Titel: Neue Untersuchungen über die Theorie der Sodafabrication nach dem Leblanc'schen Verfahren; von A. Scheurer-Kestner.
Fundstelle: Band 185, Jahrgang 1867, Nr. LXI., S. 214
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LXI. Neue Untersuchungen über die Theorie der Sodafabrication nach dem Leblanc'schen Verfahren; von A. Scheurer-Kestner. Aus den Comptes rendus, t. LXIV p. 615; März 1867. Scheurer, über die Theorie der Sodafabrication nach dem Leblanc'schen Verfahren. Meine früheren Untersuchungen über diesen GegenstandPolytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 130, Bd. CLXXV S. 290 und Bd. CLXXX S. 51. haben mich zu den beiden nachstehenden Schlußfolgerungen geführt: 1) Die Sodarückstände enthalten kein Calciumoxysulfuret; sie bestehen aus einem zuweilen etwas Aetzkalk enthaltenden Gemenge von Schwefelcalcium und kohlensaurem Kalk. 2) Die erste Reaction, welche im Sodaofen stattfindet, ist die Reduction des schwefelsauren Natrons zu Schwefelnatrium; dann erfolgt die Umwandlung dieses Salzes in kohlensaures Natron durch seine Doppelzersetzung mit der zugesetzten Kreide. Diese Schlüsse fanden ihre erste Bestätigung durch einen alten, aber nicht veröffentlichten und erst im J. 1864 gedruckt erschienenen Aufsatz Dubrunfaut's.In Les Mondes, Nummer vom 17. März 1864. Der Hauptversuch dieses Chemikers ist genau derselbe wie der, auf welchen ich mich gestützt habe.Polytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 134. E. Kopp Polytechn Journal Bd. CLXXX S. 136. und P. W. Hofmann Comptes rendus, t. LXII p. 291. haben die Richtigkeit der ersten jener beiden Schlußfolgerungen bekämpft, Pelouze dagegen stimmte derselben bei und man kann jetzt in Wahrheit sagen, daß die Frage der Existenz des Calciumoxysulfurets in negativer Weise ihre Lösung gefunden hat. Anders verhält es sich mit der zweiten Folgerung, gegen welche J. Kolb in AmiensPolytechn. Journal Bd. CLXXXI S. 362. aufgetreten ist. Da dieser Chemiker „unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Bereitung kleiner Mengen von Soda im Laboratorium mit Anwendung von Schmelztiegeln“ fand, so ist er der Ansicht, daß zur Endreaction die Gegenwart der von den Herdgasen herrührenden Kohlensäure nothwendig sey. Kolb's zweiter Einwurf stützt sich auf den möglichen Ersatz des kohlensauren Kalks durch Calciumoxyd oder Oxydhydrat. Beide Einwürfe will ich im Nachstehenden einer eingehenderen Prüfung unterwerfen. Der erste derselben steht im Widerspruche mit dem in meiner Abhandlung Gesagten, daß man bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln und mit Anwendung von Schmelztiegeln, die durch ein Holzkohlenfeuer erhitzt werden, eine Rohsoda von sehr guter Qualität darzustellen im Stande ist.Annales de Chimie et de Physique, 4. série, t. I p. 412; polytechn. Journal Bd. CLXXIII S. 130 und Bd. CLXXV S. 290. Ich habe diese Versuche vielfach wiederholt und immer dieselben Resultate erhalten. Mit Anwendung von Thontiegeln, die mit Holzkohle erhitzt wurden oder von Platintiegeln, zu deren Erhitzung ich eine Weingeistlampe benutzte, erhielt ich stets Rohsoda von mehr oder weniger hohem Gehalt, je nach der Wirksamkeit der gegen die störenden Einwirkungen der Luft oder einer zu hohen Temperatur getroffenen Vorsichtsmaßregeln. Da indessen die Ausführung der Operation in direct erhitzten Tiegeln wegen des gasförmigen Mediums, in welchem die letzteren mehr oder weniger der Einwirkung von Kohlensäure ausgesetzt sind, bezüglich der Bildung des Kohlensäuresalzes doch zu Zweifeln Anlaß geben konnte, so suchte ich eine andere Methode aufzufinden, welche beim Operiren in geschlossenem Gefäße zu derartigen Einwürfen durchaus keinen Anlaß geben kann. Zu diesem Zwecke stellte ich die Tiegel in die flüssige Rohsoda in dem Augenblicke, in welchem letztere aus dem Ofen gezogen wird. Durch die geschmolzene Masse, welche die Tiegel zu der erforderlichen Temperatur erhitzt und jede Einwirkung der Luft verhindert, werden sie gleichzeitig vor dem Einflusse jeder anderen Kohlensäurequelle – die Reduction des schwefelsauren Natrons ausgenommen – geschützt. Die angewendeten Gefäße waren Porzellantiegel von je 50 Kubikcentimet. Inhalt; dieselben wurden durch aufgelegte, mit Kupferdraht festgebundene Deckel nur unvollständig verschlossen. Erst nach vollständigem Erkalten der erstarrten Rohsoda wurden die Tiegel aus der letzteren herausgenommen und dann schritt ich zur Untersuchung ihres Inhalts. Ein Gemenge aus: schwefelsaurem Natron 100 Thle. Holzkohle   16    „ kohlensaurem Kalk   70    „ gab, auf diese Weise behandelt, eine poröse, der Rohsoda ähnliche Schmelze, welche in manchen Fällen 92 Proc. kohlensaures Natron enthielt. Diese Versuche berechtigen mich zu dem Schlusse, daß Rohsoda in Schmelztiegeln dargestellt werden kann, ohne daß Herdgase zugegen sind und auf das Schmelzgut einwirken. Derselbe Versuch, mit Anwendung eines Ueberschusses von kohlensaurem Kalk abgeführt, gab ein analoges Resultat. Das erhaltene Natronsalz enthielt kein Aetznatron – ein offenbarer Beweis, daß eine Reduction des kohlensauren Kalks nicht stattgefunden hatte, während das schwefelsaure Natron reducirt worden war. Uebrigens stimmte auch der folgende Versuch mit dem im Vorstehenden erörterten überein. Drei Tiegel wurden in die geschmolzene Rohsoda gestellt. Der erste derselben, welcher zur Gegenprobe dienen sollte, enthielt die gewöhnliche Beschickung; der zweite reinen kohlensauren Kalk; der dritte ein Gemenge von 50 Proc. kohlensaurem Kalk und 6 Grm. Holzkohle. Nach der Operation enthielt der erste Tiegel Rohsoda; der Inhalt der beiden anderen hingegen war unverändert geblieben. Wir kommen damit also zu der zweiten Schlußfolgerung: selbst bei Gegenwart von Holzkohle erfordert der kohlensaure Kalk zu seiner Zersetzung eine Temperatur, welche höher ist als die zur Reduction des schwefelsauren Natrons nothwendige. Es ist demzufolge ganz natürlich, daß die Laugen von der in Schmelztiegeln, selbst mit großem Ueberschusse von kohlensaurem Kalk dargestellten Rohsoda, kein Aetznatron enthalten. Es bleibt nun noch zu untersuchen, ob die bei der Reduction des Sulfats gebildete Kohlensäure zur Reduction unumgänglich nothwendig ist. Es scheint mir, daß diese Frage negativ beantwortet werden kann; denn wenn man diese Kohlensäure aus dem Spiele läßt, mit anderen Worten, wenn man fertig gebildetes Schwefelnatrium anwendet, so erhält man kohlensaures Natron. Man darf demnach folgern: zur Umwandlung des schwefelsauren Natrons in kohlensaures Natron ist freie Kohlensäure nicht unumgänglich nothwendig. Ersetzt man die Kreide durch Calciumoxyd (Aetzkalk) oder Calciumoxydhydrat, so findet ganz dieselbe Reaction statt. Zunächst entsteht Kohlensäuresalz und dieses wirkt dann auf das Schwefelnatrium. Auf der Sohle des Sodaofens ist diese Bildung von Carbonat ganz natürlich, denn in dem Augenblicke, wo das Gemenge in den Ofen gebracht wird, trifft es mit einer großen, aus dem Herde herrührenden Kohlensäuremenge zusammen. Ja man kann sogar im Schmelztiegel die Kreide durch Kalk oder Kalkhydrat ersetzen. Ein Gemenge aus: Kalk (Calciumoxyd) 28 Thln. schwefelsaurem Natron 71    „ Holzkohle 18    „ in Tiegeln in flüssige Rohsoda gestellt, gab ein Salz, welches manchmal bis 94 Proc. von Aetznatron ganz freies kohlensaures Natron enthielt. Sogar beim Versetzen einer aus Kreide, Sulfat und Kohle gemengten Beschickung mit Aetzkalk, welche in einem Tiegel der Hitze der geschmolzenen Rohsoda ausgesetzt wurde, gab die erhaltene Schmelze ein von Aetznatron freies Salz; dieses Resultat wurde z.B. mit folgender Beschickung erhalten: schwefelsaures Natron 71 Thle. Holzkohle 18    „ kohlensaurer Kalk 50    „ Aetzkalk 10    „ Demnach wird in dem Momente, in welchem sich das schwefelsaure Natron zersetzt, die bei dieser Zersetzung gebildete Kohlensäure vom Kalke gebunden; also wandelt sich der Aetzkalk unter diesen Umständen, d.h. bei der Temperatur, bei welcher Zersetzung des Sulfats stattfindet, in Kohlensäuresalz um. Aus diesen Thatsachen läßt sich der nachstehende Schluß ziehen: bei Anwendung von Kreide so gut, als von Aetzkalk oder Kalkhydrat trifft das Schwefelnatrium im Augenblicke seiner Entstehung mit kohlensaurem Kalk zusammen. Wir sind demzufolge berechtigt, das zweite Stadium der Reaction, durch welche die Bildung der Rohsoda vermittelt wird, als eine zwischen dem Schwefelnatrium und der Kreide stattfindende doppelte Zersetzung anzusehen. Diese Versuche gestatten mir, die gedachte, aus dem Inhalte meines ersten Aufsatzes gezogene Schlußfolgerung aufrecht zu erhalten; doch muß ich allerdings dieselbe bezüglich der nützlichen Wirkung eines Ueberschusses von Kalkstein etwas modificiren. Ich hatte die Ansicht ausgesprochen, daß der Ueberschuß des Kalksteins zum Ersatze desjenigen Antheiles dieser Substanz dienen müsse, welcher zufällig in Aetzkalk verwandelt wurde, bevor die Zersetzung des schwefelsauren Natrons vollständig stattgefunden hat. Allein der Nutzen dieses Zusatzes von überschüssigem kohlensauren Kalke muß anderswo gesucht werden. Außer dem Vortheile, daß dadurch die Berührungspunkte zwischen Kalkstein und Schwefelnatrium vervielfacht werden, gewährt dieser Ueberschuß noch den Nutzen, daß die erhaltenen Salze weißer, d.h. weniger schwefelhaltig ausfallen, indem durch die Gegenwart von Aetznatron in den Laugen die zwischen der Lösung des kohlensauren Natrons und dem Schwefelcalcium stattfindende doppelte Zersetzung verzögert wird. Wir verdanken die Kenntniß dieser Thatsache den sehr genauen und entscheidenden Versuchen Kolb's. Was die durch die Praxis sanctionirte Anwendung eines Ueberschusses von Kohle anbetrifft, so dient ein Theil derselben zur Reduction des kohlensauren Kalkes; ein anderer, bedeutender Antheil jedoch wird durch den Sauerstoff der Herdgase verbrannt. Besondere Analysen haben mich überzeugt, daß diese Gase stets mindestens 10 Proc. Sauerstoff enthalten. Der Theorie nach würden zur Darstellung von Rohsoda nur die äquivalenten Mengen von schwefelsaurem Natron und Kreide, außer der zur Reduction des schwefelsauren Natrons nöthigen Quantität Kohlenstoff erforderlich seyn; dabei mühte aber gleichzeitig die Beschickung vor der oxydirenden Einwirkung der Luft und der Herdgase geschützt und die geeignete Temperatur, ohne eine Überschreitung derselben, erreicht werden. Die im Flammofen stattfindenden Vorgänge sind die folgenden: Die Beschickung bildet auf der Ofensohle eine mehrere Centimeter hohe Schicht. Zunächst reducirt sich der obere Theil derselben, und in diesem ist die Reaction bereits ziemlich weit vorgeschritten, wenn durch das erste Umkrücken die Oberfläche des Einsatzes erneuert wird. Der in der teigig gewordenen oberflächlichen Schicht entstandene Aetzkalk wird durch Aufnahme der in Folge der Reduction des schwefelsauren Natrons der tiefer liegenden Schichten entwickelten Kohlensäure wieder zu kohlensaurem Kalk. In dem Augenblicke, in welchem das schwefelsaure Natron in Fluß geräth, zieht es sich in den Kalkstein ein und zersetzt sich in demselben. Sobald alles schwefelsaure Natron in dieser Weise zersetzt worden ist und die Kohlensäureentwickelung nachläßt, erhöht sich die Temperatur der Schmelze und der überschüssige Kalkstein beginnt sich zu zersetzen, wobei sich Kohlenoxyd bildet. Die Entwickelung dieses Gases ist ein werthvolles Kriterium zur Erkennung der Beendigung des Processes, da diese Erscheinung erst dann eintritt, wenn die Masse sich verdickt und in Folge dieser Gasentwickelung die ihrer Auslaugung so günstige poröse Beschaffenheit annimmt. Berücksichtigen wir nur die zur Zersetzung des schwefelsauren Natrons und der Kreide nothwendige Kohlenstoffmenge, so lassen sich die stattfindenden Reactionen durch die nachstehenden drei Gleichungen ausdrücken (Na = 23, S = 32, O = 16, C = 12, Ca = 40 gesetzt): Textabbildung Bd. 185, S. 219