Titel: Nobel's Patent-Sprengöl und weitere Versuche damit auf dem Oberharze.
Fundstelle: Band 178, Jahrgang 1865, Nr. XCVII., S. 349
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XCVII. Nobel's Patent-Sprengöl und weitere Versuche damit auf dem Oberharze. Aus der berg- und hüttenmännischen Zeitung, 1865, Nr. 44. Nobel's Patent-Sprengöl. Nachdem die versuchsweise Anwendung dieses neuen Sprengstoffes, namentlich in Steinbrüchen über Tage, bei immer mehr und mehr gewonnener Ausdehnung zu Gunsten desselben sich herausgestellt hat, glauben wir es unseren Lesern schuldig zu seyn, die bisherigen Mittheilungen über fraglichen Gegenstand durch folgende kurzgefaßte, auszugsweise zum Theil einer uns durch Hrn. A. Nobel übermittelten BroschüreNobel's Patent-Sprengöl (Nitroglycerin) und dessen Verwendung zu Gesteinssprengungen in Gruben und über Tage, zu Metall- und Holzsprengungen, sowie zum Auflockern von Erdarten etc.Alfred Nobel und Comp. Hamburg. entlehnte Uebersicht über die Eigenschaften, Vorzüge und Nachtheile des Sprengöls, sowie über das Verfahren bei Anwendung desselben zu ergänzen. Das Nitroglycerin, welches bereits seit beinahe 20 Jahren wissenschaftlich bekannt ist, wurde zuerst von dem Italiener Sombrero im Laboratorium von Pelouze in Paris dargestellt und auch in seinen explosiven Eigenschaften erkannt, ohne jedoch in seiner technischen Brauchbarkeit gewürdigt zu werden. Die Lösung des Problems, seine ursprüngliche, sehr gefahrvolle Bereitung auf minder gefährliche Weise zu Stande und es auf eine leichte praktische Weise zum Explodiren zu bringen, gelang erst im vorigen Jahre dem schwedischen Ingenieur Alfred Nobel. Seitdem hat sich die praktische Anwendung des fraglichen Stoffes zu Gesteinsprengungen durch zahlreiche Versuche nicht nur bestätigt, sondern es hat auch die große Sprengkraft desselben Fachmänner sowohl, als Laien in Erstaunen gesetzt. Die Eigenschaften des Sprengöls. Dieselben wurden zum größten Theil schon in den ersten Mittheilungen, welche über ein dem Ingenieur Nobel patentirtes verbessertes Sprengpulver zu Anfang des vorigen Jahres erschienen (polytechn. Journal Bd. CLXXI S. 443), aufgezählt, und sind folgende: 1) Das Patent-Sprengöl ist eine hellgelbe ölartige Flüssigkeit, 2) von 1,6 spec. Gewicht und 3) unlöslich in Wasser. 4) Es kann durch directes Feuer nicht explodiren. In Berührung mit Feuer, z.B. mit einem Schwefelholze, zersetzt sich das Oel ohne Explosion und bei Entfernung des brennenden Körpers erlischt dasselbe. 5) Bei der Explosion, welche nur unter besonderen Verhältnissen stattfinden kann, verbrennt es vollkommen und ohne Rückstand. 6) Dasselbe ist von großer Explosionsschnelligkeit und 7) kann beliebige Zeit aufbewahrt werden, ohne an Gewicht oder Güte zu verlieren. Bei gewöhnlicher Temperatur wird es weder durch Kali noch Phosphor zersetzt. 8) Es detonirt durch einen Hammerschlag, aber nur auf der Berührungsstelle, so daß einige Tropfen, auf einen Amboß ausgebreitet, durch wiederholte Hammerschläge wiederholte Explosionen veranlassen. 9) Es kann ohne Gefahr bis 100° C. erwärmt werden, aber es explodirt bei 180° C. 10) Es ist giftig und verursacht heftige, indeß bald vorübergehende Kopfschmerzen. Theoretischer Nachweis der Sprengkraft des Sprengöls im Vergleich zu der des Pulvers. Die Wirkung beim Sprengen wird bedingt durch den Druck der entwickelten Gase und durch die Schnelligkeit, mit der die Explosion stattfindet. Bei Pulver werden der Theorie nach nicht mehr als 50 Procent vergast, indem 1 Volumen davon, abzüglich der durch die Hitze erzeugten Expansion, nach Regnault in 260 Volumina kaltes Gas verwandelt wird. Da die Verbrennung in der Wirklichkeit aber niemals so vollständig ist, als der Theorie nach anzunehmen, so sind aller Wahrscheinlichkeit nach 200 Volumina, mehr als das wirkliche Durchschnittsresultat. Die chemische Formel des Sprengöls ist C⁶H⁵O³ (NO⁵)³ = O¹⁸ –––––––––– Davon absorbiren bei der Verbrennung C⁶ = O¹² H⁵ = O⁵ –––––––––– O¹⁷ Es bleiben daher nach vollständiger Verbrennung Von 100 Gewichtstheilen Sprengöl werden bei der Verbrennung gebildet: circa   20 Thle. Wasser,   58 Kohlensäure,     3,5 Sauerstoff,   18,5 Stickstoff, ––––––––––––––– circa 100 Thle. Da das specifische Gewicht des Sprengöls 1,6 ist, so erzeugt 1 Volumen Sprengöl bei der Verbrennung: 554 Vol. Wasserdampf, 469 Kohlensäure, 39 Sauerstoff, 236 Stickstoff, –––––––––– 1298 Vol., oder nahezu 1300 Vol. Der Theorie nach muß aber das Sprengöl zufolge seiner vollständigen Verbrennung eine viel intensivere Hitze entwickeln als Pulver.Nach Bunsen beträgt die Verbrennungstemperatur des Pulvers im freien Raume = 2993° C., im geschlossenen Raume = 3340° C. Demnach kann wohl mit Sicherheit angenommen werden, daß die durch Verbrennung des Nitroglycerins erzeugte Hitze eine doppelt so starke ist, als die des Pulvers. Folglich, wenn 1 Vol. Pulver 200 Vol. kalte Gase, 4 Mal ausgedehnt 800 Vol. ergibt, so erzeugen: 1300 Vol. kalte Nitroglyceringase 8 Mal ausgedehnt     = 10400 Volumina. Es hat demnach das Nitroglycerin im Verhältnisse zu Pulver die circa 13fache Kraft dem Volumen nach oder die 8fache Kraft dem Gewichte nach, wobei das spec. Gewicht des Pulvers zu 1 angenommen ist. Die enorme Schnelligkeit der Explosion entzieht sich jeder Berechnung. Vorzüge des Nobel'schen Sprengöls. Dieselben bestehen: 1) in einer bedeutenden Arbeitsersparniß beim Bohren der Sprenglöcher. Ohne ein bestimmtes durchschnittliches Vielfaches der Mehrwirkung des Sprengöls im Vergleiche zu der Wirkung des Pulvers hier angeben zu wollen, können wir aus eigenen Erfahrungen bestätigen, daß die Sprengkraft des Oels die des Pulvers bei Weitem übertrifft und bei Anwendung des Nitroglycerins ein Bohrloch von geringer Weite viel mehr schafft, als bei Pulver ein Loch von ganz bedeutenden Dimensionen (eine Pulvermine). Die Ersparniß beim Bohren wird zu 2/3–3/4 von dem angegeben, was der Bohrer beim Sprengen mit Pulver kostet. Mit der Arbeitsersparniß stehen Materialersparnisse (Schmiedekosten, Zünder etc.) in inniger Verbindung. 2) In größerer Billigkeit als Pulver, wenn die Kraft als Norm angenommen wird. Bei dem Preise des Sprengöls von 1 Thlr. 2 Ngr. und einem Pulverpreise von 4 Ngr. per Pfund ergibt sich unter Annahme einer 10 Mal größeren Sprengkraft, als die des Pulvers, daß das Patent-Sprengöl um 25 Proc. billiger als Sprengpulver ist (polytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 483). Wenn wir nun auch im Allgemeinen noch keinen sehr großen Werth auf diese Ziffer legen, da die mit Sprengöl gewonnenen Blöcke noch besonders weiter zu zertheilen sind, und meinen, daß erst ausgedehnte längere Anwendung des neuen Sprengstoffes diesen Punkt in's klare Licht setzen kann, so sind wir doch vollständig davon überzeugt, daß ein Hauptvorzug besteht: 3) in der Möglichkeit, Sprengarbeiten in kürzerer Zeit zu bewerkstelligen, und es wird diese Ueberzeugung sich schon Jedem durch bloßen Augenschein aufgedrängt haben, welcher mehrfach Gelegenheit hatte, Sprengungen mit Nitroglycerin bei Tagebauen zu beobachten. Selbst wenn die Sprengung mit Oel nicht billiger käme, als die mit gewöhnlichem Pulver, so würde dennoch die Productionssteigerung bei verringerter Arbeitskraft zu Gunsten der ersteren sprechen. Fernere Vorzüge des Patent-Sprengöls liegen 4) in der Eigenschaft desselben, bei der Explosion keinen Rückstand zu hinterlassen. Sie ist eine Folge der bereits nachgewiesenen vollständigen Verbrennung des Oels und namentlich für Steinsalzgewinnung von großer Wichtigkeit, wie denn auch von Staßfurt aus gelobt wird, daß nach den dort versuchsweise ausgeführten Sprengungen die Salzwände mit keinerlei Rückstand bedeckt waren; 5) in der großen Explosionsschnelligkeit. Dieselbe gestattet das Oel auch bei rissigem Gestein, lockerem Kalkstein, Steingerölle etc., wo Pulver beinahe ohne Wirkung ist, vortheilhaft zu verwenden; 6) in der Gefahrlosigkeit beim Transport und bei der Aufbewahrung in Folge der weiter oben sub 4 und 7 aufgeführten Eigenschaften; 7) in dem Umstande, Sprenglöcher ohne festen Besatz laden zu können, welcher Zeitersparung, Billigkeit und mindere Gefährlichkeit im Gefolge hat; 8) in der Erleichterung des Besetzens und Wegthuns wassersüchtiger und unter Wasserbedeckung stehender Löcher. Dieser Vortheil ist in der Unlöslichkeit und dem höhern spec. Gewicht des Sprengöls begründet. Man braucht nur mittelst eines Rohres das Sprengöl in das mit Wasser bedeckte Loch zu gießen, so wird dasselbe sich zu Boden senken und das darüber stehende Wasser als Besatz dienen können; 9) in der Möglichkeit, Metallstücke zu zersprengen (polytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 486). Nachtheile des Nobel'schen Sprengöls. Als solche sind zu bezeichnen: a) Die Nothwendigkeit, für horizontale und schwebende Bohrlöcher Patronen zu benutzen. Der flüssige Zustand des Oels erfordert die Anwendung von Blechpatronen, welche die Kosten des Schusses erhöhen und etwas abschwächen. Man hofft binnen kurzer Zeit zweckmäßige und sehr billige Patronen liefern zu können; b) das Dichten der Bohrlöcher bei rissigem oder drusigem Gestein, um das Ausfließen des Oels zu verhindern; c) die reizbare Erregung des Nervensystems und der Respirationsorgane. Die Explosionsgase sollen vielfachen Berichten zufolge schädlich auf das Wohlbefinden derjenigen Personen einwirken, die dem Einathmen der mit diesen Gasen geschwängerten Luft ausgesetzt sind. Es stellten sich bei denselben Kopfschmerzen, ja sogar einige Mal Erbrechen ein. Dieser Umstand tritt der Anwendung des Sprengöls auf eigentlichen Grubenbauen hindernd entgegen, während er bei Tagebauen wenig in's Gewicht fällt. Der Erfinder ist freilich der Meinung, daß die schädliche Einwirkung nicht den Explosionsgasen, sondern umhergeschleudertem feinzertheilten Sprengöl zuzuschreiben sey (vergl. S. 9 der Eingangs erwähnten Broschüre) und empfiehlt bei allen unterirdischen Sprengungen die Benutzung von Patronen, da hierbei auf eine vollständige Vergasung zu rechnen sey. Instructionen bei Anwendung des Nobel'schen Patent-Sprengöls. Utensilien: 1) Ein graduirtes Maaß, welches für jeden Grad 1/30 Pfd. Sprengöl angibt. 2) Ein oben trichterförmiges Blechrohr, zum Eingießen des Oels in das Bohrloch. 3) Patent-Zündhütchen oder. 4) Patent-Holzzünder. 5) Sumpfzündschnüre und 6) Patronen für horizontale und schwebende Löcher mit dazu gehörenden Patentzündern. Verfahren beim Laden. Bei verticalen nach unten gerichteten Bohrlöchern wird das Sprengöl durch das erwähnte Blechrohr in das Bohrloch eingegossen, bei Anwendung von Wasserbesatz die Zündschnur von angemessener Länge, mit einem festaufgesteckten Patent-Zündhütchen versehen, so weit hinuntergelassen, daß das Zündhütchen sicher im Oel steckt und dann der über dem Oel befindliche Raum mit Wasser angefüllt. Das obere Ende der Zündschnur wird passend mittelst eines Lettenpfropfens festgehalten. Bei Sandbesatz wird das Oel ganz so wie oben eingeschüttet, die Zündschnur statt mit einem Zündhütchen mit einem sogenannten Patentzünder am unteren Ende versehen (in eine mit feinem Pulver gefüllte Holzhülfe eingesteckt) und so weit in das Loch hinabgelassen, bis der Zünder etwa zur Hälfte im Oele schwimmt. Alsdann wird die Zündschnur festgehalten und das Bohrloch mit losem Sande ausgefüllt. Die erste Methode hat allerdings den Vortheil, daß sich das Loch nach etwaigem Versagen sehr leicht von neuem mit Zündschnur und Zünder versehen läßt, scheint aber nach eigens gemachten Erfahrungen dem Sandbesatze gegenüber weniger sicher und widerstandsfähig zu seyn (polytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 478). In geschlossenen Räumen dürfte die Sandbesetzung auch deßhalb den Vorzug verdienen, weil man dabei sicherer ist, daß keine Oeltheile bei der Explosion umhergeschleudert werden und als feiner Dampf auf die Gesundheit der Arbeiter nachtheilig einwirken können. Aus derselben Ursache ist es nothwendig, daß das Oel behutsam durch das Blechrohr so eingegossen wird, daß nichts an den Wänden des Sprengloches haften bleibt. Bei horizontalen und schwebenden Bohrlöchern wird das Oel in eine Blechpatrone gefüllt, diese mit einem Patentzünder, in welchen eine angemessen lange Zündschnur eingesteckt ist, fest geschlossen, so daß das Ende des Zünders sicher im Oel steckt, in das Loch eingeschoben und dann der Besatz aus losem Sande oder Thon hergestellt. Da die Zündschnur mitten im Patentzünder steckt, so wird man bei Anwendung von Thon und Lettenbesatz Sorge tragen müssen, die Schnur hier nicht zu knicken. Beim Schießen unter Wasserbedeckung wird das Blechrohr zum Eingießen des Oels bis auf den Boden des Loches eingesetzt, durch den Trichter desselben, welcher über der Wasserfläche hervorragen muß,. Oel eingegossen, die Zündschnur mit dem Patentzündhütchen durch das Blechrohr bis auf die Sohle des Bohrloches hineingeführt, das Blechrohr vorsichtig herausgezogen und alsdann das obere Ende des Zünders zum Zwecke des Anzündens in angemessener Weise befestigt. Die Ladung der Löcher mit Sprengöl anlangend, verdient noch bemerkt zu werden, daß jede Fußhöhe Oel in einem Bohrloche von 1/2 3/4 1 1 1/4 1 1/2 2 Zoll rhein. Durchmesser ––––––––––––––––––––––––––––––––––––– circa 0,14 0,30 0,54 0,84 1,20 2,15 Zollpfund wiegt. – 1 Liter Sprengöl wiegt 3 1/5 Zollpfund. –––––––––– Die uns vorliegende Broschüre enthält noch eine große Anzahl von Gutachten über das Nobel'sche Sprengöl und Mittheilungen über die damit erzielten praktischen Resultate. Aus Schweden, vielen Orten Deutschlands, aus Belgien und Frankreich wird die praktische Anwendbarkeit des Sprengöls – namentlich über Tage – bestätigt. In neuerer Zeit wurden Versuche zum Gesteinssprengen zu Königshütte in Schlesien, in den Gruben der Vieille-Montagne zu Moresnet, zu Bochum etc., zum Sprengen großer Eisenmassen: zu Haspe, Haßlingshausen u. s. m. angestellt, über deren günstigen Ausfall verschiedene Journale bereits berichtet haben. Auch wir sind im Stande, noch fortgesetzter Sprengversuche am Oberharze erwähnen zu können. In den (bereits im polytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 478 genannten) Trogthaler Steinbrüchen bei Lautenthal werden die begonnenen Versuche fortgesetzt und in anderen Steinbrüchen in der Umgegend von Osterode, Clausthal und Zellerfeld wurden neue Versuche eingeleitet. Bei Ausführung derselben bestätigte sich die enorme Sprengkraft des Nobel'schen Sprengöls in auffallender Weise. Die Sprenglöcher wurden 50–160 Zoll tief, je nach Maaßgabe des Vorgebens, und im Oelsacke 1 bis 1 1/4 Zoll weit gebohrt. Die Stärke der Ladungen variirte zwischen 1 bis 4 Pfund. Die Resultate waren zum Theil denen gleich, welche wir bereits über die Lautenthaler Versuche mitgetheilt, zum größten Theile übertrafen sie dieselben, da man in der Bestimmung der Stärke des Vorgebens und der dieser entsprechenden Stärke der Ladung bereits einige praktische Sicherheit erlangt hat. Eine nähere Beschreibung der Wirkungen der Schüsse glauben wir hier unterlassen zu können, da dieselbe nur Wiederholungen des bereits Mitgetheilten enthalten würde. Die Massen der durch die fraglichen Sprengungen theils an Ort und Stelle zerrütteten, theils vollständig aus dem natürlichen Zusammenhange gelösten und übereinandergeworfenen Grauwacke von den verschiedensten Festigkeits- und Cohärenzverhältnissen waren nach Hunderten, meistens aber nach Tausenden von Kubikfußen zu überschlagen. Das Nobel'sche Sprengöl wird für beregte Zwecke aus dem Stadium versuchsweiser Anwendung in das eines dauernderen Gebrauches getreten seyn. F. W.