Titel: Ueber Nitroglycerin oder Sprengöl; vom Apotheker Liecke in Hannover.
Fundstelle: Band 179, Jahrgang 1866, Nr. XLIV., S. 158
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XLIV. Ueber Nitroglycerin oder Sprengöl; vom Apotheker Liecke in Hannover. Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins, 1865 S. 214. Liecke, über Nitroglycerin. Seit kurzer Zeit macht eine chemische Verbindung viel von sich reden, die schon lange bekannt ist, wofür aber eine praktische Verwendung nicht hat recht gelingen wollen, ungeachtet die meisten Eigenschaften derselben wohl erforscht waren. Es ist dieß das sogenannte Sprengöl, ein Substitutionsproduct des Glycerins oder Oelsüßes. Letzteres wird aus Thier- und Pflanzenfetten durch Zersetzung derselben mit starken Basen gewonnen und ist ein an sich höchst unschuldiger Stoff. Kommt dasselbe aber unter bestimmten Bedingungen mit Salpetersäure in Berührung, so geht eine Zersetzung vor sich; es scheidet das Glycerin einen Theil seines Wasserstoffes, die Salpetersäure eine äquivalente Menge ihres Sauerstoffes aus, und zwei neue Verbindungen, das Nitroglycerin und Wasser treten auf. Aus dem milden Glycerin ist nun das bergerschütternde, tödtlich wirkende Nitro glycerin geworden. Während jenes sich in Wasser leicht löst, entbehrt dieses der Eigenschaft, so daß wir schon hierdurch eine Handhabe zur Trennung beider Körper erhalten. Hinsichtlich der giftigen Wirkung des Nitroglycerins ist zu erwähnen, daß ein Centigramm davon hinreicht, um einen Hund augenblicklich zu tödten. Die andere Eigenschaft anlangend, so werden wir später Beispiele von Sprengversuchen aufzählen, die uns in's Staunen versetzen. Ich sagte, der Mangel einer praktischen Verwendbarkeit sey Ursache, weßhalb das schon viele Jahre bekannte Nitroglycerin fast in Vergessenheit gerathen ist. Es fehlte eine Methode, dasselbe rasch und ohne große Gefahr für das Menschenleben als Sprengmittel zur Wirkung zu bringen. Durch das Nähern eines brennenden Spanes war wohl eine locale Entzündung, doch nicht die plötzliche Detonation einer größeren Quantität möglich. Letztere gelang wohl beim Erhitzen auf 180° C., aber auch mit dieser Erfahrung war wenig für die Praxis genützt. Man ließ den Gegenstand ruhen, bis am Anfang des Jahres 1865 der Ingenieur Nobel aus Hamburg sich ein Patent darauf geben ließ, das Nitroglycerin zum Sprengen von Felsmassen zu benutzen. Das Problem der praktischen Entzündung war gelöst. Nobel bediente sich hierzu besonderer Patronen, die mit Pulver, Pyroxylin oder einem ähnlichen Material gefüllt und unmittelbar über dem Sprengöl-Bohrloche angebracht wurden. So angeordnet, genügte ein einziges Fünkchen, um ein großes Quantum Sprengöl zur Verpuffung zu bringen, indem der beim Explodiren der Pulverpatrone entstehende heftige Druck eine Totaldetonation des Sprengöls hervorrief. Jetzt erst lernte man in vollem Maaße die furchtbare Gewalt kennen, die dieses Mittel zu äußern im Stande ist. Ein Bohrloch mit Sprengöl geladen, kommt der Wirkung von zehn Bohrlöchern derselben Dimension mit Pulverladung gleich. Mit einem Neuloth jenes zerbricht man einen schmiedeeisernen Amboß von vier Zoll Wandstärke, wie man mit einem Fingerdruck eine dünnwandige Glaskuppel zerbricht. Betrachten wir nun die Bedingungen näher, unter denen sich dieser gewaltige Stoff herstellen läßt. Tropft man 100 Gramme Glycerin in 200 Kubikcentimeter Salpetersäure von 1,3 spec. Gewicht und fügt unter steter Abkühlung 200 Kubikcentimeter Schwefelsäure hinzu, so scheidet sich ein gelbliches Oel ab, dessen Zusammensetzung ist. C³ H⁵ O², HNO⁴, H O⁴ Vermischt man zwei Volumina Schwefelsäure, die genau ein Aequivalent Wasser enthält, mit einem Volumen Salpetersäure von 1,4 spec. Gew., bringt dann das Gemisch auf eine Temperatur unter 0° und tropft unter sanftem Umrühren ein Volumen reines Glycerin hinein, so kann durch Zusatz von Wasser eine ölige Flüssigkeit abgeschieden werden. Die Formel hierfür ist C³ H⁵ O², H        2 NO⁴ O⁴ Diese beiden Verbindungen theilen die Eigenschaften des Sprengöls, doch ist ihre Wirkung nicht so heftig, wenn schon die Bereitung derselben große Vorsicht verlangt. Zur Fabrication des eigentlichen Sprengöls läßt Nobel zu Salpetersäure von 1,3 spec. Gew. und starker Schwefelsäure vermittelst eines Rohres Glycerin fließen ohne eine Abkühlung vorzunehmen. Es wird auf diese Weise eine continuirliche Darstellung. Nur bei Anwendung einer stärkeren Salpetersäure von 1,5 spec. Gewicht ist diese Methode nicht anwendbar, weil eine zu starke Reaction erfolgt, welche eine tief gehende Zersetzung zur Folge hat. Bei einer solchen Säure soll vorzuziehen seyn, die Salpetersäure in verschiedenen Portionen zu der Schwefelsäure zu setzen und jedesmal mit Glycerin zu sättigen, auch für gute Abkühlung zu sorgen. Ein Säuregemisch, welches zur Darstellung des Nitroglycerins sehr geeignet ist, wird nach Nobel erhalten, wenn man in 3 1/2 Theilen Schwefelsäure von 1,83 spec. Gew. 1 Theil Kalisalpeter löst und abkühlt. Es krystallisirt dann ein Salz aus, welches aus einem Aequivalent Kali, vier Aequivalenten Schwefelsäure und sechs Aequivalenten Wasser besteht, also von der Formel KO + 4 SO³ + 6 HO. Jene Säure scheidet beim Abkühlen auf 0° fast die ganze Menge des gebildeten Salzes aus und kann von letzterem durch vorsichtiges Abgießen befreit werden. Tropft man einer solchen Säure Glycerin zu, so geht sehr rasch die oben erwähnte Bildung des eigentlichen Sprengöls vor sich, welches durch Wasser abgeschieden und gewaschen das Trinitroglycerin darstellt, von der Zusammensetzung C³ H⁵ O², NO⁴2 NO⁴ O⁴ Dieses kann nun zum Füllen von Bohrlöchern, die nöthigenfalls mit Thon gedichtet werden müssen, direct verwendet werden. Der obere Theil eines solchen Bohrloches wird mit etwas Wasser beschüttet, ein Sicherheitszünder angebracht, an dessen Ende sich die geladene in das Sprengöl eingeschobene Patrone befindet. Wie bekannt ist, sind die Rohmaterialien zur Bereitung des Sprengöls nicht sehr theuer, so daß der ausgedehntesten Verwendbarkeit hinsichtlich des Preises nichts entgegen steht. Wollten wir hierüber eine Berechnung aufstellen, so würden wir etwa folgendes Verhältniß bekommen: 10 1/2 Pfund Schwefelsäure von 1,83 spec. Gew. kosten etwa   9 Gr.   3 Pfund Kalisalpeter „        „ 15 Gr.   0,8 Pfund Glycerin von 1,252 spec. Gew. „        „ 12 Gr. –––––––––––––––––– zusammen 36 Gr. Da nun diese Quantitäten beinahe 2 Pfund Nitroglycerin oder Sprengöl liefern würden, so würde ein Pfd. desselben, Arbeit abgerechnet, auf etwa 18 Gr. kommen. Nobel verkauft das Pfund mit 32 Gr., welcher Preis wohl als ein mäßiger bezeichnet werden kann, ganz besonders dann, wenn man die Wirkung in Betracht zieht. Die Kosten eines Versuches mit Sprengöl sind nach Nobel's AngabenPolytechn. Journal Bd. CLXXVII S. 483. auf 94 Francs gekommen. Für diesen Betrag wurden 100 Kubikmeter Berge zum Versatze gewonnen, welche den Arbeitern mit 1 Fr. 30 Cent. per Kubikmeter bezahlt werden, so daß die letzteren außer ihrem Schichtlohn von 2 1/2 Fr. noch 35 Fr. 90 Cent. verdient haben würden, selbst wenn sie das Sprengöl hätten bezahlen müssen. Wäre dieselbe Gesteinsmasse durch Sprengen mit Pulver gewonnen, so würden dazu mindestens zwanzig gewöhnliche Bohrlöcher von 30 bis 36 Zoll Tiefe erforderlich gewesen seyn und die Kosten würden in diesem Falle 125 Fr. betragen haben. Bei den meisten mit Sprengöl angestellten Versuchen soll dasselbe nichts zu wünschen übrig gelassen haben. Ob aber in diesen Versuchen das Höchste erreicht ist, was damit überhaupt erreicht werden kann, das stehe einstweilen dahin; für ausgemacht halte ich es nicht. Zuversichtlich scheint es mir, daß dem Trinitroglycerin oder Sprengöl eine große Zukunft bevorsteht. Die exorbitante Kraft dürfte z.B. nicht ungeeignet seyn, dasselbe statt des Schießpulvers für größere Geschütze anzuwenden.