Titel: Ueber Rhodicit oder borsauren Kalk; von Professor W. Kletzinsky.
Fundstelle: Band 153, Jahrgang 1859, Nr. XCVI., S. 359
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XCVI. Ueber Rhodicit oder borsauren Kalk; von Professor W. Kletzinsky. Aus Stamm's neuesten Erfindungen, 1859, Nr. 28. Kletzinsky, über Rhodicit oder borsauren Kalk. Unter dem Namen Rhodicit ist durch Gustav Rose seit längerer Zeit ein namentlich zu Mursinsk vorkommendes Mineral bekannt geworden, das aus borsaurem Kalk besteht, tessularisch und meist tetraedisch krystallisirt, unvollkommene Theilbarkeit, eine weiße, gelbliche oder graue Farbe, den 8⁸. Härtegrad und das specifische Gewicht 3,318 besitzt; dieses Mineral gehört zur Gattung Boracit und zur Species des tetraedischen Werner'schen Boracits, der borsauren Magnesia, somit im Mohs'schen Mineralsysteme zur 10. Ordnung der Gemmen. Dieses relativ ziemlich seltene Mineral, der sibirische Rhodicit, hat bisher aus leicht begreiflichen Gründen ebensowenig als der Boracit eine technische Verwendung zu finden vermocht. Durch die dankenswerthe Bereitwilligkeit der HH. Droguisten Raabe und Röder zu Wien erhielt ich nun unter dem Namen Rhodicit ein neues Mineral von der Westküste Afrikas, dessen Ladungen bisher begierig vergriffen wurden, so daß es auf dem deutschen Continente ziemlich schwierig war, sich dasselbe zu verschaffen; dieser afrikanische Rhodicit bietet einerseits so bedeutende Verschiedenheiten in seiner Zusammensetzung von dem sibirischen dar, und bietet andererseits bei seiner Mächtigkeit und seinem Preise von 30 fl. per Centner eine so nahe gerückte technische Zukunft, daß es die Pflicht der Wissenschaft seyn dürfte alle Consumenten der Borpräparate, Metallurgen, Färber, Kerzenfabrikanten, Mangansiccativbereiter und chemische Fabriken überhaupt, auf diesen neuen beachtenswerthen Concurrenzartikel des Sassolins, Tinkals und Boraxes namentlich unter den jetzigen Zeitverhältnissen, dringend aufmerksam zu machen. Der afrikanische Rhodicit, für den ich den bezeichnenderen Namen Boraxkalk oder Tinkalcit vorschlage, gehört entschieden seinem mineralogischen Aeußern nach nicht zu den Gemmen, sondern entweder in die Classe der Geogenide zur Ordnung der Haloide, zur Gattung des kaukasischen Hydroboracites oder zur ersten Classe der Akrogenide, zur 4. Ordnung der Salze und dann am nächsten zur Gattung des Brithynsalzes, wo er alsdann einen Glauberit oder Brongniartin darstellt, in welchem die Schwefelsäure durch Borsäure vertreten ist. Dieser afrikanische Rhodicit, Boraxkalk oder Tinkalcit kommt in verschieden großen, rundlichen, lockeren, beim Anbruche blendend weißen, faserigen, seideglänzenden Knollen vor, deren kleinste circa 5, deren größte circa 35 Gramme schwer ist, deren Gewichte also von 1 Quentchen bis zu 2 Lothen wechseln. Aus zahlreichen Bestimmungen ergab sich das Mittelgewicht einer Knolle zu fast 17 Grammen oder circa 1 Loth. Die Härte wechselte zwischen dem 1. und 2. Grade der Mohs'schen Scala; das specifische Gewicht bestimmte sich zu 1,9212. Das Gefüge ist faserig, prismatisch krystallinisch; das gepulverte Mineral ist im Wasser theilweise mit alkalischer Reaction, in Essigsäure vollständig löslich. Die äußere Rinde der Knollen ist stellenweise reicher an Steinsalz und in die Knollen selbst sind hie und da, manchmal bis in den Kern, anhydritische Gypskrystalle eingewachsen. Fluor, Jod und Brom, Kalium, Lithium, Aluminium, Baryum und Strontium, auf die, aus naheliegenden Gründen, speciell und genauer geprüft wurde, sind durch die empfindlichsten Reagentien nicht einmal spurenweise aufzufinden gewesen. Die zahlreichen mit diesem Minerale gepflogenen quantitativen Untersuchungen ergaben folgende Zusammensetzung in 100 Theilen: Borsäure   36,91 Chlor     1,33 Schwefelsäure     0,50 Kalk   14,02 Natron   10,13 Wasser   37,40 –––––– 100,29 Der geringe Fehler von 0,29 Proc. gebührt den unvermeidlichen Mangeln der analytischen Bestimmungen. Zugleich wurde eine unwägbare Spur Magnesia gefunden; hieraus berechnet sich folgende nähere Zusammensetzung des Minerals in 100 Theilen: borsaurer Kalk BO³, CaO + 2 aq.   40,96 Borax (Tinkal) 2 BO³, NaO + 10 aq.   52,91 Kochsalz (Steinsalz) Cl Na     2,20 Glaubersalz (mit Spuren von Bittersalz)  SO³, NaO (SO³, NgO)     0,88 Wasser (hygroskopische Feuchtigkeit)     3,05 –––––– 100,00 Sieht man von den geringen, circa 6 Proc. betragenden Verunreinigungen mit Kochsalz, Glaubersalz, Bittersalz und Wasser ab, so ließe sich die Constitution des Tinkalcits durch folgende Formel ausdrücken: BO³, CaO + 2HO, 2BO³, NaO + 10 aq. d.h. borsaurer Kalk und doppeltborsaures Natron oder sibirischer Rhodicit und Tinkal sind die Bestandtheile des afrikanischen Rhodicites, worin auch die vorgeschlagenen Namen Boraxkalk und Tinkalcit ihre Erklärung und Berechtigung finden. Dieses interessante Metall enthält somit 41 Proc. borsauren Kalk und 53 Proc. Borax, oder im Ganzen 37 Proc. Borsäure, also genau soviel, als guter Borax und Tinkal enthält; da sich ferner dieses Mineral mit größter Leichtigkeit durch Kochen mit einer Lösung von kohlensaurem Natron vollständig zerlegen läßt und unter Abscheidung von kohlensaurem Kalk oder Kreideschlamm eine Boraxlösung liefert, die durch Abdampfen krystallisirt werden kann, so glauben wir unsere Eingangs gemachte Empfehlung vollkommen gerechtfertigt zu haben. 1 Centner Rhodicit in gemahlenem oder gepulvertem Zustand unter öfterm Umrühren durch ein paar Stunden mit einer verdünnten Lösung von 30 Pfund calcinirter Soda in 12 Eimern Wasser gekocht, hierauf vom abgesetzten Kreideschlamm geklärt, liefert beim Auskrystallisiren wieder 1 Centner Borax. Uebrigens ist in manchen Anwendungsfällen eine derartige Zerlegung nicht einmal nöthig; so scheidet das Mineral, mit verdünnter Schwefelsäure zerrührt, freie Borsäure aus, die in Lösung tritt und zum Beizen der Kerzendochte etc. direct benützt werden kann; so schmilzt das Mineral für sich allein mit ziemlicher Leichtigkeit zu einem farblosen Glase; Glashütten, die feine eisenfreie optische und Krystallgläser erzeugen und die Fabriken metallfreien Emails werden sich insbesondere mit großem Vortheile dieses neuen Handelsartikels bemächtigen können.