Titel: Kleine Beiträge zum chemischen Theil der Zuckerfabrication; von E. F. Anthon, Fabriken-Inspector in Prag.
Autor: Ernst Friedrich Anthon [GND]
Fundstelle: Band 189, Jahrgang 1868, Nr. XIX., S. 72
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XIX. Kleine Beiträge zum chemischen Theil der Zuckerfabrication; von E. F. Anthon, Fabriken-Inspector in Prag. Anthon, Beiträge zum chemischen Thiel der Zuckerfabrication. I. Ueber die verschiedene Wirkung der Knochenkohle auf Zuckerlösungen, je nach der Concentration der letzteren. Nachdem bereits vor mehr als vierzig Jahren der Lignit (Braunkohle) als Surrogat für die Knochenkohle vorgeschlagen worden ist, hat man vor einigen Jahren diesen Gegenstand wieder in Anregung gebracht. Dadurch veranlaßt, nahm ich eine größere Reihe von Versuchen über die reinigende Wirkung der Braunkohle auf Zuckerlösungen vor, welche verschiedene interessante Beobachtungen über die immer noch nicht genügend aufgeklärte Wirkungsweise der Kohle darbieten. Besonders gilt dieß von der reinigenden Kraft einer und derselben Kohlensorte auf unreine Zuckerlösungen, je nach dem Grad deren Concentration. Ohne mich in die Aufzählung der einzelnen hierüber angestellten Versuche einzulassen, begnüge ich mich mit der Mittheilung der folgenden drei Hauptversuche. 1) Normale Rübenzuckermelasse wurde auf 23–24° Baumé verdünnt und mit aller Aufmerksamkeit durch ein 4 Schuh hohes und verhältnißmäßig enges Filter gehen gelassen, welches kleinkörnige rohe Braunkohle (aus dem Biela-Thale) enthielt, die vor der Filtration mit siedendem destillirtem Wasser ausgewaschen worden war. Die Menge der zum Versuch genommenen Melasse verhielt sich zu der im Filter enthaltenen Braunkohle dem Gewichte nach wie 1 zu 4. Die Temperatur wurde während des Versuches im Filter gleichmäßig auf 70° R. erhalten, nach dem Aufguß der verdünnten Melasse wurde mit Wasser abgesüßt und das ablaufende Filtrat in sechs nahezu gleichen Partien aufgesammelt, welche folgende Dichten und Reinheitsgrade zeigten: spec. Gewicht des Filtrates. enthielt auf 100 Zucker folg. Mengen Nichtzucker. Erstes Filtrat 1,0399 37,5 zweites Filtrat 1,0729 58,0 drittes Filtrat 1,0854 79,8 Viertes Filtrat 1,0588 148,4 Fünftes Filtrat 1,0259 100,0 Sechstes Filtrat 1,0133 37,5. Die aufgegossene Melasse hatte auf 100 Zucker 93 Nichtzucker enthalten. Aus vorstehenden Zahlenreihen ergibt sich nun unverkennbar, daß nicht nur in dem Verhältniß als das Filtrat mit größerer Dichte ablief, der stattgefundene Reinigungseffect ein in umgekehrtem Verhältniß geringerer war, sondern daß sogar unmittelbar nachdem das Filtrat von höchster Dichte ablief, sich eine sehr bedeutende Verschlechterung des Filtrates zu erkennen gab, indem im fünften Filtrat das Verhältniß sich wie 148,4 Nichtzucker zu 100 Zucker herausstellte, während es doch in der aufgegossenen Melasse sich bloß wie 93 zu 100 verhielt. Aber nicht bloß in dieser Richtung hin erschien mir das Resultat sehr überraschend, sondern auch aus dem Grunde, weil der letzte Ablauf (sechstes Filtrat) denselben bedeutenden Reinheitsgrad wie das erste Filtrat zu erkennen gab, nämlich nur 37,5 Nichtzucker auf 100 Zucker. Um mich nun zu überzeugen, ob und inwiefern bei der Knochenkohle ein ähnliches Verhalten stattfindet, wurde folgender Versuch durchgeführt. 2) Dasselbe Filter wurde nun mit guter, normal wiederbelebter Knochenkohle, welche jedoch etwas grobkörniger als die beim ersten Versuche angewendete Braunkohle war, gefüllt, und in gleicher Weise ein Filtrationsversuch vorgenommen, bei dem jedoch die Melasse von etwas geringerer Beschaffenheit war, nämlich 109,2 Nichtzucker auf 100 Zucker enthielt. Dießmal wurde der Ablauf in sieben gleichen Partien aufgesammelt, welche folgende Dichte und Beschaffenheit zu erkennen gaben: spec. Gewicht des Filtrates. enthielt auf 100 Zucker folg. Mengen Nichtzucker. erstes Filtrat 1,0488 65,5 zweites Filtrat 1,1230 87,2 drittes Filtrat 1,1320 109,3 viertes Filtrat 1,1028 123,3 fünftes Filtrat 1,0530 98,4 sechstes Filtrat 1,0212 76,6 siebentes Filtrat 1,0200 67,2. Die Thätigkeit der Knochenkohle ist in Bezug auf das in Rede stehende Verhalten somit ganz übereinstimmend mit dem der Braunkohle, indem auch bei diesem Versuch von Anfang an die reinigende Kraft der Knochenkohle in dem Verhältniß abnahm, als sie in einer specifisch dichteren Flüssigkeit zur Thätigkeit gelangte und dem entsprechend, — von jenem Zeitpunkt an wo das Filter auf die dichteste Flüssigkeit gewirkt hatte, — sich in dem Verhältniß wieder kräftiger entfaltete, als die Flüssigkeit in Folge des Absüßens von geringerer Dichte ablief. Ein Vergleich der bei beiden Versuchen erlangten Zahlenreihen zeigt deutlich, daß dieses eigenthümliche Verhalten bei der Braunkohle noch in weit stärkerer Weise hervorgetreten war als bei der Knochenkohle, doch glaube ich, daß der Grund hiervon nicht in einer kräftigeren Wirkung der Braunkohle überhaupt, sondern eher darin zu suchen ist, daß beim zweiten Versuch zufälligerweise eine schlechtere Melasse und grobkörnigere Kohle in Anwendung kam als beim ersten Versuch, wobei ich noch zu bemerken habe, daß die oben für den Nichtzucker angegebenen Zahlen nicht durch directe Bestimmung, sondern durch die Differenz in gewöhnlicher Weise sich ergeben haben, was in vorliegendem Falle vollkommen zulässig und genügend erschien. Obgleich nach den erlangten Resultaten wohl mit Sicherheit angenommen werden kann, daß die Knochenkohle (und andere ähnlich wirkende Stoffe) um so schwächer ihre reinigende Kraft zu entfalten vermag, als sie in specifisch schwereren Flüssigkeiten zur Thätigkeit gelangt, so wollte ich mich hiervon doch auch noch durch einen mit reinen Stoffen angestellten und direct in die Augen fallenden Versuch überzeugen, zu welchem Behuf in folgender Weise verfahren wurde. 3) Ueber reine, frische, feinkörnige Knochenkohle wurde so lange von einer völlig klar filtrirten sattrothen Infusion von Fernambuk und Cochenille laufen gelassen, bis sich keine Verminderung der Farbe mehr zu erkennen gab, die Kohle sonach mit Farbstoff gesättigt war. Dieser Zeitpunkt war erst dann eingetreten, nachdem wohl das zwanzigfache Gewicht (vom Gewicht der verwendeten Knochenkohle) der sattrothen Flüssigkeit über die Knochenkohle gelaufen war. Nun wurde so lange mit reinem Wasser nachgewaschen, bis dasselbe vollkommen farblos unten ablief, worauf ich dem Wasser ein wasserklares Klärsel von Raffinade folgen ließ, welches dann in der That zu meiner freudigen Ueberraschung roth gefärbt unten ablief. Ich glaube kaum nöthig zu haben, darauf hinzuweisen, daß gar manche der seither als feststehend betrachteten Annahmen durch vorstehende Mittheilungen widerlegt erscheinen, oder wenigstens einer neuen Prüfung bedürfen. So z. B. unter anderen die Annahme, „daß der Dünnsaft, welcher nach dem Dicksaft durch das Filter geht, die Bestandtheile wieder auflöse, welche der Dicksaft darin abgesetzt hat“ (Stammer's Jahresbericht, 1864 S. 513), indem nach obigem Resultate das gerade Gegentheil stattfinden muß. — Dasselbe gilt von der Annahme und Behauptung „daß das Spodium auf dünne Säfte weniger wirke als auf dicke und in Folge dessen die Absüßwässer so schlecht seyen.“ (Walkhoff's praktischer Rübenzuckerfabrikant, 2. Auflage, S. 507.) Die Nützlichkeit und Nothwendigkeit, sich bei der Ausübung technischchemischer Industriezweige eine richtige Vorstellung von der Wirkungsweise der in Anwendung kommenden Hülfsstoffe zu machen, drängt mich den Wunsch auszusprechen, daß die vorstehende Mittheilung Veranlassung geben möge den fraglichen Gegenstand mehrseitig weiter zu verfolgen. II. Ueber das Absorptionsvermögen der Kohle gegen Farbstoffe und andere organische Stoffe. Schon im Jahre 1837 (s. Buchner's Repertorium für die Pharmacie, Bd. LIX S. 329) habe ich durch Versuche dargethan, daß eine mit einem Farbstoff gesättigte Knochenkohle von diesem wieder einen Theil fahren lassen könne, wenn man ihr Gelegenheit biete einen anderen Stoff aufzunehmen. — Später (Erdmann's Journal für praktische Chemie, 1838, Bd. III S. 430) hat Lüdersdorff diese Wirkung der Kohle auswählendes Absorptionsvermögen genannt. In meiner vorstehenden Mittheilung (I) habe ich weiter nachgewiesen, daß sogar Zuckerlösungen aus der Knochenkohle einen Theil jener Stoffe wieder aufzulösen vermögen, welche dieselbe vorher fest gebunden hatte, und so eine, wie ich glaube für die Zuckerfabrication wichtige Thatsache constatirt. Daran schließen sich einige weitere Beobachtungen, die als Beitrag zu unserer Kenntniß über die Wirkung der Knochenkohle hier einen Platz finden mögen. Als ich nämlich, bei weiterer Verfolgung des oben erwähnten Versuches über das Verhalten der mit Farbstoff gesättigten Kohle gegen Zuckerlösung, über die bereits mit Wasser und reiner Zuckerlösung bis zur völligen Farblosigkeit des Filtrates ausgewaschene (vorher mit Cochenille- und Fernambukroth gesättigte) Knochenkohle eine bei gewöhnlicher Temperatur nahezu gesättigte Sodalösung (einfach-kohlensaures Natron) von 22° Baumé filtrirte, zog diese nun so viel von dem früher absorbirten Farbstoff aus, daß sich große Mengen derselben intensiv roth färbten, so daß ich schon zu der Annahme berechtigt zu seyn glaubte, die Sodalösung habe sämmtlichen Farbstoff aufgenommen. Als ich aber der 22 gradigen Sodalösung, nachdem dieselbe bereits farblos ablief, eine concentrirte farblose Lösung von Melassenschlempekohle (die ihrer Natur nach wesentlich als eine Lösung von kohlensaurem Natronkali mit Ueberschuß von kohlensaurem Kali anzusehen war und 40° Baumé zeigte) unmittelbar folgen ließ, löste diese sogleich wieder eine neue Partie Farbstoff auf, was endlich sich in noch höherem Grade einstellte, als ich dieser Lösung zum Schluß des Versuches noch eine 45procentige Aetzkalilauge nachfolgen ließ, so daß letztere von gleich dunkelrother Farbe ablief, als wie ich anfangs die Farbenbrühe aufgegossen hatte, woraus sich also deutlich ergibt, daß durch das frühere Behandeln mit kohlensauren Alkalien nicht aller Farbstoff extrahirt worden ist, obgleich mehr als das 100fache (vom Gewichte der Knochenkohle) der gesättigten Lösungen in Anwendung kam. In der mit Aetzkalilauge erschöpften Knochenkohle konnte ich nun keinen Farbstoff in irgend beachtenswerther Menge mehr nachweisen, und ich glaube somit daß das Aetzkali im Stande ist, die von Knochenkohle absorbirten organischen Stoffe vollständig oder doch nahezu vollständig wieder auszuziehen. Durch die mitgetheilten, wie durch viele andere Beobachtungen gelangte ich zu der Ueberzeugung, daß die Absorptionsfähigkeit der Kohle gegen aufgelöste Stoffe, im Allgemeinen auf verschiedenen Ursachen beruhe und theils nach chemischen, theils nach physikalischen Gesetzen zur Geltung gelange. Chemisch ist die Wirkung der Knochenkohle ohne allen Zweifel in jenen Fällen, wo ihr Gehalt an kohlensaurem Kalk, an absorbirten Gasen (z. B. Ammoniak, Kohlensäure etc.) u. dgl. zur Thätigkeit gelangt, und in welcher Richtung sie ähnlich wirkt wie z. B. der kohlensaure Kalk auf Eisenchloridlösung etc., Fälle die sich dadurch charakterisiren, daß keine eigentliche Absorption, sondern einfache Fällung durch Zersetzung stattfindet. Diese Art der Wirkung ist es aber nicht, welche ich hier vor Augen hatte, sondern jene Fähigkeit der Kohle, durch wirkliche Absorption, also ohne Zersetzung des Stoffes auf welchen sie wirkt, fremde Stoffe zu binden, und davon gilt nun Folgendes. Die Kohle besitzt die Eigenschaft, sehr verschiedenartige Stoffe aus ihren Lösungen und zwar einzeln oder mehrere derselben zugleich in sich aufzunehmen, welche Eigenschaft auf durch die Haarröhrchenkraft gesteigerter Flächenanziehung beruht und welche je nach der Beschaffenheit der Kohle, der Natur und Dichte des Lösungsmittels, der gleichzeitigen Gegenwart noch anderer fremder Stoffe, dem obwaltenden Temperaturgrad etc. in sehr verschiedenem Grade sich geltend machen kann, ohne aber dabei, wie es bei chemischen Verbindungen der Fall ist, stöchiometrischen Gesetzen zu folgen, — denn während z. B. unter allen Umständen eine bestimmte Menge Schwefelsäure stets eine gleiche und bestimmte Menge Baryt fällt, kann die Menge Farbstoff, welche eine und dieselbe Sorte Kohle zu absorbiren vermag, nach den obwaltenden Nebenumständen eine sehr verschiedene seyn, wie denn thatsächlich z. B. ein bestimmtes Gewicht Knochenkohle aus einer starken Aetzkalilösung nicht den tausendsten Theil von Cochenilleroth aufzunehmen vermag, als wie aus einer neutralen bloß wässerigen reinen Lösung. Den Grund zu der Erscheinung daß eine mit Farbstoff gesättigte Kohle an Sodalösung mit großer Leichtigkeit und in sehr bedeutender Menge den vorher in neutraler Lösung fest gebundenen Farbstoff wieder abzugeben vermag, suche ich nicht etwa in dem Umstand, daß der Farbstoff zur Soda mehr Verwandtschaft habe als zur Knochenkohle (obgleich secundär auch wohl eine derartige Wirkung zur Geltung kommen mag), sondern glaube ihn vielmehr darin suchen zu müssen, daß die unter günstigen Umständen mit Farbstoff gesättigte Kohle ganz einfach einen Theil desselben wieder fahren läßt, wenn sie später unter Verhältnisse gelangt bei denen ihre Absorptionsfähigkeit eine geringere ist. So ließ bei dem mitgetheilten Versuch die mit Farbstoff gesättigte und dann vollständig mit reinem Wasser ausgewaschene Kohle einen Theil des gebundenen Farbstoffes wieder fahren, als ich sie mit reiner Zuckerlösung zusammenbrachte, ganz einfach aus dem Grunde weil die Kohle aus Zuckerlösungen nicht so viel Farbstoff aufnehmen kann, als wie aus bloß wässeriger Lösung. Eben so gab aus gleichem Grunde und in gleicher Weise dieselbe Knochenkohle, nachdem sie an Zuckerlösung keinen Farbstoff mehr abgab, noch große Mengen davon an Sodalösung von 22° Baumé ab, sowie sie endlich jenen Farbstoffrest den die Sodalösung nicht zu extrahiren vermochte, schnell und leicht an Aetzkalilösung abgab. Die Knochenkohle wirkt also unter sonst gleichen Umständen organischen Stoffen gegenüber in Wasser allein kräftiger als in reinen Zuckerlösungen, in diesen wieder kräftiger als in den Lösungen der kohlensauren Alkalien, und endlich in letzteren wieder kräftiger als in den Lösungen ätzender Alkalien, und zwar in der Art, daß die Wirkung der Kohle in dem Verhältniß abnimmt, als die Dichte der Flüssigkeit eine größere ist, was nicht bloß für den Zucker, sondern auch für die Alkalien gilt. Die in Vorstehendem entwickelte Erklärung der in Rede stehenden Wirkungsweise der Kohle halte ich entschieden für richtiger, als die Annahme, daß dieselbe auf einem sogenannten auswählenden Absorptionsvermögen beruhe, wornach die Kohle bloß in Folge dessen den bereits absorbirten Farbstoff (oder einen Theil desselben) wieder fahren lassen kann, daß ihr Gelegenheit geboten wird sich mit einem anderen Stoff zu verbinden, zu dem sie mehr Verwandtschaft hat als zu dem bereits absorbirten, eine Ansicht, welche schon durch die einzige oben dargethane Thatsache widerlegt erscheint, daß Knochenkohle, welche bis zur Sättigung Farbstoff absorbirt hat, von dem fest gebundenen Theil desselben an reine Zuckerauflösung wieder eine bestimmte Menge abzugeben vermag, und wobei es doch gewiß Niemandem einfallen wird die Behauptung aufzustellen, daß die Knochenkohle mehr Verwandtschaft zum Zucker als zum Farbstoff habe, indem gerade umgekehrt und unwiderlegbar die absorbirende Kraft der Kohle eine größere gegen Farbstoffe als gegen Zucker ist. (Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)