Titel: Ueber ein neues Flachs-Röstverfahren.
Fundstelle: Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XCV., S. 357
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XCV. Ueber ein neues Flachs-Röstverfahren. Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1862 S. 319. Ueber ein neues Flachs-Röstverfahren. Im Journal de la Société centrale d'Agriculture geben die Herren Tack, J. Rey der Aeltere und v. Van de Broeck aus Brüssel unter dem 10. Nov. 1862 folgenden Bericht über das Lefebure'sche Flachs-Röstverfahren. In einem Brief vom 10. Mai v. J. bat das Mitglied der Société centrale, Hr. Lefebure, den Verwaltungsrath, eine Commission behufs Prüfung des in seiner Fabrik zu Brüssel angewendeten Verfahrens zu ernennen. Dasselbe zielt auf nichts geringeres ab als auf die gänzliche Beseitigung der Feldrotte und der damit verbundenen Nachtheile und Gefahren. Wir haben weder die Absicht noch die Muße, uns über die verschiedenen Methoden zu verbreiten, die man seit längerer Zeit mit mehr oder weniger Erfolg behufs Verbesserung des gewöhnlichen Röstverfahrens eingeschlagen hat. Unsere Aufgabe beschränkt sich darauf, die bezeichnete Methode zu prüfen, und unser Urtheil, welches sich nur auf die uns vorgelegte Sache erstreckt, schließt weder Lob noch Tadel der anderen, gebräuchlichen Methoden ein. Nach Voranschickung dieser Erklärung wollen wir uns über das in Rede stehende Verfahren offen und unumwunden äußern. Jeder weiß, daß der Flachsstengel keineswegs bloß aus spinnbaren Fasern gebildet wird, daß vielmehr die letzteren von einer zellenartigen Masse eingeschlossen sind, die aus verschiedenen Substanzen besteht und unter diesen eine enthält, der man unpassenderweise den Namen „Gummi“ gegeben hat. Es ist nöthig, die Fasern von diesen fremdartigen Körpern zu befreien, ohne sie in Bezug auf ihre Länge, Dehnbarkeit und Farbe zu verändern. Die vollständige Absonderung jener anhaftenden Substanzen ist die erste Bedingung jeder anderweitigen Verwendung des gehechelten Flachses und bedingt in hohem Grade die Leichtigkeit der Bearbeitung und den Werth ihres Productes. Wir wollen die Vorwürfe, die man der Feldrotte so oft mit Recht gemacht hat, nicht im Einzelnen wiederholen; wir wollen uns darauf beschränken, zu sagen, daß diese in allen Stadien sowohl in Bezug auf Wirksamkeit als auf Zeitdauer fehlerhafte Operation für die öffentliche Gesundheit, wie für Qualität und Quantität des Products die schwersten Uebelstände nach sich ziehen kann. Diese Gefahren und oft beträchtlichen Verluste soll nun das Lefebure'sche Verfahren beseitigen können; die Vortheile desselben werden von dem Erfinder wie folgt bezeichnet: 1) Das Product kann unmittelbar nach der Ernte hergestellt werden. 2) Eine regelrechte und ökonomische Arbeit, welche in jeder Jahreszeit vorgenommen werden kann und frei von jeder übelriechenden Ausdünstung ist. 3) Eine fabrikmäßige, vollständigere und sichere Ablösung der holzigen Theile, die bis zu jedem beliebigen Grade sich steigern läßt. 4) Ein bedeutend höherer Ertrag. 5) Die Erziehung einer feinen, kräftigen, geschmeidigen, schweren Flachsfaser in ihrer natürlichen Farbe. 6) Verwerthung aller Abgänge des Flachses. 7) Beseitigung des Kochens oder Laugens. 8) Leichtes Verspinnen der Flachsfaser in ihrer natürlichen Länge und zwar mittelst kalten Wassers. 9) Leichtes Weben. 10) Kräftige und sehr regelmäßige Gewebe. 11) Leichtes Bleichen. 12) Ersparniß beim Färben. Das sind in der That sehr lockende Vortheile, wenn man auch dabei die Illusionen in Abrechnung bringen muß, welche jedem Erfinder eigen sind. Auch wird man begreifen, daß die Commission auf ihrer Hut seyn mußte, um nicht von dem Enthusiasmus fortgerissen zu werden, der durch die gewichtigen und unbestreitbaren Vorzüge des zu prüfenden Verfahrens in gewissem Maaße gerechtfertigt ist. Aus unserem Urtheil werden Sie entnehmen können, worin und wieweit wir uns der Anschauung des Hrn. Lefebure nähern oder von derselben abweichen. Das Verfahren unseres Collegen ist ein ganz anderes, als das alte, und wir müssen gleich hinzufügen, der in dieser neuen Weise geröstete Flachs ist weißer, seidenartiger und kräftiger als der nach jeder anderen älteren Methode zubereitete. Es bietet dasselbe demnach bemerkenswerthe Vortheile, deren Einzelnheiten in dem von Hrn. Alcan veröffentlichten Aufsatz vollständig aufgezählt sind, in welche wir aber hier nicht eingehen können. In einem Punkt weichen wir indessen von der Meinung des ehrenwerthen Professors des Pariser Conservatoriums ab, nämlich in dem Resultat der Vergleichung der Selbstkosten bei Anwendung des Lefebure'schen und des gewöhnlichen Verfahrens. Ein Mitglied Ihrer Commission hat Versuche anstellen lassen, und die hierbei ermittelten Kosten, welche nahezu dieselben, wie die des gegenwärtig zu Lys üblichen Röstverfahrens waren, wichen wenig von den von Hrn. Lefebure angegebenen ab, waren aber beträchtlich höher, als die von Hrn. Alcan genannten. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Producten besteht somit in dem Mehrbetrag an spinnbarem Material, den man durch das Lefebure'sche Verfahren erhält oder vielmehr behält. Diesem gewichtigen Vortheil gegenüber ist man zu der Frage berechtigt, aus welchem Grunde unsere großen Spinnereibesitzer dieses Röstverfahren noch nicht angenommen haben? Der Hauptgrund ist nach der Ansicht aller darüber befragten Fabrikanten der, daß das Arbeitsgeräth hierzu der Art verändert werden müßte, daß man mit demselben den Flachs wie bei der Handspinnerei seiner ganzen Länge nach und mit kaltem Wasser verspinnen könnte, während man ihn jetzt in drei Theile schneidet. Träfen nun die Fabrikanten diese Aenderung, so würden sie bei den gegenwärtigen Verhältnissen keine Garantie für die hinreichende Deckung ihres Bedarfs an derartig zubereitetem Flachs haben, und deßhalb wagten sie es nicht, sich den durch Arbeitsstockung entstehenden Verlusten auszusetzen. Andererseits kann der Landwirth als solcher dieses Röstverfahren bei sich nicht einführen, da es complicirte Werkzeuge und eine Betriebskraft, also Mittel erfordert, die in die Sphäre des Fabrikanten gehören. Unserer Meinung nach ergibt sich aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen, daß die Lefebure'sche Methode dazu berufen ist, in der Spinnerei und im Röstverfahren einen großen Umschwung hervorzubringen, in Folge dessen die Weber mit einem Garn versehen werden, welches das gekochte Garn zu ersetzen vermag. Man wird nun bis zu dem Grade rösten können, welcher für die Zwecke der Spinnerei am geeignetsten ist. Das in der Lefebure'schen Weise behandelte Garn erhält durch die Röstung eine natürliche, gelbliche Farbe, bleibt kräftiger, liefert ein besseres Gewebe und hat, je nach dem Grade, bis zu welchem der Röstproceß und die Reinigung des Flachses getrieben worden ist, einen Mehrwerth von 10 bis 20 Proc. Vielleicht ist es nicht ohne Interesse, auf die Ursache hinzuweisen, der zufolge unserer Meinung nach die nach der Lefebure'schen Methode bearbeiteten Garne kräftiger sind, als die bei der Feldröste gewonnenen. Die Röstung erfolgt bei diesem neuen Verfahren so zu sagen augenblicklich, die Fasern haben keine Zeit, sich durch Faulen zu zerstören, während sie bei dem alten System durch das Faulen des Strohes angegriffen wurden, ohne noch der anderen Gefahren, welche Hr. Alcan so treffend bezeichnet hat, zu gedenken, wie des Einflusses der Atmosphäre und der Temperatur, der Ueberschwemmung der Flüsse, der Verschlammung, der Unvorsichtigkeit des Arbeiters etc. Bei dem Verfahren des Hrn. Lefebure ist der Flachs keiner dieser Zufälligkeiten ausgesetzt. Was den Einfluß anlangt, welchen das dabei angewendete alkalische Mittel auf die Faser und deren Dehnbarkeit ausübt, so ist das sachverständige Mitglied der Kommission der Ansicht, daß der Arbeiter die Wirkung der Lauge stets mit Leichtigkeit regeln kann, so daß die Anforderungen, welche man an die Enthülsung und Farbe des Products stellt, nie überschritten zu werden brauchen. Das genannte Mitglied ist ferner der Meinung, daß die bei diesem Verfahren gewonnenen flüssigen Rückstände als wirksames Düngmittel und selbst dann noch mit Vortheil benutzt werden können, wenn die betreffenden Ländereien in größerer Entfernung von der Fabrik liegen. Die Anwendung dieser Rückstände und der Verbrauch der Rindentheile des Flachses und Hanfes als Brennmaterial bieten zu Gunsten des geprüften Verfahrens Vortheile, welche in industrieller und landwirthschaftlicher Beziehung nicht zu verkennen sind. Wir glauben, die Grenzen unseres Auftrages nicht zu überschreiten, wenn wir schließlich noch einige Worte betreffs eines Theiles der Aufgabe sagen, welcher die Lösung derselben an die großen öffentlichen und Privat-Interessen knüpft. Es betrifft die Reinheit der Luft und der fließenden Gewässer; um nur ein Beispiel anzuführen, Jeder in Belgien kennt die Klagen der Stadt Gent über die Röstarbeiten im Lys. Man wird uns daher verstehen, wenn wir daran erinnern, daß die Feldröste für die gute Beschaffenheit des Wassers schädlich und der Gesundheit der in der Nachbarschaft der Röstgruben wohnenden Bevölkerung nachtheilig ist. Z.B. gibt es im Waes einige Orte, in denen die Brunnen zu gewissen Zeiten pestilenzialischen Gestank verbreiten, welcher für die Bewohner in der Umgebung dieser Cloaken sehr schädlich ist. Ohne in fernere Details einzugehen, glauben wir schließlich sagen zu können, daß das neue Röstverfahren berufen ist, das alte zu verdrängen, besonders, wenn man, was wir für möglich halten, dahin gelangt, die Herstellungskosten zu verringern. Bei so bewandten Umständen würde eine Gesellschaft, welche diese Erfindung mit Erfolg ausführte, der Leinenindustrie und dem Ackerbau Belgiens einen ausgezeichneten Dienst leisten.