ja nur in den Malz-Kartoffelstärkewürzen, welche, wie alle übrigen, stets etwas Milchsäure enthalten, so viel phosphorsauren Kalk aufzulösen, als man für nöthig hält, den verloren gegangenen „Charakter“ des Bieres wieder herzustellen. Es ist das der rationellste Weg und jedenfalls ganz unverfänglich, wenn man erwägt, daß ja durch das zum Brauen verwendete Wasser schon mehr oder minder große Salzmengen ins Bier gelangen, je nachdem mehr oder weniger Wasser verbraucht wurde und wieder verdampft werden mußte. Daher variiren denn auch die Aschenmengen in den Analysen von Martius (s. S. 425) von 0,27 bis 0,32 Proc. bei Vieren aus einer Brauperiode. Wenden wir uns nun zu den übrigen Bestandtheilen. Mulder fährt (S. 5) fort: „Es gehören ferner zu den nährenden Bestandtheilen die löslichen Albuminkörper, welche in gewisser Menge im Biere vorhanden sind; obgleich viele von den Eiweißstoffen des Getreides beim Brauen, Kochen und Gähren ausgeschieden wurden.“ Wie wenig geeignet die Eiweißstoffe sind, um in dieser Weise für eine Charakteristik des Bieres benutzt zu werden, erhellt aus einer andern Stelle (S. 413): „das Bier gibt mit Gerbsäure einen beträchtlichen Niederschlag in Folge eines Gehaltes an aufgelöstem Eiweiß. Und doch wurde die Würze vor der Gährung gekocht und zwar mit gerbsäurehaltigem Hopfen. – Wie weit sind wir noch davon, diese wichtige Classe von Körpern zu kennen.“ Hier verwechselt Mulder Eiweißstoff und Eiweißstoffe, zu welchen letzteren der Pflanzenleim (oder Glutin, wie er's in seinem Werke nennt) gehört. Er führt S. 74 einen Versuch an, wobei ausgetrockneter Kleber (das Gemenge von Pflanzenleim und Pflanzenfibrin) mit Alkohol ausgekocht und die Auflösung (welche bekanntlich bloß Pflanzenleim enthält) so lange mit Wasser gekocht wurde, bis die Lösung beim Erkalten klar blieb. Es geht hierbei jene Veränderung mit dem Pflanzenleim vor sich, in Folge deren er auch im kalten Wasser auflöslich bleibt. Nur die organische Analyse kann darüber nähern Aufschluß geben, welche Differenzen in der Association der Stoffe von vor- und nachher stattfinden. Und diese hat Mulder leider nicht gegeben. Er hält diese wichtige Veränderung für eine Folge der Einwirkung der Luft. Zu dieser Annahme kann ich mich aber nicht entschließen, nachdem ich stets beobachtet habe, daß in dem geschlossenen Dampfkessel meines Dampfbrau-Apparates diese Umwandlung (welche durch Bräunung der Flüssigkeit zu erkennen ist) erst beginnt, nachdem jede Spur der etwa vorhandenen geringen Luftmengen vollständig ausgetrieben ist. Wie gesagt, entscheidet nur die Analyse über das Wesen dieser Metamorphose. Für die Praxis bleibt aber die allgemein bekannte Thatsache wichtig, daß im Bierextract verhältnißmäßig um so mehr von diesem „löslichen Pflanzenleim“ (welchen Mulder mit Saussure's Mucin für identisch hält) enthalten ist, je längere Zeit die Würze gekocht wurde. Darauf gründet sich auch der specifische Unterschied der Biere, welche nach dem Infusionsverfahren oder nach dem Dickmaischverfahren oder „auf Satz“ gebraut sind. In dem Extract aller dieser Würzen ist das Verhältniß zwischen Zucker und Pflanzenleim sehr von einander abweichend, – dadurch ist denn auch der bereits an einem andern Orte berührte Unterschied in der Vergährungsfähigkeit herbeigeführt. Diese Differenz in dem Gehalt an löslichem Pflanzenleim bedingt nun auch einen bedeutenden Unterschied in dem Nahrungswerth der Biere. Also hängt der Nahrungswerth – alles Uebrige gleich gerechnet – vom Brauverfahren ab! – Die Consumenten trinken alle diese sehr verschiedenen Biere als Bier,“ – und man kann einer recht lange Zeit gekochten Würze, welche ein vollmundiges Bier gegeben haben würde, eine große Menge Kartoffelzucker zusetzen, um ein Bier zu erzielen, welches den nach dem Infusionsverfahren gebrauten zur Seite steht. Diesen gewichtigen Unterschied aber, welcher lediglich durch das Brauverfahren hervorgerufen ist, hätte Mulder durch die von ihm veranlaßten Analysen Heckmeyer's (S. 404 und 405) erkennen müssen. Dieser fand im Alkohol in100 Volum. Eiweißstoff in100 Gewichtsthl. Extract in100 Gewichtsthl. alten Utrechter Braunbier 3,8   0,41 3,36 Prinzessinnenbier 4,0   0,46 2,60 Bier von Nuys u. Comp. in Middelburg 4,95 0,83 3,67 Das zuletzt erwähnte Bier enthält also doppelt so viel Eiweißstoffe, wie die vorhergehenden. Und man wird deßhalb, wenn man ein solches Bier durch Zusatz von Kartoffelzucker auf die Hälfte seines Nahrungswerthes (bezüglich der Eiweißstoffe) reducirt, es immerhin noch als Prinzessinnenbier etc., jedenfalls als Bier gelten lassen müssen. Kehren wir zurück zu Mulder's Aufzählung der charakterischen Bestandtheile des Bieres. „Weiter sind hier zu nennen Dextrin und Zucker, gleichfalls nie fehlende Bestandtheile des Bieres. Das erstere ertheilt demselben eine dickflüssige Beschaffenheit, der letztere den süßen Geschmack.“ Abgesehen davon, daß es nicht das Dextrin ist, welches dem Biere seine Vollmundigkeit (eine dickflüssige Beschaffenheit ist wohl für den Durchschnitt der Biertrinker zu weit gegriffen und wird nur noch bei Braunschweiger „Mumme“ als Arznei geduldet) verleiht, würde der Anwendung des Kartoffelstärkmehls, welches ja hier absolut dieselben Mengen von Dextrin und Zucker geben muß, wie das Getreidestärkmehl, gar nichts im Wege stehen. Endlich erwähnt Mulder „noch einer gewissen Menge Alkohol etc.“ Da nun diese ebenwohl aus dem ursprünglichen Stärkmehlgehalt resultirt, so wird sie für ein Getreidebier nicht besonders charakteristisch seyn. Ich glaube im Vorhergehenden die Bedenken Mulder's gegen die Mitanwendung der Kartoffeln zur Bierbrauerei aus dem Wege geräumt zu haben. Außerdem denke ich, daß in erster Instanz die Consumenten darüber zu entscheiden haben, ob das, was man ihnen als Bier vorsetzt, auch wirklich Bier ist. Will dann der analytische Chemiker gegen die Identität der fraglichen Getränke noch Einsprache erheben, so steht ihm das frei, – jedenfalls muß er bessere Gründe haben, als Mulder zum Besten gab. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich die Gegenwart des löslichen Pflanzenleims als charakteristisch für alle „Biere“ halte. Caramelisirter Zucker mit Hefe zur Gährung gebracht, gibt einen bittern Wein.“ Reiner Zucker nebst entsprechender Säuremenge durch Hefe in Gährung gebracht, liefert einen Wein, der nicht von den besten Sorten zu unterscheiden ist. Mulder läßt dieses Getränke auch nicht als Wein gelten. Wie also will er's nennen? – Der Chemiker pflegt doch als Regel fest zu halten, daß gleiche chemische Zusammensetzung und gleiches chemisches Verhalten auch denselben Namen bedingen! Zur Praxis der Kartoffelbierbrauerei habe ich folgenden kleinen Beitrag liefern wollen, der leider nicht vollständiger werden kann, weil mir die schriftliche Aufzeichnung über den Versuch verloren gegangen ist und ich also aus dem Gedächtniß referire. Es war im Februar 1850, als ich – um mich über die Qualität des Kartoffelbiers zu belehren – in der Brauerei des Bierbrauers Stremme in Veckerhagen folgende Versuche machte. Eine durchs Infusionsverfahren bereitete, gehopfte und abgekühlte Würze von etwa 9 Saccharometer-Proc. wurde durch Zusatz von Kartoffelsyrup (den ich mit Schwefelsäure dargestellt hatte) auf etwa 15 Saccharometer-Proc. gesteigert und mit Unterhefe zur Gährung gebracht. Die äußern Gährungserscheinungen waren ganz die gewöhnlichen, aber der Vergährungsgrad am Schlusse der Hauptgährung war äußerst gering. Als das Bier auf dem Lager klar geworden war, fanden geübte Bierschmecker bei der Prüfung desselben einen Beigeschmack, der an Madeirawein erinnerte. Der zweite Versuch wurde in gleicher Weise durchgeführt, und nur mit dem Unterschiede, daß der Kartoffelsyrup vermittelst Malz hergestellt war. Der Gährungsverlauf unterschied sich von dem vorigen nicht, – aber das Bier hatte nicht jenen Madeirageschmack. Im Sommer 1850 war die Nachgährung auf dem Lager noch immer so wenig fortgeschritten, daß das Bier für Biertrinker zu süß erschien, – erst im Spätherbst trat der von den Consumenten verlangte Vergährungsgrad ein und das Bier stellte in jener Zeit (also nach etwa 8 Monaten) einen ganz ausgezeichneten Bock dar. Im folgenden Sommer (1851) war der Geschmack mehr weinig geworden, – das Bier mußte längere Zeit auf Flaschen liegen, ehe denn es wieder moussirend wurde und ähnelte denn einem feinen Ale. Was aber ganz besonders auffallen muß, ist die außerordentliche Dauerhaftigkeit dieses Bieres; – ich habe ein Quantum desselben längere Zeit unter der Essigbildung günstigen Bedingungen hingestellt, – es wurde schal, aber nicht sauer. Das sind meine Erfahrungen, in Folge deren ich dem Kartoffelbiere Tugenden zuerkennen muß, die kein anderes besitzt. Insbesondere will ich die Bierbrauer, welche für den Seetransport arbeiten, auf diesen Artikel aufmerksam machen. Auf meiner Herreise von Nordamerika (auf der Hamburger Saxonia) habe ich ein Glas guten Bieres schmerzlich vermißt, – das in Hamburg gebraute „Erlanger Bier“ war total trübe, von vollendetem Hefengeschmack und drohte die Flaschen zu zersprengen, – nur ein altes, schottisches Ale war genießbar. Wie leicht ließe sich da durch Kartoffelbier Abhülfe verschaffen!