Titel: Verhalten des Chlorkalks bei nach und nach erfolgender Behandlung mit Wasser, nebst Bemerkungen in Betreff seiner Constitution; von Dr. R. Fresenius.
Fundstelle: Band 161, Jahrgang 1861, Nr. CXXVIII., S. 444
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CXXVIII. Verhalten des Chlorkalks bei nach und nach erfolgender Behandlung mit Wasser, nebst Bemerkungen in Betreff seiner Constitution; von Dr. R. Fresenius. Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, 1861, Bd. CXVIII S. 317. Fresenius, über das Verhalten des Chlorkalks bei nach und nach erfolgender Behandlung mit Wasser. Im festen Chlorkalke nehmen viele Chemiker ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalk mit Chlorcalcium und Kalkhydrat, andere eine Verbindung der beiden Salze, gemengt mit Kalkhydrat, an, während Millon den Chlorkalk als gemengt mit Kalkhydrat, glaubte betrachten zu können. – Das Verhalten des Chlorkalks beim fortgesetzten Behandeln mit kleineren Wassermengen schien geeignet, in dieser Frage einiges Licht zu geben. Ich ersuchte daher Hrn. F. Rose aus Lippstadt, in der genannten Beziehung eine Reihe von Versuchen anzustellen, und es löste derselbe die Aufgabe mit eben so viel Ausdauer als Sorgfalt und Geschick. Ich theile im Folgenden zuerst die Art mit, wie die Untersuchung ausgeführt wurde, sodann die Resultate, welche sie lieferte, und endlich die Schlüsse, welche sich aus diesen ziehen lassen. 1) Der zur Untersuchung verwandte Chlorkalk war frisch und aus der Mitte eines 5 Centner enthaltenden Fasses genommen. Er enthielt, nach Bunsen's Methode geprüft, im Mittel dreier gut übereinstimmender Versuche 16,25 Proc. unterchlorige Säure, entsprechend 26,52 Proc. wirksamen Chlors nach gewöhnlicher Bezeichnungsweise. – Zur Bestimmung des gesammten Chlors wurde eine abgewogene Menge Chlorkalk zunächst mit Wasser und Ammoniak andauernd erwärmt. Nachdem so die unterchlorige Säure vollständig zerstört war, säuerte man mit Salpetersäure schwach an, stumpfte den Ueberschuß mit kohlensaurem Natron vorsichtig ab und bestimmte das Chlor unter Anwendung von chromsaurem Kali mit Zehntel-Normal-Silberlösung. 0,247 Grm. erforderten 20,6 Kub. Cent., entsprechend 29,57 Proc. gesammtem Chlor. Durch Abziehen des in der unterchlorigen Säure enthaltenen Chlors von der gesammten Chlormenge ließ sich das an Calcium gebundene Chlor ermitteln. – Der Kalk wurde mit oxalsaurem Ammon gefällt. In zwei Bestimmungen erhielt man 46,35 und 46,40, im Mittel 46,37 Proc. Aus diesen Zahlen berechnet sich folgende procentische Zusammensetzung: Aequivalente Unterchlorigsaurer Kalk   26,72 1,00 Chlorcalcium   25,51 1,23 Kalk   23,05 2,20 Gebundenes Wasser und Feuchtigkeit   24,72 –––––– 100,00, welche man zur Gewinnung einer besseren Uebersicht auch so darstellen kann: Aequivalente Unterchlorigsaurer Kalk   26,72       1,00 Chlorcalcium, zum unterchlorigsauren Kalk im    Verhältniß 1 Aeq. : 1 Aeq. stehend   20,72       1,00 Chlorcalcium, überschüssiges     4,79       0,23 Kalkhydrat (CaO, HO)   30,46       2,20 Weiteres gebundenes Wasser und Feuchtigkeit   17,31 –––––– 100,00. Die Richtigkeit dieser Zusammensetzung wurde auf folgende Weise controlirt: 0,5352 Grm. Chlorkalk brachte man in einen Kolben, fügte 15 Kub. Cent. Normal-Salzsäure hinzu und kochte gelinde, während durch ein mehrere Fuß langes, schief aufwärts gerichtetes Glasrohr das Entweichen von Salzsäure verhindert wurde. Nachdem alles Chlor ausgetrieben war, titrirte man mit Normalnatronlauge zurück und gebrauchte 6,6 Kub. Cent., somit waren 15 – 6,6 = 8,4 Salzsäure gebunden oder zersetzt. Ein zweiter Versuch lieferte fast genau dasselbe Resultat. 100 Grm. Chlorkalk hätten somit 1569 Kub. Cent. Normal-Salzsäure, entsprechend 57,206 Chlorwasserstoff, gebunden oder zerstört. Es entsprechen nun: a. Die in dem Chlorkalke vorhandenen, aus 26,72 CaO, ClO und20,72 CaCl bestehenden 47,44 Proc. normalen ätzkalkfreienChlorkalkes, wasserfreiem Chlorwasserstoff 27,24 denn (CaO, ClO + CaCl) + 2 Aeq. ClH = 2 CaCl + 2 HO + 2 Cl. b. Die 23,05 Kalk (oder 30,46 Kalkhydrat) 30,01 ––––– 57,25 welche Zahl mit der direct gefundenen (57,206) fast vollkommen gleich ist. Der den 4,79 Chlorcalcium der obigen Zusammenstellung entsprechende Kalk hatte somit keine Salzsäure in Anspruch genommen, woraus folgt, daß das genannte Chlorcalcium als, im Hinblick auf den vorhandenen unterchlorigsauren Kalk, überschüssiges Chlorcalcium zugegen war. 2) Da es sich bei vorläufigen Versuchen herausgestellt hatte, daß der Chlorkalk auf einem Filter sich nicht auswaschen ließ, indem sich die Poren des letzteren sehr bald verstopften, verfuhr man zur allmählichen Extraction desselben mit Wasser auf folgende Weise: 50 Grm. wurden mit etwa 80 Kub. Cent. Wasser zu einem dünnen Brei angerieben und dieser auf ein faltiges Filter gebracht. Das in der Reibschale Anhaftende entfernte man möglichst mit einem Hornspatel; Nachspülwasser wurde nicht angewandt. Bei den zwei angestellten Versuchsreihen ergaben sich ungefähr 20 Kub. Cent. Filtrat. – Nach vollständigem Abtropfen wurde das Filter aus dem Trichter genommen, auf einer Glasplatte ausgebreitet und das darauf Befindliche mit dem Hornspatel und durch Abspritzen in die (ausgewaschene) Reibschale gebracht. Nachdem es wieder mit Wasser angerieben war, brachte man es auf ein neues faltiges Filter. Bei beiden Versuchsreihen ergaben sich jetzt etwa 30 Kub. Cent. Filtrat. Nach dem Ablaufen verfuhr man wieder wie oben. Dieses dritte Filtrat betrug wenig mehr als 100 Kub. Cent. Vom vierten Abreiben erhielt man etwa 120, vom fünften 150, vom sechsten und siebenten etwas mehr, vom achten über 200, vom neunten und (nur bei der ersten Versuchsreihe) zehnten über 300 Kub. Cent. – Genaues Nachmessen der Filtrate zum Behufe einer Vergleichung der Summe ihrer Gehalte mit dem des verwandten Chlorkalks war zwecklos, da jedesmal in der Reibschale und auf den Filtern kleine Quantitäten hängen blieben und verloren giengen. Deßhalb wurden auch nur annähernd gleiche Mengen Wasser zu den gleichen Filtratnummern beider Versuchsreihen verwandt. Um Zersetzung der erhaltenen Lösungen beim Stehen an der Luft zu vermeiden, versäumte man nie, die Filtrate unmittelbar nach dem Abtropfen zu analysiren. Die unterchlorige Säure wurde bei den Filtraten 1 bis 8 inclusive mit Penot'scher Lösung, von der 1000 Kub. Cent. 3,1776 Grm. Chlor oder 1,9473 Grm. unterchloriger Säure entsprachen, bestimmt, bei den sehr verdünnten Filtraten 9 und 10 dagegen nach der Bunsen'schen Methode, – die gesammte Menge des Chlors bestimmte man so, wie es oben bei der Analyse des Chlorkalks angegeben worden ist. Der mit Wasser erschöpfte Rückstand wurde schließlich mit 100 Kub. Cent. Wasser zu einer gleichmäßigen Milch angerieben und auch diese in beschriebener Weise auf unterchlorige Säure und Gesammtchlor geprüft. 3) Die Resultate der so ausgeführten Analysen sind im Folgenden zusammengestellt. Versuchsreihe I. 100 Theile der Auszüge enthalten: Filtrat unterchlorigeSäure der unterchlorigenSäure entsprechendeswirksames Chlor(43,46 : 70,92) gesammtesChlor   1. 2,7598 4,5043 12,4464   2. 3,1785 5,1875   7,4820   3. 2,2487 3,6701   3,5016   4. 0,9735 1,5888   1,4272   5. 0,2842 0,4639   0,4219   6. 0,0973 0,1588   0,1560   7. 0,0366 0,0597   0,0610   8. 0,0078 0,0127   9. 0,0036 0,0060   0,0073 10. 0,0023 0,0038   0,0047 AufgeschlämmterRückstand 0,0845 0,1379   0,0895 Versuchsreihe II Filtrat unterchlorigeSäure der unterchlorigenSäure entsprechendeswirksames Chlor gesammtesChlor 1. 2,8426 4,6393 13,3152 2. 3,1541 5,1477 7,5707 3. 2,8523 4,6551 4,5566 4. 1,6744 2,7327 2,5708 5. 0,8664 1,4140 1,3208 6. 0,3348 0,5465 0,4964 7. 0,1255 0,2049 0,1861 8. 0,0365 0,0596 0,0532 9. 0,0107 0,0175 0,0213 AufgeschlämmterRückstand 0,0915 0,1494 0,0922 4) Berechnet man nun die unterchlorige Säure auf unterchlorigsauren Kalk, zieht das darin enthaltene Chlor von dem Gesammtchlor ab, und berechnet aus dem Reste des Chlors die Mengen des in den Filtraten enthaltenen Chlorcalciums, so erhält man folgende Resultate: Versuchsreihe I. 100 Theile der Auszüge enthalten: Filtrat unterchlorigsaurenKalk Chlorcalcium auf 1 Aeq. CaO,ClO kommen somitAeq. CaCl   1. 4,5371 15,9437 4,5279   2. 5,2254   7,6451 1,8851   3. 3,6968   2,6064 0,9084   4. 1,6004   0,9897 0,7968   5. 0,4672   0,2971 0,8193   6. 0,1600   0,1198 0,9647   7. 0,0602   0,0487 1,0422   8. 0,0128   9. 0,0060   0,0067 1,4319 10. 0,0039   0,0043 1,4521 Rückstand 0,1389   0,0321 0,2981 Versuchsreihe II.   1. 4,6732 17,1971 4,7416   2. 5,1853   7,8152 1,9420   3. 4,6892   3,4862 0,9579   4. 2,7527   1,8838 0,8818   5. 1,4243   0,9599 0,8684   6. 0,5504   0,3489 0,8168   7. 0,2064   0,1309 0,8170   8. 0,0600   0,0366 0,7856   9. 0,0176   0,0196 1,4355 Rückstand 0,1505   0,0273 0,2341 5) Aus diesen Thatsachen ergeben sich nun folgende Schlüsse: a. Die bei dem ersten Anreiben der 50 Grm. Chlorkalk mit Wasser verwandte, etwa 80 Kub. Cent. Wasser betragende Wassermenge genügte vollkommen, um alles vorhandene Chlorcalcium (12,75 Grm.) zu lösen. Die ablaufenden 20 Kub. Cent. Filtrat enthielten davon 3,2 Grm., die mechanisch zurückgehaltene Chlorcalciumlösung (etwa 60 Kub. Cent.) enthielt den Rest, somit 9,55 Grm. – Beim zweiten Anreiben wurden etwa 65 Kub. Cent. Wasser zugesetzt; es entstand somit eine Flüssigkeit, welche in etwa 125 Kub. Cent. 9,55 Chlorcalcium, also ungefähr einen Procentgehalt enthielt, wie ihn das Filtrat Nr. 2 wirklich zeigte. In derselben Weise erklärt sich nun auch der im Verhältniß des weiter hinzugekommenen Wassers stets abnehmende Chlorcalciumgehalt der folgenden Filtrate. b. Anders verhielt sich die Sache bei dem unterchlorigsauren Kalk. Dieser kam durch die beim ersten Abreiben angewandte Wassermenge offenbar nur unvollständig in Lösung. Das Wasser war vom Chlorcalcium schon zu sehr in Anspruch genommen, auch genügte wohl dessen Menge überhaupt nicht (die Löslichkeit reinen unterchlorigsauren Kalks ist nicht bekannt). – Beim zweiten Abreiben trat das Chlorcalcium weniger hemmend auf, und da es an ungelöstem unterchlorigsaurem Kalk nicht fehlte, so mußte das Filtrat, wie dieß auch der Fall war, reicher an unterchlorigsaurem Kalk seyn, als das erste. – Beim dritten Anreiben traf das Wasser noch immer auf ungelösten unterchlorigsauren Kalk, wie der noch hohe Gehalt des Filtrates Nr. 3 erweist, aber der unterchlorigsaure Kalk reichte zur Sättigung des Wassers nicht mehr hin, wie sich daraus ersehen läßt, daß das Filtrat Nr. 3 ärmer war als das Filtrat Nr. 2. – Da von Nr. 3 an aller unterchlorigsaure Kalk gelöst war, so nehmen nunmehr die Gehalte daran bei den weiteren Filtraten rasch ab. c. Von der Abreibung Nr. 3 an war somit sowohl alles Chlorcalcium wie aller unterchlorigsaure Kalk gelöst, daher mußte auch das Verhältniß zwischen Chlorcalcium und unterchlorigsaurem Kalk von da an sich gleich bleiben, was auch, von kleinen Abweichungen abgesehen, der Fall war. d. Da sich nun aus den Gehalten der Filtrate, wie gezeigt worden, ergibt, daß das Chlorcalcium schon bei der ersten, der unterchlorigsaure Kalk aber erst bei der dritten Abreibung vollständig in Lösung kam, so ist man gezwungen anzunehmen, entweder daß beide nur gemengt sind, oder aber, daß sie eine durch Wasser sofort in Chlorcalcium und unterchlorigsauren Kalk zersetzbare Verbindung bilden. e. Was das im Chlorkalk enthaltene Kalkhydrat betrifft, so halte ich dafür, daß es mit dem Chlorcalcium zu basischem Chlorcalcium verbunden ist. Nur bei dieser Annahme erklärt es sich, weßhalb 4 Aeq. festes Kalkhydrat nur 2 Aeq. Chlor aufnehmen. Bei Einwirkung von Wasser zerfällt diese Verbindung, wie wir dieß auch an der krystallisirten Verbindung 3 CaO, CaCl + 16 aq. sehen, in sich lösendes Chlorcalcium und in Kalkhydrat. f. Das ganze Verhalten des festen Chlorkalks erklärt sich somit aus der Annahme, daß derselbe ein Gemenge sey von 1 Aeq. CaO, ClO mit 1 Aeq. basischem Chlorcalcium von der Formel CaCl, 2 CaO + 4 aq. g. Das bei Wassereinwirkung aus dem basischen Chlorcalcium ausgeschiedene Kalkhydrat übt übrigens unverkennbar noch eine gewisse Kraft der Anziehung auf das Chlorcalcium wie auf den unterchlorigsauren Kalk aus. Dieselbe blieb sich bei den Abreibungen 3 bis 8 ziemlich gleich, von da an aber (also bei der Einwirkung größerer Wassermengen) ließ sie für das Chlorcalcium nach, während sie für den unterchlorigsauren Kalk fortbestand. So erklärt es sich, weßhalb bei Nr. 9 und 10 auf 1 Aeq. unterchlorigsauren Kalk plötzlich 1,4 Aeq. Chlorcalcium auftreten, und weßhalb im Rückstände der unterchlorigsaure Kalk zum Chlorcalcium in ganz anderem Verhältnisse auftrat, als im letzten Filtrate, nämlich in dem von 1 Aeq. zu 0,26 Aeq. h. Der zuletzt erwähnte Umstand erklärt es auch, warum man bei Chlorkalkprüfungen nur dann ein richtiges Resultat erhält, wenn man die durch Abreiben und Schütteln mit Wasser dargestellte gleichmäßige Milch verwendet, während es etwas zu niedrig ausfällt, wenn man sich der durch Absetzen geklärten Lösung bedient, und etwas zu hoch, wenn man den abgesetzten dickeren Theil der Milch in Gebrauch nimmt.