Titel: Ueber die Sicherheitsschlösser von Chubb und Bramah; von Carl Karmarsch.
Fundstelle: Band 153, Jahrgang 1859, Nr. II., S. 5
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II. Ueber die Sicherheitsschlösser von Chubb und Bramah; von Carl Karmarsch. Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins, 1859 S. 65. Mit Abbildungen auf Tab. I. Karmarsch, über die Sicherheitsschlösser von Chubb und Bramah. Die Abhandlung des Hrn. Assistenten Kessels zu Wien über die obengenannten Schlösser (im polytechn. Journal Bd. CLI S. 340) enthält des Beherzigenswerthen viel. Es kann in der That nicht oft und kräftig genug auf die falsche Sicherheit aufmerksam gemacht werden, in welche ein äußerst großer und selbst ein sonst aufgeklärter Theil des Publicums sich durch das grundlose Vertrauen auf unvollkommene Schlösser einwiegen läßt. Auch ist es eine nicht abzuläugnende Thatsache, daß selbst die berühmten und oft angewendeten Sicherheitsschlösser von Chubb und von Bramah unter gewissen Voraussetzungen dem betrüglichen Oeffnen mittelst künstlicher Sperrwerkzeuge nicht gänzlich entgehen können. Die angedeuteten „Voraussetzungen“ sind: 1) daß die das Oeffnen unternehmende Person Gelegenheit habe eine geraume Zeit hindurch ungestört an dem Schlosse sich zu beschäftigen, und 2) daß jene Schlösser der neuesten dazu erfundenen Verbesserungen entbehren. In Beziehung auf den ersten Punkt verdient angeführt zu werden, daß der Amerikaner Hobbs – der renommirteste Schloßöffner der Neuzeit – i. J. 1851 zu London sich vier Wochen Frist zum Oeffnen eines Bramah-Schlosses ausgebeten hat und das Experiment erst nach 52stündiger wirklicher Arbeitszeit zum Ziele führte. Wollte man auch annehmen, daß ein derartiger Künstler während eines Tages 10 Stunden lang an dem Schlosse zu operiren im Stande sey, so entspricht jene Zeit doch einer fünftägigen Bemühung. Nun glaube ich, daß Jemand, der werthvolle Gegenstände unter Verschluß legt, jedenfalls dafür Sorge tragen oder Veranstaltungen treffen wird, einem Diebe das fünf Tage lange unbemerkte und ungestörte Verweilen bei der verschlossenen Thür etc. zu verwehren. In der Regel birgt man ja Schätze nicht in einsam gelegenen, von Menschen völlig unbeaufsichtigten Räumen! Die Sicherheit eines Schlosses im absoluten, mathematisch strengen Sinne verstanden, ist daher in der Regel durchaus nicht nöthig; und ich würde Millionen – falls ich sie besäße – in meiner Wohnung unter einem gut gearbeiteten Bramah-Schlosse für dermaßen sicher verwahrt erachten, daß die Ruhe meines Schlafes nicht durch die kleinste Besorgniß getrübt werden sollte. Aber der zweite oben erwähnte Umstand ist von noch größerer Bedeutung. Hr. Kessels hat die Schlösser von Chubb und Bramah seiner Betrachtung in einem Zustande zu Grunde gelegt, welcher bei denselben gegenwärtig meist gar nicht mehr vorhanden ist. Es wäre billig gewesen, den Nachweis über die Aufsperrbarkeit dieser Schlösser mit der Bemerkung zu begleiten, daß dieselben neuerlich mit Verbesserungen versehen worden sind, welche das heimliche Oeffnen nach den beschriebenen Methoden wo nicht völlig unmöglich machen, doch in einem außerordentlichen Grade erschweren. Von diesen Verbesserungen und von den ungemein erhöhten Schwierigkeiten, welche daraus für den Dieb entstehen, kommt aber in dem Aufsatze des Hrn. Kessels kein Wort vor. Dieß veranlaßt mich, zur Beruhigung des Publicums das Folgende mitzutheilen, worin allerdings für die Mehrzahl der Verfertiger von Chubb- und Bramah-Schlössern nichts Neues zu finden seyn wird. Ich darf dabei die Bauart dieser Schlösser und den ganzen Inhalt der Abhandlung des Hrn. Kessels als bekannt voraussetzen. Was zunächst das Chubb-Schloß betrifft, so habe ich bereits 1851 in London Exemplare desselben von derjenigen verbesserten Einrichtung gekauft, welche dem von Hrn. Kessels beschriebenen Kunstgriffe zum heimlichen Oeffnen Hohn spricht. Und, was als besonders verdienstlich gerühmt werden muß, diese Verbesserung ist so einfach, verursacht bei Anfertigung des Schlosses so ganz und gar keine nennenswerte Mehrarbeit, daß sie den Preis sicher nicht um einen Pfennig erhöht. Fig. 36 zeigt die Ansicht einer Chubb'schen verbesserten Zuhaltungsplatte. Mit dem Loche d steckt dieselbe wie gewöhnlich auf dem als Drehpunkt dienenden Stifte; die Fenster a, b und der Schlitz e sind ebenfalls wie sonst. Die Einschnitte o und p beziehen sich auf den von Chubb angebrachten „Wächter“ oder „Entdecker“, dessen Nutzen Hr. Kessels nicht nach Verdienst anzuschlagen scheint; denn dieser höchst sinnreiche Apparat verhindert sofort das Oeffnen des Schlosses unbedingt, wenn auch nur einen Augenblick lang irgend eine der Zuhaltungen etwas über die richtige Höhe gehoben wurde, und letzteres wird doch bei den Oeffnungsversuchen des Diebes zuweilen eintreten. Die einzige Neuerung besteht in der Kerbe n am innern Rande des Fensters a. Denkt man sich unter c den am Riegel festsitzenden Zuhaltungsstift; nimmt man ferner an, der Riegel erleide einen Druck nach Innen während die Zuhaltungsplatte langsam gehoben wird, so hört jeder Reibungswiderstand (aus dem der Dieb das Eintreten der richtigen Hebung erkennen soll) in dem Augenblick auf, wo der Stift c völlig vor die Kerbe n tritt. Schnappt nun der Stift in diese Kerbe ein, so hört jede Beweglichkeit der Zuhaltung, mithin jede Möglichkeit dieselbe bis zur richtigen Höhe zu heben, auf. Der Dieb hat selber der Fortsetzung seines Bemühens ein Hinderniß in den Weg gelegt. Findet aber das erwähnte Einschnappen nicht statt, so täuscht wenigstens das Aufhören des Reibungswiderstandes und verführt zu dem Glauben, es stehe der Schlitz e vor dem Stifte, sey also die richtige Stellung der Platte vorhanden. Natürlich ist der Dieb, welcher den Kunstgriff kennt, auf eine solche Täuschung vorbereitet; er wird also versuchen, ob er bei weiter fortgesetzter Hebung der Platte etwa einer zweiten reibungslosen Stelle begegne, welche in der That dann bemerkt wird, wenn später wirklich der Schlitz e bei dem Stifte c ankommt. Nun entsteht aber die Ungewißheit, welche von den beiden Stellungen mit mangelnder Reibung die richtige sey; der Dieb kann sich hierüber nicht entscheiden und es gebricht ihm überdieß an einem Mittel, die Platte in einer oder der andern von beiden Stellungen in Ruhe zu halten, was doch geschehen muß, bevor er diese Zuhaltung verlassen und zum versuchsweisen Heben einer andern sich wenden will. Bei Zuhaltungen, welche den größeren Theil des Fensters a unterhalb des Schlitzes e haben, ist auch die Kerbe oder der falsche Einschnitt n hier angebracht (Fig. 37); und gerade dadurch, daß bald die erste, bald die zweite reibungslose Stellung der Platte die richtige ist, wird die Täuschung für den Dieb unentwirrbar. Gehen wir zum Bramah-Schlosse! Die englischen Schloßfabrikanten bringen hier jetzt gewöhnlich die durch Fig. 38 und 39 erläuterten Verbesserungen an, welche anderwärts nachgeahmt und so z.B. auch von Kölbl in München (dessen Brahma-Schlösser auf der dortigen Industrie-Ausstellung 1854 verdiente Anerkennung fanden) ausgeführt werden. Die Einschnitte in der Sicherheitsplatte Fig. 38 sind von eigenthümlicher Gestalt, nicht in ihrer ganzen Länge von gleicher Breite, sondern aus aus einem schmalen Theile s und einem breiten Theile r zusammengesetzt; die Brüte von s entspricht der Dicke der Zuhaltungen oder gewöhnlich sogenannten Federn, welche in Fig. 39 abgebildet sind. Hier bemerkt man, daß jede Zuhaltung zwei Kerben enthält, eine tiefe u und eine seichte v; und daß die letztere bald über, bald unter der erstem angebracht ist. Sicht der seichte Einschnitt unten – wie im gegenwärtigen Beispiele an den Zuhaltungen 2 und 4 – so kommt beim versuchsweisen Niederdrücken einer solchen Zuhaltung dieser falsche Einschnitt zuerst in die Ebene der Sicherheitsplatte Fig. 38, womit sogleich aller (vorher durch das Drehungsbestreben des Cylinders erzeugte) Reibungswiderstand zwischen letzterer und der Zuhaltung aufhört, weil nun vermöge der Kerbe v die Zuhaltung den engen Einschnitt s nicht mehr berührt, die Wand des weiten Einschnittes r aber zu entfernt ist. Die übrigen Zuhaltungen verhindern die Drehung des Cylinders; sollte aber durch Anwendung einiger Gewalt auf den Cylinder derselbe wirklich so weit gedreht werden, daß die Zuhaltung ein wenig über die Wand des Einschnittes s hinaus gelangte, so würde die Kerbe v sich hier an der Sicherheitsplatte Fig. 38 fangen und nicht ferner hinabgeschoben werden können: der Dieb müßte danach glauben, den richtigen Stand der Zuhaltung erreicht zu haben, was doch keineswegs der Fall ist, sondern nur dann, wenn die tiefe Kerbe u in der Ebene der Sicherheitsplatte steht. Zu Vermehrung der Täuschung und Ungewißheit dient nun eben die Anordnung, daß bei einigen Zuhaltungen (hier 1, 3 und 5) der falsche Einschnitt erst nach dem wahren in die Sicherheitsplatte eintritt. Denn findet der Dieb successiv zwei reibungslose Stellen beim versuchsweisen Niederschieben einer Zuhaltung, so ist es ihm unmöglich zu erkennen, welche derselben der tiefen Kerbe – also dem richtigen Stand der Zuhaltung – entspricht. Bei großen Schlössern, deren Zuhaltungen die erforderliche Länge haben, könnte man zwei falsche Einschnitte an beliebigen Stellen anbringen. Bei dem gewöhnlichen Brahma-Schlosse werden alle Zuhaltungen durch eine und dieselbe Feder – welche inmitten des Cylinders schraubenförmig um den Schlüsseldorn gewunden ist – gehoben. Das Einschieber des Schlüssels drückt zuerst diese Feder zusammen und hebt ihre Wirkung gegen sämmtliche Zuhaltungen auf, so daß letztere beim nachherigen Niederschieben keinen andern Widerstand finden, als den von der Reibung veranlaßten. Dadurch eben wird es möglich, aus dem Aufhören dieses Widerstandes zu erkennen, wann eine Kerbe der Zuhaltung in die Sicherheitsplatte eingetreten ist. Hätte dagegen jede Zuhaltung ihre eigene besondere Feder, so würde ein stetiger, ja mit weiterem Niederdrücken der Zuhaltung sogar wachsender Widerstand entstehen und dem experimentirenden Diebe kaum mehr möglich seyn, durchs Gefühl den Augenblick der aufhörenden Reibung wahrzunehmen. Zu einer solchen Einrichtung fehlt in kleinen Schlössern der Raum; bei großen, an sich schon theureren Exemplaren (z.B. für eiserne Geldschränke u. dgl.) läßt sie sich aber ausführen und kommt auch die hieraus hervorgehende Preiserhöhung nicht in Betracht. Alsdann ändert man wohl auch die Gestalt und Wirkungsweise der Zuhaltungen ab, wie z.B. Fig. 40 (Durchschnitt der Schloßgehäusewand und der Cylinderwand mit einer der Zuhaltungen) und Fig. 41 (zwei Ansichten der Zuhaltung) zeigen. In Fig. 40 ist a, b das messingene Gehäuse, welches mittelst der Flantsche b auf dem Schloßdeckel angeschraubt wird; c, d der stählerne festsitzende Kopf des Gehäuses; k die ebenfalls stählerne, eingesenkte und angeschraubte Bodenplatte desselben Alle diese Theile sind unbeweglich. Innerhalb des Gehäuses aber dreht sich der messingene Cylinder e, e, dessen Wand z.B. sieben Bohrungen zur Aufnahme eben so vieler Zuhaltungen enthält. Der obere Theil n jeder Bohrung ist weiter als der untere 1; dem letztem entspricht beim Ruhestande des Cylinders genau ein Loch m in der Bodenplatte k. Der Bohrung n, l angemessen besteht jede Zuhaltung (Fig. 41) aus einem cylindrischen Stahlstifte g mit einer dünnern Fortsetzung i; um letztere ist eine schraubenförmige Feder gewunden, welche frei wirkend die Zuhaltung so hoch erhebt, daß ihr (in einer Spalte f des Cylinders gleitender) Lappen h gegen den untern Rand d des Kopfes c, d sich anlehnt, wodurch der Ruhestandpunkt gegeben ist. Die Länge aller Zuhaltungen ist genau gleich dem lichten Abstande zwischen dem Kopfe c, d und der Bodenplatte k; aber das Läppchen h sitzt an jeder Zuhaltung auf einer andern Höhe, wonach die Zuhaltung selbst oben mehr oder weniger tiefer in dem Kopfe c, d steckt und unten mehr oder weniger weit von der Platte k entfernt steht. Der in das Schlüsselloch A eingeführte Schlüssel wirkt mit den Einschnitten seines Rohres wie gewöhnlich auf die Läppchen h und muß jede Zuhaltung genau so weit niederschieben, daß sie weder oben noch unten aus dem Cylinder e hervorragt; dann nur läßt sich der Cylinder drehen, welcher mittelst einer eigenen (in unserer Zeichnung außer Acht gelassenen) Vorrichtung die Bewegung des Schloßriegels einleitet und vollführt. Würde die eine oder die andere Zuhaltung zu wenig oder zu viel geschoben, so hätte sie die Bohrung n im Kopfe c, d nicht gänzlich verlassen oder sie wäre in das Loch m der Bodenplatte eingetreten; durch dieses wie durch jenes wäre der Cylinder an der zum Oeffnen des Schlosses nöthigen Drehung verhindert. Eine Erscheinung von der Art, wie das Selbstfangen und Steckenbleiben der Zuhaltungen an der Sicherheitsplatte beim gewöhnlichen Bramah-Schloß ist (wodurch der Dieb den richtigen Stand der Zuhaltungen erkennen will), findet hier nicht statt; es bliebe dem heimlichen Versuchansteller als Anhaltspunkt nur die plötzliche Verminderung des Widerstandes, welche in dem Augenblicke eintritt, wo die in Angriff genommene Zuhaltung nicht mehr in c, d steckt, aber auch noch nicht in das Loch der Platte k gelangt ist. Aber einerseits ist dieser Augenblick ein außerordentlich kurzer, schnell vorübergehender; andererseits ist der größte Theil des Widerstandes gegen Schiebung der Zuhaltung durch die Feder der letztern erzeugt, und dieser Widerstand hört nicht auf, steigt sogar in dem Maaße wie die Feder mehr und mehr zusammengedrückt wird. Demzufolge ist kaum denkbar, daß irgend eine Menschenhand beim Gebrauche des von Hrn. Kessels beschriebenen – ohnehin etwas schweren – Sperrzeugs Feingefühl genug haben sollte, um die rechte Stellung der Zuhaltungen zu erforschen.

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