Titel: | Technisch-chemische Notizen; von Dr. R. Brimmeyr. |
Autor: | R. Brimmeyr |
Fundstelle: | Band 185, Jahrgang 1867, Nr. XIX., S. 44 |
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XIX.
Technisch-chemische Notizen; von Dr.
R. Brimmeyr.
(Fortsetzung von Bd. CLXXXIV S. 522.)
Brimmeyr, über die Anilinfarben-Industrie.
VI. Die Anilinfarben-Industrie
auf der dießjährigen allgemeinen Industrie-Ausstellung zu
Paris.
2) Das Diphenylamin und dessen
Homologe.
Die Entdeckung des Diphenylamins (und des Phenyltolylamins) reicht in das Jahr
1864 zurück, wo A. W. Hofmann dasselbe unter den
Producten der trockenen Destillation des Rosanilins, des Phenyl- und des
Tolylblau's antraf. Hofmann ging von der Ansicht aus,
daß, da Rosanilin bei der trockenen Destillation Anilin, und Aethylrosanilin
Aethylanilin geben, das phenylirte Rosanilin ebenfalls phenylirtes Anilin unter
den Destillationsproducten liefern würde. Der Versuch bestätigte seine Ansicht
aufs Glänzendste (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CXXXII S. 160). Das
Material dazu hatte er durch Hrn. C. Girard in Lyon
erhalten, der eine bedeutende Menge Anilinblau der trockenen Destillation
unterworfen. Um das stark gefärbte, dickflüssige Product zu reinigen, unterwarf
er es der Rectification, bis das Thermometer bei 300° C. stationär blieb
und die Destillation einer bestimmten Verbindung bekundete. Will man die
Destillation der schwer siedenden Oele umgehen, so kann man die braune
schmierige Masse mit etwas verdünnter Salzsäure behandeln, um das noch etwa
anhaftende Anilin wegzunehmen, und dann in verdünntem, mit Ammoniak versetzten
Alkohol lösen,
wodurch sich beim Erkalten das Alkaloid in kleinen fettglänzenden Blättchen
ausscheidet, welche bei 45° C. schmelzen und beim Wiedererkalten zu einer
strahlenförmig krystallisirten Masse erstarren.
Als charakteristische Reaction für die Nachweisung selbst kleiner Mengen
Diphenylamin fuhrt Hofmann die durch concentrirte
Salpetersäure hervorgerufene blaue Färbung an, die aber nicht bleibend ist,
sondern beim Verdünnen mit Wasser wieder verschwindet. Es muß aber einen Körper
geben, dem diese blaue Farbe angehört, da sie sich nach Hofmann auch bei der Einwirkung anderer oxydirender Agentien bilden soll. Von den anderen Eigenschaften des
Diphenylamins erwähnen wir nur, als von etwaigem technischen Interesse, sein
Verhalten zu Quecksilberchlorid oder Arsensäure bei Gegenwart von Toluidin. Durch Erhitzen einer Mischung dieser Substanzen erhält man
eine Schmelze, welche sich in Alkohol mit prachtvoll violettblauer Farbe löst.
Hofmann hält den entstandenen Körper für monophenylirtes Rosanilin. Aus einer späteren
Abhandlung über das Phenyltolylamin (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd.
CXXXII S. 289) erfahren wir, daß letzteres durch Zusammenschmelzen mit
Quecksilberchlorid ebenfalls einen in Alkohol mit prachtvoll violettblauer Farbe
löslichen Körper liefert, den Hofmann seiner
Bildungsweise nach als Tolyldiphenylrosanilin
bezeichnet. Sonderbar muß es erscheinen, daß Hofmann
den blauen Körper nicht darzustellen vermochte; vermuthlich war die ihm zu
Gebote stehende Menge der secundären Monamine zu gering, um damit umfassende
Versuche anstellen zu können.
Es ist klar, daß die Synthese der blauen Farbstoffe keine Schwierigkeit mehr
darbietet, sobald das Diphenylamin und dessen Homologe, besonders das
Phenyltolylamin, in beliebiger Menge dargestellt werden können. Verschiedene
nutzlose Versuche sind seit Hofmann's Entdeckung
gemacht worden, um die 2 Aequiv. typischen Wasserstoffs des Anilins durch Phenyl
zu ersetzen, bis endlich C. Girard, G. de Laire und P. Chapoteaut
ihre Untersuchungen über die Bildung der secundären Monamine der Phenyl-
und der Tolylreihe veröffentlichten (Comptes rendus,
t. LXIII p. 91; Annalen der Chemie und
Pharmacie, Bd. CXL S. 344). Aus diesen erhellt, daß das Diphenylamin durch
Einwirkung des Anilins auf seine Salze sich ebenso bildet wie das triphenylirte
Rosanilin aus dem Anilin und Rosanilin. Man erhitzt in einem langhalsigen Kolben
oder in einem geschlossenen Gefäße unter einem Druck von 4 bis 5 Atmosphären
eine Mischung von 1 1/2 Aeq. Anilin und 1 Aeq. chlorwasserstoffsaurem Anilin auf
eine zwischen 210 und 240° C. liegende Temperatur. Der Beginn der
Reaction wird durch die Entwickelung von Ammoniak angezeigt. Nach 30 bis 35 Stunden ist die
Operation beendigt und man erhält eine bis zu 1/5 von dem Gewichte des
angewendeten Anilins betragende Menge Diphenylamin. In geschlossenen Gefäßen und
unter einem Druck von 4 bis 5 Atmosphären geht die Bildung dieser Base rascher
und in beträchtlicherer Menge vor sich. Der Siedepunkt der gereinigten Substanz
liegt bei 310° C.
Auf dieselbe Art und Weise erhält man das Phenyltolylamin und das Ditolylamin.
Das Phenyltolylamin, durch Einwirkung von Anilin auf chlorwasserstoffsaures
Toluidin, oder von Toluidin auf chlorwasserstoffsaures Anilin dargestellt, zeigt
in seiner Reaction ebenso wie das Ditolylamin große Aehnlichkeit mit dem
Diphenylamin; sein Siedepunkt liegt bei 330°, der des Ditolylamins
zwischen 355 und 360°.
Unstreitig empfiehlt sich obige Darstellungsart durch ihre Eleganz und
Einfachheit, und wenn es bis jetzt noch nicht gelungen ist, die secundären
Monamine der Phenyl- und Tolylreihe fabrikmäßig darzustellen, so liegen
gewiß nur mehr technische Schwierigkeiten im Wege, die aber vielleicht in diesem
Augenblicke schon überwunden sind.
Eine fernere Bildungsweise des Diphenylamins constatirte in jüngster Zeit A. W.
Hofmann (Comptes rendus,
t. LXIV p. 387), welche insofern Interesse
bietet, als sie das Resultat der Einwirkung des Anilins nicht auf seine Salze,
sondern auf die Anilide ist und ferner gleichzeitig
eine Quelle abgibt für die künstliche Entstehung der Benzoesäure.
Bekanntlich gibt die trockene Destillation des oxalsauren Anilins vorzüglich
Oxanilid, während das Formanilid oder Phenylformamid nur als Nebenproduct auftritt. Erhitzt
man dagegen rasch 2 Aequiv. Oxalsäure mit 2 Aequiv.
Anilin, so erhält man eine große Menge Formanilid,
unter Ausscheidung von Kohlensäure und Wasser. Unter den Destillationsproducten
findet sich Diphenylamin, welches herrührt von einer
secundären Umsetzung von Formanilid und Anilin unter Entwickelung von Blausäure
und Wasser. Ferner trifft man einen flüssigen Körper neben dem Diphenylamin,
welcher mit den Wasserdämpfen übergeht, wenn man das Destillationsproduct mit
concentrirter Salzsäure erhitzt. Der aromatische Geruch läßt schon das Benzonitril erkennen. Durch längeres Kochen mit
caustischem Natron löst sich dasselbe unter Ammoniakentwickelung auf und setzt
sich in Benzoesäure um, welche mit dem Natron
verbunden bleibt.
Unterwirft man Toluidin derselben Behandlungsweise, so resultirt Tolylformamid
und durch Zersetzung desselben Tolylsäure.
Was nun die industrielle Seite der Geschichte des Diphenylamins betrifft, so ist
es für die Zukunft dieses neuen Körpers von Interesse zu wissen, ob er für die
Rückbildung eines blauen Farbstoffes, den wir vorläufig nicht mit dem
triphenylirten Rosanilin identificiren dürfen, sich eignet und ob für den Fall
einer günstigen Beantwortung dieses ersten Punktes die Herstellungskosten dem
neuen Producte erlauben gegen den durch Umwandlung des Rosanilins erzeugten
Farbstoff in die Schranken zu treten. A priori kann
ihm ein günstiges Prognostikon gestellt werden gerade in dem Umstande, daß das
Rosanilin umgangen wird. Man erhält den blauen Farbstoff fast ohne Beimengung
rother und violetter Körper, was bei dem auf gewöhnlichem Wege erhaltenen
triphenylirten Rosanilin, wie jeder Fachmann weiß, die Reinigung so zeitraubend
und kostspielig macht, indem noch wechselnde Mengen schwer zu beseitigenden
mono- und diphenylirten Rosanilins neben den Homologen des triphenylirten
Rosanilins sich vorfinden. Es ist also gerade das so gesuchte und theure Lichtblau, welches man auf diese Weise in seiner
vollen Reinheit erzielt.
Nach den classischen Arbeiten von Hofmann über die
Genesis des Rosanilins mag es nun außer Zweifel gestellt seyn, daß dasselbe
entsteht durch Zusammenziehen von 2 Atomen Toluidin und 1 Atom Anilin mit
Ausstoßung von 6 Atomen Wasserstoff, welche durch die oxydirenden Agentien zu
Wasser oxydirt werden. Eine Erweiterung und zugleich Bestätigung hat diese
Ansicht erhalten durch G. de Laire, C. Girard und P. Chapoteaut
(Comtes rendus, t. LXIII p. 964 und t. LXIV p. 416). Diese Chemiker haben durch Einwirkung oxydirender Agentien
auf reines Anilin, reines Toluidin und eine Mischung von beiden (1 At. Toluidin,
2 At. Anilin) neue Körper entdeckt, welche unter sich und mit dem Rosanilin eine
arithmetische Reihe bilden und respect. durch C²H² abweichen:
Violanilin
C³⁶H¹⁵N³
Mauvanilin
C³⁸H¹⁷N³
Rosanilin
C⁴⁰H¹⁹N³
Chrysotoluidin
C⁴²H²¹N³
Wendet man dieselbe Schlußfolgerung auf die triphenylirten Derivate an, so müßte
das triphenylirte Rosanilin z.B. entstehen durch Zusammenziehung entweder von 2
At. Phenyltolylamin und 1 At. Diphenylamin, oder von 2 At. Diphenylamm und 1 At.
Ditolylamin, mit Ausscheidung von 6 At. Wasserstoff. In der That erhält man
blaue Farbstoffe, wenn man das Diphenylamin der Einwirkung Wasserstoff
entziehender Agentien aussetzt. Sonderbar aber ist es, daß die Körper, welche
mit dem Anilin Roth erzeugen, wie die Arsensäure etc., für das Diphenylamin wenig geeignet
erscheinen und man zur Wahl neuer Agentien schreiten muß, welche als Aequivalent
von H² indicirt sind.
Nach vielen Versuchen ist es mir gelungen, aus Diphenylamin, welches durch
trockene Destillation von Anilinblau erhalten worden war, einen blauen Farbstoff
herzustellen. Besser gelang der Versuch mit Diphenylamin, welches ich durch die
Güte des Hrn. C. Girard in Lyon erhielt und das nach
seinem Verfahren erzeugt worden war. Die Reinigung des neuen Körpers geht leicht
von Statten durch Behandlung mit Alkohol, dem etwas Salzsäure zugesetzt wird. In
seinen Eigenschaften und seinem Verhalten gegen Lösungsmittel zeigt er die
größte Aehnlichkeit mit dem triphenylirten Rosanilin. Geschmolzen bildet er eine
bronzefarbene Masse, die ein dunkelblaues Pulver gibt und sich in starkem
Alkohol mit himmelblauer Farbe löst. Seide und Wolle werden damit in
prachtvollem Blau gefärbt, das selbst am künstlichen Lichte noch einen
grünlichen Schimmer erhält.
In jüngster Zeit ließ sich C. Girard ein Verfahren zur
Darstellung eines blauen Farbstoffes aus käuflichem Diphenylamin patentiren (Mechanics' Magazine, Juni 1867, S. 357). Er wendet
zur Wasserstoff-Entziehung den Anderthalb Chlorkohlenstoff
(zweifach-gechlortes Aethylenchlorür) an, indem er 3 Theile desselben auf
2 Theile Diphenylamin in einem Destillirapparat während 5 bis 6 Stunden zwischen
170° und 190° C. wirken läßt. Während der Reaction entwickelt sich
salzsaures Gas und Einfach-Chlorkohlenstoff; letzterer in einer dem in
Farbstoff umgewandelten Diphenylamin entsprechenden Menge. Die bronzefarbene
Schmelze wird gepulvert und bis zur vollständigen Erschöpfung in einen
Deplacirungsapparat mit Benzol oder Aether unter geringer Erwärmung behandelt.
Der unangegriffene Theil des Sesquichlorids sowie des Diphenylamins lösen sich
mit einer kleinen Partie blauvioletten Farbstoffes, während der größte und beste
Theil des blauen Farbstoffes ungelöst zurückbleibt. Will man ihn noch ferner
reinigen, so kann man ihn in kochendem Alkohol lösen und durch Salzsäure fällen.
Girard nimmt 2 Vol. Säure auf 1 Vol. Alkohol.
Nach einer oder zwei successiven Lösungen und Fällungen ist der blaue Körper
fast chemisch rein. Die saure alkoholische Flüssigkeit enthält eine Mischung von
blauen und besonders violetten und braunen Farbstoffen.
Der Erfinder hat beobachtet, daß unter denselben Bedingungen der Darstellung
Ditolylamin einen braunen, Diphenylamin einen schwärzlichblauen und
Phenyltolylamin einen blauvioletten Farbkörper erzeugt; daß aber eine Mischung
von Diphenylamin und Ditolylamin oder Diphenylamin und Phenyltolylamin in irgend
einem Verhältniß Blau gibt. Er bemerkt indessen, daß manche Verhältnisse besser sind als andere, und
daß 2 Theile Diphenylamin auf 1 Theil Ditolylamin eine gute Mischung geben.
Oxalsäure kann ebenfalls für die Umwandlung des Diphenylamins in blauen Farbstoff
verwendet werden, aber der Ertrag ist geringer. Das beste Mischungsverhältniß
sind gleiche Theile Säure und Alkaloid. Man erhitzt zwischen 110 und 120°
C. während 3 bis 5 Stunden, trägt aber Sorge, daß diese Temperatur nicht
überschritten werde, weil sonst der Farbstoff wieder zerstört wird; sobald das
Maximum von Färbevermögen erreicht ist, läßt man erkalten und kocht mit Wasser
aus, um die überschüssige Säure wegzunehmen. Das übrige Reinigungsverfahren wie
oben.
Ueber die praktische Seite obigen Verfahrens läßt sich vorläufig nichts
behaupten. Ist der Ertrag an Farbstoff lohnend, so wird die Industrie bald
Mittel finden, das Kohlenstoffsesquichlorid wohlfeil darzustellen. Mir stand
keines zu Gebote, um damit Versuche anstellen zu können; ich fand dagegen bei
Oxalsäure zwar Blaubildung, aber in so geringer Menge, daß wohl vorauszusehen
ist, daß dieses Agens keiner allgemeinen Anwendung fähig seyn wird. Nach dem von
mir aufgefundenen Verfahren, das von den vorigen ganz verschieden ist und sich
durch relative Wohlfeiheit auszeichnet, verläuft die Operation ruhig und ohne
besonderer Aufsicht zu bedürfen bis zu Ende. Später, wenn vergleichende Versuche
über den Werth entschieden haben, wird Näheres darüber berichtet werden.
Echternach (Großherzogthum Luxemburg), 15. Juni
1867.