Titel: Verfahren um die beinahe erloschene Schrift alter Documente und Pergamentmanuscripte wieder aufzufrischen; von Ed. Moride.
Fundstelle: Band 172, Jahrgang 1864, Nr. C., S. 390
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C. Verfahren um die beinahe erloschene Schrift alter Documente und Pergamentmanuscripte wieder aufzufrischen; von Ed. Moride. Aus den Comptes rendus, t. LVIII p. 367. Moride's Verfahren um die beinahe erloschene Schrift alter Documente wieder aufzufrischen. Dieses Verfahren, auf welches ich erst nach erfolgloser Anwendung der gewöhnlich empfohlenen Mittel verfiel, besteht darin: 1) das Pergament in kaltem destillirtem Wasser mit Vermeidung jeder Reibung und Zerknitterung möglichst rasch aufzuweichen; 2) das Blatt nach dem Abtropfen des Wassers nur fünf Secunden lang in eine Lösung von 1 Th. Oxalsäure in 100 Th. Wasser zu tauchen; 3) das Pergament, welches in vielen Fällen sich in Folge dieses Eintauchens mit oxalsaurem Kalke überzieht, zweimal in Wasser abzuspülen, um letzteres Salz zu entfernen; 4) es dann in ein verschließbares Gefäß zu bringen, welches eine Lösung von 10 Grm. Gallussäure in 300 Grm. destillirtem Wasser enthält; 5) endlich, nachdem die Schrift wieder hervorgetreten ist, das Manuscript etc. in fließendem Wasser abzuspülen. Darnach wird dasselbe zwischen feinem weißen Filtrir- oder Druckpapier, welches fortwährend erneuert werden muß, getrocknet und zuletzt zwischen gleichem Papier unter die Presse gebracht. Handelt es sich nur darum, in einem Documente etc. einzelne Wörter wieder aufzufrischen, so befolge ich das gleiche Verfahren, bediene mich aber dazu weicher Pinsel und wende abwechselnd eine saure Lösung und Löschpapier, Wasser und wieder Papier an, von welchem das Wasser aufgesogen wird. Das ganze Verfahren muß durchaus mit möglichster Schnelligkeit und Vorsicht ausgeführt werden; denn einmal färbt sich das mit Gallussäure imprägnirte Pergament durch den Einfluß von Luft und Licht sehr leicht rosenroth, ja selbst schwarz; dann aber verursacht ein eisenhaltiges Filtrirpapier stets Flecke; auch tritt die Schrift nur sehr undeutlich hervor, wenn die Blätter geknittert werden; sind die Lösungen zu heiß, oder werden die Blätter etwa am Feuer oder an der Sonne zu rasch getrocknet, so schrumpfen sie zusammen und werden hornartig, wogegen sie bei zu langsamem Trocknen, zumal in Berührung mit zu feuchtem Filtrirpapier, leicht fleckig und stockig werden. Die Gallussäurelösung muß erneuert werden, sobald sie sich zu färben beginnt. Nicht alle Tintesorten treten nach der angegebenen Behandlung mit gleicher Deutlichkeit wieder hervor; manche derselben werden dunkelschwarz, während andere blaßgelb bleiben. Zuweilen, namentlich bei zu anhaltendem Befeuchten, fließt die Tinte auf den Manuscripten breit aus; dann entstehen bei der Behandlung mit den angegebenen Reagentien große dunkelfarbige Flecken und die Schrift bleibt unentzifferbar, ebenso, wenn das Pergament schon zu sehr vermodert ist; doch kommen derartige Fälle immerhin nur selten vor und ich kann, von solchen Ausnahmen abgesehen, die Versicherung geben, daß sich mittelst der im Vorstehenden angegebenen Behandlung alten, kaum noch bemerkbaren Schriftzügen ihre ganze Deutlichkeit und schwarze Färbung wiedergeben läßt, so daß sie wie neu erscheinen. Wie man sieht, erfordert das Verfahren zahlreiche Vorsichtsmaßregeln, wovon keine einzige ohne Nachtheil vernachlässigt werden darf, während in manchen Fällen selbst bei deren gewissenhaftester Beobachtung das Manuscript nach dem Auswaschen noch unleserlicher erscheint, als vorher. Wenn demnach der Besitzer eines alten Documentes immerhin versuchen kann, dasselbe mittelst des beschriebenen Verfahrens wieder aufzufrischen, obschon er die Gefahr des Mißlingens, welche er dabei läuft, kennt, so ist doch das Verhältniß ein anderes bei Archivaren, Bibliothekaren etc., welche nicht berechtigt sind, derartige Versuche mit den ihrer Obhut anvertrauten Manuscripten zu gestatten.