Titel: Weitere Mittheilungen über das Lefebure'sche Flachs-Röstverfahren.
Fundstelle: Band 169, Jahrgang 1863, Nr. CII., S. 382
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CII. Weitere Mittheilungen über das Lefebure'sche Flachs-Röstverfahren. Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1863 S. 90. Ueber das Lefebure'sche Flachs-Röstverfahren. Wir haben früher (polytechn. Journal Bd. CLXVIII S. 357) nach dem Journal de la Société centrale d'agriculture den Bericht des Hrn. Rey d. Ae. über das Lefebure'sche Verfahren zur Beseitigung der Feldrotte von Flachs mitgetheilt; in der folgenden Nummer des gedachten Journals finden wir eine eingehende Besprechung jenes Berichts, deren Inhalt wir bei der Wichtigkeit der Sache unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Bei Eröffnung der Debatte ergreift Hr. Daumerie das Wort: Meine Herren, zunächst will ich Ihnen meine Sympathien für das Lefebure'sche Verfahren gestehen; in der Beseitigung der ungeheuren Uebelstände des alten Systems erkenne ich einen außerordentlichen Fortschritt in der Industrie und einen ausgezeichneten Dienst im Sinne der Humanität. Das bisher übliche Röstverfahren verdirbt die Luft, verschlechtert das Wasser und verbreitet bei fabrikmäßiger Anwendung einen intensiven Staub, der der Gesundheit der Arbeiter außerordentlich nachtheilig ist; vorzüglich werden die Respirationsorgane angegriffen und hierdurch der Weg zur Lungenschwindsucht angebahnt, welche nach allen statistischen Berichten bei unserer Bevölkerung nur zu häufig ist. Daher habe ich mit dem größten Interesse von dem Bericht, welcher uns über diese Erfindung erstattet worden ist, Kenntniß genommen und will Ihnen hier die Betrachtungen mittheilen, zu welchen mir die Durchlesung desselben Veranlassung gegeben hat. Die Kosten, sagt man, seyen dieselben wie bei dem ländlichen Verfahren. Ich werde Ihnen zeigen, daß der Unterschied mindestens 10 Centimes per Kilogramm beträgt, was nicht zu verachten ist, da dieß bei der Gesammt-Leinenindustrie Belgiens eine Ersparniß von zwei und einer halben Million Frcs. repräsentiren würde. Nehmen wir aber an, die Ausgabe wäre dieselbe, so werde ich Ihnen durch Zahlen den ganzen Vortheil beweisen, den das Lefebure'sche Verfahren vor dem jetzigen System bietet. Flämischer und Wallonischer Flachs. 130 Kilogr. Ernte geben nach der Rotte 100 Kilogr. Nach dem BrechenHedeAbfall 18  2 1/220 Kilogr. à 25010 Frcs.,Cent., d. i.„  „„  „ Frcs. 36  1,25  2 39,25. Lefebure'scher Flachs. 130 Kilogr. Ernte geben nach der Rotte 25 Kilogr. Nach dem BrechenHedeAbfall 19 1/2  2 1/2  5 1/2 Kilogr. à 27515 Frcs.,Cent., d. i.„  „„  „ Frcs. 39  1,87  0,83 41,70. Der Unterschied zu Gunsten des neuen Systems beträgt also 2,45 Frcs. Ich habe beide Male den Preis nach dem Brechen mit 2 Frcs. angesetzt; da aber der Lefebure'sche Flachs feiner, schöner von Farbe und fester ist (er dient zur Bildung der Kettfäden, wozu man nur Flachs erster Qualität verwendet), so kann man ihm einen Mehrwerth von mindestens 50 Cent. per Kilogr. zuerkennen, was bei 19 1/2 Kilogr. 9,75 Frcs. ausmacht. Da dieser Flachs nicht gekocht zu werden braucht, so ergibt sich eine fernere Ersparniß von mindestens 20 Cent per Kilogr., im Ganzen also 3,90 Frcs. Die beiden Berechnungen weisen daher einen Ueberschuß von 16,10 Frcs. oder 41 Proc. zu Gunsten des Hrn. Lefebure nach. Beiläufig will ich Sie noch darauf aufmerksam machen, meine Herren, daß bei gleichem Gewicht sein Flachs mehr werth ist, als der andere, welcher fremde Bestandtheile, wie Erde, Gummi etc. enthält, die man auf 20 Proc. des Gesammtgewichts schätzen kann. Der zweite Punkt, den ich zu prüfen beabsichtige, betrifft die vorgebliche Revolution, welche die Lefebure'sche Bearbeitung des Flachses im Spinngeräth hervorrufen soll: Wenn, wie der Bericht sagt, das Verspinnen der Faser in ihrer ganzen Länge besonders wünschenswerth ist, vorzüglich bei den höheren Nummern, denen dadurch die beim Handgespinnst so geschätzte Festigkeit ertheilt werden würde, so folgt daraus doch nicht, daß sich der Lefebure'sche Flachs nicht wie anderer behandeln ließe. Warum sollte man ihn denn nicht zerschneiden können? Der deutlichste Beweis dafür, daß sein Product sich gut verarbeiten läßt, ist der, daß alles, was Hr. Lefebure bis jetzt erzeugt hat, einen reißenden Absatz fand, und daß die Nachfragen seine Production weit übersteigen. Sein von allen Juries anerkanntes und belohntes Verfahren hat auf der letzten Londoner Ausstellung wegen des ausgezeichnet gehechelten Flachses die Medaille erhalten (so sagt der Bericht der Jury); die Gesellschaft für Leinenproduction von Saint Gilles, welche in London Gespinnste aus solchem Flachs ausgestellt hatte, erhielt dieselbe Auszeichnung. In der Industrie läßt man demselben auch Gerechtigkeit widerfahren. Hr. Marchal zu Leeds (welcher die vollkommenste und größte Spinnerei in Europa besitzt) und eine große Anzahl einheimischer wie fremder Spinner haben die Vorzüglichkeit der Lefebure'schen Producte anerkannt und ihm Aufträge ertheilt, in Folge deren er bedeutende Lieferungen zu festen Preisen machen konnte. Wie jeder Erfinder mußte Hr. Lefebure anfangs bei seinen Versuchen Ausschlußmaterial anwenden. Später zahlte er Lehrgeld, da er den Flachs nicht kannte und häufig das Opfer unredlicher Personen wurde, mit denen er zu thun hatte; hieraus entsprangen die zahlreichen Vorwürfe, die man ihm wegen der Art und Beschaffenheit seines Productes machte. Nachdem er indessen Erfahrungen gesammelt und während mehrerer Jahre sein Verfahren unaufhörlich verbessert hat, ist er zu einem hohen Grade der Vollkommenheit gelangt. Was die Temperatur des zu benutzenden Wassers betrifft, so ist dieselbe keineswegs von so gewichtiger Bedeutung; der auf gewöhnliche Weise gerottete Flachs wird mit warmem Wasser verarbeitet, da das darin enthaltene Gummi die Faser hart und spröde macht, und sich dieselbe nur mittelst dieser Erwärmung handhaben läßt. Da der Lefebure'sche Flachs vollkommen frei von diesen fremdartigen Körpern ist, so ist eine solche Vorsichtsmaßregel nicht nöthig; die Anwendung des warmen Wassers würde der Bearbeitung aber in keiner Weise schaden. Dieser angebliche Vorwurf möchte eher ein Vortheil des in Rede stehenden Systems seyn, denn die Anwendung warmen Wassers verursacht durch den Verbrauch an Brennmaterial beträchtliche Kosten und der hierbei entwickelte Dampf, sowie der Schmutz, den das Wasser in seiner Verbindung mit den bei dem gewöhnlichen Flachs vorhandenen fremdartigen Substanzen aufnimmt, ist für die in der Spinnerei angewendeten Maschinen außerordentlich schädlich. Die Verbreitung des Verfahrens und die Ausübung desselben seitens der Landwirthe sind keineswegs so unlösliche Aufgaben, als man behauptet. Die Werkzeuge sind weder kostbar noch complicirt; ich kann sogar versichern, daß die Ausgaben noch keineswegs den Preis einer Brennerei erreichen. Da wo bereits eine Brennerei oder eine Zuckerfabrik existirt, wären die Hauptausgaben (Dampfmaschine, Pumpe etc.) schon bestritten, und es würde ein sehr geringes Capital hinreichen, um die Einrichtung vervollständigen und in der Jahreszeit, in welcher der Betrieb jener Fabriken ruht, arbeiten zu können. Was nun die alkalische Lauge betrifft, so hat dieselbe durchaus keinen nachtheiligen Einfluß; die Erfahrung hat vielmehr gelehrt, daß die gelaugten Fäden mehr Festigkeit und Elasticität als die rohen besitzen. Meine Herren, ich glaube die Gründe, welche man gegen das Lefebure'sche Verfahren vorbrachte, genügend widerlegt zu haben; ich will nun noch schließlich die Hauptvortheile kurz zusammenfassen, welche dasselbe, unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses betrachtet, besitzt: 1) Da es ein vollständiges Reifen des Leines zuläßt, während das gegenwärtige Röstverfahren ein Kochen desselben im grünen Zustande erfordert, so sind die Fasern fester und schwerer. 2) Der zur Reife gelangte Saame bringt 200 bis 300 Frcs. per Hektare, während man gegenwärtig kaum 50–100 Frcs. daraus löst; der Nutzen ist also ein dreifacher. Nimmt man nur 250 Frcs. an, so würden die 40,000 Hektaren, welche im Durchschnitt mit Lein bebaut werden, einen jährlichen Gewinn von sechs bis acht Millionen abwerfen. 3) Der Verlust, welchen die Ueberschwemmungen und die in vielen Röstgruben zu weit getriebene Fäulniß jährlich herbeiführt, wird gänzlich vermieden; dieser Gewinn beträgt reichlich ein Fünftel der Gesammternte und läßt sich auf 9,600,000 Frcs. berechnen (da eine Hektare 600 Kilogr. gibt, so geben 40,000 Hectaren 24,000,000 Kilogr., von denen der fünfte Theil: 4,800,000 Kilogr. à 2 Frcs. 9,600,000 Frcs. bringt.) 4) Die durch dieses Verfahren vom Lein abgelöste Rinde gibt bei der Verbrennung Potasche von 24 Grad, welche mindestens noch 1,200,000 Frcs. werth ist; bisher bezogen wir dieselbe in größeren Quantitäten aus Rußland zu Preisen, welche unaufhörlich wachsen. 5) Der Lefebure'sche Flachs braucht nicht gekocht zu werden und ist deßhalb viel kräftiger, denn diese Operation, welche beim alten Verfahren unerläßlich ist, erfordert die Anwendung von Salzsäure und anderen Substanzen, welche die Faser mehr oder weniger stark angreifen. Die durch Beseitigung des Kochens erzielte Ersparniß beträgt (außer dem Mehrwerth des Products) jährlich sechs Millionen (20 bis 25 Cent. per Kilogramm). 6) Aus der Anwendung dieses Garns erwächst dem Bleicher und Weber ein wirklicher Vortheil; ein paar Beispiele mögen den Verlust erläutern, der durch das Kochen entsteht: Tausend Strähne Nr. 30 zu 180 Kilogr. geben nach der Operation nur 153 Kilogr., also 27 Kilogr. Verlust. Tausend Strähne Nr. 60 zu 90 Kilogr. geben nach der Operation 78 Kilogr., daher 12 Kilogr. Schaden. 7) Der Gewinn von 10 Cent. per Kilogr. bei der Bearbeitung gibt, wie wir oben gesehen haben, 2,500,000 Frcs. 8) Der Flachs ist durch seine Beschaffenheit mindestens 50 Cent. per Kilogr. mehr werth; dieß beträgt 12,500,000 Frcs. Meine Herren, um Ihre gütige Aufmerksamkeit, welche ich, von der Wichtigkeit der Sache getrieben, schon länger in Anspruch genommen habe, als ich anfänglich beabsichtigte, nicht zu mißbrauchen, beendige ich hiermit die Aufzählung, die indessen noch keineswegs erschöpft ist. Indem ich aus dem Lefebure'schen Verfahren die Bilanz ziehe, finde ich in seinem „Haben“ ein schöneres, festeres und gleichzeitig wohlfeileres Product und einen öffentlichen Gewinn von jährlich neununddreißig Millionen Frcs. –“ Hierauf ergreift der Secretär Hr. Van den Broeck das Wort: „Erlauben Sie mir dem, was Hr. Daumerie eben gesagt hat, Einiges hinzuzufügen. Sie wissen, meine Herren, daß die Commission, welche das Lefebure'sche System untersuchte, aus den Herren: Rey dem Aelteren, Tack und mir bestand. Wir sind in den unserem Auftrag vorgezeichneten Grenzen geblieben, das heißt, wir haben die Fabrik besucht und das Fabricationsverfahren, wie die Anwendung, welche bisher davon gemacht worden, geprüft. Unser Bericht hat nicht alle von Hrn. Daumerie hervorgehobenen Punkte berührt, da die Erörterung derselben außer unserer Aufgabe lag. Alles, was Hr. Daumerie eben gesagt, scheint richtig zu seyn. Die Bilanz, welche er Ihnen vorgelegt hat, schließt mit einem Gewinn von 39 Millionen ab. Nehmen wir aber auch an, jene Zahl wäre zu hoch gegriffen und müßte auf 10 Millionen reducirt werden, so wäre das immer noch eine sehr beträchtliche Summe, welche, Dank einem sehr einfachen und leicht anzuwendenden Verfahren, in den öffentlichen Verkehr übergeht. Ich glaube daher, daß die allgemeine Verbreitung des Lefebure'schen Systems in jeder Beziehung wünschenswerth ist. Niemand wird läugnen können, daß die Ausdünstungen, welche sich durch die in den Flachsgruben stattfindende Fäulniß entwickeln, der Gesundheit nachtheilig sind. Das Lefebure'sche System verstopft nun eine permanente Quelle von Krankheiten, wenn nicht gar der Schwindsucht, was mir weniger erwiesen scheint etc. Indem daher die Société centrale d'agriculture zur Verbreitung des Lefebure'schen Röstverfahrens auffordert, leistet sie der öffentlichen Gesundheitspflege einen nicht unwesentlichen Dienst.“