Titel: Chemische Untersuchungen über die freiwillige Zersetzung der Schießbaumwolle; von S. de Luca.
Fundstelle: Band 174, Jahrgang 1864, Nr. XCVII., S. 388
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XCVII. Chemische Untersuchungen über die freiwillige Zersetzung der Schießbaumwolle; von S. de Luca. Aus den Comptes rendus, t. LIX p. 487, September 1864. de Luca's chemische Untersuchungen. Die Aufbewahrung der Schießbaumwolle in vor dem Zutritte des Lichts geschützten Behältern verhütet die spontane Zersetzung derselben nicht immer, namentlich wenn das sie enthaltende Gefäß schlecht verschlossen und mit einer feuchten Atmosphäre umgeben ist. Hat die Zersetzung unter langsamer Entwickelung von Salpetrigsäuredämpfen einmal begonnen, so läßt sie sich nicht mehr aufhalten. Durch die Einwirkung des Lichtes wird diese spontane Zersetzung sehr erleichtert, noch mehr durch diejenige des directen Sonnenlichtes oder der künstlichen Wärme. Eine Probe Schießbaumwolle, welche im Dunkeln eine anfangende Zersetzung erlitten hatte, ward in vier Portionen getheilt: eine derselben blieb im Dunkeln; eine zweite wurde dem zerstreuten Lichte eines Locals des chemischen Laboratoriums, die dritte der directen Einwirkung der Sonnenstrahlen und die vierte der Wärme in einem Wasserbade von wenig über 50° C. ausgesetzt. Während die directe Wärme eine lebhafte Einwirkung auf die Schießbaumwolle hervorbrachte, wirkte das directe Licht weniger energisch; das zerstreute Licht übte eine sehr langsame Wirkung aus und die im Dunkeln aufbewahrte Probe zersetzte sich äußerst langsam. Die spontane Zersetzung der Schießbaumwolle zeigt vier deutlich unterscheidbare Stadien: 1) zunächst zieht sich die Schießbaumwolle langsam zusammen, ohne ihre ursprüngliche Form und Textur zu verlieren, so daß sie ein zehnfach kleineres Volum einnimmt, als sie vor ihrer Zersetzung hatte; 2) einige Tage später beginnt sie zu erweichen, indem sie sich in eine gummiartige, stark an den Fingern klebende und an die Textur der Schießbaumwolle in keiner Weise mehr erinnernde Masse verwandelt; die mikroskopische Untersuchung läßt keine Spur von Organisation wahrnehmen und nachdem die Masse ganz homogen geworden ist, erscheint ihr Volum noch um die Hälfte kleiner als am Ende des ersten Stadiums; 3) das dritte Stadium beginnt nach einer, je nach der Temperatur der umgebenden Atmosphäre mehr oder weniger langen Zeit und nicht mit Contractions-, sondern mit Dilatations- und Expansionserscheinungen, indem die am Schlusse des zweiten Stadiums auf den neunzehnten Theil ihres ursprünglichen Volums reducirte Schießbaumwolle sich im dritten Stadium so stark aufblähet und anschwillt, daß sie den Raum des Gefäßes, welches sie vor ihrer Zersetzung anfüllte, wieder ganz einnimmt, also neunzehnmal so voluminös geworden ist, als am Ende ihrer letzten Contraction; in diesem Zustand zeigt die Masse das vorige gummiartige Ansehen noch, ist aber porös und voll Höhlungen, wie ein Schwamm; 4) während dieser drei Stadien entwickeln sich Salpetrigsäuredämpfe, welche im dritten reichlicher werden; doch nimmt diese Gasentwickelung allmählich in merkbarem Grade ab, die Substanz verliert, obgleich sehr langsam, ihr gummiartiges Ansehen und ihre gelbliche Farbe, und wird so zerbrechlich, daß man sie zwischen den Fingern zu Pulver zerreiben kann; überdieß wird sie weiß wie Zucker. Dieser Zustand bildet das vierte und letzte Stadium der freiwilligen Zersetzung der Schießbaumwolle. Die zum Verlaufe dieser vier Stadien erforderliche Zeit hängt von dem Zustande der Atmosphäre ab, doch sind zur Beendigung derselben wenigstens fünf Monate nothwendig. Auf diese Weise verliert die Schießbaumwolle bei gewöhnlicher Lufttemperatur durch die langsame Einwirkung ihrer Bestandtheile auf einander gänzlich ihre ursprünglichen Eigenschaften, indem sie gasförmige Substanzen entbindet, worin stickstoffhaltige Verbindungen mit Spuren von Ameisen- und Essigsäure vorkommen, während als letzter Rückstand eine amorphe, poröse, im Aeußeren dem Zucker ähnliche, stark sauer reagirende, in Wasser fast vollständig lösliche Masse bleibt, welche viel Glykose, ferner gummiartige Substanzen, Oxalsäure, eine geringe Menge Ameisensäure und eine meiner Ansicht nach neue Säure enthält, die ich später näher untersuchen werde. Die von der freiwilligen Zersetzung der Schießbaumwolle herrührende Glykose hat den Geschmack und selbst das Arom des Honigs; sie reducirt das weinsaure Kupferoxyd-Kali sehr leicht und gährt in Berührung mit Bierhefe unter Bildung von Kohlensäure und Alkohol. Von 100 Grammen Schießbaumwolle erhielt ich etwa 14 Gramme Glykose, bei einem anderen Versuche etwas weniger. Setzt man gute Schießbaumwolle der directen Einwirkung des Sonnenlichtes aus, so treten bald Anzeichen der Zersetzung auf; zunächst nämlich läßt sie einen Geruch nach Salpetrigsäure wahrnehmen und später zeigen sich gelblich gefärbte Dämpfe. Unter dem directen Einfluß der Sonnenstrahlen zersetzten sich sämmtliche von mit untersuchte Schießbaumwolleproben binnen kürzerer oder längerer Zeit; manchmal begann die Veränderung schon am ersten Tage des Versuches, zuweilen aber erst nach mehrtägiger Einwirkung des Sonnenlichtes. Bei diesen Versuchen zeigte das Thermometer etwa 30°; selten stieg die Temperatur höher. Künstliche Wärme wirkt energischer, als das Sonnenlicht, immer aber bei einer Temperatur, welche höher ist, als die durch die directen Sonnenstrahlen erzeugte. Eine Probe von Schießbaumwolle wurde in zwei gleiche Theile getheilt, der eine davon der directen Wirkung des Sonnenlichts, der andere im Trockenschranke einer Temperatur von 30° bis 35° C. ausgesetzt. Jener Theil zersetzte sich zuerst; der andere veränderte sich durch sechsunddreißigstündige Einwirkung der künstlichen Wärme nicht. Demnach ist dem Sonnenlichte eine besondere Wirkung eigenthümlich, durch welche die Zersetzung der Schießbaumwolle hervorgerufen wird. Ist die Schießbaumwolle zusammengedrückt, so zersetzt sie sich leichter, sowohl durch die directe Einwirkung des Sonnenlichts, als durch Anwendung künstlicher Wärme. Ich füllte im December 1861 langhalsige Kolben mit Schießbaumwolle, welche ich mittelst eines Glasstabes comprimirte; dann pumpte ich die Kolben luftleer und schmolz sie vor der Glasbläserlampe zu. Die auf diese Weise vor der Einwirkung der Luft geschützte Schießbaumwolle hat sich vollkommen gehalten und zeigt noch keine Spur von Zersetzung, wohingegen Proben von demselben Präparate, welche in mit eingeschliffenen Glas- oder mit Korkstopfen verschlossenen, oder nur mit Papier überbundenen Gläsern aufbewahrt wurden, sich sämmtlich nach einigen Monaten – während des Jahres 1862 – zersetzt hatten. Es würde demnach von Wichtigkeit seyn, in größerem Maaßstabe zu versuchen, ob zur Conservirung der Schießbaumwolle der luftleere Raum angewendet werden kann, wenn man ihn wie zur Conservirung von Nahrungsmitteln benutzt. Fassen wir das Vorstehende kurz zusammen, so ergibt sich Folgendes. Die Schießbaumwolle, welche sich im Vacuum, ohne Veränderung zu erleiden, aufbewahren läßt, zieht sich bei ihrer freiwilligen Zersetzung zunächst unter Beibehaltung ihrer Form und Textur zusammen; darauf contrahirt sie sich noch stärker und verwandelt sich in eine homogene Masse von gummiartigem Ansehen; hernach verwandelt sie sich unter Aufblähen in eine feste, weiße, wie Zucker aussehende Substanz von stark saurer Reaction, welche unter anderen Bestandtheilen eine bedeutende Menge Glykose und auch eine neue Säure enthält.