Titel: Ueber die Festigkeit des Stahls bei verschiedenem Kohlenstoffgehalt; von T. E. Vickers in Sheffield.
Fundstelle: Band 164, Jahrgang 1862, Nr. CXIX., S. 435
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CXIX. Ueber die Festigkeit des Stahls bei verschiedenem Kohlenstoffgehalt; von T. E. Vickers in Sheffield. Vorgetragen in der Institution of Mechanical Engineers> – Aus dem London Journal of arts, März 1861, S. 161; durch das polytechnische Centralblatt, 1862 S. 585. Vickers, über die Festigkeit des Stahls bei verschiedenem Kohlenstoffgehalt. Schmiedeeisen, Stahl und Gußeisen unterscheiden sich bekanntlich durch ihren Kohlenstoffgehalt von einander. Schmiedeeisen enthält 1/8 bis 1/2 Procent Kohlenstoff, Stahl 3/8 bis 2 Proc. und Gußeisen 2 1/2 bis 7 Proc. Ueber die Beziehungen zwischen der Festigkeit des Stahls und seinem Kohlenstoffgehalt herrschen so verschiedene Ansichten, daß der Verf. sich veranlaßt sah, Versuche hierüber anzustellen. Die Resultate derselben und die Schlußfolgerungen, zu welchen dieselben führen, enthalten die nachfolgenden Zeilen. Der Kohlenstoffgehalt in den untersuchten Stahlproben betrug von 1/3 bis 1/4 Proc., der weichste oder kohlenstoffärmste wurde mit Nr. 2, der härteste oder kohlenstoffreichste mit Nr. 20 bezeichnet, und die zwischen inne liegenden Nummern entsprechen den zwischen inne liegenden Kohlenstoffgehalten. Die Versuche selbst bezogen sich auf Zerreißungs- und auf Bruchfestigkeit. Die Zerreißungsfestigkeit wurde durch directen Zug ermittelt, und die Bruchfestigkeit durch die Schläge eines schweren Klotzes, welche man auf die Stahlstäbe wirken ließ. Zerreißungsfestigkeit. Die Zerreißungsfestigkeit wurde vermittelst einer Hebelübersetzung von 20 : 1 (220 Zoll und 11 Zoll) gemessen, so daß jeder Ctr. auf der Waagschale an dem langen Hebelarme die Wirkung einer Tonne an dem kurzen Hebelarme, der auf den Versuchsstab wirkte, hervorbrachte. Die Versuchsstäbe waren 21 1/2 Zoll lang und auf 14 Zoll ihrer Länge nach ein Zoll Durchmesser abgedreht. Um das Befestigen der Stäbe in der Versuchsmaschine und das Herausnehmen derselben nach dem Bruche zu erleichtern, hatte man ihnen an den Enden eine keilförmige Gestalt gegeben. Das untere Ende wurde durch einen Längenschlitz in eine conische Pfanne der Unterlagsplatte hereingeschoben, dann der Stab halb herumgedreht, und hierauf das obere Ende in der keilförmigen Klammer der Doppelplatte befestigt. Die folgende Tabelle, in welcher die Versuchsresultate zusammengestellt sind, gibt das Bruchgewicht in Tonnen auf den Quadratzoll, sowie die entsprechende Verlängerung an. Die Verlängerung wurde nach jeder Gewichtszulage gemessen, und die für dieselbe in der Tabelle angegebenen Maaße bezeichnen die letzte Verlängerung, welche vor dem Auflegen des letzten, den Bruch veranlassenden Centners auf die Waagschale beobachtet wurde. Die Tabelle zeigt, daß bis zu 1 1/4 Proc. Kohlenstoffgehalt der Widerstand des Stahls gegen das Zerreißen um so größer wird, je größer der Gehalt an Kohlenstoff ist. Bei 1 1/4 Proc. beträgt dieser Widerstand 69 Tonnen per Quadratzoll. Bei größerem Gehalt an Kohlenstoff nimmt die Festigkeit ab und kann endlich bis zu 6 bis 6 1/2 Tonnen sinken. Wenn der Versuchsstab nur an einer Stelle auf kurze Länge eingedreht ist, so erhält man ganz andere Resultate, als wenn der Stab über eine größere Länge abgedreht ist. So ergab ein Stahlstab, der nur an einem Punkte bis auf 3/4 Zoll Durchmesser eingedreht war, eine Widerstandsfähigkeit von 79 1/2 Tonnen per Quadratzoll bis zum Bruche, während ein Stab aus der gleichen Stahlsorte, der auf 14 Zoll Länge mit 1 Zoll Durchmesser abgedreht war, schon bei 60 Tonnen per Quadratzoll abriß. Widerstand gegen das Zerreißen. BezeichnungderStahlsorte. GehaltanKohlenstoff. Belastungper Quadratzollbeim Zerreißen. Verlängerung. Proc. Tonnen. Zoll. Nr. 2 0,33 30,4 1,37 „   4 0,43 34,0 1,37 „   5 0,48 37,5 1,25 „   6 0,53 42,5 1,12 „   7Dieser Stab hatte ein Rißchen. 0,58 41,5 0,81 „   8 0,63 45,0 1,00 „ 10 0,74 45,5 0,69 „ 12 0,84 55,0 1,12 „ 15 1,00 60,0 1,00 „ 20 1,25 69,0 0,62 Bruchfestigkeit. Um die Bruchfestigkeit zu untersuchen, stellte man Achsen aus den verschiedenen Stahlsorten her und unterwarf dieselben den Schlägen eines schweren Rammklotzes, bis sie zerbrachen. Die Achsen waren in der Mitte auf 3,94 Zoll und an den Enden auf 4,25 Zoll abgedreht, und ihre Auflagerungspunkte lagen um 3 Fuß von einander entfernt; wenn sie durch die Schläge des Klotzes bedeutend eingebogen waren, wurden sie herumgedreht. Der Rammklotz wog 1547 Pfd.; die Fallhöhe begann mit 1 Fuß und wurde bis zu 36 Fuß gesteigert, wenn nicht die Achse schon vorher gebrochen war. Für jede Stahlsorte wurde die Zahl der Schläge, die jedesmalige Fallhöhe und die dadurch verursachte Einbiegung notirt. So hielt z.B. Nr. 4 mit 0,43 Proc. Kohlenstoffgehalt bis zum Bruche 5 Schläge mit 36 Fuß Fallhöhe aus, nachdem es schon vorher 12 Schläge mit geringeren Fallhöhen erhalten hatte. Die Summe aller durch diese Schläge hervorgebrachten Einbiegungen betrug 56 Zoll. Auch drei schmiedeeiserne Achsen wurden in derselben Weise untersucht. Die Versuche lehrten, daß für den Widerstand gegen plötzliche und starke Stöße das Metall möglichst wenig Kohlenstoff enthalten muß, vorausgesetzt, daß es rein und nicht unganz ist. Die letzteren Forderungen kann man an Schmiedeeisen und Puddelstahl nicht stellen; es bleibt daher nur der Gußstahl übrig, und zwar solcher, der nur so viel Kohlenstoff enthält, als nöthig ist, um ihn schmelzbar zu machen. Denn nur durch den Schmelzproceß kann der Stahl von den Unreinigkeiten befreit werden, die das Eisen, aus dem er gewonnen wird, noch enthält. Nichts ist dem Stahl und Eisen verderblicher, als Ueberhitzung und zu häufig wiederholte Erhitzung; aus diesem Grunde ist auch anzunehmen, daß mit jeder Schweißung das Metall mehr oder weniger an Güte verliert. Gußstahl hat vor allen anderen im Gebrauche stehenden Materialien den großen Vorzug, daß er, Erschütterungen ausgesetzt, am wenigsten zum Krystallisiren geneigt ist. Er besteht schon an und für sich aus Krystallen und diese Krystalle verändern ihre Form nur dann, wenn sie einer Ueberhitzung ausgesetzt werden. Es wurden Gußstahl und schwedisches Schmiedeeisen gleich starken, wiederholten Schlägen, Stößen und Erschütterungen ausgesetzt, und dabei stellte sich heraus, daß lange Zeit hindurch der Gußstahl seinen natürlichen krystallinischen Zustand nicht veränderte, während das schwedische Eisen schon sehr bald brach und auf der Bruchfläche eine wesentlich veränderte Textur zeigte. Für die meisten Zwecke des Maschinenbaues ist das beste Material dasjenige, welches sowohl gegen das Zerreißen, als gegen das Zerbrechen den wünschenswerthen Widerstand leistet; als ein solches ist, wie aus der Vergleichung der vorstehenden Tabelle mit der nachstehenden hervorgeht, Nr. 8 bis 10, also ein Stahl mit 5/8 bis 3/4 Proc. Kohlenstoffgehalt zu empfehlen. Derselbe bietet immer noch einen Widerstand von 40 bis 45 Tonnen auf den Quadratzoll gegen das Zerreißen und ist andererseits auch noch nicht so spröde, daß er der Gefahr des Zerbrechens zu sehr ausgesetzt wäre. Welche Sorten man in speciellen Fällen, wo der eine oder andere Widerstand der vorwiegende ist, anwenden muß, darüber geben die beiden Tabellen ebenfalls Aufschluß. Widerstand gegen das Zerbrechen. Bezeichnungder Stahlsorte. Gehalt an Kohlenstoff. Summeder Einbiegungen. Proc. Zoll. Nr. 2 0,33 58,81 „    4 0,43 56,00 „    5 0,48 53,56 „    6 0,53 35,06 „    7 0,58 38,81 „    8 0,63 46,00 „  10 0,74 40,31 „  12 0,84   8,56 „  15 1,00   4,31 „  20 1,25   6,94 Als ein Beweis von der großen Festigkeit des Gußstahls dient schon der Umstand, daß rohe Gußstücke aus Stahl, die keinerlei Bearbeitung unter Hämmern, Walzen oder dergleichen unterlegen haben, schon an und für sich einen sehr hohen Grad von Festigkeit und Zähigkeit besitzen, und daß in dieser Beziehung kein anderes Material dem Gußstahl nur nahe kommt. Hieraus zieht man den Vortheil, daß man Gußstahlglocken um 1/3 leichter macht, als Metallglocken von gleichem Durchmesser, und doch besitzen die leichteren Stahlglocken noch eine doppelt so große Festigkeit als die schwereren Metallglocken. Dabei haben sie auch noch den Vortheil, daß sie nicht so leicht brechen, wenn sie bei starker Kälte Erschütterungen ausgesetzt werden. So wird z.B. in Rußland und Canada noch bei – 30° C. mit stählernen Glocken geläutet, während man bei Metallglocken dieß nicht wagen dürfte, ohne Bruch befürchten zu müssen. Die nämlichen Eigenschaften führten auch zu der Anfertigung gußstählerner Scheibenräder, mit ihren Spurkranzreifen aus einem Stücke, für Eisenbahnwagen und Locomotiven. Ein solches Rad wurde einem Versuche unterworfen. Das Rad wurde auf eine Achse aufgesteckt, die zu beiden Enden fest aufgelagert war, und gegen den Spurkranz desselben ließ man an einer 24 Fuß langen Eisenstange eine Kugel von 830 Pfd. Gewicht niederfallen. Nach 9 Schlägen mit 1 bis 14 Fuß Fallhöhe war die Achse so stark gebogen, daß die Kugel nicht mehr das Rad treffen konnte; darauf wurde das Rad mit der Achse herumgedreht, so daß die Schläge die entgegengesetzte Seite des Rades trafen, und das Schlagen so lange fortgesetzt, bis die Achse wieder gerade war; dann stützte man die Achse ab und gab noch zwei Schläge mit 15 bis 16 Fuß Fallhöhe, ohne daß das Rad irgend welche Beschädigung erlitt.