Titel: Ueber die Wirkung des Sauerstoffs auf den Wein; von Berthelot.
Fundstelle: Band 174, Jahrgang 1864, Nr. CXIV., S. 448
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CXIV. Ueber die Wirkung des Sauerstoffs auf den Wein; von Berthelot. Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1864, Bd. IX S. 69.Nach den Comptes rendus, t. LVII p. 795 et 983, November n. December 1863; t. LVIII p. 80 et 292, Januar und Februar 1864. Berthelot, über die Wirkung des Sauerstoffs auf den Wein. Die nachfolgenden Versuche sind mit ganz unzweifelhaft unvermischten Burgunderweinen gemacht, es war Clos-Saint-Jean von 1858 und Thorin von 1858. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß sie sauerstofffrei sind, habe ich sie über Quecksilber mit Sauerstoff stark schütteln lassen, um dieselben damit zu sättigen. Das Bouquet verschwand und machte einem ganz anderen Geruch Platz, der mit dem verschütteten Weines Aehnlichkeit hatte, und nach dem Urtheil aller Kenner unangenehm war. Mag der Geschmack vielleicht auch hiermit nicht bezeichnend charakterisirt seyn, es steht fest: 1) daß derselbe Wein in ganz gleicher Weise mit Kohlensäure geschüttelt keine merkliche Veränderung seines Bouquet zeigte, 2) dem Quecksilber darf nach dem Obigen keine besondere Wirkung zugeschrieben werden, 3) der Einfluß des Schütteins wird ebenfalls außer Bedeutung gesetzt, durch Ruhenlassen des Weines, bis er vollkommen wieder klar geworden ist. Daß der atmosphärische Sauerstoff die bezeichnete Veränderung wie der reine hervorbringt, beweist folgender Versuch, den Jeder selbst leicht wiederholen kann. Man nehme eine Flasche Wein, entleere sie zu 1/10 in eine andere reine Flasche, schüttle letztere etwa eine Viertelstunde lang kräftig und vergleiche dann, oder lasse vergleichen, wie sich der Geschmack beider, des geschüttelten und ungeschüttelten, verhält. Versuche, die ich darüber machte, ergaben unzweifelhafte Resultate. Weinkenner, die nicht das geringste von dem Verfahren wußten, haben sofort den mit Luft geschüttelten als schlecht, schal bezeichnet, den ungeschützten für gut, und solchen der nur im offenen Gefäß an der Luft stand, für mittelhaltend zwischen den beiden. Bei näherer Verfolgung des Einflusses des Sauerstoffes fand ich: 1) daß der Sauerstoff anfänglich sich löst, ohne eine Verbindung einzugehen, aber 2) nach 3–4 Minuten sind 10,5 Kub. Centim., das ist 2/3 der ganzen absorbirten Menge, völlig verschwunden und können nicht wieder durch Kohlensäure deplacirt werden. Diese Menge reicht schon hin, um das Bouquet in einem Liter Thorin ganz zu verändern. 3) Der ersten raschen Absorption folgt eine verlangsamte, so daß nach zwei Tagen weitere 10 K. C., nach zwei weiteren Tagen 4–5 K. C. Sauerstoff u.s.w. verschwinden. Zugleich wird die rothe Farbe lebhafter, das Blau aber erscheint wie zerstört. Die Sauerstoffabsorption wird durch höhere Temperatur beschleunigt, und eine fast momentane wird sie durch Hinzufügung eines Alkali. So oft ein fertiger Wein mit Sauerstoff geschüttelt, diesen zum Theil absorbirt behielt, ohne daß er in eine Verbindung eintrat, und wenn dieser Zustand einige Zeit angehalten hat, konnte man annehmen, daß er den schalen Geschmack habe, und die Annahme bestätigte sich stets. Uebrigens ist es eine altbekannte Annahme, daß der Wein, der Luft ausgesetzt, verderbe. Andere Bemerkungen, die Einwirkung der Luft auf den Wein betreffend, sind folgende. Diejenige der Luft war langsamer, als die reinen Sauerstoffs in meinen Versuchen. In der That, während der Thorin in Berührung mit dem Sauerstoff in wenig Minuten 10 K. C. desselben aufnahm und in chemische Verbindung brachte, geschah dieß mit atmosphärischem Sauerstoff erst nach 10 Minuten, und zwar nur mit 1–2 K. C. Auch wird Wein, mit etwa nur 1/5 seines Volums Luft geschüttelt, nach einigen Minuten nur wenig verändert, es wird nur sein Bouquet schwächer, als wäre er mit Wasser verdünnt worden. Es braucht eine längere Einwirkung der atmosphärischen Luft, oder bei kürzerer Einwirkung ein wesentlich größeres Luftquantum. Dieß Verhalten erklärt sich übrigens leicht, da der reine Sauerstoff in sofort hinreichender Menge absorbirt wird, um die chemischen Veränderungen hervorzubringen; der mit der Luft aber absorbirte verbindet sich vermöge seiner um 1/5 geringeren Tension nur langsam mit den Bestandtheilen des Weines und es kann nur im Verhältniß, wie Sauerstoff gebunden wird, neuer aus der umgebenden Luft verschluckt werden. Die Langsamkeit der Verschluckung tritt also zu der der Reaction hinzu. Die gemachten Beobachtungen sind von zweierlei Art: Einerseits bewegen sie sich in festgestellten Zahlen, andererseits in Aussprüchen von einem nicht sehr exact wirkenden Organe, dem Gaumen. Vielleicht, daß man an manchem Ort den stark gelüfteten Wein demjenigen vorzieht, der wenig Luftzutritt erfuhr. Mag dem seyn wie ihm wolle, es steht fest, daß heftige Einwirkung von Luft oder Sauerstoff im Weine Veränderungen hervorbringt, die sehr merklich sind und von den Meisten mit einer Schwächung des Weingeistgeschmacks bezeichnet werden; da dieser Vorgang so schnell erfolgt, kann ich ihn nur durch eine Oxydation erklären. Es muß bemerkt werden, daß in den Weinen verschiedener Abkunft das Bouquet zwei verschiedenen Principien zugeschrieben werden muß; die einen sind ätherartig und wenig oxydirbar, z.B. in den mittägigen Weinen mehr vorwaltend, die anderen vielleicht aldehydartig und sehr oxydirbar, z.B. im Burgunder reichlich vorhanden. Je nachdem nun mehr von den einen oder anderen im Weine enthalten ist, werden auch verschiedene Resultate beim Luftzutritt sich zeigen. Jene südlichen Weine leiden auch bekanntlich weniger vom Luftzutritt. Darum muß ausdrücklich bemerkt werden, daß sich die Versuche nur auf Burgunderweine beziehen, obschon sie wahrscheinlich bei einer ganzen Reihe anderer Weine auch Geltung haben. Diese Versuche beweisen, wenigstens für die genannten Weine direct, wie schädlich es ist, wenn sie, einmal fertig gegährt, länger mit Luft in Berührung bleiben. Mag auch zu Anfang der Bouquetbildung die Gegenwart von nur wenig Sauerstoff förderlich seyn, eine Frage, die noch aufzuklären wäre – später ist der Sauerstoff entschieden schädlich. Wirkungen der Luft sind: das Vorkommen des Stickstoffs im Wein, das Fehlen des Sauerstoffs und das Abnehmen der Kohlensäure. Es kommt auch nur von dieser Sauerstoffeinwirkung her, daß aller Wein, der sehr lange auch in Flaschen aufbewahrt wird, zuletzt verdirbt, da die Verkorkung nur eine Verlangsamung des Gasaustausches, nicht eine Verhinderung bewirken kann. Durch Temperaturwechsel wird die Diffusion zwischen den inneren und äußeren Gasen nur vermehrt, da sie Druckungleichheiten auf der äußeren und inneren Seite des Korkes zur Folge hat. Erschwert wird diese Diffusion jedenfalls dadurch, daß die innere Korkseite, bei der gewöhnlichen Aufbewahrungsweise des Weines, von Flüssigkeit und nicht von Luft berührt ist. Es braucht bei dieser höchst langsamen Weise des Luftzutritts viel mehr Sauerstoff zur Verderbniß des Weines, als wenn man den Wein damit schüttelte, und zwar muß dieß darum so seyn, weil zunächst die dem Korke Nächstliegende Weinschichte sich mit Sauerstoff übersättigt, der sich mit den oxydablen bouquetgebenden Substanzen verbindet, aber auch mit anderen, die minder oxydabel sind, ehe neu hereintretender Sauerstoff zu weiteren Schichten des Weines vordringen kann. Darum hält sich der Wein so lange Zeit in Flaschen, ohne merkliche Verderbniß. Weil bei diesem verlangsamten Sauerstoffzutritt auch die minder oxydablen Substanzen allmählich oxydirt werden, z.B. Farbstoffe, die sich in allen sehr lange gelagerten Rothweinen unlöslich geworden absetzen, findet ein wesentlicher Unterschied im Geschmack und Aussehen der schnell mit Sauerstoff geschüttelten Weine und der langsam im Faß oder der Flasche mit Sauerstoff in Berührung gekommenen Weine statt. Vielleicht sogar findet ein ähnlicher Grund statt für den Geschmacksunterschied zwischen den mittägigen liqueurartigen, und den nördlichen Weinen. Es könnten nämlich die Principien, die das Bouquet bei unseren Weinen bilden, in dem heißen Klima zum Theil schon während, oder noch vor der Gährung schon oxydirt worden seyn. Daher auch die entfernte Aehnlichkeit vielleicht im Geschmack der südlichen Weine und der schal gewordenen nördlichen Weine. Daher endlich die bekannte Beständigkeit der ersteren, welche sie hinsichtlich ihres Bouquet behaupten, theils weil die Oxydation der oxydabeln Substanzen beendigt ist, theils weil sie wegen stärkeren Gehaltes an Alkohol nicht so lange nachgähren. Alles das muß jedoch besonderem Studium vorbehalten bleiben. Ich muß hervorheben, daß ich mich hier nur mit der directen Oxydation befasse, diejenige aber bei Seite lasse, die durch Dazwischenkunft von Mycodermen erfolgt. Von der nämlichen langsamen Oxydation kommt der Niederschlag her, der sich im Weine findet. Die Oxydation des von mir mit einem Aldehyd verglichenen Körpers gibt Anlaß zur Bildung einer harzähnlichen Masse, die sich mit einem Theile des Farbstoffs und mit dem Weinstein verbindet, um damit einen unlöslichen Farblack zu bilden. Man mag rohen Weinstein, oder den rothen Absatz der Weinflaschen oder den Abdampfungsrückstand des Weines prüfen, immer findet man diese Annahme eines auf diese Art gebildeten Farblacks bestätigt. Hr. Fleurieu hat dargethan, daß Wein in Flaschen häufig nicht so viel Weinstein gelöst enthält, als seiner Löslichkeit in einem Gemisch von Wasser und Alkohol entspricht, das die nämliche Stärke hat, wie der Wein, und doch fand sich Weinsteinniederschlag in der Flasche, freilich verbunden mit Farbstoff und der genannten harzähnlichen Materie. Es kommt zum Theil oder ganz auch der eigenthümliche Geschmack des gefrorenen Weines von der Luftberührung her, die er beim Abziehen, was in dünnem Strahl geschieht, erfährt. Glücklicherweise sind diese nachtheiligen Wirkungen durch die niedrige Temperatur sehr verlangsamt; der Geschmack solchen gefrorenen Weines hat mit demjenigen langsam oxydirten Weines viele Aehnlichkeit. Dieß Umfüllen des Weines mag zu Anfang nützlich seyn, später ist es nachtheilig; auch sucht man ja hierbei soviel als möglich die Größe und Dauer der Luftberührung zu mäßigen. Die Geschmacksveränderung in halbleeren Flaschen oder in Flaschen die vor dem Gebrauche umgefüllt wurden, ist jedem feinen Gaumen bemerklich und kommt nur von Luftberührung her. Die Beimischung alkalischer Mineralwässer zum Wein zerstört sofort sein Bouquet, weil, wie wir oben gesehen haben, das Alkali eine fast augenblickliche Absorption des Sauerstoffs bewirkt. Auch gewöhnliches Wasser zum Weine gemischt führt diesem Sauerstoff zu, und wesentlich darum verändert es den Wohlgeschmack des Weines in so nachtheiliger Weise. Alle die angeführten Fälle beziehen sich auf fertigen Wein, der durch weitere Sauerstoffaufnahme leidet; nach den Mittheilungen von Pasteur Polytechn. Journal Bd. CLXIII S. 216. wäre es gerade der Sauerstoff, der zu Anfang den Weingeschmack erzeugt, er befände sich demnach in steter Oxydation begriffen, in deren Mitte er ungefähr die besten Eigenschaften besitzt. Ganz ähnliche oxydirbare Substanzen finden sich, wie ich glaube, im Cider, von welchen der Geschmack desselben abhängt. Nach Obigem weiß man auch, was von den Vorschlägen zu halten ist, die gemacht wurden, um jungem Weine bald das Aussehen und den Geschmack alten Weines zu geben. Man erreicht durch vermehrte, nicht zu weit getriebene Luftberührung freilich die Oxydation der einen Reihe bouquetgebender Substanzen, der aldehydartigen, aber die Bildung der Aether läßt sich auf diesem Wege nicht beschleunigen. In einem überoxydirten Weine sind auch nur die aldehydartigen oxydirbaren Stoffe verschwunden, die Aether aber bleiben, so lange sich das Verhältniß von Wasser, Alkohol und Säure nicht ändert.