Titel: Ueber das Dinitronaphtol, einen neuen Naphtalinfarbstoff.
Autor: R. Brimmeyr
Fundstelle: Band 187, Jahrgang 1868, Nr. XXXIV., S. 165
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XXXIV. Ueber das Dinitronaphtol, einen neuen Naphtalinfarbstoff. Ueber das Dinitronaphtol, einen neuen Naphtalinfarbstoff. Die farbigen Reactionen, welche das Naphtalin und verschiedene davon abgeleitete Verbindungen unter dem Einflüsse gewisser Agentien darbieten, haben schon viele Versuche veranlaßt aus denselben für die Technik verwerthbare Farbstoffe herzustellen. Sie sind aber zum größten Theile wieder in Vergessenheit gerathen oder haben nur dazu gedient, das rein wissenschaftliche Material zur Kenntniß der Naphtalinderivate zu bereichern. Seitdem die Anilinfarben einen so glänzenden Standpunkt in der Industrie eingenommen haben, kann einstweilen wohl von aller Bedeutung der Naphtalinfarben abgesehen werden, besonders hinsichtlich dessen was bis auf die letzte Zeit bezüglich rother, violetter, blauer Derivate gethan und geschrieben wurde. Es bleiben also nur die gelben übrig, die aber dann noch besondere Vorzüge hinsichtlich Schönheit, Dauerhaftigkeit und Billigkeit haben müssen, wenn sie den zahlreichen, bis jetzt bekannten gelben Pigmenten den Markt streitig machen sollen. Es ist klar, daß man vorzugsweise dem aus dem Nitronaphtalin hergeleiteten Naphtylamin Aufmerksamkeit schenkte, in der Hoffnung, daß Oxydationsmittel analoge Reactionen wie bei dem Anilin hervorrufen würden. Wenn auch bis jetzt das Studium dieses interessanten Körpers von keinem praktischen Erfolge gekrönt war, so steht doch zu erwarten, daß mit der Zeit, wenn neue Entdeckungen den Zusammenhang der Naphtalingruppe mit der Phenylgruppe in ein helleres Licht gesetzt haben werden, auch für die Technik werthvolle Resultate zu Tage treten: Es sey hier nur an die Bereitung von Benzoesäure aus dem Naphtalin von Gebrüder Depouilly erinnert. Obgleich Piria (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. LXXVIII S. 31) schon im Jahre 1850 durch Zersetzung der Naphtylaminsalze mittelst Eisenchlorid, Goldchlorid und Silbernitrat einen violetten Farbstoff erhalten hatte, den er „Naphtameïn“ nannte, so rührten doch die zuverlässigsten Versuche erst von Perkin und Church her, welche im Jahre 1856 die Einwirkung des salpetrigsauren Kalis auf die Naphtylaminsalze studirten, das Resultat ihrer Versuche aber im Jahre 1864 einer neuen, eingehenden Prüfung unterwarfen. Sie erhielten (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CXXIX S. 104) durch Einwirkung von 1 Aeq. salpetrigsaurem Kali auf 2 Aeq. chlorwasserstoffsaures Naphtylamin in Gegenwart von 1 Aeq. Kalihydrat ein Product von bemerkenswerther Schönheit, welches in orangerothen Nadeln krystallisirte und dem sie den Namen Azodinaphtyldiamin C⁴⁰H¹⁵N³ beilegten. Dasselbe ist unlöslich in kaltem Wasser, aber löslicher in Alkohol, in Aether und in Benzol. Die meisten Säuren führen die Farbe des in Lösung befindlichen Körpers in ein reiches und tiefes Violett über; Alkalien und selbst Wasser stellen die ursprüngliche orangerothe Farbe wieder her. Chapman (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CXL S. 326) studirte die Einwirkung gleicher Aequivalente von chlorwasserstoffsaurem Naphtylamin und salpetrigsaurem Kali, aber ohne befriedigendes Resultat, da die von ihm erhaltenen Substanzen keine reine, definirte Verbindung gewesen zu seyn scheinen. Dr. C. A. Martius (Monatsbericht der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom 8. August 1867) gelang es durch Einwirkung gleicher Aequivalente obiger Körper in verdünnter saurer Lösung und nachherige Behandlung mit Salpetersäure einen gelben Farbstoff in großer Menge zu erhalten, der jetzt fabrikmäßig dargestellt wird und in der Wolle- und Seidenfärberei Anwendung findet. Dieser Körper, welchen Martius Dinitronaphtol nennt, wird bereitet, indem man zu einer sauren verdünnten Lösung von chlorwasserstoffsaurem Naphtylamin so lange eine verdünnte Lösung von salpetrigsaurem Kali setzt, bis eine Probe auf Zusatz von Alkalien einen kirschrothen Niederschlag (von Diazoamidonaphtol) erzeugt. Durch die Einwirkung der salpetrigen Säure auf das Naphtylamin entsteht chlorwasserstoffsaures Diazonaphtol, das sich beim Erhitzen in wässeriger Lösung in Stickstoff und Naphtol spaltet. Sobald die Umwandlung des Naphtylamins in Diazonaphtol C²⁰H⁶N² vollständig eingetreten ist, setzt man die nöthige Menge Salpetersäure zu der Lösung und erwärmt darauf allmählich zum Kochen. Das Naphtol C²⁰H⁸O² wird durch die Salpetersäure sofort in die Dinitroverbindung übergeführt. Schon bei 50° C. beginnt unter Trübung der Flüssigkeit eine heftige Gasentwickelung und allmählich scheiden sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit Massen feiner gelber Krystalle ab, die sich schaumartig zusammenballen. Das auf diese Weise gewonnene Dinitronaphtol C²⁰H⁶(NO⁴)O² ist häufig frei von fremdartigen Beimischungen, daher ein einmaliges Umkrystallisiren aus Alkohol genügt, um es vollständig rein zu erhalten. In den meisten Fällen jedoch thut man besser, das Dinitronaphtol durch Auflösen in Ammoniak und wiederholtes Umkrystallisiren des Ammoniaksalzes zu reinigen. Das Dinitronaphtol ist beinahe unlöslich in kochendem Wasser, schwer löslich in Alkohol, Aether und Benzol. Es ist eine starke Säure und treibt aus den Carbonaten die Kohlensäure mit Leichtigkeit aus; seine Salze lassen sich durch Sättigen der Säure mit den betreffenden Basen oder deren Carbonaten, sowie durch doppelte Zersetzung darstellen; sie besitzen eine orange- bis mennigrothe Farbe, sind löslich in Wasser und theilweise auch in Alkohol. Das Ammoniumsalz dient, wie schon erwähnt, zur Reinigung der rohen Säure. Zu diesem Zwecke wird diese in verdünntem Ammoniak gelöst, und die heiß filtrirte Lösung durch eine concentrirte Salmiaklösung gefällt. Man erhält das Ammoniaksalz in Form eines schönen orangefarbenen Niederschlags. Beim Umkrystallisiren aus kochendem Wasser schießt es in dünnen nadelförmigen Krystallen an, welche 1 Aeq. Krystallwasser enthalten, das sie erst bei 110° vollständig verlieren. Martius hat auch die Alkali- und Erdsalze und das Silbersalz, sowie den Aethyläther dargestellt und beschrieben. Nach des Entdeckers Angabe ist das Dinitronaphtol einer der schönsten und zugleich echtesten gelben Farbstoffe; es färbt Wolle und Seide ohne Hülfe einer Beize in allen Schattirungen vom hellen Citronengelb bis tiefen Goldgelb. Die HHrn. Roberts, Dale und Comp. in Manchester, in deren Fabrik Martius Gelegenheit hatte, das Dinitronaphtol zuerst im Großen zu bereiten und in deren Händen gegenwärtig die Patente für diesen Farbstoff in England und Frankreich sind, sowie die HHrn. F. Bayer und Comp. in Barmen stellen das Dinitronaphtol nach der von ihm beschriebenen Methode jetzt fabrikmäßig dar. Der Farbstoff findet eine nicht unbedeutende Verwendung in der Wollenfärberei, sowie bei Wollen- und Teppichdruck; die darin erzeugten Farben zeichnen sich durch eine sehr brillante goldgelbe Nuance aus, abweichend von der Pikrinsäure, welche immer mehr grünlich gelbe Nuancen liefert. Die Färbekraft des Dinitronaphtols ist außerordentlich bedeutend; man kann mit einem Kil. des trockenen Natron- oder Kalksalzes, in welcher Form die Farbe gegenwärtig hauptsächlich in den Handel gebracht wird, gegen 200 Kil. Wolle noch in schönem Gelb ausfärben. Das Dinitronaphtol ist isomer mit einer Nitrosäure, welche in unreinem Zustande schon vor längerer Zeit durch die HHrn. Müller und Comp. in Basel versuchsweise als gelber Farbstoff in den Handel gebracht wurde und deren Darstellung in England durch E. Newton,London Journal of arts, December 1863. S. 349; polytechn. Journal Bd. CLXXI S. 72. in Frankreich durch Knab Moniteur scientifique, 1865 p. 375. patentirt wurde. Nach den Patenten erhält man diese Säure, indem man Naphtalin einige Zeit in der Wärme mit Salpetersäure von 1,4 spec. Gewicht, die mit ihrem doppelten Gewicht Wasser verdünnt ist, behandelt, und die von der Mutterlauge getrennte Krystallmasse mit verdünnter Ammoniakflüssigkeit kocht, wornach aus der gelben filtrirten ammoniakalischen Lösung durch Säuren ein gelber Farbstoff niederfällt. Die Menge der hierbei gebildeten Säure ist jedoch eine verhältnißmäßig sehr geringe, etwa 3 Proc. vom angewandten Naphtalin, während der größte Theil des Naphtalins unzersetzt bleibt oder in Nitronaphtalin übergeführt wird. Wenn die Reaction bei der Darstellung des Dinitronaphtols so glatt verläuft, wie es der Verfasser angibt, so wäre für die Anwendung des Naphtalins in der Färberei und Druckerei ein bedeutender Schritt gethan, indem die große Ausbeute des Productes die Kosten der Darstellung des Naphtylamins wohl mehr als aufwiegt, da letztere nach den bekannten Methoden von Béchamp, Böttger etc. keine Schwierigkeiten mehr darbietet. Es gebührt dann C. A. Martius unstreitig das Verdienst, zuerst aus der Naphtalingruppe einen brauchbaren Farbstoff dargestellt zu haben, welcher neben den prachtvollen Derivaten der Phenylgruppe seine Stelle behaupten kann. Das Dinitronaphtol ist noch dadurch merkwürdig, daß es durch Behandlung mit Zinn und Salzsäure eine mit dem Alizarin (C²⁰H⁶O⁶) isomere Verbindung liefert, die aber weiter kein technisches Interesse darbietet. Dr. R. Brimmeyr.