Titel: Ueber das Glycerin in seinen verschiedenen technischen Beziehungen und Verwendungen; von Professor Vincenz Kletzinsky.
Fundstelle: Band 171, Jahrgang 1864, Nr. XCVII., S. 370
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XCVII. Ueber das Glycerin in seinen verschiedenen technischen Beziehungen und Verwendungen; von Professor Vincenz Kletzinsky. Nach einem Vortrage, gehalten im Vereine „Mercur“ in Wien am 24. October 1863. Kletzinsky, über das Glycerin in seinen technischen Beziehungen und Verwendungen. Das sogenannte Glycerin oder Oelsüß ist von Scheele zuerst aufgefunden, und als eigenthümliche Substanz erkannt worden. Die Sicherstellung dieses Körpers im Systeme, seine Formel, alle seine wesentlichen Eigenschaften wurden fixirt von Chevreul, Pelouze und in späterer Zeit in einer meisterhaften Arbeit von Redtenbacher. Durch diese Untersuchungen ist nun klar geworden, daß dieser Körper aus den Fetten hervorgeht, und zwar aus der größten Mehrzahl aller Fette. Die Fette sind nach dem heutigen Stande der Wissenschaft als sogenannte neutrale Salze zu betrachten; so wie z.B. die Schwefelsäure mit dem Kali zu einem neutralen Salze zusammengeht, ebenso ist das Glycerin, das Glyceryloxyd, als Base mit den fetten Säuren vereinigt zu den neutralen Fetten. Wenn man das chemisch reine Stearin als chemische Verbindung betrachtet, so muß es als stearinsaures Glyceryloxyd aufgefaßt werden; das reine Elaïn, das gewöhnliche Oel, als ein elaïnsaures Glyceryloxydsalz. Es gibt nur wenige Ausnahmen von den Fetten, welche das Glyceryloxyd oder das Lipyloxyd nicht enthalten; zu diesen Fetten gehört z.B. der Thran, welcher Propyloxyd enthält, das Wallrath, das Wachs, in welchen Fetten das Glyceryloxyd fehlt. Aber alle übrigen gewöhnlichen, vegetabilischen oder animalischen Fette sind als wahre Glyceryloxyd-Salze zu betrachten. Die Zusammensetzung des Glycerins ist gegeben durch die Formel: C⁶H⁸O⁶. Die Substanz selbst gehört zur Nasse der Colloid-Körper, d.h. sie hat ziemlich geringes Diffusionsvermögen, sie besitzt nicht die Fähigkeit zu krystallisiren, sondern dickt zu öliger Beschaffenheit ein. Sie ist bei gewöhnlicher Temperatur nicht flüchtig, und stellt im reinsten Zustande einen farblosen, dickflüssigen stark süßen Syrup dar, welcher löslich in Wasser und Alkohol, unlöslich in Aether ist. Der Umstand, daß das Glycerin bei gewöhnlicher Temperatur nicht flüchtig ist, schließt nicht aus, daß dasselbe bei höherer Temperatur, besonders in raschen indifferenten Gasströmen, destillirt werden kann. Erhitzt man jedoch das Glycerin für sich allein, besonders bei protrahirter lang andauernder Rösthitze, tropft man Glycerin in beinahe glühende Destillationsröhren, so wird es in eigenthümlicher Weise umgewandelt. Es zerfällt in die Elemente des Wassers und einen neuen Stoff, das Acrolein (Scharfölstoff), das seinen Namen erhalten hat, weil es die Augen in merkwürdiger Weise zu Thränen reizt, und entschieden giftige Beschaffenheit hat. Wenn aber das Glycerin in Wasserdampfströmen, bei mäßiger Temperatur destillirt wird, so geht es unzersetzt fort. Der Umstand, daß diese Flüssigkeit bei gewöhnlicher Temperatur nicht verdampft, sichert ihre Anwendung überall dort, wo es sich um eine Sperrflüssigkeit handelt, deren Volumen sich nicht wesentlich verringern soll, also z.B. beim Durchtritte von Gasen. Diese Eigenthümlichkeit wird um so werthvoller, wenn man berücksichtigt, daß es die höchsten Kältegrade erträgt, ohne zu erstarren. Als Sperrflüssigkeit bei Gasuhren ist es von außerordentlichem Werthe. Läßt man das Leuchtgas bei dem messenden Trommelspiel der Gasuhr durch Glycerin treten, so gewährt selbes den Vorzug, bei starkem Kältegrade nicht zu erstarren und die Leistung des Apparats nicht zu hindern. Dargestellt wird das Oelsüß in Laboratorien, indem man ein möglichst geläutertes, reines, vegetabilisches oder animalisches Oel, durch Kochen mit Wasser und geschlämmter Bleiglätte zersetzt – die in Officinen geübte, gewöhnliche Pflasterbereitung. Wenn man mit einem Oele Pflaster siedet, so fällt Glycerin ab. Wenn wir, zwar abweichend von den Fällen der Praxis, annehmen wollten, wir hätten ein Oel vor uns, welches ein Stoff ist – bei keiner Körperfamilie fühlt man dieß so stark und so unangenehm, als bei den fetten Körpern, daß die reinsten Pflanzenöle Gemenge von 2–5 verschiedenen Substanzen sind – wir wollen aber annehmen, wir hätten z.B. im Mandelöle oder im reinsten Olivenöle nichts als die chemische Individualität des reinen Elaïnkörpers, elainsaures Glyceryloxyd, und wir bieten dieser gebundenen Säure eine starke mineralische Vase, z.B. Bleioxyd dar, und wecken die chemische Verwandtschaft durch Anwendung von Hitze, so gelingt es uns, das Glyceryloxyd durch das Bleioxyd zu ersetzen, wir erhalten elainsaures Bleioxyd, den Hauptbestandtheil des gewöhnlichen Diachylon-Pflasters oder Heftpflasters. Die Base Glyceryloxyd nimmt im Momente ihres Freiwerdens Wasser auf, da ohnedieß die Bleiglätte mit Wasser geschlämmt angewendet wurde, und dieses Hydrat ist im überschüssigen Wasser gelöst – es ertheilt demselben einen eigenthümlichen süßlichen Geschmack, ist aber verunreinigt durch ausgeschlämmte und gelöste Spuren von Blei. Um das abfließende Wasser gleichsam als Unterlage bei der Pflasterbereitung weiter zu verwerthen, wird es mit Schwefelwasserstoff gesättigt; dabei scheidet sich schwarzes Schwefelblei aus und gewährt den Vortheil, die Flüssigkeit vollständig zu entfärben, denn alle extractiven gelösten färbenden Materien werden durch poröse dunkle Niederschläge reichlich gebunden. Wenn man daher von dem ausgeschiedenen schwarzen Schwefelblei abfiltrirt, so hat man eine farblose, dünne Lösung, die in der Vacuumpfanne eingedampft, das reine Glycerin darstellt, eine farblose Flüssigkeit von ziemlich dicker Consistenz, Syrup ähnlich, von 1,27–1,28 specifischem Gewicht, im reinsten Zustande geruchlos, von intensivem, eigenthümlich süßem Geschmacke, welche auf Schleimhäuten das Gefühl von Wärme hervorbringt. Wenn man Glycerin auf die Schleimhäute bringt, so empfindet man nach einiger Zeit ein Gefühl von Wärme, das sich nie zum Schmerz oder zur Unannehmlichkeit steigert. Es beruht auf demselben Momente, auf welchem die Erwärmung durch absoluten Alkohol beruht. Wenn man letzteren auf Schleimhäute bringt, in den Mund nimmt oder auf die zarte Oberhaut streicht, so fühlt man bald ein bis zum Schmerz gesteigertes Brennen. Die Erklärung ist einfach: der Alkohol ist eine hygroskopische Substanz; er hat die Begierde, das umgebende Wasser an sich zu reißen. Das Wasser spielt in allen unseren Geweben eine wichtige Rolle; bekanntlich sind wir mindestens zu 2/3 Wasser; ohne Wasser gibt es keinen Organismus. Dieser Wasserreichtum unserer Gebilde und Gewebe, am meisten der zartesten, tritt in Wechselwirkung durch den Vorgang der Endosmose und Diffusion mit dem Alkohol. Alle Flüssigkeiten des Körpers werden nun in letzter Linie von dem Blute geleistet. Das Blut, welches den Körper nach allen Richtungen hin mit Ernährungssäften versorgt, schwitzt sein Blutwasser durch die feinen Capillaren in die Zwischenräume des Zellgewebes aus; wenn diesen Wasser entzogen wird, so entsteht ein Vacuum, eine Entleerung von Masse bei gleichbleibendem Raume, der äußere Luftdruck aber reicht schon hin, die Blutbewegung zu beschleunigen. Wenn das aus einem Gefäße ausschwitzende Blutwasser entfernt wird, wird neues Blutwasser ausschwitzen müssen, es wird der Blutumlauf beschleunigt, d.h. es bewegt sich in der Zeiteinheit mehr Blut durch einen gegebenen Querschnitt, und da dieses der Träger des Sauerstoffes ist, so wird mehr Sauerstoff mit dem Gewebe in Berührung kommen. Der Sauerstoff aber ist der Träger der Verbrennung, Verwesung, und diese sind Quellen der Wärme, folglich muß der in die Mitleidenschaft gezogene Nerv den Ausschlag vermehrter Wärmeleistung geben. Dieser Vorgang spielt sich beim Glycerin weit milder als beim absoluten Alkohol ab. Beim Glycerin steigert sich die Wärmeempfindung nie bis zum Schmerz. Ich habe das Glycerin an mir selbst geprüft, und mehrere Tage hindurch unter ausschließlichem Fasten nichts zu mir genommen, als Glycerin, und zwar in bedeutenden Mengen. Ich habe daher das Recht, über die volle Empfindungsscala dieses Stoffes zu sprechen, und kann versichern, daß bei Voraussetzung der absoluten Nüchternheit, also der gesteigerten Empfindlichkeit aller Gewebe, das Glycerin niemals bedenkliche Symptome hervorruft, obschon das Gefühl der Wärme dann am prägnantesten hervortritt. Dadurch, daß das Glycerin den Geweben Wasser entzieht, eignet es sich als sogenannte Conserve. Das Glycerin hat die Fähigkeit, die Körper zu entwässern, mit der Entwässerung der Substanzen ist aber der Hauptanstoß der Fäulniß, Gährung, der spontanen Entmischung der Körper entfernt, und daher ist das Glycerin sehr brauchbar, um Früchte aufzubewahren. Es würde sich kaum eignen, um auf die Dauer stickstoffreiche Thierstoffe zu conserviren, aber, um Früchte zu conserviren, ist es gut. Früchte, welche nun seit einem vollen Jahre in demselben Glycerin, ohne es zu wechseln, sich befinden, sind wohl ein wenig verschrumpft, aber weit weniger, als dieß geschehen wäre, wenn man sie dem Trockenprocesse behufs der Conservirung unterworfen hätte. Sie sind aber auch nicht geplatzt; man könnte glauben, daß durch die Endosmose und Diffusion das Glycerin in die Früchte eindringe und die Schalen zersprenge, dieß aber ist durch Versuche widerlegt und auch schon theoretisch unmöglich, weil, wie schon Eingangs erwähnt, das Glycerin eine geringe Diffusionskraft besitzt, also nicht leicht durch solche geschlossene Membranen hindurchdringt. Die Unschädlichkeit des Glycerins für den menschlichen Körper, der hohe Grad chemischer Reinheit, in welchem das Glycerin glücklicher Weise von der vorgeschrittenen Fabrication im Großen dargestellt werden kann, machen diese Substanz sehr erwünscht zu derartigem Conserviren. Die Früchte, welche aus Glycerin genommen wurden, dürfen nur in Wasser gespült werden und sind gleich genießbar. Die charakteristische Eigenthümlichkeit des Glycerins, welche den Chemiker besonders interessirt, besteht darin, daß es die Fällbarkeit der schweren Metalle durch Alkalien aufhebt. Für die Medicin liegt da ein weites Terrain unbebaut vor. Die eigenthümliche Wirkung, welche gewissen Metallen zukommt, scheitert bei der üblichen Therapie sehr häufig an einem von den Aerzten entweder gar nicht gekannten, oder doch häufig gar nicht berücksichtigten Umstande, nämlich daran, daß die auf dem Verdauungswege eingeführten Metallsalze nicht unzersetzt ins Blut gelangen können. Das Blut ist eine alkalische Flüssigkeit und präcipitirt die Mehrzahl aller Metallsalze, es bilden sich coagula, das Metallsalz wirkt in diesem Falle nur als ätzendes, topisches Gift ein, gelangt aber nicht zur Resorption. Die Wirkungen der resorbirten Metalle sind wenig eruirt. Das Glycerin nun gibt ein unschädliches Mittel, um Metalloxyde in schwach alkalischer Lösung vollkommen gelöst zu erhalten. Versetzt man z.B. in Wasser gelösten Kupfervitriol mit Glycerin, welches sich mit allen wässerigen Salzlösungen sehr leicht mischt, und gibt dann Kalilauge hinzu, so entsteht eine prachtvoll blaue Flüssigkeit, aber keine Spur von Fällung; wenn man diese Flüssigkeit absichtlich sehr stark mit Kalilauge verdünnt und dann kocht, so wird sie nicht schwarz, das Glycerin hält nicht nur das Kupferoxyd in alkalischer Lösung gelöst, es verhütet die Entwässerung in der Kochhitze, es verlarvt das Kupfer und dieser verlarvte Zustand der Metalle ist besonders geeignet, um sie technisch und medicinisch zu verwerthen. Ich knüpfe an dieses bemerkenswerthe Moment sogleich eine praktische Bemerkung an. Bekanntlich wurde in England ein Verfahren patentirt, die Baumwolle und die Leinwand, die Pflanzengewebe überhaupt, welche am schwierigsten zu färben sind, dadurch dem Färbeproceß günstig zu machen, daß man sie mit concentrirten Laugen behandelt. Dieß ist die Mercerisation, nach dem Entdecker Mercer benannt. diese Mercerisation hat den Vortheil, daß die sogenannten todten Fasern der Baumwolle auch Farbe annehmen, daß die Farben viel gleichmäßiger und fleckenloser auf dem Pflanzengewebe erscheinen. Wenn man die Pflanzengewebe mercerisirt hat, muß man sie spülen, um sie in das Ansudbad zu geben und mit Thonerdesalzen zu beizen. Ich habe mich nun überzeugt, daß das Mercerisiren und Beizen in einer Operation ausgeführt werden könne, daß dann Farben erzielt werden von nie erreichter Sattheit, und zwar in der Weise, daß man Beizen in alkalischer Lösung darstellt. Das ist ohne Glycerin nicht leicht auszuführen, höchstens durch die Weinsteinsäure, welche kostspieliger ist, in größerer Menge verwendet werden müßte und den Ton nicht hervorbringt. Versetzt man z.B. die Eisenbeize, den gewöhnlichen Eisenvitriol, wie ihn die Färber benutzen, mit Glycerin und dann mit Kalilauge im Ueberschuß, so erhält man eine fast farblose, nur blaßgelb gefärbte Flüssigkeit, welche auch bei Kochhitze kein Eisen fallen läßt; bietet man aber die erwärmte Flüssigkeit der Cellulose, dem Pflanzengewebe dar, so entzieht die Cellulose der Lösung beinahe bis auf den letzten Rest das Eisenoxyd und mordirt sich dabei so satt, wie wir es in einer sauren Lösung nicht erreichen können. Dabei haben wir mit einem Male die Pflanzengewebe zugleich mercerisirt, weil wir einen Ueberschuß der Lauge einwirken ließen, um die todten Fasern theils zu entfernen, theils aufzuschließen, und die Masse so schwammig zu machen, daß sie der Flächenwirkung der Färberei günstig ist. Das Glycerin besitzt die Fähigkeit in hohem Maaße, Gerüche an sich zu ziehen, und da es selbst, wenn es ganz rein ist, einer ranzigen Verderbniß nicht unterworfen ist, kann es als Träger von Gerüchen benutzt werden. Denken wir uns duftende Pflanzentheile, Blüthen, Blätter in eine lange Blechbüchse verschlossen ohne Quetschung, den Zwischenraum mit Glycerin vollgegossen, und nachdem endlich alle Luft bei allmählichem öfteren Nachgießen entwichen ist, die verlöthete Büchse in einem Keller durch ein Jahr lagernd; wenn wir nun die Büchse nach einem Jahr öffnen, so werden wir durch Abpressung des Glycerins eine mäßig gefärbte Flüssigkeit erhalten, welche Trägerin des zartesten Blüthenduftes geworden ist. Dieß ist in allen Fällen von großer Bedeutung für die Parfümerie dort, wo die Gerüche, welche sehr durchdringend, sehr reizend und heilkräftig seyn können, die Destillation nicht ertragen. Wir haben Gerüche von betäubender Kraft, wie der Geruch des Jasmins z.B., und doch lassen sie sich nicht destilliren. Wenn man Jasminblüthen abbrüht in einer Retorte und den Dampf herüberzieht, so bekommt man ein unangenehm riechendes Destillat, das nicht entfernt an die Düfte des Jasmins erinnert. In solchen Fällen hat man sich des sehr reinen Oels bedient, aber dieses ist leicht einer Säuerung unterworfen; das Glycerin eignet sich in diesem Falle weit besser. Der Moschus, welcher weit schwieriger vom Oele aufgenommen wird, gibt seinen Riechstoff vollständig an Glycerin ab, welches sich bei dieser Parfümirung unwesentlich färbt. Das Glycerin ist bisher meines Wissens zur Pflege der Haare noch nicht entsprechend benutzt worden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß eine sehr häufige Erkrankung der Kopfhaut, die vielleicht ursächlich mit dem Ausfallen der Haare zusammenhängt, nämlich die eigenthümliche Kleien-Flechte, die rapide Abschuppung der Epidermis durch nichts schneller beseitigt wird, als durch Salben der Haare mit Glycerin. Der Erfolg ist in allen Fällen gesichert und fabelhaft schnell gegenüber allen sonstigen heroischen Mitteln der Medicin. Da das Glycerin sich sehr leicht parfümiren läßt, so ist damit eine neue Anwendung dieses Stoffes gewährleistet. Hierzu kommt aber noch, daß das Glycerin noch vorzüglich andere Stoffe extrahirt. Es ist ein von England aus zuerst eingeführter Gebrauch, daß Parfümeure, welche besondere Haarwuchsmittel schaffen wollten, sich der Cantharidentinctur bedienen. Ich habe diese Tinctur in sehr vielen Pflegemitteln der Haare gefunden und gerade in den wirksamsten und renommirtesten am sichersten. Der Auszug der spanischen Fliege ist entschieden giftig, das Cantharidin ist kein gleichgültiges Mittel; wahr ist es, daß es durch seine Reizung die Circulation in der Schwarte des Kopfes anregt. Sind in irgend einem Falle alle Haarzwiebeln verunglückt, so ist, soweit wir das Verhältniß des Lebens kennen, an einen Nachwuchs der Haare nicht mehr zu denken, alle Mittel der Kunst sind vergeblich. So lange die Haarzwiebel noch unversehrt ist, können allerdings mehrere Umstände so ungünstig einwirken, daß die Entwickelung des Haares unterbleibt, daß der Haarschaft gar nicht durch die Haut durchdringt, nicht zur Entwickelung kommt. Offenbar werden alle jene Mittel zur rationellen Pflege des Haares dienen, welche die Oberhaut möglichst reizen, frei von allen Schollen verbrauchter Epidermis erhalten und jene, welche die Blutcirculation in der Haut selbst gehörig bethätigen, denn jede Haarzwiebel ist nicht nur von einer Oeldrüse begleitet, sondern auch von einer Schaar kleiner Blutgefäße umsponnen. Je reichlicher die Circulation gelingt, um so besser sprießen die Zwiebeln aus und um so besser gedeihen die Haare. Dieß ist der Grund, warum man in England zuerst nach den Canthariden gegriffen hat, aber ihre Anwendung ist nicht ersprießlich. Die Erfahrung hat gelehrt, daß das vegetabilische Reich uns ein Mittel liefert, das allerdings minder schnell, aber gleichsinnig wirkt, und jeder Gefährlichkeit entbehrt, das ist der Cayenne- oder spanische Pfeffer. Die rothen Hülsen desselben mit ihrem prachtrothen scharlachrothen Weichharz besitzen ein brennendes Princip und dieses Weichharz ist in hinreichend hohem Grade in erwärmtem Glycerin auflöslich. Wenn man Glycerin mit den Schoten des Cayenne-Pfeffers in der Wärme digerirt, kann man auf diese Weise bedeutende Mengen des Weichharzes lösen, das Glycerin nimmt dabei eine Granatfarbe an und wenn man es irgendwie parfümirt, so hat man ein Pflegemittel, das dem Haare einen solchen Grad von Schmiegsamkeit gibt, wie kein Fett es vermag. Daß das Glycerin als ein wesentliches Product der Gährung hervortritt, und zwar ausschließlich der geistigen Gährung, ist von Pasteur in zweifelloser Weise nachgewiesen worden. Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, die Versuche desselben einzeln in der mannichfaltigsten Weise zu wiederholen und noch keine der geistigen Gährung unterworfen gewesene Flüssigkeit gefunden, welche nicht kleine Mengen von Glycerin enthielte. Wenn man chemisch-reinen Rohrzucker mit der möglichst reingewaschenen Hefe gähren läßt, so entsteht immer neben Alkohol eine kleine Menge von Glycerin und Bernsteinsäure. Die geistige Gährung ist überhaupt kein so einfacher Proceß, wie dieß früher auch von Seite der Wissenschaft behauptet worden ist, es entwickelt sich immer neben einem Alkohole eine flüchtige Säure, eine fixe Säure, und endlich irgend ein höherer, fetter Alkohol, zu welchem auch ganz besonders das Glycerin zu rechnen ist. Das Glycerin ist daher ein stabiles Product der geistigen Gährung, zu welcher auch die flüchtige Bernsteinsäure gehören dürfte. Bernsteinsäure und Glycerin sind unvermeidliche Begleiter der geistigen Gährung. Dieser Gang der Natur kann von Industrie und Technik benutzt werden. Es ist eine Thatsache, daß der Geschmack beim Weine gebieterisch ein bestimmtes Wechselverhältniß zwischen Extract und Alkohol verlangt. Wenn man den Alkoholgehalt des Weines maßlos steigert, so erhält man den Spritwein, welchen man mit Branntwein darstellt, das ist eine fremdartige Zuthat. Wenn man den Extractgehalt eines Weines maßlos steigert, ohne den Alkoholgehalt zu vermehren, so erhält man einen schweren, öligen Sect, der höchstens von Damen als Dessertwein geliebt, aber vom echten Weintrinker nicht goutirt wird. Es fordert der Geschmack gebieterisch ein gewisses Wechselverhältniß zwischen Extract und Alkohol. Dieses Wechselverhältniß erreicht die Traube nicht immer von selbst; die Bedingungen, unter welchen Zucker und andere Extractivstoffe sich bilden, sind noch nicht bekannt, und wenn sie bekannt sind, der Willkür des Menschen noch lange entrückt; es ist daher ein berechtigter Vorgang, dem Gebrechen der Natur dort abzuhelfen, wo die Kunst es vermag, ohne gegen die Natur zu fündigen, ohne Schädliches, Fremdartiges in das Gemisch der Stoffe einzuführen. Weine einfach zu versüßen, ist ein sehr alter Gebrauch, um den Extractgehalt zu erhöhen; allein diese Versüßungen, diese Tincturen von Kandiszucker sind der Gährung preisgegeben. Befände sich noch genug Hefenstoff im Weine, so würde im Frühjahre wieder eine Gährung entstehen, und mit der Gährung des Zuckers würde der Extractgehalt eher vermindert als vermehrt werden. Hier sucht man nun sich durch Einschlaggeben, mit Schwefeln des Weines und durch geschickte Kellerung zu helfen. Hält man aber durch geschickte Kellerung diese Gährung gänzlich hintan, so droht ein anderer Act der Gährung, den man schwerer beseitigen wird, es droht in solch süßen Weinen das Entstehen des zähen Weines, des Staubweines. Es wird dadurch ein ununterbrochenes Klären erforderlich, dieses aber raubt dem Weine immer etwas seines natürlichen Gerbstoffes, macht ihn schlechter und unhaltbarer. Das Zähewerden ist vollends bei längerer Dauer unheilbar; nur in der ersten Periode der Veränderung des Weines, wo er beim Gusse noch nicht mit der Schere abzuschneiden ist, nur im Momente des Entstehens dieses Verderbnisses ist es möglich, durch Traubenkernen-Aufgüsse, oder künstlich durch Ratanhia-Extract dasselbe zu beseitigen, aber in der Folge nicht mehr. Dadurch werden häufig sehr werthvolle Weine, ja gerade gerebelte Weine hinweggerafft, unfähig, als Genußmittel zu dienen und können nur noch als Essigmutter gebraucht werden. Schon manches Fäßchen des edelsten Tokayers ist so zum Essigsieder gewandert. Um nun dem Weine diese Extracterhöhung zu gewährleisten, um ihm jene vom Geschmacksinne gegenüber dem höheren Alkoholgehalte gebieterisch geforderte Breitmündigkeit zu geben, dient das Glycerin vorzüglich. Das Glycerin ist nicht dem Langewerden unterworfen, es ist eine unverwüstliche Substanz gegenüber dem gewöhnlichen Gährungsprocesse. Wenn man Glycerin mit Wasser verdünnt der Bierhefe darbietet, so hat Redtenbacher durch seine Arbeit bewiesen, daß nur ziemlich schwer und allmählich sich aus dem Glycerin kleine Mengen von Propionsäure entwickeln, die auch Butteressigsäure genannt wird. Es ist dieß eine Bouquet-, eine aromatische Säure, welche im Stande ist, beim längeren Lagern im Fasse den Alkohol des Weines zu ätherisieren, und der Wissenschaft ist es geglückt, mit Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, daß gerade ungarische Seeweine ihr Aroma einer Propionsäure-Verbindung verdanken. Glycerin eignet sich daher sehr gut, wenn es etwas Bernsteinsäure und chemisch reine, bereits in der rationellen Bewirthschaftung des Kellerweines angewandte Bouquetstoffe gelöst enthält, zum Verbessern des Weines selbst; es ist das ein Zusatz, der die Eigenschaften des Weines in keiner Weise in Frage stellt, dem Weine jede Dauerhaftigkeit verleiht, so daß er endlich selbst die Linie zu passiren vermag, ohne den unvermeidlichen Krankheiten des Weines zum Opfer zu fallen. Es ist bekannt, daß das Bouquet gewisser Sorten des Rheinweines, namentlich der Liebfrauenmilch nachgeahmt wird, indem man frische Birkenreiser mit dem Weine mitgähren läßt. Einem Weine bloß das nachgeahmte, künstliche Bouquet des Rheinweines zusetzen, hat keinen Sinn, wenn die übrigen Eigenschaften nicht dazu stimmen. Nimmt man aber einen Most, dessen Qualität mit der Heinweinsorte beiläufig stimmt, und läßt ihn mit Glycerin gähren, das lange über frischen Birkenreisern gestanden hat, so erhält man einen Wein von der Qualität des Rheinweines. Ein mit diesem flüchtigen Birkenstoffe gesättigtes Glycerin sollte stets zugleich mit Bernsteinsäure versetzt werden, weil diese bei der Bouquetbildung außerordentlich wirksam ist. Wenn man den Versuch macht, gleiche Mengen von absolutem Alkohol mit verschiedenen Säuren in äquivalenten Mengen zu mischen und durch geraume Zeit die Fläschchen stehen läßt, so wird man bei wiederholter Prüfung durch Oeffnen des Stöpsels bei demjenigen Fläschchen, welches die Bernsteinsäure-Lösung enthält, zuerst die reinste Bouquetbildung eintreten finden. Diese Lösung eignet sich zum Versatze des Weines, muß aber so gegriffen werden, daß die Erhöhung des Extracts nicht so viel Bouquet in den Wein bringt, daß er als überladen erscheint – das richtet sich nach dem Weine, ist aber leicht zu corrigiren, indem man reines Glycerin der überladenen Bouquetessenz zusetzt. Es ist endlich möglich, das Glycerin direct zur Liqueur-Fabrication zu verwenden. – Der Zucker, welcher bisher ausschließlich angewandt wurde, um die schweren Extract-Liqueure herzustellen, läßt sich, wie auch die süßen Pflanzenstoffe, durch Glycerin ersetzen. – Bekanntlich hat der Zucker bei der Liqueurfabrication den großen Uebelstand, bei starken edlen Liqueuren, welche lange Zeit zu lagern bestimmt sind, herauszukrystallisiren, dadurch den Geschmack zu verändern und endlich nutzbare Materialien ihrer Bestimmung zu entführen. Bei Liqueuren, die weniger Spiritus haben, ist dagegen sogar eine Vergährung zu fürchten. – Zu bemerken ist, daß mit dem Glyceringehalte nicht so hoch gegangen werden darf, als mit dem Zuckergehalte der Liqueure, nicht als ob dieß schädlich wäre, sondern aus dem einfachen Grunde, weil sich sonst der scheinbare brennende Alkoholgehalt zu bemerkbar macht. Die gleichartige Wirkung des Alkohols und Glycerins auf die Schleimhäute und Nerven unterstützt sich, dadurch tritt unmittelbar die alkoholische Tastwirkung zu grell hervor, und darum kann man keinen Liqueur von so hohem Glyceringehalte herstellen, wie dieß der Fall ist mit dem Zuckergehalte. Glycerin nimmt auch leicht alle Farbstoffe auf, welche die Liqueurfabrication erfordert. Erwärmt man Glycerin mit Cochenille, so sättigt es sich vollständig mit dem rothen Farbstoffe derselben und ist also jetzt zugleich Süßungs- und Färbemittel des Liqueurs. – Löst man den feinsten bengalischen Indigo in 4–5 Loth Nordhäuseröl auf und gibt dann gewöhnliche Schreibkreide hinein, so lange als noch Brausen auftritt, so erhält man einen dicken Gypsbrei von blauer Farbe und wenn man nun diese Masse vollkommen austrocknet und dann mit Glycerin mäßig erwärmt, so zieht dasselbe das Indigoblau sehr schön heraus und wir erhalten den blauen Stoff für eine unschädliche Färbung. Wenn man dieses Blau mit sehr wenig des feinsten österreichischen Safrans versetzt, und zwar so wenig, daß der Geruch des Safrans nicht merklich hervortritt, so geht das Blau in eine schöne grüne Farbe über, welche bei Licht purpurn dichroisch erscheint und eine bei vielen Liqueuren beliebte Farbe bildet. Ich habe auch mit Hopfen Versuche angestellt und mich überzeugt, daß sämmtliche Nutzstoffe desselben durch Glycerin extrahirt werden. – Ich mache aufmerksam, daß dieses alles unter Umständen technische Bedeutung hat, umsomehr, da bei der heutigen Fabrication Glycerin im Großen zu außerordentlich billigen Preisen hergestellt wird.Die einzige Preismedaille, welche für Glycerin auf der Londoner allgemeinen Industrie-Ausstellung im J. 1862 zuerkannt wurde, erhielt die k. k. priv. Milly-Kerzen-Fabrik von F. A. Sarg in Wien für ihr reines Product.A. d. Red. Wenn Hopfen mit Glycerin erschöpfend behandelt wird, was allerdings bei solchen Extractionen am schnellsten bei Luftabschluß im Vacuum erfolgen würde, so erhält man nicht nur den Gerbestoff des Hopfens, den Bitterstoff, sondern auch das Hopfenharz, das ätherische Hopfenöl im Glycerin absorbirt. – Solches Glycerin, das der wallenden Lautermaische zugesetzt wird, erzeugt unmittelbar dieselbe Fällung des überschüssigen Pflanzen-Fibrins und liefert nach der Vergährung im Kleinen ganz haltbare Biere. Wenn dieser Versuch im Kleinen gelingt, so ist dieß um so sicherer im Großen der Fall; denn nichts ist schwieriger im Kleinen zu erzielen, als Beständigkeit der gegohrenen Producte. Es ist gewiß, daß der Alkohol im Weine nicht als solcher vorhanden ist, wovon wir uns überzeugen können, wenn wir Alkohol noch so stark verdünnen und mit ihm genug wasserfreies (geschmolzenes) kohlensaures Kali in ein Gefäß bringen; wenn man dieses gepulverte weiße Salz bis beinahe an den Rand des Gefäßes anfüllt, und dann von der Flüssigkeit, welche sehr wenig Alkohol enthält, hinzutröpfelt, so wird man nach kurzer Zeit mit einem brennenden Fidibus das Ganze entstammen können; das Wasser wird vom kohlensauren Kali an sich gerissen, der Alkohol scheidet sich oben ab und den kann man zum Brande zwingen. Die Naturweine aber, wenn sie noch so viel Alkohol enthalten, kann man mit überschüssiger Potasche zusammenbringen, ohne den Alkohol entflammen zu können. Es ist Thatsache, daß der Alkohol sich im Weine im Zustande einer chemischen Verbindung befindet, und daher ist es unerläßlich, daß alles was man frisch zusammenmischt, lange Zeit ablagere. Eine Erwärmung in vollkommen geschlossenem Raume kürzt hierbei die Zeit ab; das ist in der Praxis aber sehr schwer auszuführen. Es müßten natürlich Gefäße seyn, deren Material auf diese Flüssigkeit nicht einwirkt und dampfdichte Gefäße aus solchem Material sind im Großen sehr schwer herzustellen. Bei Versuchen im Kiemen aber staunt man, wie schnell der Wein durch geschlossene Erwärmung reift, und das, was eigentlich von dem alten Weine verlangt wird, die Reife, nämlich das Zusammenklingen zu einem Charaktergeschmack, erlangt. Ich habe noch nicht erwähnt, wie Glycerin heutzutage fabrikmäßig erzeugt wird; dazu ist die von mir erwähnte Pflasterbereitung nicht anwendbar. Um eine Masse in großem Maaßstabe zu produciren, ist es nöthig, daß man sie zum Nebenproducte einer Massenproduction mache. Das Glycerin ist ein solches Nebenproduct, und zwar der Stearinsäure. Wenn man Talg in Talgseife umwandelt, ihn also mit Aetzkalk verseift, so scheidet sich das Gemenge fetter Säuren als Kalkseifensalz ab. – Dieses ist nun das Rohmaterial für die Gewinnung der Stearinsäure und des sogenannten Elaïns des Handels. – In der Unterlauge aber befindet sich das Glycerin gelöst. Es ist nun die Aufgabe, das Glycerin von aller Verunreinigung zu befreien und zwar ohne secundäre Zersetzung zu jenem Grade von Dickflüssigkeit einzudampfen, der von einer tadellosen Waare gewünscht wird. – Die Verwendungen des Glycerins, welche heutzutage schon Platz gegriffen haben, sind namentlich Seifen oder seifenähnliche Flüssigkeiten. – Glycerin ist im reinen Zustande, höchstens etwas mit Orangenblüthenöl parfümirt, ein vortreffliches Mittel, um die Haut geschmeidig zu erhalten. Es hat große Aehnlichkeit mit dem Smegma der Haut, einem Körper der kein eigentliches Fett ist und doch salbt und ölt. Das Glycerin löst und erweicht alle verhärteten Fettmassen mit großer Leichtigkeit, es ist ein ungemein aufweichendes Princip. Wenn man Glycerin auf Baumwolle träufelt, und diese in den äußeren Gehörgang möglichst tief nach rückwärts schiebt, so erzeugt sich das Gefühl bedeutender Wärme im Ohre, das zu leichten Schalltäuschungen führt, zu einem Klingen im Ohre, wobei bald die verhärteten Ohrenschmalzpfröpfe erweicht und entfernt werden. Es könnten sich daher Viele durch eine einfache rationelle Kur selbst von der Taubheit befreien, wenn dieselbe von Abschließung des Trommelfells von den Schallwellen durch verkrustetes Ohrenschmalz herrührt. Da ist Glycerin ein vorzügliches Mittel und ein deutscher Medicinalrath hat dieses Mittel zuerst in Scene gesetzt; er hat Fläschchen zu einem Louisd'or verkauft und vielen Tauben auf dem sehr natürlichen Wege der Erweichung der verhärteten Ohrenschmalzpfröpfe geholfen. Auch bei sehr heftigem Schnupfen, der zu einer bedenklichen Krankheit sich ausbilden kann und endlich sogar die Gehirnhäute in Gefahr einer Ansteckung (Meningitis) versetzt, ist Glycerin ein vortreffliches Mittel. Glycerin, aufgepinselt auf verbrühte Stellen, lindert außerordentlich den Schmerz und zugleich besser, als etwa Umschläge von kalten nassen Lappen, weil diese nur den Heilungsproceß verspäten, während das Glycerin durch Erwärmung die Circulation des Blutes beschleunigt. Glycerin kann endlich einer der mannichfaltigst angewendeten Arzneistoffe werden. Gemischt mit Salzsäure ist es ein vortreffliches Mittel, erfrorene Glieder wieder herzustellen; freilich ist dieses Mittel ein wenig schmerzhaft, denn wenn es wirken soll, muß die Salzsäure ziemlich stark gebraucht werden. Ja auf harten Hautstellen kann man immerhin die käufliche Salzsäure unverdünnt anwenden, auf weicher Haut dagegen wird eine mäßige Verdünnung nöthig erscheinen. Man thut am besten, gleiche Theile von Glycerin und Salzsäure zu mischen, und dieses Gemisch solange zu verdünnen, bis es auf der Hautstelle erträglich wird. Ich mache darauf aufmerksam, daß die rationelle Kur der Hautkrankheiten immer mehr gezeigt hat, daß es eigentlich bei den selbstständigen Hautkrankheiten nur zwei Mittel gibt: man wendet entweder Säuren an, oder Alkalien. Man findet Ausschläge, welche dem ärztlich prüfenden Auge, einer dem anderen vollkommen gleich erscheinen, und doch heilt der eine sehr schnell unter der Behandlung von Säuren, der andere von Alkalien, während umgekehrt keines zum Ziele führte. Wir kennen die zu Grunde liegenden Gesetze noch zu wenig und haben nur wenige Versuche in dieser Richtung angestellt, die ein entschiedenes Resultat gegeben haben. Ich habe mich überzeugt, daß bei derartigen Versuchen die Hautstellen ganz unversehrt seyn müssen; und das ist nicht so leicht, als man vielleicht annimmt. Viele Versuche sind darum in ihren Resultaten unbrauchbar, weil die Forscher vergessen haben, sich von der Unversehrtheit der Haut zu überzeugen, was aber leicht möglich ist, wenn man die betreffende Hautstelle mit verdünnter Schwefelsäure bestreicht. Fühlt man dabei auch nur das geringste Jucken, so ist die Hautstelle etwas verwundet, wenn dieß auch dem freien Auge nicht erkennbar ist. Thatsache ist aber, daß die Hautathmung von der Behandlungsweise der Haut abhängig ist. Da diese auf die Hautkrankheiten den größten Einfluß ausübt, so ist es klar, daß ein Körper wie Glycerin, der – nicht flüchtig – lindernd, salbend und schmeidigend zugleich, das Vehikel der kräftigsten Mittel werden kann, berufen ist, eine der größten Rollen in der rationellen Hautpflege zu spielen. Wenn man in Glycerin eine Kaliseife (sogenannte Schmierseife) auflöst, so erhält man eine flüssige Seife, die in den Hautkrankheiten die vorzüglichsten Dienste leistet. Sollte sich bei einer Anwendung dieses Mittel nicht bewähren, so empfehle ich das Glycerin zu wechseln, d.h. Glycerin anzuwenden, das man mit Salzsäure oder Citronensäure angesäuert hat, denn was dem alkalischen Glycerin nicht weicht, weicht gewiß dem sauren Glycerin, vorausgesetzt, daß es ein selbstständiges Hautübel ist, das nicht etwa tiefere Wurzeln geschlagen hat. Denn wurzelt dasselbe im Blute, dann ist wohl durch dieses Mittel vieles gemildert, aber das Uebel auf äußerlichem Wege nicht radical zu beseitigen. Wenn man eine feste Seife, eine sogenannte Natronseife in Glycerin bis zur Sättigung auflöst, so erhält man die Crême, eine Lösung, die endlich starr wird und stockt, und nur im warmen Zustande flüssig bleibt; Glycerin überträgt seine Krystallisationsfeindlichkeit auch auf die krystallisirbare Natronseife und verwandelt sie in eine durchscheinende Gallerte, in welcher Form sie leicht verwendet werden kann. – Man ist endlich im Stande, Glycerin auch in festen Seifen zu binden; überhaupt ist ja in jeder sogenannten gefüllten Seife ein kleiner Antheil von Glycerin, wenn sie unmittelbar aus der Lauge, in der sie entstanden, ohne Aussalzen und Schöpfen erzeugt wird. Es gibt noch einige technische Momente, die ich kurz berühren will, nur um zu zeigen, wie allseitig verwendbar dieser Stoff ist. Wenn man Thon, sogenannten Modellthon, mit Wasser befeuchtet, um ihn knetbar zu machen, so erreicht man für kurze Zeit seinen Zweck. Modellirt aber der Künstler etwas aus diesem Thon, so tritt der Uebelstand ein, daß die Masse so austrocknet, daß er nicht mehr im Stande ist, jene feinen Veränderungen mit dem Griffel anzubringen, welche das Künstlerauge fordert; da eignet sich nun Thon mit Glycerin angemacht vorzüglich. Die Massen bleiben dann durch Jahrzehnte eben so knetbar und noch plastischer als der mit Wasser angeknetete Thon in frischem Zustande. Ebenso kann man Glycerin hinzusetzen zu allen möglichen Copirtinten; der Zusatz von Glycerin zu einer Tinte gibt derselben immer die Fähigkeit, bei nachfolgender Befeuchtung der Züge sich zu copiren. Besonders Glycerin, das man mit 1–2 Proc. Indigo-Schwefelsäure mischt, ist ein Mittel, um jede Tinte zur Copirtinte zu machen, die überhaupt diesen Zusatz verträgt, ohne zu gerinnen. Wenn man Glycerin mit einer Farbe anreibt, so erhält man eine Schmiere, welche gleichfalls in Massen nie ganz trocknet. Wenn man nun von dieser Schmiere etwas auf gewöhnliche Kissen aufstreicht, die man zum Stampigliendruck benutzt, so ist man im Stande, die Farbe in scharfen Contouren zu übertragen. – Allerdings, wenn man bloß Glycerin verwendet, ist das Trocknen des Stampiglien-Druckes ein wenig zu sehr verzögert; ich erwähne aber dieses Umstandes nur, weil Glycerin das beste Mittel ist, um den gegentheiligen Fehler, das rasche Verharzen, Vertrocknen solcher Druckmassen zu beseitigen. Glycerin hat endlich noch eine große Zukunft in der Färberei. Versuche im Türkischroth-Färben haben gezeigt, daß wenn man Krapp mit Glycerin auszieht, dieser Auszug weit reinere und haltbarere Farben liefert als ein anderer. Es ist dieses bei der Türkischroth-Färberei, jener Färberei, wo der Praktiker noch allmächtig, wo die Theorie noch am wenigsten zu Hause ist, einer der schwierigsten Färbereien, aber nicht bei dieser allein der Fall. – Das Glycerin eignet sich vorzüglich für viele Uebertragungen von Farbstoffen, wovon ich bei folgendem Umstande mich überzeugt habe. Wir sind im Laboratorium genöthigt, zu vielen Experimenten thierische Blasen zu benützen. Diese thierischen Blasen werden nun zwar im feuchten Zustande vollkommen ihren Zweck erfüllen; kaum aber ist eine solche getrocknet, so wird sie so spröde, daß dieß einerseits sehr unangenehm, ja manchmal geradezu fatal ist, denn wenn man z.B. ein akustisches Experiment anzustellen hat, so ist man dieß wegen des Rasselns der Blase nicht im Stande, wenn es nicht etwa einen bedeutenden Lärm macht, andererseits weil man immer befürchten muß, daß die Blase, wie dieß auch wahrscheinlich, bricht. Wenn man nun eine solche Blase mit Glycerin imprägnirt, dachte ich mir, so muß sie durch mehrere Jahre schmiegsam bleiben, und dieses hat sich auch bewährt, womit überdieß der Vortheil verbunden ist, daß eine so imprägnirte Blase undurchdringlicher für Gase ist. Dabei habe ich auch gesehen, daß sich die Farbe übertragen läßt, denn zu einer solchen Tränkung wurde von mir Glycerin benutzt, welches zufällig mit Cochenille gefärbt war, und da sah ich zu meiner Ueberraschung, daß die Blase dem Glycerin beinahe vollständig das Pigment entrissen habe. Das Glycerin hat also auch seine volle Berechtigung auf dem Gebiete der Färberei.