Titel: Ueber das elektrochemische Zuspitzen der Metalldrähte; von H. Cauderay, Eisenbahntelegraphen-Inspector zu Lausanne.
Fundstelle: Band 178, Jahrgang 1865, Nr. LX., S. 204
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LX. Ueber das elektrochemische Zuspitzen der Metalldrähte; von H. Cauderay, Eisenbahntelegraphen-Inspector zu Lausanne. Aus dem Bulletin de la Société vaudoise des science naturelles, 1865, No. 53. Cauderay, über das elektrochemische Zuspitzen der Metalldrähte. Bereits am 7. December 1864 habe ich der waadtländischen Gesellschaft der Naturwissenschaften ein neues elektrochemisches Verfahren mitgetheilt, welches sich in der Industrie zum Anspitzen der Steck- und Nähnadeln verwerthen läßt.Mitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CLXXV S. 134. Es war mir bereits damals gelungen, mit Hülfe dieses Verfahrens einige Tausend Stecknadeln zu spitzen; mehrere Proben davon legte ich der Gesellschaft vor. Das elektrochemische Anspitzen der Stecknadeln war demnach eine positive Errungenschaft; um aber eine allgemeinere Verbreitung in Fabriken finden zu können, mußte das Verfahren auch zum Spitzen der Nähnadeln, also für Eisen- und Stahldraht anwendbar seyn. Die größte Schwierigkeit beim Zuspitzen der in ein Säurebad eingetauchten Eisen- und Stahldrähte veranlaßt die Passivität des Eisens, d.h. die Eigenschaft dieses Metalles dem Angriffe der Säuren mehr oder minder vollkommen zu widerstehen, sobald ein elektrischer Strom durch dasselbe hindurch geht. Bei meinen zahlreichen Versuchen zur Erzeugung von Stahlspitzen durch ein Säurebad bemerkte ich häufig, daß die entstandene Spitze verkehrt war, indem die Basis des Kegels am Ende des Drahtes, die Spitze desselben aber fast dicht an der Oberfläche der Flüssigkeit sich befand. Diese Wirkung, gerade die umgekehrte von derjenigen, welche sich bei Messingdrähten zeigt, ist leicht zu erklären, denn der Grad der Passivität des Eisens muß in geradem Verhältnisse zur Intensität des durch die Oberfläche des Metalles entweichenden Stromes stehen; da nun der Strom fast gänzlich am unteren Ende der Drähte entweicht, so muß dieser Theil derselben nothwendig durch den Strom selbst gegen die corrosive Wirkung der Säuren geschützt werden; dagegen greifen diese die der Oberfläche des Bades zunächst liegenden Theile an, durch welche nur geringe Elektricitätsmengen entweichen. Zur Beseitigung der Passivität des Eisens wandte ich nacheinander folgende Mittel an: 1) Zunächst brachte ich Eisendrähte, mit Kupferdrähten gemengt, in dasselbe Bad und verband sie mit demselben Pole eines galvanischen Elementes, um in den Drähten einen schwachen secundären Strom hervorzurufen, welcher, da er im umgekehrten Sinne des primären sich bewegt, die Passivität zum Theil beseitigen mußte. Auf diese Weise erhielt ich zuweilen ganz vollkommene Spitzen, oft aber auch nur den oben angeführten umgekehrten Kegel. 2) Auch intermittirende Ströme wurden mit ziemlich gutem Erfolge angewendet. An einem beliebigen Punkte der Kette wird ein Uhrgangwerk angebracht, durch welches der Strom etwa 60mal in der Minute unterbrochen wird; durch diese Unterbrechungen soll die Wirkung der elektrischen Ströme und somit die durch sie hervorgerufene Passivität zeitweise aufgehoben werden, so daß das Metall in diesen Intervallen von den Säuren angegriffen werden kann. Nach jeder Unterbrechung entsteht auch in der Kette ein dem primären entgegengesetzter Strom, welcher ebenfalls zur Aufhetzung der Passivität beitragen muß. 3) Da die beiden im Vorstehenden angegebenen Mittel complicirt sind und überdieß nur unvollständige Resultate geben, so machte ich den Versuch, die Säuren als Beizen durch Salze zu ersetzen. Nach vielfachem Experimentiren kam ich denn auch (im April 1865) zu der Ueberzeugung, daß in einem Salzbade das Eisen nicht passiv wird, und daß die geringe, in einem solchen Bade freiwerdende Säuremenge genügt, um die härtesten Stahlsorten anzugreifen, ohne daß eine der Erscheinungen eintritt, welche als Passivität oder passiver Zustand der Metalle bezeichnet werden. Das von mir angewendete Bad besteht aus einer kalt bereiteten Lösung von 1 Theil käuflichem Alaun und 1 Theil Kochsalz in reinem Wasser; concentrirter und somit von stärkerer Wirkung erhält man sie, wenn man die Salze in heißem Wasser löst. Was die verschiedenen Einrichtungen und Vorsichtsmaßregeln betrifft, welche getroffen werden müssen, um ein vollständiges Gelingen der Operation zu sichern, so sind dieß dieselben, welche für das Spitzen der Messingdrähte gelten und die schon in meinem ersten Aufsatze beschrieben worden sind. Die durch das elektrochemische Verfahren dargestellten Stahlspitzen haben eine vollkommen conische Form und eine mehr oder weniger gute Politur, welche übrigens in sehr bedeutendem Grade von der Homogenität des verwendeten Drahtes, sowie von seiner mehr oder weniger reinen Oberfläche bedingt wird. Aus diesem Grunde ist es stets räthlich, die Drähte zunächst mit schwefelsaurem Wasser abzubeizen und sie dann erst in das Bad zu bringen, was vom besten Erfolge für die rein conische Form und die Glätte der Spitzen ist. Wie dem Messing, so kann man auch dem Stahle Spitzen von allen in den Künsten und in der Industrie überhaupt erforderlichen Formen ertheilen. Die elektrochemische Wirkung wird selbst durch die größte Härte des angewendeten Stahldrahtes nicht beeinträchtigt, und ebenso wenig verändert sie die besonderen Eigenschaften des gehärteten Stahls. Durch das Salzbad im Verein mit dem elektrischen Strome geht die zur Bildung der Spitze erforderliche Metallmenge in Lösung, indem sich Chlorüre bilden, die sich in der Flüssigkeit lösen, während der Kohlenstoffgehalt des Stahls in Form eines feinen schwarzen, nach dem Trocknen blaugrau erscheinenden Schmandes am Drahte hängen bleibt. Auf dieses Verhalten ließe sich vielleicht ein Verfahren zur quantitativen Bestimmung des Kohlenstoffgehaltes der verschiedenen Stahlsorten gründen. Noch will ich hier auf eine interessante Beobachtung über das Verhalten des Drahtes von sehr reinem Eisen gegen eine sehr concentrirte Lösung von Kochsalz und Alaun aufmerksam machen. Es bildet sich nämlich in einem solchen Bade keine Spitze, sondern das Ende des Drahtes spaltet sich in eine Menge haarfeiner Metallfäden, und sieht nach einiger Zeit ganz wie ein Pinsel aus. Bei Stahldraht, sowie bei Eisen, welches eine gewisse Menge anderer Metalle enthält, tritt diese Erscheinung nicht auf. Technische Anwendungen des elektrochemischen Zuspitzens. Seit der Veröffentlichung meines ersten Aufsatzes über diesen Gegenstand sind mir von verschiedenen Seiten Beweise eines lebhaften Interesses an diesem Verfahren zugegangen. Privatleute, Professoren, Techniker und Industrielle, Gesellschaften und selbst mehrere Regierungen haben sich in dieser Angelegenheit an mich gewendet. Von allen Seiten verlangte man gleichzeitig dringend die Anwendung dieses Verfahrens auf Nähnadeln, also auf Stahldraht. In Folge meiner letzten Versuche bietet das Anspitzen der Nähnadeln durch das elektrochemische Verfahren gar keine Schwierigkeit mehr dar. Bei dem geringen Preise der anzuwendenden Substanzen – Kochsalz und Alaun – ist diese Methode sehr billig, sogar noch billiger als das Anspitzen der Stecknadeln, wozu die Anwendung von Salpetersäure erforderlich ist. Noch einige praktische Versuche, und die ganze Nähnadelindustrie wird eine vollständige Umwandlung erleben; Tausende von Arbeitern werden jetzt und in der Zukunft, ohne um ihre Arbeit zu kommen, die großen Vorzüge dieses neuen Verfahrens in gesundheitlicher Beziehung genießen; gleichzeitig werden aber auch die Fabrikanten bedeutend an Zeit und Arbeitslöhnen sparen. Zur Bestätigung dieser Hoffnungen erlaube ich mir, einige Stellen aus einem Briefe des Hrn. Dr. Beeg, Fabriken- und Gewerbe-Commissärs für die Stadt Nürnberg, anzuführen, eines Mannes, welcher bei dem Erfolge des elektrochemischen Anspitzens der Nadeln ganz besonders interessirt ist: „Ihre Mittheilungen, schreibt er mir, haben uns zu großem Danke verpflichtet. Die letzten uns übersendeten Stahlspitzen sind wirklich so gut gelungen, daß wenig zu wünschen übrig bleibt. Nach Ihren letzten Mittheilungen habe ich mehrere Versuche mit Stahldrähten angestellt und dabei sehr hübsche Spitzen erhalten, von denen ich Ihnen eine Probe beilege. Vor Allem lag mir daran, den Beweis zu erhalten, daß man nach Ihrem Verfahren Eisen- und Stahldraht bearbeiten kann; dieß ist jetzt feststehende Thatsache; die Spitzen, welche Sie mir übersendeten und die, welche ich nach Ihrer Anleitung selbst dargestellt habe, geben den unwiderleglichen Beweis dafür. Jetzt ist es Sache der intelligenten Fabrikanten, Ihre Erfindung praktisch zu verwerthen, und ich bin überzeugt, daß die Hindernisse, welche sich in der Praxis vielleicht entgegenstellen, sehr leicht zu besiegen sind....“ Eine der größten Schwierigkeiten, womit die Fabrikanten bei der Anwendung des Verfahrens zu kämpfen haben werden, wird ohne Zweifel darin liegen, die Drähte während der Operation rasch im Bade befestigen zu können; außer dem bereits in meiner ersten Mittheilung für Stecknadeln angegebenen Verfahren des paketweisen Zuspitzens könnte man auch die Drähte in lange, aus zwei Kupferblechstreifen bestehende Klemmen stecken oder auch nach vorherigem Lochen an feinen, durch ihre Oehre gezogenen Metalldrähten aufhängen. Das dem elektrochemischen Zuspitzen von Metalldrähten zu Grunde liegende Princip läßt sich auch noch auf andere Industriezweige anwenden. So habe ich mit einigen abgenutzten Feilen Versuche angestellt, das sogenannte Aufhauen derselben auf elektrochemischem Wege zu bewirken. Zwar habe ich einen vollkommen befriedigenden Erfolg bisher noch nicht erzielt, wohl aber ziemlich gute Resultate erhalten, und ich bin überzeugt, daß eine Feile, wenn sie noch nicht gänzlich abgenutzt ist, bevor sie dieser Behandlung unterworfen wird, mittelst derselben mit Vortheil aufgefrischt, d.h. mit schärferem Hieb versehen werden kann. Sehr wahrscheinlich ist es ferner, daß, wenn der Preis der Elektricität niedriger und ihre Anwendung mehr verbreitet seyn wird, dieses Mittel auch zum „Schärfen“ gröberer Werkzeuge, z.B. der Steinmetzen, des Gezähes der Bergleute etc. angewendet werden kann. Der Arbeiter braucht zu diesem Zwecke nur die beiden Seiten der Werkzeuge mit Wachs zu überziehen, so daß dieselben Nichts von der Breite ihrer Spitzen oder Schneiden verlieren, und sie dann in ein neben ihm befindliches Bad zu bringen, um stets brauchbare Werkzeuge zur Hand zu haben, ohne mit dem Schärfen derselben im Feuer Zeit zu verlieren. Schon in meiner ersten Abhandlung machte ich auf die wahrscheinliche Anwendbarkeit dieses Verfahrens in der Kupferstecherkunst aufmerksam; ich habe seitdem zahlreiche Versuche abgeführt, welche mir den Beweis lieferten, daß die in Rede stehende Wirkungsweise der Elektricität dieser Kunst sowohl zum Aetzen in Kupfer als in Stahl die größten Dienste leisten wird. Bei meinen Versuchen wurde ich von Hrn. de Moulin unterstützt, dem ich sehr werthvolle Angaben über diesen Gegenstand verdanke. Der Grund, weßhalb das Aetzen in erhabener Manier mit Scheidewasser bis jetzt unmöglich war, ist der, daß die Säuren unter sich fressen, so daß dann die Erhabenheiten nicht fest genug bleiben und unter der Druckerpresse zerquetscht werden. Deßhalb konnte das Scheidewasser nur zum Stich in halb erhabener und in vertiefter Manier angewendet werden. Bei Anwendung meines elektrochemischen Verfahrens dagegen ist der Angriff an den oberen Theilen der Erhabenheiten stärker als an ihrer Basis, und zwar in solchem Grade, daß die Oberfläche der vollen Stellen des Stichs kleiner wird und die feinen Linien derselben verschwinden, bevor noch die stärkeren Linien fertig geätzt sind. Ich glaube indessen, daß sich dieses Hinderniß durch Anwendung eines festeren und stärker adhärirenden Aetzgrundes auf dem Metalle, sowie durch mehrmalige Retouche überwinden lassen wird. Bereits ist ein Verfahren zum elektrochemischen Graviren versucht und selbst praktisch angewendet worden, welches mit der von mir in Vorschlag gebrachten Methode häufig verwechselt wird und darin besteht, die zu gravirende Platte mit dem positiven Pole eines galvanischen Elements zu verbinden und sie dann in ein Bad von schwefelsaurem Kupferoxyd zu bringen. Die auf solche Weise bewirkte Aetzung ist von der mit dem erstgedachten Verfahren erzielten sehr verschieden, die Wirkung ist dabei auch langsamer und das Verfahren läßt sich zum Stahlstiche nicht anwenden. Diese Verschiedenartigkeit der Wirkung wird hauptsächlich durch die Anwendung specieller Bäder und einer besonderen Anordnung der beiden im Bade befindlichen Elektroden bedingt. Der Bereich der technischen Anwendungen der im Vorstehenden besprochenen merkwürdigen Eigenschaft oder Wirkungsart der Elektricität ist demnach bis jetzt ziemlich beschränkt; allein verschiedene Gründe veranlassen mich zu der Annahme, daß er sich mit der Zeit erweitern wird.Wegen eingehender Angaben, Zeichnungen etc. mögen die für diese patentirte Erfindung sich Interessirenden, welche etwa dieselbe im Auslande fabrikmäßig zur Anwendung zu bringen beabsichtigen, direct nach Lausanne an den Erfinder, oder an dessen Agenten, die Civilingenieure E. Barrault in Paris (Nr. 33, Boulevard St. Martin) und H. Newby (Nr. 31, Cheapside) in London, sich wenden.